Mittwoch, 23. Juni 1971
Im Klub wird nach einem kurzen Bericht von Kreisky, der nur berichtet,
dass mit der ÖVP Budgetbesprechungen beginnen sollen, das Referat Lütgen-
dorfs gehalten. Lütgendorf weist darauf hin, dass drei Probleme zur De-
batte stehen, die mit der ÖVP noch offen sind: 1. die Dauer der Waffen-
übung, 2. wer die Entlohnung bei Waffenübungen zu zahlen hat – hier
wird der Vorschlag von der SPÖ gemacht, dass der Unternehmer sie zu bezah-
len hat und dann refundiert bekommt und 3. wer die Schaffung des Wehr-
ersatzdienstes. Der Verteidigungsmister stellt sich aber die Probleme
der Heeresreform gar anders vor. Die Wehrgesetznovelle wird vorsehen,
dass der Wehrdienst von 9 auf 6 Monate verkürzt wird, doch dadurch mehr
Ausgaben entstehen. Den Betrag von 592 Mio. S nennt er nicht. Die Novelle
zum Gehaltsgesetz soll ihm die Möglichkeit schaffen, die Militärakademiker
nicht wie derzeit erst nach Ausmusterung Leutnants werden und damit
als B-Beamte eingestuft. Die Verbesserung der Personalstruktur will er
dadurch erreichen, dass er die 90 Brigadiere der Gruppe VIII u.Generale
der Gruppe IX wesentlich reduziert. 1971 würden 13 altersbedingt ausschei-
den und 59 könnten freiwillig ausgeschieden werden. 1972 müssten noch
35 freiwillig ausscheiden. Dafür aber möchte er die Oberste, die derzeit
VII-Posten sind, vereinzelt auf VIII-Posten erhöhen können und deren
Titel Generalmajor bzw. Generalleutnant werden. Wenn das in der
Öffentlichkeit verstanden wird, fresse ich einen Besen. Wenn man zuerst
die Brigadiere und Generale abschafft und nachher andere wieder als General-
majore und Generalleutnant bezeichnen lässt, dann wird die Bevölkerung
sagen, es hat sich ja doch nichts geändert. Abgesehen davon, dass Robert
Weisz in der Debatte darauf hinwies, dass hier Sicherheit gegeben werden
müsste, dass nicht die abtretenden alten Generale.durch Oberste ersetzt
werden, die genaues denselben Geist und dieselbe Politik machen werden.
Insbesondere ist aber seine Forderung, die Umgliederung des Heeres-
ministerium und der derzeitigen Brigaden. Wir haben in Wirklichkeit,
so führte er aus, drei magere Bataillone, die eine Brigade bilden
mit einem Brigadestab. In Wirklichkeit sind diese drei mageren Bataillone
in internationaler Sicht nichts mehr als ein Regiment. Dass es lächerlich
ist, hier so viele Brigadestäbe zu besitzen. Von der Wehrmilliarde, die
Prader seinerzeit so gross hinausposaunt hat, sind nur 300,000.000 echt,
da 700 Mio. S ins Budget eingebaut wurden. Das Bundesheer hat de zeit
einen Materialbedarf von 2,4 Mia. S und Schulden von ca. 2 Mia., die z.B.
durch die 20 Saab-Maschinen, die angekauft wurden und gar nicht ge-
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braucht werden, charakterisiert.
Die Diskussion erstreckt sich primär auf die Frage der Mehrkosten.
Kreisky erwiderte, dass man solche Berechnungen nicht anstellen könne,
sondern doch entgegenhalten müsse, was erspart wird, wenn man drei
Monate nicht beim Militär dient, sondern in der Wirtschaft tätig ist.
Nach Berechnungen der Arbeiterkammer hätten die 40.000, die früher
wieder in den Arbeitsprozess eingeschaltet würden, eine Wertschöpfung
von 1 Mia. S erbracht. Wenn man nun vorsichtig rechnet und 600 Mio an-
setzt, obwohl ein Drittel an den Staat zurückfliesst, so müssten doch
bereits hier ca. 200 Mill. erspart werden. Rösch hätte dann darüber hin-
aus noch festgelegt, dass auch dem Bundesheer für 3 Monate Verkürzung
200 Mill. an Ausrüstungen aber vor allem an Verpflegung erspart
wird, was ebenfalls 200 Mill. S ergibt.
Die Frage des Landesverteidigungskonzeptes ist eine politische Frage
und sollte deshalb von der Regierung dem Landesverteidigungsrat nach
Reorganisation des Bundesheeres als politisches Konzept vorgeschlagen
werden. Die Diskussion dauerte stundenlang, sodass in Wirklichkeit
um 11 Uhr abgebrochen wurde, um zu einem späteren Zeitpunkt über dieses
Problem weiter zu diskutieren und Lütgendorf dann auch das Schluss-
wort erhält, wobei aber auch dann vorgesehen ist, dass dann neuer-
dings über dieses Schlusswort diskutiert werden kann.
Mit Androsch einigte ich mich über das Fremdenverkehrskonzept. Nach
Berechnungen vom Ministerium, Min.Rat Waltersdorfer vom FM ist dafür
zuständig, wären derzeit 217,5 Mill. S von uns echt verlangt und
180 Mill. S ist Androsch bereit zu geben. Er möchte insbesondere,
dass die Entwicklungshilfe mit 3,5 Mio. S gestrichen werden soll. Dem
können wir ohne weiteres zustimmen, da die Entwicklungshilfe ja in
einem anderen Ressort, nämlich BKA ressortiert. Die Studien, für die
4 Mill. vorgesehen werden, möchte er auf 2 Mio. reduzieren. Auch
hier glaube ich, werden wir ohne weiteres das Auslangen finden.
Bezüglich der Infrastruktur, die eigentlich den Gemeinden auf Grund
des Finanzausgleichs-Gesetzes und auch den Ländern zufliesst, hatten
wir 15 Mio. S gegenüber dem heurigen Budget 4 + 2,9, also insgesamt
rund 7 Mill. S vorgesehen. Hier möchte Androsch, dass wir erst im
Finanzausgleich, den er nächstes Jahr mit den Ländern und Gemeinden
führen muss, eine Bindung folgen soll, da er ansonsten die Vorleistung,
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die er jetzt erbringt, nicht anerkannt bekommt. Für Zinsenzuschüsse,
die 86,7 Mill. in unserem Programm umfasste, möchte er 10 Mio.
kürzen, wobei Würzl erklärt, dass dies ohne weiteres möglich ist.
Auch bei den Komfortzimmer wird eine kleine Reduktion vorgenommen,
dafür aber bereits im zweiten Budgetüberschreitungsgesetz für das
Jahr 1971 diese Aktion noch gestartet. Diesen Vorschlag muss jetzt
Würzl das ganze Konzept neu errechnet, glaubt aber, dass er ohne
weiteres durchkommen kann, weil er gewisse Reserven eingebaut hat.
Heindl selbst meint, dass wir mit der Reduzierung nicht sehr gut
dastehen werden, denn die Bevölkerung wird sagen, dass für den Fremden-
verkehr nur 2 Mia. in dem 10-Jahresprogramm in Summe vorgesehen werden,
während doch insgesamt das Investitionsprogramm für die anderen 304 Mia.
S umfassen wird. Heindl vergisst allerdings, dass in diesen 304 Mia. S
ja der grösste Teil bereits selbstverständliche Ausgaben sind, die
auch wenn dieses Investitionsprogramm nicht erstellt worden wäre, hätte
aufgewendet werden müssen.
Die Verhandlungen mit dem ARBÖ und dem ÖAMTC über etwaige Senkung der
Autopreise durch Direktimporte gestalten sich äusserst schwierig.
Vom Finanzministerium war Min.Rat Zorn, der Sekretär von Androsch,
Gen. Böhm und Dr. Huber und Dr. Basalt von der Zollabteilung. Der
ÖAMTC war mit Dr. Veith und Dr. Soche und der ARBÖ mit Ing. Hobl
erschienen, vom Ministerium waren Min.Rat Metzner und Dr. Koppe an-
wesend. Wir einigten uns sofort, dass die ganze Aktion nur für Autos
für einen Preis von 40–70.000 S gestartet werden soll. Wenn der
Importhandel Zugeständnisse macht, dann werden wir die ganze Aktion
im Sande verlaufen lassen. Es besteht allerdings auch so die Gefahr,
dass sie im Sande verläuft, weil insbesondere der ÖAMTC mir sofort er-
klärte, dass das Hauptproblem die Gewährleistungsansprüche beim Kauf im
Ausland sich sehr ungünstig gestalten. Das Finanzministerium möchte
natürlich ihre bisherige Verzollungspraxis nicht ändern. Erst nach
längeren Verhandlungen gelang es, die Zusage abzuringen, dass wenn
der ÖAMTC und der ARBÖ durch seine Bruderorganisationen glaubhaft
nachweist, dass es Deutschland möglich ist, ausser den Listenpreisen
minus der Mehrwertsteuer noch zusätzliche Rabatte zu bekommen, dann
werden diese Preise auch von den Zollämtern als Grundlage der Verzollung
genommen werden, wenn entsprechende Rechnungen vorgelegt werden. Als
Haupthindernis ergibt sich aber die Frage der Typengenehmigung des
Fahrzeuges. Solange Einzelgenehmigungen notwendig sind und im der-
zeitigen Kraftfahrgesetz ist nur der Generalimporteur verpflichtet
den Typenschein zur Verfügung zustellen, ist die Erreichung einer
Einzelgenehmigung äusserst kompliziert und umständlich. Die Regierung
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kann hier überhaupt nichts machen, sondern es müssten Gesetzes-
änderungen im Kraftfahrgesetz vorgenommen werden. Ursprünglich
hätte ich gerne gehabt, dass der ÖAMTC und Hobl sich womöglich
so schnell einigen, dass wir noch im Rahmen der Kraftfahrgesetz-
novelle, die morgen im Handelsausschuss beschlossen werden soll,
diese Bestimmungen mit eingebaut werden. Hobl aber hat nach Rück-
sprache mit dem ÖAMTC hier nur zugesichert, er wird versuchen, einen
gemeinsamen Brief des ÖAMTC an alle Klubs zu erreichen. Hobl selbst
dürfte hier – er kennt zwar die Schwierigkeiten sehr genau – nur sehr
bedingt für eine Änderung eintreten. Die ganze Frage ist äusserst
ungut, da wir ja immer wieder feststellen müssen, dass das Kraft-
fahrgesetz aus einer Zeit noch stammt und eine Mentalität beinhal-
tet, wo man den Gebrauchsgegenstand Auto behandelt hat wie ein riesiges
Ungeheuer oder wie einer Fabrik, die durch Genehmigungen und Vorschrif-
ten und ich weiss Gott nicht alles dem Besitzer einen ganz besonderen
Wert in die Hand gegeben hat. In Wirklichkeit ist das Auto in der Zwi-
schenzeit ein Gebrauchsgegenstand geworden und man hat vergessen, die
Gesetze diesem Umständen entsprechend zu ändern.
ANMERKUNG FÜR KOPPE UND HEINDL:
Bitte, Überlegungen anstellen, wie wir zuerst intern und ohne dass
es in die Öffentlichkeit dringt, eine generelle grosse Reform in
dieser Frage einleiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst
unter Beachtung des Sicherheitsbedürfnisses nicht doch wesentliche
Vereinfachungen möglich wären. Insbesondere wäre es höchste Zeit,
diese Zulassungsformalitäten auf ein Minimum zu beschränken.
Das Klima im Nationalrat ist schon sehr gereizt, Prader versuchte
in der Budgetüberschreitungsgesetz-Debatte seine Politik zu verteidigen
und gleichzeitig anzugreifen. u.a. behauptet er, dass die ÖVP niemals
für eine Zwangsrekrutierung eingetreten ist. Schieder könnte nun an
5 Punkten ganz konkret nachweisen, dass sie dies tatsächlich getan
haben. Zum Schluss machte er leider die Bemerkung, der Betrüger
bestimmt, ob er einen Betrug begangen hat, was die ÖVP natürlich
dazu nützte, um sofort einen Wirbel zu veranlassen, dass Waldbrunner
die Sitzung unterbrechen musste. Die ganze sachliche Argumentation
ging dabei leider unter.
Die Paritätische Kommission hatte ihre Wirtschaftspolitische Aussprache
und Nemschak brachte einen Bericht, der so günstig war, dass selbst
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Benya und ich uns nicht zurückhalten konnten und nicht nur innerlich
sondern sogar der Handelskammer zugewandt äusserlich zu erkennen ge-
geben haben, dass die direkt unheimlich ist. Mussil erklärte ziemlich
laut, sodass es ein Grossteil der Sitzungsteilnehmer hören konnte,
der Mann ist bestochen. Immer wieder wiederholte er: Der Mann ist
bestochen, der Mann ist bestechen! Die Prognose über den Brutto-
nationalproduktzuwachs von 4 % wurde auf 4,3 % erhöht und die Prognose
über die Preiserhöhung wurde von 5 % auf 4,7 % reduziert. Alle anderen
Ziffern waren optimistisch und zeigen, dass die Regierung gut gearbeitet
hat. Im Schlusswort versuchte dann Nemschak abzuschwächen, indem er
darauf hinwies, dass dies ja nicht eine Folge der vergangenen 14 Monate
sei, sondern auf jahrelange positive Arbeit aller Wirtschaftspartner
und aller Regierungen zurückzuführen sei. Da Nemschak auch den
Lebenshaltungskostenindex verteidigte, musste Mussil in der Diskussion
dann von der Index-Kosmetik abrücken und meinte nur, es würde Index-
Politik betrieben. Als Beispiel führte er aus, dass die Benzinpreis-
regelung schon so lange bei uns im Handelsministerium unerledigt liegt.
Die Diskussion zog sich über etliche Stunden dahin, brachte aber keiner-
lei neue Erkenntnisse. Androsch berichtete und stellte in der Dis-
kussion klar, daß wenn er die Bindung von 2 Milliarden Schilling,
ich habe angenommen, daß es 3 Milliarden Schilling sind, eine Kürzung
umwandelt, wie dies Schmitz jetzt bereits empfiehlt, aber insbesondere
10 Firmen der Elektrobranche, der Kabel- und des Waggonbaues schwer
darunter leiden, abgesehen davon, daß auch die Bauwirtschaft mit
ca. 100 Betrieben, wie Sallinger bemerkte, eine schlechte wirtschaft-
liche Situation geraten ist. Benya meinte, man müßte bei der Kürzung
für die Bauwirtschaft sehr vorsichtig vorgehen. Horr unterstützte ihn
natürlich in dieser Frage. Er kündigte gleichzeitig an, daß für
das Budget 1972 Vorsorge getroffen werden müßte, daß eine weitere
Korrektur der Lohn- und Einkommensteuer notwendig sei.
Am Vortrag mit den Verbänden eine Einigung über die flankierenden
Maßnahmen erzielt werden konnten, wurde nur von Sallinger und Seidl,
auch teilweise Mussil, als Schwanengesang die Verrechnungsdollar-
frage ganz kurz gestreift. Sallinger selbst erwähnte, daß Kreisky
ihm damals in der Aufwertungsnacht zugesagt hatte, während Androsch
wohl erklärt hätte die Verrechnungsdollarfrage müßte überprüft werden.
Mussil ersuchte mich vor der Sitzung schon, daß wir anschließend eine
Besprechung über die Ratifizierungsmaßnahmen führen sollen. Er ersuchte
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dann auch Androsch er sollte in seinem Bericht gleich über die An-
kündigung der Demoralisierung berichten, damit ich mich nicht
präjudizieren muß. In der ganzen Diskussion kam das Inflationspro-
gramm der ÖVP überhaupt nicht zur Sprache. Einzig und allein Mussil
mußte sich im Gegenteil dagegen wehren, weil ihm von seiten der Ar-
beitnehmervertreter vorgeworfen wurde, daß er in die Debatte des
Nationalrates, aber auch in der Öffentlichkeit immer wieder die
Inflationsgefahr besonders herausstreicht. Mussil meinte nun, auch
in anderen Staaten schreibe man von einer Inflation und er selbst
würde natürlich gar nicht die Absicht haben, hier das Inflations-
klima anzuheizen, sondern ganz im Gegenteil er möchte alles daran
setzen, um eine Beruhigung zu erreichen. Er selbst stelle
auch zu dem Index und könne nur versichern, daß natürlich die ge-
meinsam erarbeiteten Zahlen jederzeit außerhalb der Debatte stehen
müssen. Er meinte nur neuerdings, daß 1969 bei der letzten Preis-
erhöhung für Brot und Gebäck die Brösel und Topfengolatschen unbe-
absichtigt nicht erhöht wurden und daß auch wir auf diese Index-
manipulation hingewiesen hatten. Wir konnten mit ruhigem Gewissen
dagegen kommentieren, daß dies nicht in der Öffentlichkeit damals
geschehen ist, um die einstimmig erarbeiteten Ziffern nicht in
die Diskussion zu zerren. Nebenbei bemerkt wäre dies ja auch kein
Angriff gegen den Index gewesen, sondern nur ein Angriff dagegen,
daß die Unternehmer bereit waren, vielleicht wirklich durch reinen
Zufall die Waren, die im Index eine Rolle spielten, tatsächlich nicht
in dem Preis zu erhöhen.
Auf alle Fälle ergab diese Diskussion eindeutig, daß das Sozialteam
und die Zusammenarbeit der Sozialpartner nach wie vor gut ist.
Wie ich mit Gleißner, Zöllner, Lachs, Dr. Korbl von der Landwirt-
schaftskammer und mit über den Importstoß, war insofern erfolgreich,
als wir eine Formulierung einvernehmlich finden konnten. Bezüglich
des Prozentsatzes erklärte ... eine Zustimmung von seiten der
Handelskammer bei 100 % nicht zu erreichen ist. Er schlug vor, daß
man an den 100 % zwar festhalten könne, aber dann nur aliquot
nur für die 3 Monate, d.h. daß in Wirklichkeit die Erhöhung nur 25 %
betragen hätte. Jetzt haben wir die Sitzung unterbrochen, d.h. die
Kollegen sind um 9.00 Uhr nach Hause gegangen und Mussil kam dann
anschließend noch um mir mitzuteilen, daß sie bereit wären, bis zu
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50 % zuzustimmen. Ich schlug ihm vor er sollte sich dies noch
über die Nacht überlegen, denn ich könnte mir vorstellen, daß
wir uns bei 2/3 einigen könnte. Ich fürchte, daß er über die
50 % nicht hinausgehen wird, da er wirklich ganz empört sagte
hätte die ÖVP diesen Blödsinn nicht gemacht, hätte er überhaupt
keinen Grund auch nur 10 % Kontingentaufstockung zuzustimmen.
Im Interesse der Sozialpartnerschaft und Erhaltung des Klimas
wäre es das erste Mal, daß ich gegen die Handelskammer entschieden
hätte und ich werde mich dazu entschließen, die 50 % zu akzeptieren.
Die ÖVP dürfte sehr nervös sein, weil sie nicht weiß, wie es im
Parlament und in der Regierung weitergeht. Ununterbrochen fragt
mich Sallinger oder auch Mussil, wann springt ihr ab und welche
Gelegenheit wird das sein. Gott sei Dank habe ich nicht den Ehrgeiz
großer Politiker darstellen will und kann mich daher ohne weiteres
immer zurückziehen, weil ich nämlich erkläre, das ist eine Frage
die mich primär nicht interessiert, denn sie hat keinen wirtschafts-
politischen Hintergrund. Ich bin für Wirtschaftspolitik zu-
ständig. Die große Politik machen sicherlich andere Leute und er
soll sich doch an seinen Du-Freund Kreisky wenden. Er hat mich
aufmerksam gemacht, daß in der Zeitung des morgigen Tages ein
Artikel auf dem Programm steht, der sich mit diesem Problem
sehr eingehend beschäftigt und entweder eine gute Kombination ist,
oder doch auf eine Indiskretion beruhen müßte. Pichler kann mit
ruhigem Gewissen erklären, daß diese Indiskretion nicht von uns
ausgegangen ist. Ich glaube überhaupt, daß wenn man sich in die
große Politik nicht einmischt und nicht in den Mittelpunkt stellt,
man in Wirklichkeit besser fährt.
Ich habe deshalb auch die Aufzeichnungen von Koppe über unsere
Öffentlichkeitsarbeit mit großem Interesse gelesen. Ich stimme
ihm im Prinzip zu, daß er wesentlich mehr Arbeit leistet die
weit über unser Ressort hinaus der Regierung und wenn man so will,
der ganzen Partei zugute kommt. Leider, und ich bedauere dies zutiefst,
wird dies wahrscheinlich von Kreisky, noch von sonst einem Politiker
zur Kenntnis genommen oder auch nur bemerkt. Wenn wir aber trotzdem
daß wir an dieser Taktik festhalten sollen, solange nämlich diese
Bundesregierung in engster Zusammenarbeit nicht den Einzelnen heraus-
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stellt, sondern wirklich versucht aus dem zu erscheinen, solange
insbesondere unsere Mitarbeiter und zu einem unserer engsten
nicht Verärgerung darüber die Flinte ins Korn wirft, sondern weiter-
macht, solange wird es dieser Regierung und der Partei gutgehen.
Erst wenn wirklich angefangen wird, daß jeder auf sein Prestige
Wert legt, daß ein jeder seine Arbeit herausstreicht, daß ein jeder
sozusagen sich selbst in den Mittelpunkt stellen will, dann
glaube ich ist der Abstiegspunkt erreicht und dann wird es zu Ende
sein mit dem Höhenflug, den derzeit die Bundesregierung und die
SPÖ noch immer hat. Persönlich möchte ich es zutiefst bedauern,
wenn eine solche Entwicklung eintreten würde und werde alles dar-
an setzen, daß dies nicht der Fall ist. Ich hoffe, daß Koppe und
meine engsten Mitarbeiter dies verstehen.
Tagesprogramm, 23.6.1971