Freitag, der 21. Mai 1971

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Freitag, 21. Mai 1971

Durch einen reinen Zufall ergab sich, dass ein Besucher nach dem
anderen sich kannte und damit der Eindruck entstand, dass ich wahr-
scheinlich mit den bedeutendsten Leuten der Wirtschaft ununterbrochen
Kontakt habe. Anton Urban, Vorstandsmitglied der Brevillier & Urban AG,
hat die Idee, ein Kaltumformungszentrum zu schaffen. Die Investitionen
würden 3–400 Mill. S ausmachen, in der ersten Ausbaustufe 600 und
im Zweitschichtbetrieb und letzter Ausbaustufe 1.100 Beschäftigte um-
fassen. Nach seinen lnformationen wird die spanabhebende Metallferti-
gung, wo 60 % Materialverlust auftritt, in Hinkunft nur mehr beschränkt
eingesetzt werden. Durch Kaltumformung sollte es möglich sein, Toleranzen
von einem Hundertstel zu erreichen. Er will diesen Betrieb aber nicht
in Neunkirchen aufrichten, sondern könnte sich vorstellen, dass dieser
im steirischen Raum Aichfeld-Murboden aufgebaut wird. Dadurch hätte
er die Möglichkeit, wie ich ihn informierte, auf die Kohlenkredite
zurückzugreifen. Brevillier & Urban würde allerdings keinerlei finan-
ziellen Zuschuss zu diesem Betrieb leisten können. Der eigene Betrieb
hat 1969 und 1970 55 Mill. S Investition erfordert. Jetzt ist die
Bleistiftfabrik ausgebaut und nun sollen neue Hallen in Neunkirchen
errichtet werden. Sekr.Rat Gröger wird Urban über Einzelheiten noch
informieren. Zur Personaleinschulung, die ungefähr ein Jahr dauern
würde, könnte er die produktive Arbeitslosenfürsorge oder die aktive
Arbeitsmarktförderung heranziehen. Das Management für die Verkaufs-
organisation und für die technische Führung dieses Betriebes würde
er sich aus anderen Betrieben resp. aus Deutschland besorgen. Urban
teilte auch mit, dass die Erfahrungen, die sie mit Investitionen im
Ausland gemacht haben, nicht sehr gut sind. In Argentinien haben sie
1954 – als die Russen noch in NÖ waren - mit 12 Beschäftigten einen
Betrieb begonnen, der derzeit 300 Beschäftigte umfasst. Jetzt verlangt
der argentinische Staat aber, dass die 51 % inländische Besitzer haben
müssen, sie werden deshalb ihre Direktoren zu Strohmännern umwandeln,
um inländische argentinische Besitzer nachweisen zu können. Auch die
Erfahrungen, die Semperit – wie er uns mitgeteilt hat – und andere
Firmen in Irland gemacht haben, sind nicht die besten. Und zwar hat
die dortige Regierung einmalige günstige Konditionen den Investoren
gegeben, aber die Arbeiter sind – wie er sich ausdrückte – stinkfaul.



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Dr. Habig wollte mit mir den weiteren Vorgang in der Zuckerpreis-
festsetzung besprechen. Seiner Meinung nach – und ich teile diese –
ist es ganz sinnlos, alle Wochen eine Zuckerpreisverhandlung abzuführen,
wenn alle Beteiligten wissen, dass eine endgültige Regelung sowieso
nicht vor der nächsten Kampagne beabsichtigt ist. Dr. Habig möchte, dass
nun mit 1. Jänner 1972 die neuen Löhne festgesetzt werden sollten und
dafür nach Beginn der Kampagne unverzüglich der neue Zuckerpreis
festgesetzt werden soll. Die letzten Lohnbewegungen waren am 1. Oktober
und werden dann 15 Monate zurückliegen. Die durchschnittlichen Ver-
dienste – sagte Hiller – bewegen sich für Zuckerarbeiter bei 35,- S,
da sie sehr viele Zulagen bekommen. Die Arbeiterkammer, die sich gegen
eine Zuckerpreiserhöhung ausgesprochen hat, hat erklärt, sie wird
ihre Begründung dem derzeitigen Wirtschaftsprüfer Jonasch, der von
der Zuckerindustrie als Nachfolger von Prof. Bouffier engagiert wurde,
in einer Diskussion auseinandersetzen. Diese Aussprache hat bis
jetzt nicht stattgefunden. Die Zuckerindustrie möchte auch einen Posten
für die Werbung, u. zwar circa 3 Groschen je kg, womit der österreichi-
sche Werbeetat für die Zuckerindustrie 5 Mill. S je Jahr betragen
würde. Die Unterlagen für die Zuckerwerbung würde die deutsche Zucker-
industrie, die ein Werbeetat von 4 Mill. DM hat, zur Verfügung stellen.
Wenn diese Post nicht anerkannt wird, müsste die Zuckerindustrie die
für die Werbung anfallenden Kosten eben bei anderen Posten wie Papier,
Drucksorten, Druckkostenpostgebühren usw. verbuchen. Ausserdem würde
dann dies als allgemeiner Kostenbestandteil doch anerkannt werden,
ihren Niederschlag im Rübenpreis finden, was glaube ich weder vom
Standpunkt der Zuckerindustrie noch vom Standpunkt der Konsumenten
zielführend ist. Im letzten Zuckerpreis wurden auch für das Zucker-
forschungsinstitut nicht ganz 3 Groschen als Forschungsbeitrag aner-
kannt. Damit sollen ungefähr 5 Mill. S für Cyklomate-Forschung usw.
zur Verfügung gestellt werden. Anerkannt die Zuckerindustrie eine
Erhöhung des Budgets und wird letzten Endes dann der Zuckerpreis
nicht den Wünschen der Industrie erhöht, dann würde die Zuckerfor-
schung erklären, dass die Abstriche von allen anderen Posten durch-
geführt werden können, aber nicht vom Zuckerforschungsbeitrag.
Ich habe Hiller empfohlen, er soll einen seriösen Antrag über die
tatsächlich vorzunehmende Erhöhung des Forschungsansatzes bei der
Preiskommission unverzüglich einreichen.

ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte, dieses Problem Zöllner mitteilen und
vorschlagen, die Verhandlungen wirklich aus irgendeinem Grund bis
zum Herbst zu unterbrechen.



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Architekt Ursprunger ist derzeit beauftragt, von den Ennskraft-
werken, den Speicher Molln architektonisch und ziviltechnisch
zu gestalten. Er hat auch beim Ausbau der Donaukraftwerke als
Architekt mitgewirkt. Er war der Meinung, dass – hätte er 40 Mill. S
bei Aschach aufwenden können – wäre dort ein Fremdenverkehrszentrum
entstanden. Bei 4 Mia. S Baukostensumme hätte dieser Betrag über-
haupt keine Rolle gespielt. So hat man aber die fremdenverkehrswirt-
schaftlichen Gesichtspunkte ausser Acht gelassen. Da er annimmt,
dass ich früher oder später die Energiewirtschaft auch in meinem
Haus haben werde, meinte er, man müsste jetzt schon an Stelle von
Kommissionen und Beiräten eine Tat setzen, Ihm schwebt vor, gemein-
nützige Trägergesellschaften für die einzelnen Kraftwerke zu schaf-
fen. Allerdings hat er die Fehlmeinung, dass das Handelsministerium,
wenn die Elektrizitätswirtschaft herüberkommt, dann tatsächlich
beim Donau-Ausbau das entscheidende Wort zu sprechen hat. In Wirk-
lichkeit wird das Wasserrecht nach wie vor beim Land- und Forst-
wirtschaftsminister und die Donau-Kommission beim Bautenminister
bleiben. Ich gab ihm recht und versicherte, dass ich alles daran
setzen werde, die Fremdenverkehrsbelange bei den Elektrizitäts-
ausbauten zu berücksichtigen. Ich wies darauf hin, dass z.B. der-
zeit im Malta-Projekt solche Überlegungen berücksichtigt werden.
Ich verbringe seit Jahren meinen Urlaub bei der ÖDK und diskutiere
mit ihnen immer wieder die elektrizitätswirtschaftlichen Ausbaue
im Hinblick auf Fremdenverkehrsattraktionen. Die Schaffung einer
solchen Trägergesellschaft halte ich deshalb nicht für sehr ziel-
führend, weil damit doch nichts anderes zustande käme, als ein Beirat,
der halt zusammengesetzt aus Gemeinde, Land und Bund, über dieses
Problem diskutieren würde. Der einzig gangbare Weg ist, bei Er-
stellung des Projektes Aufträge an Architektenbüros zu geben, Unter-
suchungen anzustellen, welche Fremdenverkehrsgesichtspunkte zu be-
rücksichtigen wären. Dann müsste in dem Projektauftrag schon
eine entsprechende Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte den Elek-
trizitätsgesellschaften auferlegt werden.

Der polnische Vizehandelsminister Karski hat seine Rückreise
von Athen nach Warschau in Wien unterbrochen und der Handelsrat
wollte mich zu einem Mittagessen einladen. Ich habe diese Einladung
aber dann von mir ausgesprochen und wir hatten eine sehr interessante
Diskussion mit dem Vizehandelsminister, dem Leiter der polnischen
Delegation Lagos und dem Handelsrat. Die Polen sind sehr beängstigt,


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über den starken Einfluss der EWG auch im Rahmen des GATT. Andererseits
sind sie der Meinung, dass jedwede Vorteile, die sie aus dem GATT-
Vertrag haben, doch auch den anderen sozialistischen Staaten, die nicht
Mitglieder des GATT sind, zugutekommen. Polen selbst musste sich im
GATT, um Mitglied zu werden, verpflichten, dass sie ihre Importe um
7 % pro Jahr erhöhen. Die macht ihnen derzeit grosse Schwierigkeiten,
und sie erklären, dass sie selbstverständlich gerne bereit wären,
noch mehr Waren aus Österreich zu beziehen, wenn sie dafür die finan-
ziellen Möglichkeiten hätten. Die Überschwemmung des österreichischen
Marktes, um Devisen zu bekommen, mit einem Dumpingpreissystem halten
sie für lächerlich, weil ihre Werke dazu gar nicht bereit wären. Die
Verankerung unserer Forderung im Vertrag nach sogenannten Hardcore-Fällen,
die wir unbedingt bis 1974 aufrechterhalten müssen, betrachten sie des-
halb als übervorsichtige Massnahme. Schwierigkeit, diesem Vorschlag zu-
zustimmen, sieht Karski hauptsächlich darin, dass sie damit sich präjudi-
zieren gegenüber anderen Staaten, gegenüber der BRD, Dänemark und
anderen europäischen und aussereuropäischen Staaten haben sie eine
solche Forderung bis jetzt immer abgelehnt. Ich erörterte ihm meine
Ostpolitik und verwies darauf, dass ich ganz besonderen Wert darauf
lege, dass diese in Hinkunft verstärkt werden sollte. Da Karski über
meine bisherige Tätigkeit genau informiert war, glaube ich hat er mir
auch diesen Vorschlag abgenommen. Er meinte nur, ich sollte nie von Ost-
politik reden, denn dies wird in den Oststaaten als ein Begriff verstanden,
den Brandt für seine Politik in Anspruch nimmt und er meint, es ist
nicht sicher, ob diese wirklich zielführend sei. Ich glaube, wir sollten
in Hinkunft immer nicht von Ostpolitik sondern von der wirtschaftlichen
Beziehung zu den Oststaaten sprechen. Beim Hinausgehen versicherte ich
ihm unter vier Augen, dass ich diese Politik durchziehen werde, aber
doch um Verständnis bitte, dass gewisse Sicherungen die Industrie in
die Verträge eingebaut werden müssen, da die Handelskammer insbesondere
die Industriellenvereinigung mir ansonsten unüberwindliche Schwierigkei-
ten machen würde. Im Herbst wird der polnische Handelsminister nach Wien
zur Vertragsunterzeichnung kommen und ich bin überzeugt, dass wir bis
dorthin eine brauchbare Lösung gefunden haben.

Eine schwedische Delegation der Lebensmittelarbeiter war bei uns
in der Albertgasse. Ich besuchte sie und stand ihnen in der Diskussion
zur Verfügung. Das einzig interessante Problem war, was ein Kollege
fragte, wie ich als Gewerkschaftsobmann gleichzeitig Handelsminister
sein könnte, und ob es dadurch nicht grosse Konflikte innerhalb unserer


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Organisation oder überhaupt bei mir selbst gäbe. Ich konnte ihm
erwidern, dass die bisherige Gewerkschaftspolitik im Einvernehmen
mit der Bundesregierung gestaltet wird und dass wir uns durch 25
Jahre niemals haben davon leiten lassen, wer die Regierung bildet,
sondern ausschliesslich davon leiten liessen, welche zweckmässige
Lohn- und Kollektivvertragspolitik vom Standpunkt der Beschäftigten
gemacht werden soll.

Herr Moskovics, ein Russlandexperte, erklärt die Passivierung des
Russland-Clearing auf 8,5 Mill. $ durch die Lieferung von 40.000 t
Gerste, 40.000 t Mais und 200.000 t Öl. die nach seiner Meinung nach
8 Mill. $ ausgemacht haben. Wir haben im Jahre 1970 noch ein Aktivum
von 13 Mill. $ gehabt, mit 1.1.1971 war der Clearingstand 80.000 $
d.h. also fast ausgeglichen und wir haben am 7. Mai 7,4 Mill. und
am 14. Mai 8,5 Mill. $ Passiv im russischen Zahlungsverkehr. Dies
ist für mich an und für sich sehr angenehm. weil ich Patolitschew
beweisen kann, dass wir Waren von ihnen abnehmen, sie dagegen sehr
im Rückstand sind. Moskovics erklärt nun, dass die russischen Zah-
lungsstellen ihm immer wieder versichern, dass der Clearing ausgeglichen
sei. Entweder haben sie sich hier entsprechend geirrt, oder es sind
noch Transaktionen zu erwarten. Die russischen Zahlungsstellen speku-
lieren ebenfalls auf Währungsgewinne. So wurde ihm mitgeteilt, dass
die SU, wenn sie in Dollar fakturieren kann, um 2 % höhere Preise
bereit ist zu bezahlen als in Währungen, die bereits aufgewertet
sind, wie sfr. oder ö.S. Moskovics erklärt, dass alle Exporteure
nach dem Osten Kursverluste erlitten haben. Es handelt sich hier
dabei nicht um die ca. 9,6 Mia. S, die im Jahre 1970 exportiert wurden,
davon würden 3 % ungefähr 300 Mill. ausmachen, sondern es handelt
sich auch um die Lieferungen, die etliche Jahre vorher zu Dollar-
preisen abgeschlossen wurden. Kumulativ ergibt sich eben ein wesent-
lich höherer Verlust, als wenn man nur das Jahr 1970 berücksichtigt.

Die Frage, ob es zielführend wäre, eine Russlandvertretung für die
Firmen anzustreben, beantwortet Moskovics sehr zurückhaltend. Er
selbst hätte sich einmal bemüht, für die internationale Bank für
den Aussenhandel einen Vertreter in der SU zu kriegen. Er befürchtet
aber, dass früher oder später die SU dann darauf bestehen würde,
einen Russen in diese Aussenstelle zu verpflanzen. Damit wäre dann
seiner Meinung nach es nicht mehr möglich, wirklich vertrauliche Ge-


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schäftsbesprechungen mit der Aussenstelle selbst zu führen. Die
Gefahr, die er sieht, ist also nicht wie Fälbl meinte, dass die
Russen Angst haben müssen, dass wir spionieren, sondern ganz im
Gegenteil, dass russische Angestellte dann letzten Endes im Inter-
esse der SU ihre Tätigkeit bei diesen Firmenvertretungen ausüben
müssten.

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Tagesprogramm, 21.5.1971


Tätigkeit: MR HM


Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: Vorstandsmitgl. Brevillier & Urban AG [Firmengründer im 19. Jh. hatte denselben Namen]


    Einträge mit Erwähnung:
      Tätigkeit: [1971 als Russlandexperte genannt; Thema Handelsbilanz; bereits erfasst ist Moskovics, Thomas, Bankhaus Winter; dieses auf Ost-West-Handel spezialisiert; Thomas M. lt. Homepage ab 1973 tätig, bis dahin ist immer Simon M. genannt]


      Einträge mit Erwähnung:
        Tätigkeit: SChef HM
        GND ID: 12195126X


        Einträge mit Erwähnung:


          Einträge mit Erwähnung:
            Tätigkeit: Präs. Verb. d. öst. Zuckerindustrie


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: sowj. Außenhandelsminister


              Einträge mit Erwähnung:
                Tätigkeit: AK


                Einträge mit Erwähnung:
                  Tätigkeit: Beamter HM


                  Einträge mit Erwähnung:
                    Tätigkeit: [Leiter poln. Delegation bei einer Reise von Ryszard Karski 1971; eine mglw. passende Fundstelle nennt einen Aleksander Lagos; unsicher]


                    Einträge mit Erwähnung:
                      Tätigkeit: Architekt


                      Einträge mit Erwähnung:
                        Tätigkeit: Wirtschaftsprüfer, Verb. der Zuckerindustrie [als solcher Nachfolger des (1969 verst.) Prof. Bouffier; der Name in einer Zeitschrift Zucker 1977 genannt, aber dort kein Vorname; es gäbe einen Wirtschaftstreuhänder Franz Jonasch, ev. der?]


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Prof. WU Wien, Wirtschaftsprüfer Verb. der Zuckerindustrie [Identität scheint sicher, das in Beitrag zum 60. Geb. erwähnt]


                          Einträge mit Erwähnung:
                            Tätigkeit: stv. Außenhandelsminister
                            GND ID: 127276920


                            Einträge mit Erwähnung:
                              Tätigkeit: stv. Obmann Verband d. Zuckerindustrie Österreichs


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