Mittwoch, den 22. März 1972
Kranzniederlegung beim Arc de Triomphe ist ein ungeheures
eindrucksvolles Schauspiel. Der ganze Champs-Élysées ist abgesperrt,
man kann sich vorstellen, wie die Autofahrer fluchen. Fußgänger
sieht man keine, oder fast keine. Anschließend wird das neue
Büroviertel Défense besucht. 6.000 Menschen werden dort wohnen,
aber 100.000 arbeiten. Alles ist sehr großzügig geplant und die
Bauten entsprechen einem vielfachen des UNIDO-Projektes an der
Donau. Das Verkehrsproblem wird durch eine Schnellmetro, die
100 km fährt, wie ich mich selbst im Führerstand überzeugen konnte,
gelöst.
Wichtig ist aber die Besprechung beim Mittagessen mit Minister-
präsident Chaban-Delmas. Ich lerne den GenDir. und wichtigen
Mann des Patronats Montet kennen. Er wird mit der Industriellen-
vereinigung nach Wien kommen und ersucht, ob er nachher eine
Privataudienz bei mir bekommen kann, was ich ihm selbstverständlich
sofort zusage. Die Firma Usin perron pro gil , die wir
Freitag besuchen, die Mutterfirma von Donau-Chemie. Ich versuche
sofort herauszubekommen und Unterstützung zu bitten wegen Landeck.
Der Generaldirektor ist sehr genau informiert und meint, er hätte
hier keine Sorge wenn der Karbidabsatz jetzt zurückgegangen ist,
man wäre mit anderen Produkten Ferrometall, die Produktion auf-
rechterhalten können. Schwierigkeiten sieht er nur bezüglich Brückl.
Hier kommt es sofort zu einer Diskussion über den Salz- und Energie-
preis. Ich erkläre, warum der Finanzminister bei uns 310,–– gegen-
über 110,–– bis 120,–– S Tonne Salz verlangt und warum der Energie-
preis bei uns doch wesentlich höher ist als in anderen Ländern.
Ich glaube aber darauf hinweisen zu können, daß wenn Brückl wir-
lich zugrunde gehen würde, man sicherlich einen Ausweg aus dem
Dilemma finden kann. Da die Produkte ja bei uns erzeugt werden
und auch werden sollen. Anders, wesentlich schlechter beurteile
ich die Situation in Landeck beim Generaldirektor ist es gerade
umgekehrt.
Obletta, der ebenfalls bei diesem Dejeuner ist, erklärte mir,
daß er sehr froh ist über unsere Industriepolitik. Er hat das
Gefühl, daß das erste Mal im Handelsministerium man sich diesem
Problem stärker widmet und er dadurch als Vertreter Österreichs
bei der OECD einigermaßen positiv auftreten kann. Er möchte auch
gerne wissen wieweit die Abgrenzung zwischen Gesundheitsministerium
und Umweltschutzfrage und Handelsministerium ist. Ich kann ihm
auseinandersetzen, daß natürlich die grundsätzlichen Beschlüsse
jetzt im Gesundheitsministerium getroffen werden, im Einvernehmen
mit den beteiligten oder betroffenen Ministerien, daß über die
konkrete Arbeit natürlich im Handelsministerium erfolgen muß.
Ich weise z.B. auf Lärmschutzbestimmungen aufgrund der neuen
Gewerbeordnung, wo die Phonzahl der Maschinen gleich bei der Ge-
nehmigung festgelegt wird. In der OECD gibt es jetzt als große
Diskussion die Frage, wieweit der Umweltschutz durch Finanzierung
der Verursacher oder durch die öffentliche Hand vorgenommen werden
soll. Die OECD neigt eher zum Verursacherprinzip, möchte aber auf
alle Fälle verhindern, daß dadurch Konkurrenzungleichheiten ent-
stehen. Wenn z.B. in den nordischen Staaten die Papierindustrie
die Umweltschutzauflagen nicht selbst bezahlen und kalkulieren
müssen, sondern von der öffentlichen Hand geleistet wird, kommt
es zu Konkurrenzverschiebungen.
Beim Tisch sitze ich neben dem Ministerpräsidenten und nütze na-
türlich die Gelegenheit, um unsere Integrationswünsche unterzu-
bringen Der Ministerpräsident versichert dann auch in der Tisch
rede, daß aus Brüssel gute Nachrichten für Österreich bestehen.
Im Laufe der Besprechung stellt sich dann heraus, daß er scheinbar
gemeint hat, daß der Ministerrat, der Vormittag getagt hat, sich
mit Österreich beschäftigt hat. Ich versuche immer ohne lästig zu
fallen und ohne den Eindruck zu erwecken, daß wir den Staatsbe-
such ausschließlich dazu verwenden, um unsere kleinlichen Probleme
jedem immer wieder zu präsentieren, dennoch natürlich die Integrations-
fragen an der Spitze meiner Ausführungen zu stellen. Um es unauf-
dringlicher zu machen erkläre ich, als wir Käse und Butter serviert
bekommen, daß dieses köstliche franz. Produkt für unsere Landwirt-
schaft auch eine große Bedeutung hat. Wenn z.B. jetzt England bei-
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tritt und wir 60 % unseres Futterexportes die wir jetzt dorthin
liefern verlieren würden, so ist dies für unsere Bauern natürlich
eine fast unakzeptable Situation. Da in Brüssel gerade mit der
Landwirtschaft ein riesen Krach war, meint der Ministerpräsident,
daß es überall mit der Landwirtschaft Schwierigkeiten gibt. Er
ist aber überzeugt, daß ich auch wie in Brüssel, die anderen land-
wirtschaftlichen Probleme lösen lassen.
Anschließend an das Mittagessen hätte eine Aussprache mit Kirch-
schläger, Aussenminister Schumann und mir stattfinden sollen.
Schumann hat aber neuerdings mir einen anderen Termin und hat
sogar das Essen vorzeitig verlassen. Dafür ist dann der Regierungs-
sprecher Arramon später gekommen. Da dieser neben mir sitzt, beginne
ich natürlich auf sofort über die Integrationsfrage mit ihm zu disk-
utieren. Es handelt sich doch um z.B. auch die Textil-
regelung im schweiz.-österr.-brit.-Verfahren der EFTA, wie wir es
jetzt handhaben. Hier es natürlich ein leichtes, daß ich Giscard
d'Estaing erklären konnte, wie eben ein kumulativer Ursprung zu-
stande kommt. Zum Glücke hatte er die erste Äußerung noch nicht
übersetzt bekommen, da aber auch gegenüber den Anwesenden für
mich sehr blamabel. In diesem Fall war es ein echtes Übersetzungs-
problem. In Hinkunft werde ich aber nie mehr zugeben, in dem Falle
nichts zu wissen, sondern halt wie es sicherlich auch andere machen,
herumreden. Als er meine Übersetzungsfrage auch noch geht, kann man
wahrscheinlich ohne weiteres erklären, das nicht verstanden zu
haben oder auf eine Anfrage eine Antwort zu geben, daß man dann wahr-
scheinlich mehr oder minder der Übersetzung anlastet.
Giscard begleitete uns dann und Kirchschläger wehrte dies zumindestens
dies drei Mal ab, bis zum Ausgang.
Die österreichischen Pressevertreter waren sehr interessiert über
mein Ergebnis der Aussprache. Ich erklärte einzelnen von ihnen,
dies war der Nachteil, daß die Presse dort von Stalnig nur sehr
sporadisch betreut wurde, was natürlich Giscard d'Estaing keine kon-
kreten Zusagen machte, daß aber immer wir über das Elaborat sehr
eingehend diskutiert haben. Der österr. Außenhandelsstellenleiter
Kourimsky erklärte mir und auch den anderen, daß es noch niemals
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der Fall gewesen ist, daß ein Minister sich so lange mit Detail-
problemen mit einem anderen Ministerkollegen unterhalten hätte.
Dies sei äußerst ungewöhnlich, dadurch trug mit dieser Aussage
her an den Gefühl in der Presse bei, daß damit ein ganz großer
Erfolg zu verzeichnen sei. Da die einzelnen Presseleute insbeson-
dere der vom Kurier immer die Unterlagen längere Zeit behalten
wollte, habe ich sie ihm und den anderen auch tatsächlich zur
Verfügung gestellt und bis jetzt, obwohl er mir's versprochen hat,
noch nicht zurückgekommen.
Anmerkung für KOPPE:
Bitte dies von Klima verlangen, ohne ihm einen Vorwurf zu machen.
Presse war zwar nicht mit der ersten Garnitur, wie dies z.B. bei
dem Staatsbesuch in Italien der Fall, vertreten, aber doch ver-
hältnismäßig mit guten Redakteuren vertreten. Mahr - Kronen-Zeitung,
Christian - Salzburger Nachrichten, Habig – Süd-Ost-Tageszeitung,
Weissenberger – Kleine Zeitung, Ender – AZ, Klima – Kurier, Wink-
warter – APA, Arton – Presse, Hamminger – Neue Zeit, Zilcher -
OÖ. Nachrichten, Fluch – Wiener Zeitung. Das franz. Protokoll,
aber ich glaube auch, daß unseres nicht ganz unschuldig ist,
hat die Journalisten von den Bundespräsidenten und natürlich
damit auch von uns systematisch getrennt. Sie schliefen in anderen
Hotels, wurden zu den Empfängen fast nie geladen, was allerdings
auch in Österreich nicht immer der Fall ist, und hatten ein wesent-
lich anderes Programm. Nur bei den offiziellen Höhepunkten, w. Z.
Empfang im Élysée oder Besichtigungen, waren sie mit uns gemeinsam,
allerdings auch verschieden transportiert. Wo Kirchschläger als auch
ich versuchten deshalb immer wieder die Presse bei jeder Gelegenheit
zu informieren, und sie damit natürlich zu beeinflussen. Kirchschläger
legte insbesondere größten Wert darauf, damit nicht dieser ganze
Staatsbesuch in einer Bittstellung über EWG Detailfragen ausartete.
In diesem Falle spielten wir gut zusammen. Ich selbst legte natürlich
immer größten Wert darauf, daß dies meine Hauptaufgabe sei und dies
wurde auch von der Presse anerkannt. Einmal meinten sie sogar wir
spielen sehr gut auf verschiedenen Klavieren. Meisl meinte dazu,
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nicht auf verschiedenen Klavieren, sonder vierhändig auf einem
Klavier. Als sicherlich in der Vergangenheit und Koalition oder
ÖVP–Alleinregierung ein so gute Zusammenarbeit zwischen dem
Aussenminister und dem Handelsminister nie gegeben hat, ist es
natürlich besonders aufgefallen. Obwohl Kirchschläger natürlich
eine andere Aufgabe und andere Fragestellungen und Politik als
Aussenminister verfolgt, kann ich immer wieder feststellen, daß
er auch in der Integrationsfrage und in Details sehr gute Kenntnisse
hat. In meinen Augen ist er auch ein überragender Politiker, dessen
Ideen und Führung ich mich gerne anschließe. Ein stundenlangen Aus-
sprachen, die wir natürlich auch privat unter vier Augen führen,
muß ich feststellen, daß ihm am meisten in der letzten Zeit die
Abweichung von Kreiskys Aussenpolitik beunruhigt. Er selbst meinte,
er sei angetreten, daß seine ideologiefreie, offene Politik gemacht
werden kann und dies hätte der Kanzler ihm auch zugesichert. Er
glaubt nämlich, und da hat er vollkommen recht, daß man für Öster-
reich nicht eine sozialistische oder ÖVP oder sonstige Aussen-
politik machen könnte. Österreich könnte nur, und dies wird bei
der österreichischen Bevölkerung auch anerkannt und ist einmal
honoriert worden, eine Außenpolitik machen, die er vertritt und
die am Neutralitätsstatus nichts ändert, doch eine gute Lösung
für die österreichischen Probleme in der Welt geben sollte. Er
meint, daß das schwedische Experiment, wo man geglaubt hat soz.
Aussenpolitik machen zu müssen, dazu geführt hat, daß man die
einen enttäuscht und die anderen verärgert hat. Nun beginnt in
der letzten Zeit Kreisky insbesondere auch über die Ideologie-
Diskussion und im Hinblick auf den Parteitag hat er ja bei den
Vorbesprechungen erklärt, auch die Aussen- und Wehrpolitik müßte
man unter den sozialistischen Ideologiegesichtspunkt sehen und
machen. Mich beunruhigt vielmehr, daß Kreisky natürlich,
da er immer mehr Agenten an sich zu ziehen glaubt, glaubt zumindestens
dies machen zu müssen, so überarbeitet wird und daher natürlich
dann mit den einzelnen Ressortministern immer mehr Reibungspunkte
entstehen. Diese, habe ich das Gefühl, resignieren einer nach
dem anderen. Kirchschläger meinte auch, daß die glatte Zusammen-
arbeit, wie wir dies in der Minderheitsregierung gehabt haben,
jetzt eigentlich schön langsam doch zu Ende geht oder gegangen
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ist.
Bei der Handelskammer in Paris war ein riesiger Empfang in
einem herrlichen Palais, welches diese besitzt und ihren Sitz
hat. Gelegenheit um einige bedeutende Persönlichkeiten kennenzu-
lernen. Das Patronat ist zwar so wie bei uns als Industriellen-
vereinigung eine eigene Organisation, hat aber politisch
dort mehr zu reden. Die Handelskammer dürfte aber die reichere
Organisation sein. Ich hatte ausdrücklich die Bundeshandelskammer
ersucht, man möge mir ein Papier mitgeben, das ich dem Präsidenten
der Handelskammer überreichen wollte. Ich hätte dies dann dazu
benützt, um zu erklären, da auch die Handelskammer in Österreich
sich über die Integrationsprobleme, die und die Vorstellungen
gemacht hat und ich niemals Leiter der Bruderorganisation bitten
würde, daß er dies berücksichtigt und auf die franz. Regierung
Einfluß nimmt. Leider hat mir der österr. Außenhandelsstellen-
leiter erklärt, daß ein solches Papier von ihm nicht vorbereitet
werden konnte. Er hat zwar unser premer moria , das sie Giscard
und anderen überreichten, sehr gut glaube ich übersetzt und damit
gute Arbeit geleistet hat, aber von Brüssel, wie er sich ausdrückt,
ausdrücklich eine Weisung von Dr. Gleissner, der sich bei der Be-
sprechung dort aufhielt, bekommen, kein Papier vorzubereiten. Dies
passte mir wieder sehr in meine Verhandlungstaktik. Wenn nämlich
einmal die Handelskammer mich anschießen sollte, werde ich erklären,
daß sie sich nicht einmal zu einer so notwendigen Schritt aufgerafft
haben. Auf der einen Seite erwarten sie, daß wir große Erfolge er-
zielen, auf der anderen Seite können oder wollen sie ihre Bruder-
organisationen nicht mobilisieren. Dies ist ein 2. gutes Beispiels
des mehr oder minder zumindestens optischen Verfahrens der Handels-
kammer. Auch die Industriellenvereinigung, Mautner Markhof, hat seiner-
zeit erklärt, er wird nach Paris fahren, um das Patronat zu beein-
flußen. Ich habe ihn einige Male urgiert und er hat mir dann schriftl.
sogar bestätigt, daß infolge der innerösterreichischen Schwierigkeit
sich seine eigenen Leute ihm nicht die notwendige Ermächtigung ge-
geben, dieser Schritt nicht getan werden könne. Jetzt hat die Handels-
kammer eine gute Gelegenheit vorübergehen lassen, um ihre Wünsche
durch mich dort deponieren zu lassen.
Anmerkung für KOPPE:
Ich lege Dir, vielleicht aus taktischen Gründen brauchbar, die
beiden Tischreden bei.
Vom verhandlungstechnischen Standpunkt war nur noch wichtig, daß
ich auf einer Flugreise von Grenoble bis Paris Gelegenheit
hatte, den Industrieminister Ortoli zu sprechen. Auch diesem über-
reichte ich das Memorandum und besprach einzelne Teile mit ihm.
Da ich vorher bereits in Grenoble von seinem Referenten Kergal
Allin begleitet wurde, hatte ich diesem auch ein Memorandum ge-
geben und auch hier Detailunterhaltungen geführt. Kergal erklärte
mir, daß der Hauptwiderstand nicht ausschließlich vom Patronat,
sondern wahrscheinlich eher von den Gewerkschaften kommt. Er
selbst als Industrieleiter sei nur für Papier z.B. in den Elaborat
zuständig und für diesen Fall gilt, was wir schon wußten, daß
nämlich Schweden und Finnland für sie eine große Gefahr aber auch
für Deutschland ganz besonders, bedeutet. Aus diesem Grunde würde
die Arbeiterschaft in Frankreich gegen eine Lockerung der schon
jetzt, wie er meinte, unzureichenden Schutzmaßnahmen, schärfstens
protestieren. Ortoli zog dann seinen Referenten zur Besprechung
zu. Detailerklärungen hat er natürlich nicht abgegeben. Da Bot-
schafter Lemberger als Dolmetscher fungierte, erklärte sich dieser
mir gegenüber bereit, nach einiger Zeit mit Ortoli neuerdings zu-
sammenzukommen, um das Problem zu besprechen.
Ich glaube, daß wir auf dieser Reise optisch zumindestens das
Maximum herausgeholt haben. Wir haben mit allen bedeutenden
Ministern und mit dem Ministerpräsidenten der Republik über Inte-
grationsprobleme gesprochen und auf österreichische Wünsche auf-
merksam gemacht. Wir haben zwar keine konkreten Zusagen erhalten,
aber sowie Giscard als auch die anderen versicherten, daß sie
jetzt mehr Verständnis für die österreichische Frage hätten.
Sicherlich war ja keine andere Möglichkeit so günstig gewesen,
die Minister mit dieser Frage so eingehend zu befassen. Einen
großen positiven Einfluß erwarte ich mir aber kaum, da ihnen
natürlich die internen Probleme auf den Nägeln brennen.