Der Kreditschutzverband 1870 feierte sein 100-jähriges Bestehen
und gleichzeitig den zweiten internationalen Kongress. Ich wurde
aufgefordert, eine Ansprache neben Broda zu halten, die Festansprache
hielt der Bundespräsident. Der Finanzminister, welcher ebenfalls ein-
geladen war, hatte sich gleichfalls auch eine Rede vorbereitet und
zu seiner grössten Verwunderung war er in der Tagesordnung nicht als
Redner aufgenommen. Die Organisatoren wollten ihn noch irgendwo ein-
schieben, aber er sagte mit Recht, das kommt nicht in Frage. Ich hatte
mir seine Rede angesehen und erklärte sofort, da ich ja sowieso meine
als freisprechend nur skizzenhaft festgelegt hatte, dass ich den grös-
sten Teil davon in meine Rede einbauen würde. Androsch sagte, dass er
ja diese nicht selbst gemacht, sondern von der Abteilung übernommen
hatte, doch stehe ich auf dem Standpunkt, es war zweifelsohne ein
grosser organisatorischer Fehler von Seiten des Kreditschutzverband
weshalb ich vielleicht sogar zu seinem Trost einen Teil seiner
Rede übernahm. Ich glaube, ich sollte es mir überhaupt leichter m-
achen und bei solchen festlichen Veranstaltungen die Rede einfach
herunterlesen, wie das alle anderen auch machen. Erstens verspricht
man sich nicht und hat eine richtige Satzstellung und zweitens
gibt dies vielleicht sogar für Koppe Fritzl viel weniger Arbeit
als jetzt mir die Rede im einzelnen durchzusprechen.
Da
im Ministerrat am Dienstag zwei wichtige Sozialgesetze beschlossen
werden, nämlich vom BM f. Justiz das Angestelltengesetz, welches
die Abfertigung vorsieht bei Frühpension für die weiblichen Dienst-
nehmer auch bei Eheschliessung und Geburt eines Kindes, wie vom
Sozialministerium, dass die Überstundenzuschläge mit 50 % fest-
legen, suchte ich Mussil resp. Sallinger zu erreichen. Sallinger
konnte aber nicht einmal telefonisch erreicht werden, nur Mussil
rief mich dann an und ich sagte ihm, die Tagesordnung. Er selbst mein-
te sofort, dagegen müsste ich im Ministerrat Einspruch erheben, d.h.
wenn ich wirklich dagegen wäre, könnten diese Gesetze nicht die
Regierung passieren. Ich erklärte ihm sofort, dass ich dies unter gar
keinen Umständen machen würde, er selbst, bin ich überzeugt, hat es
auch nicht ernst gemeint, sondern wird nur im Parlament dann sicherlich
mich wegen dieser Haltung angreifen. Da wir diese Gesetze im Hause
nicht einmal – soferne die Begutachtung abgeschlossen haben und
wir die Stellungnahmen ja nicht an das Justiz- bzw. Sozialmini-
sterium weitergeleitet haben, wird auch dieser Tatbestand von ihm
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wenn er ihn bemerkt, verwendet werden im Parlament. Ich glaube, dass
es sehr zweckmässig ist, dass ich unbedingt versuchte, mit ihm Kontakt
aufzunehmen, sonst hätte er dies als einen illoyalen Akt betrachtet.
Bei der Gelegenheit schlug ich ihm gleich vor, wir müssten uns einen
jour fix machen, denn ansonsten besteht die Gefahr, dass er doch über
wichtige Fragen nicht informiert ist.
Mit Senatsrat Jagoda hatte ich die erste persönliche Aussprache. Heindl
hatte ja vorgefühlt, ob er bereit wäre, gegebenenfalls die Sektion von
Habel, der heuer in Pension geht, zu übernehmen. Er erklärte unumwunden,
dass ihn die Aufgabe sehr interessiert, aber er doch auf alle Fälle
keinen finanziellen Nachteil erleiden möchte. Heindl wird nun mit den
entsprechenden Stellen, das ist die Gewerkschaft, aber vor allem auch
das Bundeskanzleramt, Fühlung aufnehmen, damit die Vorbereitungen so
getroffen werden können, dass er frühestmöglich ins Ministerium kommen
kann. Für Habel habe ich vorgesehen, dass wir ihm einen Werksvertrag
geben, damit er sein Lebenswerk, die Gewerbeordnung, vielleicht doch
noch zu einem positiven Abschluss führen kann. Ich nützte die Be-
sprechung am Abend, um Kreisky von meinem Vorhaben zu informieren und
auch von Slavik die Zustimmung zu bekommen. Beide waren damit einver-
standen, Kreisky meinte nur, eine Ausschreibung käme nicht inFrage,
da doch dann die anderen Minister zu sehr präjudiziert bei Berufungen
wären.
Bei der Ministeratsvorbesprechung kam Kreisky insbesondere auf die Pro-
blematik der Wehrzeitverkürzung zu sprechen. Gailbreight hat ein
Buch über Generäle geschrieben, er konnte es nur nicht finden, da sein
Sohn es ihm entwendet hat, wo er die Generäle als eine berufliche Defor-
mationsgruppe bezeichnet. Nach seiner Meinung wird es zu einer harten
Auseinandersetzung mit der Berufsmilitärs kommen, aber er steht auf
dem Standpunkt und auch ich muss jetzt sagen, das ist jetzt dringend
notwendig, einmal festzustellen, dass auch Generäle nichts anderes sind
als weisungsgebundene Beamte wie die anderen Sektionschefs und Ministe-
rialräte in den Ministerien. Die Gesetzesänderung, die Freihsler vorge-
sehen hat, wird so vorbereitet, dass es am 13.11. nach Passierung des
Landesverteidigungsrates im Nationalrat eingebracht wird. Die Idee der
Neutralistätsschutztruppe, die erst nach den Wahlen aufgetaucht ist
und jetzt fast die Heeresreform ummöglich macht, weil eben angeblich
10 – 12.000 Soldaten jederzeit einsatzbereit sein müssen, ist eine sehr
unglückliche.
Wenn nämlich die Einsatznotwendigkeit wirklich in der Ausbildungszeit
kommt, dann müsste halt wie dies bereits bei der Hochwasserkatastrophe
in Kärnten und wie dies bei der Tschechenkrise der Fall gewesen ist,
gegebenenfalls allerdings derzeit kontra lege der Bundespräsident
ersucht werden, die Heeresleistung um jeweils 14 Tage oder 3 Wochen
zu verlängern, damit dann neue Truppenteile von schon abgerüsteten Ein-
heiten wieder mobilisiert werden könnten. Die Hauptschwierigkeit liegt
nach Meinung Rösch darin, dass der grösste Teil der Offiziere inm höc-
hsten Generalstab vollkommen unfähige Leute sind. Scheinbar stehen diese
auf dem Standpunkt, die politische Entscheidung interessiert sie nicht
sie müssten jetzt unter allen Umständen ihr Konzept durchsetzen. Die
Hauptschwierigkeit besteht derzeit darin, das Kaderpersonal einiger-
massen zu halten, von einem Aufbau und Ausbau kann sowieso keine Rede
sein. Sie glauben nun, dass eine entsprechend hohe Bezahlung dies
ermöglichen würde. Dagegen muss aber die Regierung schon aus gewerkschafts
paktischen und personalpolitischen Sicht gegenüber den anderen Bundes-
bediensteten grösste Vorsicht an den Tag legen. Letzten Endes sind die
Längerdienenden keine besonders hoch qualifizierten Leute, sondern
meistens doch Bauernburschen oder Hilfsarbeiter, die eben auf dem
Standpunkt stehen, na geh ich halt zum Militär. Wenn diese nun ent-
sprechend besser bezahlt werden als z.B. vielleicht Gendarmerie-, Poli-
zeieinheiten oder auch womöglich noch die Lehrer, dann kann man sich
vorstellen, was das auf die einzelnen anderen Gruppen für Rückwirkungen
haben müsste.
Spät abends fragte ich noch Kreisky und Rösch, was es mit der Behauptung
dass wir der Nato gegenüber verpflichtet wären, 10.000 Mann stets ein-
satzbereit halten zu müssen, für eine Bewandtnis hätte. Sowohl Rösch
als Kreisky erklärten, dass eine solche Verpflichtung nicht existiert,
sondern in der Koalitionszeit die damaligen Heeresminister, ich glaube
es war Schleinzer, das Konzept hatten, gegebenenfalls bei der engsten
Stelle Österreichs, das ist bei Zell am See, eine Verteidigungslinie auf-
zubauen, die dann von den Nato-Kräften ebenfalls gehalten werden würde,
wenn es zu einem Angriff aus dem Osten käme. Dieses Wehrkonzept wurde
von den Sozialisten auf das Entschiedenste seit eh und je bekämpft
und es wurde eben festgehalten, dass Österreich an den Grenzen zu
verteidigen ist. Auf alle Fälle hat die schwierige Situation mit den
Offizieren dazu geführt, dass unser Freund Freihsler jetzt einen der-
artigen gesundheitlichen Zustand erreicht hat, dass es sich in Spital-
pflege begeben muss. Da er zuckerkrank ist, bedarf er nicht nur einer
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Durchuntersuchung sondern muss auch sich einstellen lassen. Dies
erklärte Kreisky bei der Ministerratsvorbesprechung. Der Sekretär
von Freihsler allerdings teilte Heindl mit, dass er in einem derart
körperlich und psychischen Zustand ist, dass er nach seiner Meinung
gar nicht mehr wird aktiv in Erscheinung treten.
Die Tagesordnung für den Ministerrat beinhaltet auch einen Bericht von
Firnberg, wonach sie ein Verbot für Entlehnung bestimmter Museal-
objekte listenmässig von der Bundesregierung beschliessen lassen will.
Broda steht auf dem Standpunkt, dass dies keine Kompetenz der Bundes-
regierung sei und Kreisky schloss sich dem an. Bezüglich des Berichtes
von Frühbauer über Beistellung von Bundesmitteln für den Anteil der
österreichischen Elektrizitätswirtschaft – Verbundgesellschaft am
ersten österreichischen Kernkraftwerk vorsah, dass 1972 100 Mill.
1973 150, 1974 150 und 1975 200 Mill. Kapitalaufstockung durchgeführt
werden sollte, wurde beschlossen, diesen Antrag zurückzuziehen. Die
Bundesregierung soll sich aus zwei Gründen nicht bereits jetzt binden.
Androsch meint, dass dann die Verhandlungen zwischen Verbundgesellschaft
und Ranshofen kaum zu einem positiven Ergebnis kommen würden. Ranshofen
braucht für seine Aluminiumerzeugung einen wesentlich geringeren Strom-
preis als derzeit mit 19,75 Groschen pro Kwh bezahlen muss. Ich, aber auch
Androsch wehrten sich dann, da es zweckmässig ist, mit 600 Megawatt über-
haupt das Kernkraftwerk zu errichten. Für ein grösseres Kernkraftwerk
ergeben sich zwei grosse Schwierigkeiten. Erstens ist die Bedarfsplanung
nur auf 600 MW ausgerichtet und zweitens wird bei einem ca. 2 -monatigen
Stillstand pro Jahr die Ersatzlieferung dann fast unlösbar, wenn es
sich um eine noch grössere Einheit handelt. Trotzdem glaube ich sollten
hier noch entsprechende Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden, bevor
man endgültig das 600 MW-Projekt verwirklicht. Die ÖVP-Alleinregierung
hat nur eine schriftliche Mitteilung von Weiss über eine Verwendungszusage
der Verbundgesellschaft gegeben. Auch Frühbauer wird nur in einem
Brief an die Verbundgesellschaft ebenfalls die Kapitalaufstockung im
Prinzip zusagen.
Sekt.Chef. Jiresch wollte wissen, ob die Bundesregierung zum Nationalfeier-
tag zu Gedenkgottesdiensten auffordern wird. Kreisky meinte, dies sei
unzweckmässig, aber wenn es zu Gedenkgottesdiensten käme, dann würde die
Bundesregierung selbstverständlich geschlossen daran teilnehmen.
Eine historische Kommission sollte die Dreissigerjahre endlich vom
Parteienhader befreit untersuchen, um festzustellen, wie die geschicht-
liche Entwicklung damals wirklich gewesen ist. Zu diesem Zweck wird
die Bundesregierung 250.000 S einer Stiftung geben, wenn die Kunschak-
Stiftung 50.000 und die Körnerstiftung ebenfalls 50.000 zu dieser
historischen Arbeit beischiesst. Seinerzeit hat die Bundesregierung
in der Koalitionszeit eine Untersuchung der Widerstandsbewegung in
der Nazi-Zeit subventioniert und verlangt, die allerdings von der
Volkspartei in den vergangenen vier Jahren gestoppt wurde.
Gratz wollte gerne den Opernball liberalisieren und den Frackzwang -
dadurch aufheben, dass er nur Abendkleidung vorschreibt. Ich brüllte
sofort heraus, wer am Opernball gehen will, soll ruhig Frack tragen,
wenn ich gehen würde, ginge ich höchstens mit einem schwarzen Anzug.
Ich glaube, die Entscheidung, die dann fiel, ist richtig, der Opern-
ball ist eine so exklusive Veranstaltung, dass wer immer daran teil-
nehmen will, müsste auch Frack tragen und es sollte keine wie immer
geartete Änderung dort versucht werden.
Der russische Botschafter Bozderob hatte beim Aussenminister wegen
des sudetendeutschen Tages in Klosterneuburg schärfsten Protest ein-
gelegt und erklärt, die Sowjetunion würde sich überlegen, ob in Zukunft
internationale Kongresse in Österreich durchgeführt werden. Ebenso sprach
er sich ganz entschieden gegen die Demonstration, wonach Juden aus der
Sowjetunion auswandern sollten, aus. Er beschwerte sich insbesondere
dass bedeutende Persönlichkeiten, wie z.B. Benya, Probst und viele
andere den Aufruf unterschrieben hatten. Die Bundesregierung stellte
eindeutig fest, dass wir uns zwar als Bundesregierung an solchen
Aktionen nicht beteiligen werden, dass aber jeder einzelnen Staats-
bürger in Österreich das Recht hat, seine Meinung auszudrücken und
wir uns von niemandem auch nur die geringste Vorschrift machen lassen.
Im UNO-Trakt Österreich in den Sicherheitsrat aufzustellen. könnte
eine sehr positive Lösung erreicht werden. Da ja nicht zu rechnen ist,
dass bei der ersten Kandidatur der Staat gleich durchkommt, so beweist
er, wenn er dann seine Kandidatur zurückzieht, erstens eine entsprechen
de Solidarität der westlichen Gruppe gegenüber, dies wurde auch aner-
kannt, und zweitens, dass sich gewisse Staaten das nächsten Mal dann
für ihn besonders einsetzen werden. Dies ist derzeit Frankreich, die
Türkei, Italien, Belgien und Spanien.
Häuser wollte wissen, ob alle Bundesministerien, den ÖVP-
Pressedienst, der 600 S pro Monat kostet, abbestellt hatten. Wir kamen
allerdings überein, dass jeder einzelne Minister dies nach seinem
eigenen Ermessen tun sollte. Androsch verlangte, dass endlich jetzt
bei den Buchhaltungen die Ausgaben über die Öffentlichkeiten in den
Details festgestellt werden müssten. Nach seinen bisherigen Unterlagen
erscheint es z.B. immer wieder interessant, wer die entsprechenden Auf-
träge bekommen hat. Angeblich waren in einzelnen Ministerien ausschliess-
lich die Druckerei Wimmer, die Maleta gehört, an dieser Öffentlichkeits-
arbeit beteiligt.
Bei der abendlichen Besprechung zwischen Regierungsmitgliedern und Ge-
werkschaftsfraktionspitzenfunktionäre kam selbstverständlich das Problem
des Reststimmenmandates zur Debatte. Nicht wer dieses Mandat bekommen
sollte, sondern ob wir dieses Mandat überhaupt erhalten können. Häuser
Rudi hat eine Berechnung aufgestellt, wonach wir mit grösster Wahr-
scheinlichkeit ein solches Mandat nicht bekommen werden. Ich selbst
konnte dann als Rösch die Reststimmenmandatsaufteilung vom letzten Mal
zur Verfügung stellte, dass die grosse Gefahr besteht, dass wir wirklich
dieses Reststimmenmandat nicht bekommen. Kreisky sagte in seiner launigen
Art, es ist halt so, Staribacher ist wirklich der Unker vom Dienst, ich
selbst sage immer dann der U V D weil ich immer das Negative besonders
herausstreiche. Ich selbst stehe allerdings auf dem Standpunkt, besser
auf das Schlechteste gefasst zu sein und dann angenehm überrascht zu
werden. Die Hoffnung, dass wir dieses Reststimmenmandat doch behalten,
besteht nur darin, dass das letzte Mal im März die Wahlkartenwähler
die Skifahrer gewesen sind und dass es diesmal die Ausgesiedelten und
Umgesiedelten sind, die Wahlkarten sich genommen haben und dass wir
doch hoffen können, dass hier ein grösserer perzentueller Ansatz als
dies das letzte Mal der Fall war, sozialistisch wählen werden, rsp.
die Freiheitlichen nicht die grosse organisatorische Kraft gehabt haben,
ihre potentiellen Wähler als Wahlkartenwähler tatsächlich zu mobili-
sieren.
Tagesprogramm, 5.10.1970