Die Nationalratsitzungen werden jetzt zusehend länger und intensiver.
Auch in der Fragestunde kommen immer weniger Fragen zum Aufruf.
Derzeit im Durchschnitt höchstens 1 Dutzend. Man kann jetzt bereits
und wahrscheinlich auch in Zukunft noch viel weniger Planungen u.
Terminplanungen durchführen. Mussil wollte in der Vormittagssitzung
des Nationalrates mit mir und denVertretern der Handelskammer und
des ÖGB und der AK die preisdmämpfenden Massnahmen noch einmal be-
sprechen, insbesondere hoffte er, dass es gelingt, bei Holz- und Be-
kleidungszollsenkung doch noch ein Einvernehmen herzustellen. Obwohl
Zöllner und Lachs den ganzen Vormittag warteten, kam es zu dieser
Aussprache nicht. Mussil war ausserstande die Koordinierung mit den
Fachverbänden herbeizuführen. Deshalb entschied dann auf dem Beklei-
dungssektor der Finanzminister autonom. Ich bin über diese Entschei-
dung nicht sehr unglücklich, da sie dokumentiert, dass eben die
Bundesregierung Entscheidungen trifft, wenn die Sozialpartner sich
nicht einigen können. Unglücklich bin ich dagegen, dass Androsch
mir nachher sagte, er musste mich verkaufen, da er die ganzen
Anmerkungen, die die Bundeskammer verlangt hat, d.h. Bestätigungs-
vermerke des Handelsministerium in die Zollsenkung aufnehmen
wird. Für unser Haus bedeutet dies, dass weitere Dutzend Positionen
zum Bestätigungsvermerk hinzukommen. Die Abteilung behauptet, sie
ist schon sowieso überlastet. Man müsste anstreben, die ganzen Be-
stätigungen wegzubringen und stattdessen werden es nur noch mehr.
Mit Schulmeister von der Presse hatte ich ein Interview über die Export-
politik. Die Presse wird eine Exportbeilage herausbringen. Schuh-
meier hat versprochen, dieses Interview noch Koppe zu zeigen.
Beim wichtigsten Punkt der Tagesordnung des Nationalrates – vorerst
waren ja nur die aussenpolitischen Berichte – nämlich die Wahlrechts-
reform wurde erwartet, dass die ÖVP einen Rückverweisungsantrag
stellen würde. Aus diesem Grund musste die ganze Fraktion versammelt
bleiben. Zur grössten Überraschung kam dieser Rückverweisungsantra-
g nicht. Wahrscheinlich haben sie deshalb davon Abstand genommen,
Wenn sie so etwas überhaupt geplant haben – da sie ja rechnen muss-
ten, damit eine weitere Niederlage, d.h. eine Abstimmungsniederlage
erleiden zu müssen.
Nach Beginn der Debatte konnte ich deshalb mit Benya und Ströer,
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nachdem ich mich bei Weikhart abgemeldet hatte, zur Berka-
Feier im Rathaus gehen. Wir erklärten Weikhart, dass wir dort
jederzeit erreichbar sind. Da in meinem Tagesprogramm die nächste
Sitzung für 15 Uhr im Parlament eingetragen war, blieb ich länger
bei der Feier als Benya. Zur grössten Verwunderung, als ich dann
im Parlament erschien, erklärte mir Heindl, dass eine Delegation
schon längere Zeit auf mich wartete. Er selbst und die Kollegin
Wiesinger hätten ein halbes Dutzend mal versucht, mich im Rathaus-
keller zu erreichen. Immer wieder wurde erklärt, es ist niemand
da. Zum Glück wurden wir in dieser Zeit nicht zu einer Abstimmung
gebraucht, denn man hätte uns dort wahrscheinlich auch in diesem
Falle nicht verständigt.
Die Delegation von Kleinhändlern unter Führung von Komm.Rat Zak
dem Obmann der Kleinhändlergruppe, schilderte mir die Schwierigkei-
ten, die sie mit der Kennzeichnungsverordnung ab 1.1.1971 haben
werden. Ich erwiderte, dass das Handelsministerium im Einvernehmen
mit dem Sozialministerium sowieso die Lagerbedingungen nicht mit
1.1.1971 in Kraft treten lassen wird, sondern durch eine Verordnung
eine entsprechende Hinaussetzen des Beginns planen. Die Delegation
hat noch ausser denLagerbedingungen und die Sterilisierungsart
auch die Verlängerung der Abverkaufsfrist für Vollkonserven und
Spezialkonserven hinauszusetzen. Der Grosshandel liefert derzeit
noch Waren aus, die nicht den Vorschriften der Kennzeichnungsver-
ordnung entsprechen. Die Kleinhändler befürchten, dass dies auch
noch in den nächsten 6 Wochen geschehen wird. Sie müssten sogar
theoretisch am 31.12. noch Waren übernehmen, die nicht der Kenn-
zeichnungsverordung entsprechen und dann mit 1.1. – oder 2. Jänner,
der 1. Jänner ist ja ein Feiertag – dann entsprechende verordnungs-
gemässe Waren verkaufen. Dies ist für sie unmöglich. Ich versprach
dieses Problem sofort in Angriff zu nehmen und werde mit dem Sozial-
ministerium Kontakt aufnehmen, dass wir insbesondere für die Klein-
händler die Abverkaufsfrist erstrecken. Dr. Christian, der der
Delegation angehört hat, versprach eine diesbezügliche Stellung-
nahme der Handelskammer mir unverzüglich zukommen zu lassen. Das
Gutachten der Handelskammer ist nämlich bis jetzt noch immer nicht
fertig. Als weiteren Punkt wünschte die Delegation, dass ich Mass-
nahmen wegen der Diskonter ergreife. Ihrer Meinung nach ist es
derzeit so, dass in Österreich 300 Betriebe einen Konkurrenzkampf
gegeneinander führen und die anderen 1000 Betriebe – wie sie sich
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ausdrücken- danebenstehen , weil sie ganz einfach nicht mitkönnen.
Ich sollte diesem Problem mein ganzes Augenmerk zuwenden, weil ihrer
Meinung nach diese 300 Betriebe das gesamte Preisniveau zerstören
würden. Sie – die Handelskammerleute und Kleinhandelsvertreter – sind
der Meinung, es müssten eben auch die anderen 1000-e Betriebe wie-
der in den Konkurrenzkampf eingeschaltet werden. Scheinbar stellen
sie sich vor, dass ich eine Politik machen sollte, wonach die Dis-
konter und Grossmärkte ihre Preise in einem gewissen Masse erhöhen,
damit dann die anderen auch noch mitkonkurrenzieren könnten, aller-
dings wahrscheinlich ein klein wenig ihre Preise absenken müssten.
Abgesehen davon, dass ich dafür gar keine gesetzliche Möglichkeit
habe, habe ich ihnen nachgewiesen, dass bei allen Besprechungen, die
sie selbst in meiner Anwesenheit mit internationalen Organisationen
in diesem Punkt geführt hatten, keinen positiven brauchbaren Vorschlag
machen konnten. Dr. Christian behauptet, dass er einen diesbezüglichen
Gesetzentwurf ausgearbeitet hat und diese Idee im belgischen Gesetz
seinen Niederschlag gefunden hat.
ANMERKUNG für KOPPE: Bitte, diesen Gesetzentwurf aus Belgien sofort
verschaffen. und feststellen, ob er tat-
sächlich in Belgien wirksam ist. Eventuell die
die Botschaft um einen Bericht bitten.
Die einzige Zusage, die ich der Delegation machte , war, dass ich ja
die Absicht hatte, den Wettbewerbsausschusses des Konsumentenbeirates
mit diesem Problem im einzelnen zu beschäftigen. Da durch mein
Verschulden die Delegation warten musste, entschuldigte ich mich
insbesondere auch zum Schluss noch einmal und ich glaube, alle Dele-
gationsmitglieder waren sehr erfreut, dass sie diese Aussprache über-
haupt bei mir erreichen konnten und ich ihren Problemen soviel Anteil-
nahme zuwendete.
Fritz Mauthner der Importeur, der mich bereits aus der Getreide-
importzeit kenne, erklärte mir, dass er mit der Zuckerindustrie
jetzt einArrangement hätte, um den überschüssigen Zucker der Süsswaren-
industrie oder dem Futtersektot oder dem Silagesektor zur Verfügung
zu stellen. Da die Zuckerindustrie mir bis jetzt eine diesbezügliche
Zusage nicht zukommen liess, ja ganz im Gegenteil behauptete, sie
könnte eine Preisdifferenzierung nicht akzeptieren, erklärte ich
Mauthner, dass bevor ich diesem Projekt nähertrete, von Seiten der
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Zuckerindustrie eine schriftliche Zusage benötige.
Im Konsumentenbeirat wurden die Nominierungen für die Arbeits-
gruppen zur Kenntnis genommen. Einen Fehler hatten wir gemacht,
da wir uns nicht vorher den Kopf zerbrochen hatten, wer in diesen
Arbeitsgruppen der Vorsitzende werden sollte. Auf die Anfrage
der Handelskammer, wie dann die Vorsitzbestellung vor sich gehen
würde, erklärte ich aus dem Ärmel heraus, dass man halt wählen
würde, um den Vorsitzenden und Vorsitzendenstellvertreter zu be-
stimmen. Allerdings schränkte ich dann sofort ein, dass sich die
Herren ja nicht kennen werden, dass man doch vorher Besprechungen
mit den einzelnen Gruppen führen wird, wobei ich mir vorstelle,
dass die stärkeren Leute, insbeondere aber von der Handelskammer
zum Zuge kommen sollten. Landtagsabgeordneter Ebert, der gleich-
zeitig auch in der Handelskammer ein bedeuttender Mann ist,
er ist Obmann des Wiener Handelsgremiums, meinte, es würde sich
also um einen demokratischen Wahlvorgang handeln. Ich aber wies
darauf hin, dass es sich hier vielleicht um ein bischen gelenkte
Demokratie handelt, die ich von Raab kennengelernt, und ich
muss auch zugeben schätzen gelernt habe. In Zukunft müssen wir
auch diese Details besser vorbereiten.
Die Ortgruppenobleute und Stellvertreter waren im Parlament und
ich hatte natürlich die Gelegenheit benützt, um diese Funktionäre
der Lebens- und Genussmittelarbeiter im Haus ein bisschen zu
empfangen. Ich begab mich deshalb auf die Galerie und versuchte
dann den Saal VIII von dort zu erreichen. Es dauerte eine schöne
Weile und wir mussten sogar Türen aufsperren lassen, durch die
Feuerwache. In einer Diskussion, die sich hauptsächlich auf die
parlamentarische Arbeit erstreckte, konnte ich feststellen, dass
diese Genossen ein unheimliches Vertrauen in unsere Parlaments-
fraktion setzen. Sie betrachten die Arbeit als eine wirklich schwere
und wünschen uns nicht nur sehr viel Glück, sondern sind auch
überzeugt, dass wir hier eine bedeutende Leistung vollbringen.
Zum Glück hatten Sie die Diskussionsbeiträge von Blecha gehört
und ich war ja leider nicht anwesend, aber ich habe mir sagen
lassen, es soll ein hervorragendes Referat gewesen sein.
Ohne dass wir die Öffentlichkeit behüten und schon gar nicht
unsere Genossen ist es aber doch so, dass man oft Zweifel in
Ausführungen hat, die man aus Parteiinteresse machen muss. Blecha,
mit dem ich über die Wahlrechtsreform gesprochen habe, ist nämlich
über die jetzt gefundene Lösung gar nicht glücklich, infolge der
Kürze der Zeit dürften einige Fehler, die nicht gravierend
aber doch sehr unangenehm sind, geschehen sein. So werden die
Wahlkreisverbände doch wieder nach der seinerzeitigen russischen
Besatzungszone geteilt. Die beabsichtigte Trennung der Wahlkreise
in 2 Wahlkreisverbände nach unserer Bundeshymne – Land der Berge
Land am Strome, d.h. also die Länder, die bergig sind, wie Vorarlberg,
Tirol, Salzburg, Kärnten und Steiermark als einen Wahlkreis und
Land am Strome – OÖ, NÖ Wien und das Burgenland – wurde nicht
durchgezogen. Ich weiss zwar nicht warum, aber die jetzige
Trennung bringt uns wieder die Trennung in Ostösterreich und
Westösterreich. Im zweiten Wahlkreisverfahren wurde der Sitz
mit Graz festgelegt. Zweifelsohne auch eine sehr ungünstige geo-
graphische Entscheidung, da Vorarlberg jetzt bis Graz fahren muss,
ich weiss nicht, warum man z.B. nicht Salzburg genommen hat. Die
Erklärung, dass man die Steiermark benachteiligt hat, weil jetzt
Burgenland im Wahlkreisverband 1 ist und nicht mehr im Wahlkreisver-
band 2 der Steiermark, ist dafür meiner Meinung nach keine plausible
Erklärung. Hauptsächlich aber bestehen grosse Bedenken gegen die
jetzige Errechnung der Mandate. Es werden in Zukunft die Reststimmen-
mandate weniger Stimmen kosten als die Grundmandate. Das kann dazu
führen, dass einige Parteien günstiger abschneiden, die weniger
Grundmandate bekommen, weil sie dann vielleicht mit der Reststimmen-
anzahl 2 Reststimmenmandate erlangen können. Blecha sagte mir, er
hat die ganze Nacht durchgerechnet und ist heute sehr pessimistisch
für den neuen Gesetzentwurf eingenommen. Ich gab ihm sofort den Typ,
er sollte halt nur über die Vergangenheit und das bisherige Unrecht
im Wahlsystem reden. Er hatte dies sowieso beabsichtigt und
legte wie mir übereinstimmend mitgeteilt wurde, ein blendendes
Referat hin. Gott sei Dank ist dieses Problem insofern nicht mein
Problem, als ich dafür weder verantwortlich bin, noch so viele Detail-
kenntnisse besitze, um hier mir ein eigenes Urteil zu bilden. Ich
glaube nur, dass wenn der Verstärkereffekt zu den Grossparteien
jetzt in dem neuen Wahlgesetz wegfallen wird, wir natürlich viele
Kleinparteien die Möglichkeit geben, zumindestens im Nationalrat auf-
zutauchen. Dies würde die Arbeit sicherlich nicht erleichtern. Das
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Gespent der Weimarer Republik aber jetzt aufzuziehen, wie das die ÖVP
dann in der Diskussion gemacht hat, halte ich auch nicht für zutreffend,
da der Entwicklungszug in der Vereinbildung zweifelsohne derzeit zu
den grösseren Parteien hin ist. Ich kann mir nicht vorstellen, was
in der zweiten Republik im Ansatz und teilweise sogar durchgebrochenen
Verein wie die Olah-Partei oder die NPD oder andere Splitterparteien
sind, werden auf Grund dieses Wahlgesetzes sich regenerieren und neuer-
dings in Erscheinung treten. Allerdings weiss man nicht, wie sich die
Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten ergeben wird.
Als ich die Delegation nachher wieder über die Journalistenstiege auf
die Galerie führte, kamen nachher einige zu mir und fragten, was war denn
da los, wieso sind hier 30 oder 40 Leute so durchmaschiert, d.h. ich
konnte feststellen, dass die Journalisten durch optische Erscheinungen
irrsinnig aufgeschreckt werden können, ohne eigentlich zu wissen, um
was es sich handelt und dann sofort Kombinationen anstellen.
Tagesprogramm, 26.11.1970
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