Donnerstag, 3. Juni 1971
Den ganzen Vormittag musste ich dafür aufwenden, um eine Kompro-
misslösung wegen der Haftpflichtversicherung herbeizuführen.
Androsch hat sich sehr bemüht, um die Forderung der Versicherungs-
anstalten auf Erhöhung der Haftpflicht entsprechend zu reduzieren.
Ihm gelang es auch tatsächlich zum Unterschied vom letzten Mal,
wo man mit 32 % Erhöhung abgeschlossen hatte, die Erhöhung auf
22 % zu reduzieren. Insbesondere ist es ihm gelungen, den Verwaltungs-
kostenanteil von 28 % auf 23 % festzulegen und vor allem die
Provision mit 7 % Höchstansatz zu begrenzen. Auch wurde festgelegt,
dass der Gewinn maximal 3 % sein darf. Trotzdem haben die Kraft-
fahrverbände und vor allem die ganze Öffentlichkeit, die Massenmedien
und die Zeitungen gegen diese Erhöhung der KFZ-Haftpflichtversicherung
schärfstens Stellung genommen. Zuletzt hat vor allem auch der Gewerk-
schaftsbund und die Arbeiterkammer erklärt, dass sie einer solchen
Lösung nicht zustimmen und sogar eine Verstaatlichung der Haftpflicht-
versicherung das Wort reden. Bei einer Vorbesprechung, die ich mit
den Vertretern des ARBÖ hatte, wurde mir von Broda empfohlen, ich
sollte unter allen Umständen gegen diese Regelung sein. Da ich
das Einvernehmen zu dieser VO geben muss, komme ich in eine ver-
dammt schlimme Situation. Ich erklärte Broda in aller Offenheit,
dass mir diese Angelegenheit nicht so wichtig erscheint, um den
Teamgeist unserer Regierung das erste Mal zu sprengen. Bis jetzt
hat es nämlich in diesen 13 Monaten Regierungszeit keinen einzigen
Fall gegeben, wo ein Minister, der dafür zuständig war, von einem
anderen Minister, der eine gewisse Mitkompetenz hatte oder der viel-
leicht gar im Ministerrat ernstlich erklärt hätte, er stimmt der
Anordnung oder dem Vorschlag seines Kollegen nicht zu. Der Haupt-
anwurf, der vom Arbeiterkammervertreter und vom ÖGB erhoben wird, ist,
dass die Unterlagen ne zur Verfügung gestellt wurden. Es ist auch
richtig, dass ich diese Unterlagen nie gesehen habe. Nach stunden-
langer Diskussion, wobei ich feststellte, dass auch innerhalb des
ARBÖ keine einheitliche Auffassung über dieses Problem bestand, und
zwar waren Detailfragen verschiedene Meinungen zwischen dem Präsiden-
ten Broda und dem Generalsekretär Effenberger und Vizepräsidenten Hobl
versuchte ich, Androsch davon zu überzeugen, dass er zu unserer Be-
sprechung kommen sollte. Bevor wir in diesem grossen Kreis weiter
06-0675
diskutierten, hatte ich mit ihm und Vranitzky eine ernstliche
Besprechung. Ich versicherte ihm sofort, dass mir der Fall
nicht gross genug erscheint, um unser gutes Einvernehmen zu
stören, sondern erklärte ihm, dass ich mit ihm durch dick und
dünn gehen würde. Ich setzte ihm allerdings auseinander, da jetzt
der Gewerkschaftsbund nicht bereit sei, zu tolerieren, sondern
einen Kampf gegen diese Regelung angesagt hatte, dass ich ihm doch
empfehlen würde, dass wir auf das Hauptargument, dass keine Unter-
lagen vorgelegt wurden, eingehen müssten. Ich meinte, dass morgen,
wenn der KF-Beirat über dieses Problem berät, eine Gelegenheit
wäre, eine neue Linie einzuschlagen. Mein Vorschlag würde lauten:
dass wir in einer kleinen Kommission die Unterlagen überprüfen
sollten. Nach längerem Zögern hatte Androsch dann dieser Regelung
zugestimmt und damit ein Tor geöffnet, dass wir aus diesem Dilemma
herauskommen können. Bei der nachfolgenden Vollsitzung wäre bald
wieder das ganze Kartenhaus zusammengeschlagen worden, wenn er – wie
er meinte – damit endlich erreicht hätte, dass damit endlich dieses
Problem auf längere Zeit vom Tisch weggewischt ist. Ich erklärte
sofort, dass es Aufgabe der beiden Kraftfahrverbände und der vier
Interessensvertretungen, die ich morgen beim Kraftfahrbeirat vorschla-
gen würde, dass diese die Kommission bilden sollten, sein müsste, so
schnell wie möglich zu prüfen, ob die Ziffern tatsächlich stimmen.
Damit würde nämlich ein Hauptargument gegen die Regelung wegfallen,
dass nämlich der ARBÖ und die Kraftfahrverbände sowie die Inter-
essenvertretungen glauben, dass die Versicherungen einen riesigen
Schaden machen d.h. dass sie in den ersten zwei Jahren sehr gute
Prämienreserven anhäufen würden. Androsch meint, dass er den Versicherun-
gen auch in den ersten Jahren jedwede stille Reserven, die sie ansam-
meln hätten können, herausgenommen hat. Im Kraftfahrbeirat werde
ich nach der Diskussion die sicherlich sehr hart sein wird, mitteilen,
dass ich mit Androsch vereinbart habe, dass eine Kommission bestehend
aus den Interessensvertretungen und den beiden Kraftfahrverbände un-
verzüglich alle Unterlagen überprüfen können und sollen und dem
Kraftfahrbeirat noch einmal Bericht erstatten. Broda war, als
Androsch kam, nicht mehr anwesend, ich glaube, das war auch ganz
gut, denn beide dürften sich in dieser Frage sehr schwer gesprochen
haben und sogar grosse Differenzen über die weitere Vorgangsweise
gehabt haben.
Die Besprechung mit Gen.Direktor Bodenhausen und auch das
anschliessende Mittagessen war ein ausgesprochener Fehlschlag.
Lorenz vom Patentamt hat mir ja bereits mitgeteilt, dass Boden-
hausen nächstes Jahr in Pension geht und deshalb eigentlich nicht
mehr der entscheidende kommende Mann in Genf ist. Ich hatte zwar
vor etlichen Tagen mit Thaler und Lorenz und anderen Herren des
Patentamtes einmal sogar mit Lorenz allein, dann mit Gehart über
die Probleme, die in unserem Patentamt bezüglich einer internationa-
len Verankerung existieren, sehr eingehend diskutiert. Niemand aber
hat mir in Wirklichkeit gesagt, was wir von diesem Generaldirektor
Bodenhausen in concreto verlangen sollen. Auf Grund der Aussprachen,
die ich bis jetzt gepflogen habe, habe ich dann einige Fragen an
ihn gerichtet. Insbesondere wollte ich wissen, ob wir im Rahmen
dieses internationalen Patentübereinkommen IPC als Recherchenbüro
Aussicht haben, anerkannt zu werden. Beabsichtigt waren nur 5 Länder,
SU, Japan, Deutschland, USA und die Niederlande als Recherchenbüro
einzusetzen. Den Haag würde deshalb herangezogen werden, da bei ihnen
das internationale Patentauskunftsinstitut existiert. Bodenhausen,
erzählte man mir nachher, war ursprünglich auch gegen eine Erweite-
rung der Liste der Recherchenbüros. Nun bemüht sich Österreich sehr,
und Bodenhausen gab zu, dass wir nicht allein sondern auch die
Schweden in Europa sich als Rechechenbüro anerkannt zu werden
bemühen. Ausserdem würde Mexiko, welches ein vollkommen unzulängliches
Patentamt hat, als Recherchenbüro anerkannt werden. Mit einem Wort
zuerst waren nur 5 vom Büro vorgesehen und jetzt würde eine ganze
Anzahl dazukommen. Damit vergrössern sich unsere Chancen keinesfalls.
Eine zweite Frage war, wie weit in der Europäischen Gemeinschaft
die Patentfragen weiterhin einheitlich gestaltet werden sollten.
Hier hat Bodenhausen gemeint, dass diese Entwicklung sehr zögernd
weitergeht und vielleicht doch vorher der PCD-Vertrag von den einzel-
nen Mitgliedstaaten der EWG unterfertigt wird. Eine dritte Frage, wie
weit der Osten mitarbeiten wird, konnte von Bodenhausen ebenfalls nur
sehr unbestimmt beantwortet werden. Die anderen Herren bei dieser
Aussprache hatten überhaupt keine konkreten Fragen an Bodenhausen
gerichtet, sondern Thaler diskutierte nur, ob wir 1973 die Konferenz
nach Wien bekommen würden, denn er müsste jetzt dann bereits die
Hotels bestellen und die ganze Kongress-Abwicklung vorbereiten. Ich
habe mich gefragt, warum wir den Generaldirektor nach Österreich
gebeten haben, wo er erstens in Hinkunft nichts mehr in dieser
06-0677
Organisation zu sagen hat und wo er uns zweitens in Wirklichkeit
auch keinerlei Hinweise oder Auskünfte geben kann oder will.
Allerdings muss ich zugeben, dass wir vielleicht nicht die wirk-
lichen konkreten Detailfragen an ihn gerichtet haben. Von mir
dies zu erwarten, finde ich für ein bisschen überheblich, denn
ich kann doch unmöglich die Detailinformationen, wenn sie mir nicht
vorher gegeben werden, kennen. Die anderen Herren haben sich ent-
weder nicht getraut oder wollten sich in dieser Frage nicht engagie-
ren. Für die nächsten Einladungen werde ich daher darauf drängen,
dass diese viel exakter vorbereitet werden und schon festgelegt
wird, was jeder einzelne Herr für ein Spezialgebiet zu lösen hat,
um den Gast dann wirklich zu entsprechenden Äusserungen zu veranlassen.
Mister Johari von Malaysia und Staatssekretär Comforter von Uruguay
kamen wegen der UNO-Konferenz-Aktion auch mit mir in Kontakt. Die
Besprechungen waren nicht sehr ergiebig, es waren wirklich nur Höflich-
keitsbesuche.
Ein neuerliches Interview mit dem süddeutschen Rundfunk zeigte mir,
dass unsere Reporter doch wesentlich tüchtiger sind. Ich hatte schon
einmal im Parlament mit diesem Reporter ein Interview, der sich
seine Fragen aufschreibt und dann überhaupt auf die Antwort nicht
mehr eingeht und ganz einfach die nächste Frage herunterliest.
Das Interview bezog sich auf die Anerkennung Chinas, ob damit eine
Erweiterung des Handels zu erwarten ist und auf die Lohn- und Preis-
situation in Österreich.
Kahane, ein tüchtiger Manager, der eine Zeitlang in der Donau-
Chemie eine grosse Rolle gespielt hat und von der Montana AG
kommt, wollte Unterstützung für die Zitronensäureproduktion in
Jungbunzlau. Die ehemalige Spiritusfabrik hat unter Lederer eine
Zitronensäureproduktion aufgenommen. Es sind derzeit 160 Mann be-
schäftigt und es hat eine Zeit lang ausgesehen, als ob diese Pro-
duktion auch in Österreich nicht möglich wäre. Kahane teilte mir
mit, dass es nur 6 Produzenten derzeit gibt, aber etliche Dutzende
von Firmen, die die Produktion angefangen haben und wieder aufgeben
mussten. Die Zitronensäure wird bei uns aus Zucker erzeugt und
die Zuckerindustrie gibt ihnen den verbilligten Weltmarktpreis nur
06-0678
im Veredlungsvormerkverkehr. Dadurch verlangt das Finanzministerium
dass die gesamte Produktion nun tatsächlich exportiert wird. Öster-
reich produziert ca. 8.000 jato und muss sie 100 %-ig, da sie
auf dem verbilligten Vormerkverkehr-Zucker aufbaut, exportieren.
Österreichischer Bedarf von 1.100 bis 1.200 t wird deshalb vom Ausland
importiert. Kahane will nun mit der Zuckerindustrie endlich erreichen,
dass sie ihm den verbilligten Zucker gibt, um auch den inländischen
Bedarf befriedigen zu können. Die Zuckerindustrie ist dazu aber nicht
bereit. Da er für 1 kg Zitronensäure 1 1/2 kg Zucker benötigt, würde
die Zuckerindustrie 1.600–1.700 t liefern müssen. Ich habe der
Zuckerindustrie bereits vor Jahren erklärt, dass ich es für falsch
halte, wenn sie die Weiterverarbeitende Industrie nicht mit Zucker
zu Weltmarktpreisen beliefern, da sie dadurch eine grössere Absatz-
möglichkeit in Österreich erreichen könnte, wie das Beispiel jetzt
bei der Zitronensäureproduktion zeigt.Die Zuckerindustrie hat nur immer
Angst, dass dann auch die anderen, z.B. die Süsswarenindustrie und
zum Schluss dann vielleicht auch die Konsumenten kommen, und den ver-
billigten Weltmarktpreiszucker bekommen wollen. Kahane wird nun
der Zuckerindustrie drohen, dass er den Zucker zum Weltmarktpreis
von aussen importieren wird und dadurch die Zuckerindustrie einen
Absatz von 12.000 t verlieren würde. Ein ganz grosses neues Konzept
würde entstehen, wenn die Waschmittelproduzenten tatsächlich statt
der Phosphate Zitronensäure in die Waschmittel geben. Die Phosphate
haben die Wasserverschmutzung so stark bereits vorwärtsgetrieben,
dass sie aus Umweltschutzgründen auf ein anderes Zusatzmittel, eben
die Zitronensäure, umsteigen wollen. Broughter und Gimbel haben
hie entsprechende Mengen angefordert, um in Versuchsreihen die Zi-
tronensäure in ihre Waschmittel zu geben. Wie sehr aber hier vorsichtig
vorgegangen wird, ist aus einem Beispiel zu ersehen. Die Waschmittel-
fabriken wollten NDA, das ist ein anderes Beimischungsmittel an Stelle
von Phosphat in die Waschmittel beimengen. Die amerikanischen chemi-
schen Fabriken chemikal und auch Monsanto haben jeweils 60 Mio $
investiert, um NDA zu produzieren. Jetzt hat sich herausgestellt,
dass damit die Wasser noch mehr vergiftet werden und die Waschmittel-
industrie nimmt NDA nicht mehr ab. Wenn die österr. Waschmittelpro-
duzenten auf Zitronensäure umsteigen, müsste eine Investition für
ein Werk von 20–30.000 jato aufgeführt Werden. Die Investitionen
rechnet man – nach Angabe Kahane – mit 600 $ pro t.
Im Verband der Kaufmännischen Betriebe Österreichs, einer Vereini-
gung der grossen Handelsbetriebe, aber auch teilweise von Produktions-
betrieben, sollte ich einen Vortrag hatten. Ich war für diesen Vor-
trag eigentlich mit keinem Manuskript versehen worden. In diesem
Verband war bis jetzt kein einziger Handelsminister jemals er-
schienen, da er aus der Handelskammersicht als ein Aussenseiterver-
band gilt, vor allem aber ist der Verband eine Organisation von Gross-
betrieben und Mitterer hat deshalb immer diesen Verband sehr negativ
beurteilt und überall geschnitten. Der Vorsitzende Mailath-Pokorny
der gleichzeitig in der Ankerbrotfabrik eine grosse Rolle spielt,
hat die Vollversammlung des Verbandes mit einem Referat von mir auf-
putzen wollen. Er hat mir auch eine Reihe von Fragen, die in der Dis-
kussion von ihnen gestellt werden würden, zur Kenntnis gebracht.
Ich bin deshalb gleich in meinem Referat auf alle diese Probleme
wie Gewerbeordnung Diskriminierung der Grossbetriebe, Abbau der
negativen Einstellung gegenüber dem Handel, Einfuhrbewilligungen,
Antidumpinggesetz, Antimarktstörungsgesetz, Preisstopp, Preis-
treiberei, Preisregelungsgesetz, Strukturwandel, Streuung der persön-
lichen Verantwortung in den Betrieben, EWG-Fragen, Auszeichnungs-
fragen eingegangen. Trotzdem ergab sich nachher eine sehr rege und
interessante Diskussion. Nach drei Stunden trennten wir uns. Ich
glaube, dass die anwesenden Grossbetriebe, die sich auch in der
Diskussion meldeten, wie Wallace, Meinl, Gerngross, Kastner und Öhler,
Biedermeier und viele andere den Eindruck hatten, dass der Handels-
minister sich wirklich um ihre Probleme kümmert, auch dann wenn er
natürlich nicht immer derselben Meinung ist wie sie es sind. Vor
allem waren alle riesig froh, dass die Bundesregierung keinen Preis-
stopp verfügen wird. Ich glaube, dass die ÖVP, die diesen sehr hoch-
gespielt hat, sich ein Eigengoal geschossen hat. Denn was immer wir
jetzt verlangen werden, wird man von Unternehmerseite sagen, dass dies
eine sehr vernünftige und berechtigte Forderung ist, da ja der Preis-
stopp von uns nicht verlangt wird.
Tagesprogramm, 3.6.1971
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
Unterlage Rede JS vor Verband kaufm. Betriebe, 3.6.1971
hs. Notizen