Samstag, der 19. September 1970

02-0543

Ko

Wird's besser, wird's schlechter,
seien wir ehrlich,
leben ist immer lebensgefährlich.

Dieser Kalendervers von Erich Kästner fiel mir ein, als wir
mit einer gewissen Spannung nach Tirol abreisten und am Bahnhof
den Samstag-Express mit riesengrossen Kitzbühel-Überschrift in
die Hand bekamen. Wir wussten noch nicht, wie wertvoll diese
Zeitung werden sollte. Messe-Eröffnung in Innsbruck.
Handelskammer-Präsident Menardi empfängt Dr. Staribacher.
Bei der Vorbesprechung im Hotel Tyrol erwies es sich als äusserst
störend, dass erst im Laufe der Gespräche erraten werden kann,
welches Gewerbe der Herr Kammerpräsident ausübt. Menardi ist
sichtlich überrascht, dass man mit einem sozialistischen Handels-
minister so gut sprechen kann. Es wirkte anfangs, als hätte
er sich Dr. Staribacher mit Hörndln am Kopf vorgestellt. Er
muss nicht nur seine "Teufel-"Vorstellungen begraben, sondern
taut sichtlich auf, als er erkennt, dass Staribachers Konzepte
seinen Auffassungen viel eher entsprechen, als die reaktionäre
Haltung der Greissler-Päpste der ÖVP-. Dynamische Geschäftsleute,
die moderne Wirtschaftspolitik schätzen, sind im Westen eben doch
häufiger als im Osten. Vor allem über die Gewerbeordnung wäre
mit diesen Leuten wahrscheinlich besser zu sprechen, als mit Mussil
oder Sallinger. Es ist nur schade, dass sich vermutlich kaum eine
Gelegenheit findet, diese Leute in irgendeiner Form direkt zu
offiziellen Gesprächspartnern zu machen.

Landeshauptmann Wallnöfer kommt zur Vorbesprechung, Seine Sorgen:
Bergbau Kitzbühel, Fremdenverkehr, Ölversorgung, Strassenbau (ob-
wohl der Staribacher nicht betrifft). Sein vorbereitendes Gespräch
hat offensichtlich nur den Zweck, seine bei der Messe-Eröffnung
öffentlich vorgebrachten Angriffe nicht unhöflich erscheinen zu
lassen. Staribacher kontert sofort, indem auch er einige Passagen
seiner Rede mit Wallnöfer bespricht.

Die Messe-Eröffnung findet im Saal statt. Sie ist nicht nur feierlich
sondern schliesst den roten Handelsminister auch hermetisch von
einer breiteren Öffentlichkeit ab. Es gibt zwar einige bekannte
Gesichter, aber im grossen und ganzen hätte Staribachers Messe-Rede
auch vor einem Landesparteitag der ÖVP kaum ein anderes Publikum
gehabt.



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Menardi, vor allem aber Wallnöfer, brachten die nach der Vorbesprechung
zu erwartenden Angriffe höflich in der Form, aber äusserst massiv vor.
? der zwischen den beiden spricht, hält sich eher zurück.

Staribacher hält eine seiner besten Reden, die ich von ihm gehört habe,
Rein rethorischer ist er um Klassen besser als seine Vorredner. Die
Ansprache, in der er auf alle Angriffe mit Ausnahme des Strassenbau-
themas, erwidert, wirkt nicht als spontane Antwort auf die Vorredner
sondern wie eine zwar vorgetragene, aber lange und sorgfältige vor-
bereitete Ansprache, die ganz zufällig just jene Themen behandelt,
zu denen auch die Vorredner gesprochen haben. Die Ehrengäste der Messe
bringen widerwillig ihre Bewunderung für Staribacher zum Ausdruck.
An einer einzigen Stelle gibt es sogar spontanen Applaus. Bei der
Erklärung zum Thema Bergbau in Kitzbühel. Dieses Thema erregt offenbar
auch in Innsbruck.

Beim Messerundgang leistet sich Dr. Staribacher einen Gag, der
sicherlich äußerst wirksam ist, aber wenn schon nicht auf Kosten
der Gesundheit so zumindest der eigenen Leistungsfähigkeit geht.
Da Lugger Blut gespendet hat, geht prompt auch Staribacher Blutspenden.
Statt der üblichen Ruhepause stürzt er schon ein paar Minuten später
wiederum ins Getümmel um den Messerundgang, der diesmal länger
dauert als je zuvor, wie alle Beteiligten versichern, weiterzumachen.

Besuch bei der Werksgenossenschaft Fulpmes. Ein wirklich eindrucks-
voller Versuch Mittelalter und zukunftsträchtige Wirtschaftsformen
miteinander zu verbinden. Staribacher verspricht nichts, berichtet
aber über seine Verhandlungen mit Moser und Weihs. Konkrete Bitten:
ein Antrag der Werksgenossenschaft an die Bürges soll als Antrag
wegen eines Strukturverbesserungskredites betrachtet werden. Der
Minister sagt wohlwollende Prüfung im Ministerium zu. Ferner strebt
die Genossenschaft einen gemeinsamen ERP-Kredit an. Sie hatte bereits
vor längerer Zeit einen ähnlichen Kredit. Nun aber erhielt sie die
Auskunft, daß jede einzelne Mitgliedsfirma gesondert ansuchen müßte.

Die Wählerversammlung in Fulpmes ist ein Beispiel für eine Wähler-
versammlung im alten Stil. Trotzdem sind die örtlichen Genossen
begeistert, weil sie mehr Leute auf die Füße gebracht haben als in
der Vergangenheit.
Die Fahrt nach Oberndorf bringt erst in Oberndorf selbst Überraschungen.

Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
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      Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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        Tätigkeit: Bautenminister


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          Tätigkeit: Innsbrucker Bgm., BP-Kandidat 1974


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              Tätigkeit: Präs. HK Tirol


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                Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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