Dienstag, 1. Feber 1972
Der rumänische Minister für Maschinenbau AVRAM, der gleichzeitig Leiter
der österr.-rum. Gemischten Kommission ist mit einer grossen Delegation
erschienen. Zum ersten Mal wird von rumänischer Seite diese erste Kommis-
sionssitzung dazu benützt, um gleichzeitig auch konkrete Geschäfte
d.h. Kooperationsabkommen abzuschliessen. IN der letzten Zeit war
das Kooperationsabkommen über eine Verzinkungsanlage mit der VÖEST sehr
in Frage gestellt. Matthes von der VÖEST hat mich angerufen, und erklärt,
dass jetzt wieder die Rumänen eine Zahlung in Dollar verlangen und damit
eine unmöglich Währungsunsicherheit in das Geschäft hineingebracht wird.
Die BRD hätte auch interveniert, damit sie diese Verzinkungsanlage be-
kommt, obwohl die deutsche Firma Heuri sowieso daran beteiligt ist.
Schon am Flugfeld, die Maschinen hatte eine halbe Stunde Verspätung,
konnte ich mit dem Botschafter klären, dass meine Intervention zum
richtigen Zeitpunkt erfolgt ist und dass sich die rum. Regierung für die
VÖEST entschieden habe und alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt
werden. Den Rumänen kommt es primär darauf an, dass sie die 30 %-ige
Zollpräferenz für Entwicklungsländer bekommen und sich bereits in diesem
Fall andere Zugeständnisse zu machen. Der österr. Handelsdelegierte in
Rumänien Orisich war auch sehr besorgt, ob es uns wirklich gelingen
würde, alle die Hindernisse wegzuräumen. Für die Präferenzregelung
hat die rum. Regierung vor Jahren einen Sonderbotschafter in alle Länder
geschickt. Der Botschafter Aninoiu erklärte mir, dass Österreich diese
Delegation am freudigsten aufgenommen hat und sich am meisten dafür ein-
gesetzt hat, Rumänien würde dies nie vergessen. Bei der Autofahrt mit
Avram zu seinem Hotel, es ist keine offizielle Delegation und er
schläft deshalb im Hotel Klima, da die Rumänen es selber bezahlen,
schilderte ich Avram mein Gespräch mit dem Botschafter, sodass er im
Prinzip die positive Note mitbekam, ohne dass ich ihn natürlich
um eine dezidierte Zustimmung zu jedem einzelnen Punkt aufforderte. Ich
glaube nämlich, dass in einem solchen Fall nur eine Verstimmung von Seite
des Delegationsleiters entstehen könnte, da er sich vielleicht hinein.
gelegt fühle würde. Andererseits ist dann aber bereits die Grundstimmung
und vor allem einmal die Problematik zwischen den Delegationsleitern
ausgesprochen und eine Abänderung in den offiziellen Sitzungen ist dann
kaum oder nur sehr schwer möglich.
Da ich zu Spät zum Ministerrat kam und die vorgesehene Besprechung über
die Wirtschafts- und Preisgesetze am nächsten Tag verschoben wurde,
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traf ich nur noch Kreisky und Sinowatz an. Ich erinnerte Kreisky,
dass er morgen mit Avram eine Besprechung haben wird und Kreisky
meinte und hier bewunderte ich auch seine Detailinformationen, dass
er wegen der VÖEST mit ihnen wird reden müssen, damit wir die Wider-
stände beseitigen könnten. Ich konnte ihm sofort erklären, dass dieses
Problem bereits gelöst ist, obwohl erst die offiziellen Verhandlungen
beginnen. Sinowatz besprach ich die weitere Ausbildungsmöglichkeit und
vor allem einmal die Lehrplangestaltung in den Berufsschulen. Sinowatz
teilte meine Meinung, dass es dringendst notwendig wäre, auch für die Lehr-
linge nicht nur das Sozialprestige zu heben, sondern vor allem auch durch
bessere Ausbildung und entsprechende Weiterbildungsmöglichkeit, wenn
er seine Lehrabschlussprüfung hinter sich gebracht hat, sorgen zu
müssen. Die handwerkliche Ausbildung sei es durch technische Mittel-
schulen oder durch Verbesserung der Lehrausbildung müsste grösstes
Augenmerk zugewendet werden. Sinowatz wird noch mit seinen Beamten
über dieses Problem sprechen und dann werden wir beide und zusammen-
setzen, um einen Plan zu entwickeln. Die Detailarbeit können dann unsere
Beamten durchführen.
Kienzl wollte unbedingt, dass wir uns unverzüglich im Institut treffen
damit er mit das Ergebnis einer Meinungsumfrage über die Preisproblematik
mitteilen könnte. Vor alle nicht neu stellte er fest, dass die Preisfrage
Priorität 1 hat und immer grösserer Anteil selbst von Wählern der SPÖ
der Regierung die Schuld für die Preisentwicklung geben. Der ÖGB
kommt bei dieser Erhebung sehr gut weg. Das ist darauf zurückzuführen
dass die Erhebungsorgane der SWS meistens Gewerkschaftsfunktionäre sind,
die auch im Kreis der Gewerkschaftsfunktionäre oder zumindestens der
Betriebe ihre Erhebungen grösstenteils pflegen. Andererseits muss
sich das Image der Bundesregierung verschlechtern, weil gerade im
Erhebungszeitraum die Opposition und auch die unabhängige Presse und
die Massenmedien sehr stark auf die Preiserhöhung, die die Regierung
selbst durchgeführt hart, wie z.B. Tabak und Eisenbahnpreise sowie
ach über die Preiserhöhungen über die preisgeregelten Waren erfolgten
hingewiesen hat. Dadurch ist es unmöglich zu verhindern, dass natürlich
in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass die Regierung auch
an dieser Preiserhöhungswelle mitschuld ist. Kienzl meinte, es
müsste nun ein Konzept entwickelt werden, wo alle Massnahmen koordiniert
werden, damit wir konzentrisch diese Entwicklung in den Griff bekommen.
Sehr erschüttert war er, dass Androsch in der Frage der Geldabschöpfung
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nachgegeben hat. Sie hatten angeblich vorbesprochen, dass die
Nationalbank eine starke Erhöhung der Mindestreserven um 2 % ver-
langen wird, Kienzl und insbesondere Korp hatten sich bemüht, in
der Nationalbank eine einheitliche Stellungnahme dafür zu erreichen.
Der Generaldirektor Kloss war zuerst gegen eine solche Massnahme
und konnte nur mühsam davon überzeugt werden. Präsident Schmitz
wollte dies auch nicht und konnte nur durch einen Beschluss letzten
Endes auf diese Linie gebracht werden. Nun sagt Kienzl hat Androsch
mit dem Bankkreditapparat sich geeinigt, dass nur 1 % Mindestreserven
die ca. 1,1 Mia. S stillegen kommen sollten. Da die Mindestreserve,
derzeit nur 7,5 %, es gibt einzelne Gruppen, die 10,5 % halten
müssen, beträgt, ist dieses 1 % nicht sehr wirksam. 7,5 % ist näm-
lich die betriebswirtschaftlich notwendige Mindestreserve, die ein
Kreditinstitut auf alle Fälle unterhalten müsste. 1971 betrug der
Geldzuwachs 9,5 Mia. S und damit ist die Flüssigkeit und Liquidität
des Geldmarktes sehr gewachsen. Man nimmt an, dass maximal 2,5 Mia.
Zentralbankgeld notwendig gewesen wäre, um den Produktionsanstieg
und den sonstigen Bedürfnisse befriedigen zu können. Nach Meinung der
OeNB hätten also müssen Massnahmen ergriffen werden, die extrem bis zu
7 Mia. Geld stillgelegt hätten. Davon hätten mindestens 4 Mia. Mindest-
reservenerhöhung stillegen, die der OeNB und damit dem Staate nichts
gekostet hätten, sondern auf Kosten des Kreditapparates gegangen
wären. Die 1 Mia. 3 %-ige Schatzscheine, die kurzfristig zumindestens
für ein halbes Jahr ausgegeben werden, gehen natürlich auf Kosten des
Finanzministers. Ebenso die anderen Kreditmassnahmen auf Kosten der
OeNB und damit indirekt auch über die schlechtere Ertragslage dem
Finanzminister verloren. Am meisten aber hat sich glaube ich Kienzl
und die gesamte Nationalbankfraktion geärgert, dass sie zuerst mit
Androsch eine Vereinbarung hätten und er dann ohne sie davon zu verstän-
digen in den Verhandlungen abgerückt ist. Philipp Rieger meinte, es
hätte seinerzeit die Wirtschaftskommission der soz. Partei eben eine
Aufspaltung des Finanzministeriums nicht umsonst beschlossen. Nur
wenn der Finanzminister, der jetzt die Überwachung auch über den
Kreditapparat hat, von seinen Finanztransaktionen, wo er vom
Kreditapparat abhängig ist, getrennt wird, dann kann es zu einer
objektiveren und im Interesse der österr. Wirtschaft zweckmässigeren
Lösung aller dieser Probleme kommen. Jetzt muss der Finanzminister
sich immer mit Leuten arrangieren, die gleichzeitig auch Geldgeber
für ihn sind. Rieger fürchtet deshalb auch, dass des Kreditwesengesetz
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welches die Kreditinstitute jetzt ausgearbeitet haben, nur unwesent-
lich wird vom Finanzministerium geändert werden. Damit würde dann
endgültig ein soz. Finanzminister die Vorherrschaft und die Bedeutung
des Kreditapparates anerkennen und sich mehr oder minder mit ihm
immer arrangieren, anstelle Massnahmen eventuell gegen den Kredit-
apparat zu setzen. Kienzl ist das Kreditwesengesetz nicht so wichtig
er möchte nur in diesem Gesetz als einziges erreichen, dass Kredit-
massnahmen von der Aktivseite in Angriff genommen werden können.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Aus dieser Diskussion habe ich entnommen, dass
wir nie den Fehler machen dürfen, irgendwelche Massnahmen zuerst mit
irgendjemandem zu vereinbaren und sie dann nicht einhalten resp.,
wenn es notwendig ist, sie zu ändern, nicht unbedingt vorher mit die-
sen Leuten neuerdings sprechen.
In der ersten Arbeitssitzung der Gemischten Kommission erklärte
ich den Rumänen den Stand unserer EWG-Verhandlungen. Minister Avram
nahm dies zur Kenntnis und wies nur besonders darauf hin, dass die
bilateralen Beziehungen nicht darunter leiden sollen. Wie ich ja
in meinen Ausführungen dargelegt hatte, da die trade making power
auf alle Fälle bei Österreich verbleibt. Berichtete über das
Protokoll wo eine Zusatzvereinbarung zu unserem langfristigen Abkommen
die Meistbegünstigungsklausel gewährt wird und Österreich bis späte-
stens Ende 1974 alle mengenmässigen Beschränkungen mit der Polen-Klau-
sel GATT-konform durchführen wird. Weiters bemerkte er, dass ein
Briefwechsel über die Schillingfakturierung das Zahlungsabkommen er-
gänzen wird. Über die Kooperationen berichtete der Rumäne Christea.
Es haben bereits 4 Tagungen der Untergruppe stattgefunden und die
erste Regierungstagung findet jetzt statt. Da die Experten bereits
am 25. Jänner gekommen sind, würden derzeit sehr konkret Kooperations-
abkommen mit der VÖEST, den Stickstoffwerken und anderen Firmen er-
folgen. Insgesamt hätten die Rumänen 34 Vorschläge und Österreich
20 Kooperationsvorschläge erstattet. Christea schlug vor, dass ein
Tätigkeitsbericht zu erstatten sei und dass am Ende der Tagung
die Partner ihr Interesse an den konkreten Programmen darlegen sollten
Die Zeit zwischen den Gemischten Kommissionen sollten Arbeitsgruppen
eingesetzt werden. Über die Zollerleichterungen bei Kooperationen
müsste ebenfalls gesprochen werden und hier hätten die Rumänen weit-
gehende Wünsche. Peschke ergänzte, dass die Absicht besteht, eine
Arbeitsgruppe einzusetzen. Vizeminister Popa meinte, es müsste auch
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noch versucht werden, ob nicht gemischte Produktionsgesellschaften
für Kooperationen auf Drittmärkten gegründet werden sollten.
Avram meinte, dass die Kontingente und die Zollabgaben bei Koope-
rationen aufgehoben gehören. Da die Rumänen solche Kooperationen in
ihre Jahrespläne einbauen müssten, so wäre es dringendst notwendig
zeitgerecht die konkreten Ergebnisse zu wissen. In der Vorbe-
sprechung haben wir beide schon festgelegt, dass das Ziel all
dieser Verhandlungen ein konkreter Vertrag zwischen den Firmen
sein müsste. Nicht also herumschwefeln und viele Kommission zusammen-
treten lassen, sondern versuchen, dass die beiden Firmen – die rumäni-
sche und die österreichische – so schnell wie möglich einen wirk-
lich konkreten Vertrag auf Grund des Kooperationsabkommen oder der
Empfehlung der Gemischten Kommission abschliessen. Betreffend den
spezifischen Wunsch der Rumänen nämlich die Präferenzen wie die
UNCTAD-Entwicklungsländer zu bekommen berichtete Vizeminister Popa.
Er wies auf die Bedeutung hin, die eine Exportmöglichkeit der
Rumänen durch diese Zollsenkung nach Österreich auch für die österr.
Exporte hat. Da Rumänien, wenn es mehr nach Österreich liefern
kann, ebenfalls mehr von Österreich kaufen wird. Willenpart ergänzte
und wies darauf hin, daß nur Österreich, Japan und Australien, wie
Popa richtig dazwischen rief, den Rumänen Zollpräferenz geben werden.
Ein diesbezüglicher Gesetzentwurf ist ausgearbeitet und dem Parlament
zugeleitet. Unter Allfälliges schlug Fälbl vor, den Termin für die
gemischte Kommission 73 Vorbereitungsbesprechung auf Mai in Wien fest-
zulegen. Außerdem wollte Fälbl wissen, wie der Zeitpunkt den Rumänen
Willkommen erscheint, vom Clearingsystem abzugehen. Popa meinte,
ich sollte eine Untergruppe Kriterien festlegen, wann ein solcher
Zeitpunkt für gekommen erscheint, da sich die Rumänen jetzt noch
nicht endgültig jetzt schon festlegen könnten. Fälbl hat als Bei-
spiel gesagt 1975 und Popa meinte, wenn die Kriterien geklärt
sind würde dies wahrscheinlich viel früher sein können. Der Fröhlich
von der Nationalbank wies darauf hin, daß die Touristen im Vorjahr
in Rumänien, er selbst hat dies in Bukarest miterlebt, bei Schilling-
zahlung diskriminiert wurden und ein Disagio von 5–6 % akzeptieren
mußten. Von der Delegation konnte dieses Phänomen niemand erklären,
doch werden sie es genau überprüfen. Der Handelsrat der rum. Botschaft
konnte aber zumindestens mir war es klar, eine ganz vernünftige Er-
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klärung geben. Im Mai hat Österreich den Schilling aufge-
wertet und der Lei wurde erst im Jänner angepaßt. Diese
Schilling-Aufwertung wurde deshalb als Disagio von der rum.
Nationalbank in den einzelnen Verkaufsstellen verrechnet.
Bei der Vorbesprechung hat über die Frage der Präferenzgewährung
die Handelskammer zwar nur mit den Achseln gezuckt, aber die
Landwirtschaftskammer, Dr. Kucera, einen ganz großen Pro-
test dagegen erhoben. In diesem Präferenzabkommen werden ja
selektiv, nicht wie bei der Industrie allgemein 30 % die Zölle
gesenkt, sondern vereinzelte Gruppen, vereinzelt allerdings
auch mehr wie 30 % Zollermäßigung gewähren. Ich hatte nun er-
wartet, daß Kucera vielleicht darauf jetzt bei mir pro-
testieren würde. Dies war aber nicht der Fall, nur von der
Industriellenvereinigung, Marquet, machte die Bemerkung, daß
er hier nur zugehört hätte und keinesfalls damit die Überein-
stimmung in dieser Frage zum Ausdruck bringen wollte. Ich re-
plizierte sofort, in dem ich erklärte, wir haben seit 1 1/2
Jahren über dieses Problem konkreter gesprochen und die In-
dustriellenvereinigung und die Handelskammer wußte sehr genau,
daß wir den Rumänen diese Präferenz geben wollten. Jetzt erst
im letzten Moment, knapp vor Gesetzwerdung hätten sie sich
dazu aufgerungen , wirklich dagegen ernsthaft zu protestieren.
Ohne die Namen zu nennen habe ich bei der Nachbesprechung
Avram und seinen Leuten auf diese Tatsache hingewiesen, daß
nämlich die Wirtschaft und einzelne Kreise davon sehr gegen
eine Präferenzregelung mit Rumänien sind. Ich ersuchte des-
halb auch um ein entsprechendes Entgegenkommen bei den Zu-
satzabkommen, was mir zugesichert wurde.
Dr. Bachmann der Geschäftsführer der Ferngasgesellschaft Tirol,
der gleichzeitig auch Geschäftsführer der Industriellenvereinigung
Tirols ist, kam mit einem Kommerzialrat, um sich über die ÖMV zu
beschweren. Die Tiroler wollten durch Verhandlungen mit der UdSSR
über Bayern Erdgas beziehen. Seinerzeit hat nun Mitterer bereits
entschieden, daß die ÖMV die alleinige Verhandlungsgruppe mit
der UdSSR sein kann und ich wurde gefragt, ob ich an dieser
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Stellungnahme festhalte. Ich erwiderte, daß ausschließlich
eine Treuhandgesellschaft gegenüber der UdSSR einigermaßen
erträgliche Konditionen herausschinden könnte. Denn mehrere
Gesellschaften, ob dies nun die Austrogas oder ob dies eine
einzelne Landesgesellschaft ist, auftritt, dann muß es zu
einer Konkurrenzierung der Preise und der Konditionen nach
hinauf kommen. Bachmann akzeptierte diese Stellungnahme, er
hat auch erklärt, daß er keine andere erwartet hat. Auf meine
Intervention bei der ÖMV, wonach auch die Landesgesellschaften
mit den entsprechenden Informationen und vor allem wenn es irgend-
wie geht mit Gas versorgt werden sollen, hat dazugeführt, wie
er sich ausdrückte, das erste Mal die ÖMV sie freundlich zu
einer Besprechung eingeladen hat. MR. Mayer der anwesend war,
wird ein Verbindungsglied zwischen der Tiroler Ferngasgesellschaft
und der ÖMV sein, wenn es zu keiner befriedigenden Aussprache
und Ergebnis kommen sollte.
Im Kautsky-Kreis berichtete ein Emigrant und derzeitige Univ.-
Prof. Striten aus der Universität Oxford über die Hintergründe
der Stagflation in England. Aus seinem Vortrag und insbesondere
aus der Diskussion ergab sich zumindestens für mich der Eindruck,
daß man geglaubt hat, daß die englischen Gewerkschaften durch
ihre übermäßigen Forderungen wesentlich dazu beigetragen haben
und insbesondere der Labor-Regierung in den Rücken gefallen sind.
Ich glaube, daß die Lohnforderungen der Gewerkschaften doch
primär von den Betrieben ausgegangen sind. Es hat sich eben die
Arbeiterschaft in England nicht vorstellen können, daß auch unter
einer Labor-Regierung nur eine so geringer Lohnzuwachs wie dies
unter der konservativen Regierung der Fall gewesen ist, möglich
sein könnte. Deshalb haben, als die Gewerkschaften zuerst rück-
haltende Politik empfahlen, sich die Betriebsräte und die einzelnen
Belegschaften gar nicht um diesen Appell gekümmert. Durch wilde
Streiks wurde dann auch mehr oder minder die Unternehmerschaft
gezwungen, den Forderungen der Arbeiterschaft Rechnung zu tragen,
auch dann, wenn die Gewerkschaft dagegen gewesen ist. Ich verwies
darauf, daß wir jetzt auch in Österreich die Gefahr hätten in
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eine solche Situation zu kommen. Die Gewerkschaft muß deshalb
alles daran setzten, um diese Bewegung in der Hand zu halten
auch dann, wenn es scheinbar gegen die Regierungspolitik ge-
richtet ist. Der Erfolg einer Regierungspolitik sehe ich aber
nicht darin, daß man nachher feststellen, daß die Laborregierung
alle Maßnahmen ergriffen hat, um z.B. das Zahlungsbilanzdefizit
von 700 Mio. Pfund zu verringern, sondern daß es darauf ankommt,
ob man im Stande war, an der Regierung zu bleiben, damit man
seine Politik langsam, aber sicher doch durchsetzt. Ich will nicht
das Sprichwort "Es ist besser in der Masse irren, als gegen
Masse Recht behalten", wie Victor Adler gesagt hat, zitieren,
doch glaube ich, daß es notwendig ist, eine politische Führung
eine Politik macht, wo sie eben an der Macht bleibt. Nur den
Theoretikern oder den Experten Rechnung tragend eine angeblich
gute und richtige Politik zu machen, die dann dazu führt, daß
man abgewählt wird, halte ich auch nicht als der Weisheit letzten
Schluß. Andererseits muß man sich halt mit den Intellektuellen
der Partei vielmehr auseinandersetzen, als wir dies vielleicht
derzeit tun. Kreisky hat dies wieder erkannt und möchte deshalb,
daß die ganze Programmkommission mit unseren Experten den sagen-
haften 1.400 wieder in Diskussionen eintreten. Der Kautsky-Kreis
dient zweifelsohne dazu, um unseren Genossen und Genossinnen
eine Möglichkeit der Aussprache über unsere Politik zu geben.
Ich habe deshalb fest vorgenommen, wieder öfter in diesem Kreis
zu erscheinen.
Anmerkung für HEINDL:
Bitte die Termine, wenn es irgendwie geht, freihalten.
Die leichten Spannungen die zwischen Fraktion und Partei immer
schon bestanden, haben sich auch jetzt nicht gelegt. Ich konnte
feststellen, als wir im Ausschuß über unsere Statutenänderungen
der wiener Organisation diskutierten, der einzige Angriffspunkt
gegen eine solche Regelung das Verhalten der soz. Gewerkschafts-
fraktion war. Die in den Statuten vorgesehene Änderung dieser
Organisationen ist noch nicht im Wortlaut vorgelegen. Wahrschein-
lich hat die soz. Gewerkschaftsfraktion aus Zeitmangel einen
diesbezüglichen Beschluß noch nicht gefaßt. Die Wiener Organisation
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unter Führung von Sekanina ist ja sehr wenig expeditiv, so
daß unsere Genossen mit Recht das Fehlen solcher Bestimmungen,
die sie eigentlich ebenfalls wissen müßten, kritisiert haben.
Nun entwickelte sich auch in unserem Bezirk eine diesbezügliche
Diskussion zwischen den Gewerkschaftsfraktionsvertretern und
den Sektionsleitern. Die Sektionsleiter sind deshalb ein bißchen
verstimmt, schon seit eh und je, weil die Gewerkschafter viel
zu wenig in der Partei mitarbeiten. Andererseits ist es ganz
selbstverständlich, daß gerade die Gewerkschaftsfraktion eine
der bedeutendsten finanziellen aber auch organisatorischen
Stützen der Partei ist. Wenn hier in diesen Jahrzehntealten
Gegensätze jemand noch Öl ins Feuer gießt, würde dies sofort
wirklich brennen. Hier kann und muß es Pflicht jeden Genossen
sein, kalmierend einzugreifen – eine gar nicht leichte Aufgabe.
Tagesprogramm, 1.2.1972
Tagesordnung 12. Ministerratssitzung, 1.2.1972
09_0125_03hs. Notizen (TO Ministerratssitzung Rückseite)