Dienstag, 23. Mai 1972
In der Ministerratsvorbesprechung kam die Demonstration in Salzburg
zur Sprache. Die Massenmedien haben die Demonstration natürlich als
Sensation aufgebauscht. Der ORF, erklärt Kreisky, hat nichts über
die Flughafenbeschädigung durch die Demonstranten mitgeteilt. Als Aus-
gleich hat Kreuzer Peterlunger interviewt. Häuser kritisiert, dass die
Darstellung sehr einseitig gewesen ist und dass die Berichterstattung
für die Regierung immer sehr ungünstig erfolgt. Das vorsichtige
Vorgehen Kreiskys zeigt wieder einmal wie richtig er gelegen ist, denn
derzeit soll in der Londoner Times sogar bereits über die Unabhängig-
keitsbedrohung des ORF Artikel sein. Unsere Genossen im Rundfunk wollen
Bacher immer wieder beweisen, dass sie sich absolut nicht nach Partei-
intention richten lassen, auf der anderen Seite macht Emmerich die
Geschäfte Barzels und Dalma die von Strauss.
Erstmals hat Kreisky in der Regierungsvorbesprechung keinen Standpunkt
zu einem Problem bezogen, sondern erklärt, er möchte die Meinung der
Regierungsmitglieder zum Gesundheitsplan erfahren. Als einziger meldet
sich allerdings Häuser und weist auf die Gesundheitspolitische Dekla-
ration, die der Gesundheitsplan ist, hin. Im Detail wird er noch zu
besprechen sein, wenn es um die Durchführung geht. Lütgendorf meldet nur
bei der beabsichtigten Untersuchung bei der Musterung seine Wünsche an.
Kreisky fasst zusammen, dass die Pläne in ihrer Fassung immer faszinierend
sind, aber die Durchführung natürlich, wenn sie nicht sofort erfolgt, bei
der Opposition entsprechende Kritik auslöst. Er schlägt deshalb vor,
dem Bericht zuzustimmen, aber zur Feststellung der Prioritäten ein
Ministerkomitee einzusetzen. Im Ministerrat schlägt er sogar vor,
dass der Vorsitz der Frau Minister und die Koordinationsfunktion des
Bundeskanzlers ausnahmsweise abgetreten wird. In dem Komitee wird
Finanzen, Soziales, Wissenschaft, Landwirtschaft, Handel und für die
Raumplanung Veselsky Mitglied sein.
Die vorgesehene längere Aussprache mit Sallinger wird verhältnismässig
kurz, da Sallinger bei der ÖVP eine wichtige Besprechung wegen der
internen Auseinandersetzungen hat. Da Mussil nicht anwesend ist, ist
mir dies sehr recht, weil ich ja ausführlich über die ÖVP-Taktik
bezüglich der Handelsvertrags- resp. ERP-Verhandlungen sprechen möchte.
Ich erkläre Sallinger nur, dass die Kooperation in Hinkunft unmöglich
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sein wird, wenn aus oppositionspolitischen und taktischen Gründen
Pläne, die ausser Streit gestanden sind und auch in Hinkunft stehen
sollten, in den Streit einbezogen werden sollen. Dies gilt be-
züglich Verratstheorie von mir gegenüber der Landwirtschaft bei den
EG-Verhandlungen - eine solche Bemerkung hat Mussil in der letzten
Nationalratssitzung bei der Integrationsdebatte gemacht – als auch
bezüglich des Wunsches, ein halbes Jahr den Vertrag später erst
zu paraphieren und ganz besonders betreffend der Meistbegünstigungs-
klausel gegenüber den China-Verhandlungen, die er durch seine Be-
merkung bei der Presse-Konferenz ungeheuer erschwert hat. Min.Rat
Meisl hat mir mitgeteilt, dass sofort nach der Pressekonferenz
eine Sitzung, die die Chinesen mit uns bereits vereinbart haben,
abgesetzt haben, um neue Weisungen aus Peking zu erwarten. Meisl
befürchtet, dass die Chinesen, die jetzt in einen Prestigestandpunkt
hineingetrieben werden, aufmerksam gemacht sind, dass die Meistbegünsti-
gung den Russen gegeben wurde und wir sie jetzt bis jetzt verweigerten
der entsprechende Ministerialentwurf hat eine solche nicht vorgesehen,
durch die Pressekonferenz jetzt aber aufmerksam gemacht, dass vielleicht
doch eine solche Möglichkeit besteht, bedeutet, dass damit die China-
Verhandlungen sich sehr erschweren werden. Meisl vermutet, dass sogar
hinter dieser Bemerkung bei der Pressekonferenz die Absicht bestehen
könnte, die entsprechenden erfolgreichen Verhandlungen zwischen
Handelsministerium und der Regierung in China zum Scheitern zu bringen,
um die Verhandlungen für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China
und Österreich auf Kammerebene zu belassen. In meiner Gutmütigkeit
nehme ich aber immer noch an, dass es sich bei Mussil nur um einen
Aufhänger für die Pressekonferenz gehandelt hat, in letzter Zeit
hat er immer wieder vom, Aufreissen der Ostflanken in unseren Aussen-
handelsbestrebungen gesprochen. Dies glaubte er durch eine unpassende
Bemerkung über den China-Vertrag noch verstärken zu müssen. Gleissner
selbst, der ihn scheinbar über die interministeriellen Besprechungen
informiert hat, ist über die Bemerkung sehr unglücklich. Ich werde
bei der nächsten Aussprache eine klar Abgrenzung verlangen.
Mit Gratz und Fischer bespreche ich im Klub die Möglichkeit der Begut-
achtung der Ministerien, ohne dass die Opposition die Einzelinfor-
mation in die Hand bekommen bevor die politische Koordination zwischen
den Ministern erfolgt ist. Bei den Verwaltungsgesetzen, wie sie Gratz
bezeichnet, spielt dies gar keine Rolle. Bei den politisch bedeutenden
Gesetzen müsste eben die Regierung vorher bereits ihre gemeinsame
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Linie festlegen. Eine Möglichkeit einer Vorbegutachtung ist äusserst
schwierig zu erfüllen. Die Minister müssten sich eben die Zeit nehmen,
die Gutachten im einzelnen zu kontrollieren. Insbesondere hat schockiert
dass Weihs, als er das Forstgesetz ausgeschickt hat, es zwar unter-
schrieben, aber wie er jetzt sagt, nicht einmal gelesen hat.
Dass ein Minister dies nicht alles tun kann, erscheint mir selbstver-
ständlich, er muss eben Vorkehrungen treffen, dass Vertrauensper-
sonen und seinem Büro diese Arbeit übernehmen.
Die Möglichkeit der Mandatszurücklegung eines Ministers und dann
gleichzeitig noch auf der Liste zu bleiben, um nach Ausscheiden
sofort wieder Abgeordneter zu werden ist nicht so einfach wie dies
am Anfang geschienen hat. Fischer muss dieses Problem noch im einzel-
nen mit Rösch resp. mit seinem Verfassungsjuristen besprechen. Inter-
essant war eine Bemerkung von Gratz, der meint, ich dränge ja auf die
Lösung dieses Problems, damit ich mehr ins Ausland fahren kann und
nicht durch das Parlament gehindert bin. Genau dies trifft aber bei mir
nicht zu, im Gegenteil ich bin sehr froh, dass ich mich durch die Par-
lamentstätigkeit bei vielen Auslandsbesuchen ausreden kann. Niemand wird
mir dies aber glauben.
Beim Mittagessen mit dem Herrn Morales, er ist weder Minister noch Portu-
giese, sondern venezolanischer, angeblicher bedeutender Geschäfts-
mann, muss ich feststellen, dass ich wirklich fehl am Platz bin. Die
Botschaft schickt nur den Geschäftsträger, der sehr verwundert
ist, dass überhaupt ein Minister anwesend ist. Hier bin ich wirklich
nur einem Wunsch von Elin und Danubia nachgekommen, damit sie in
Venezuela leichter ins Geschäft kommen. Ich bin überzeugt, dass
dieser Präsident Morales meine Einladung eben als Grund für seine
Reise gebraucht hat. Harmer, der Vorsitzendes des Fachverbandes Elektro-
industrie, erklärt mir auch, dass er hofft, dass ich zu einem Mittag-
essen für seinen Präsidenten, den luxemburgischen Muttergesellschaft,
der jetzt wechselt und nach Wien kommt, Zeit haben werde. Zum Glück
ist Parlament und ich werde wahrscheinlich eine gute Ausrede haben.
Alles was scheinbar das Ministeramt so interessant macht, die Auslands-
reisen, die Empfänge usw., die Mittagessen ist für mich wahrlich nur
eine Belastung und Qual.
Das Gespräch mit Gen.Sekr. Broicher vom Deutschen Industrie- und
Handelstag und Dr. Conrad, dem Geschäftsführer der deutsch-österr.
Handelskammer, unter Anwesenheit von Meisl ist eine reine Informations-
besprechung für Broicher. Zum Glück erinnert er mich, dass er bereits
vor etlichen Monaten bei mir war, um sich über die Möglichkeit der
Errichtung von Arbeiterkammern in Deutschland zu informieren. Damals
hatte er keine Ahnung, dass ich auch als Arbeiterkammermann ins
Handelsministerium gekommen bin und ich konnte ihm daher wirklich
informative Auskunft geben. Er meint, dass in der BRD es nicht zur Er-
richtung der Arbeiterkammern kommen wird, da die Gewerkschaften sehr
dagegen sind.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Welchen Weg kann es geben, dass ich informiert
bin, ob jemand schon bei mir war und was ich damals mit ihm besprochen
habe.
Die Gewerkschaftsfraktion dauert wesentlich kürzer, ich komme nur
mehr zur Restitutionsfonds-Versammlung zurecht, wo wir den derzeitigen
Geschäftsführer Zak, der in Pension geht, durch Hofstetter ersetzen.
1969 bis 1971 hat der Restitutionsfonds der Partei 3,2 Mill. S über-
wiesen, seit 1948 insgesamt 23,2 Mill. S. In der Fraktionssitzung
teilt mir Blümel mit, hat Benya erklärt, 1973 keine bedeutenden Lohn-
bewegungen durchgeführt werden sollen. Dies bedeutet, dass wir in unserer
Organisation heuer noch alle Gruppen zum Abschluss bringen müssen. Ich
nütze deshalb die freigebliebene Zeit, um der Gewerkschaft oben mit den
einzelnen Sekretären, soweit sie am Abend noch anwesend sind, die Lohn-
bewegungstaktik zu besprechen. Wir werden Anfang September mit den Grup-
pen, Bäcker, Fleischer, Molkereiarbeiter und Mühlenarbeiter die Ver-
handlungen aufzunehmen und zum Abschluss zu führen haben. Diese Gruppen
sind äusserst schwierig, da es sich um preisgeregelte Waren handelt.
Über diese Probleme und auch über die Politikerbesteuerung werde ich bei
den Ortsgruppenobmännern, wo ich mich ebenfalls zeige, interviewt.
Prof. Dahrendorf, der zum Europa-Gespräch mit Leitner nach Wien ge-
kommen ist, stattet mir einen Besuch ab. Es sollte ihn ein Wagen von
uns abholen, dies hat aber wieder einmal nicht geklappt. Noch viel
weniger funktioniert dann der Transport zum Bürgermeister zurück, da
überhaupt im Haus kein Auto mehr anwesend ist. Ich setze Dahrendorf
neuerdings auseinander, dass wir das Interimsabkommen dringendst
aus drei Gründen brauchen. Erstens hat Österreich durch 10 Jahren Verhand-
lungen sich eine bevorzugte Behandlung eben durch das Interimsabkommen
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verdient. Zweitens muss unsere Exportindustrie die einmalige Chance
mit einer 30 %-igen Zollsenkung ab sofort rechnen zu können, nützen,
um auf dem europäischen Markt Fuss fassen zu können. Drittens und
für uns am wichtigsten aber kann durch die 30 %-ige Senkung der Zölle
ein gewisser Preisdruck in Österreich erfolgen, was aus konjunkturpoli-
tischen Gründen äusserst notwendig ist. Dahrendorf sagte, er ist sehr
erfreut über diese Mitteilung, da sie ihm eine Möglichkeit gibt, inner-
halb der Kommission für das Interimsabkommen zu plädieren, den einzelnen
Minister fürchtet er, haben heute kein Interesse mehr daran, das Interims-
abkommen mit Österreich tatsächlich abzuschliessen. Dahrendorf möchte,
da er sich morgen dann sofort nach Paris begibt zur OECD-Tagung, wissen,
wie weit Österreich an einer weiteren Zollsenkung im Rahmen des GATT
interessiert ist. Dahrendorf befürchtet, dass die aussertarifarischen
Hemmnisse in Hinkunft wesentlich mehr ins Gewicht fallen als die Zölle.
Er selbst rechnet also nicht damit, dass eine zweite Kennedy-Runde
bis 1973 ernstlich und zielführend in Angriff genommen werden kann.
Man wird auf ein Vorbereitungskomitee ausweichen. Leitner ist sehr
unglücklich, als ich mich bei Dahrendorf entschuldige, dass ich morgen
kaum an der Diskussion im Europa-Gespräch teilnehmen werde, da ich
eben durch den Besuch des Bundeskanzlers Brandt okkupiert bin. Dahren-
dorf ist später gekommen, weil er sein Referat, welches er am nächsten
Tag erst halten sollte, bereits jetzt bei der Eröffnung gehalten hat.
Hätte ich gewusst, dass dieses Eröffnungsgespräch stattfindet und ich
sowieso bei der Diskussion kaum anwesend sein kann, hätte ich sicher-
lich daran teilgenommen. Die Möglichkeit wäre in dem Fall wirklich
zufällig gewesen, da die Fraktion wesentlich kürzer gedauert hat.
Ich glaube, ich sollte in meinem Programm immer die Eventualmöglichkeit
einer Anwesenheit irgendwo bei einer Sitzung, die ich ansonsten eben
bereits abgesagt habe, in Erwägung ziehen und auch vermerkt haben.
Die Terminerstellung ist wirklich eines der schwierigsten Probleme
und wir müssten doch ein moderneres und besseres System finden.
Voraussetzung ist, dass wir in irgendeiner Weise, wenn ich einen
Termin nicht einhalten kann, automatisch das Büro wissen muss, wen
es alles verständigen muss, weil ich eben jetzt durch eine andere
Disposition an der und der Veranstaltung nicht mehr teilnehme. Anderer-
seits muss es eine andere Möglichkeit geben, dass wenn ich bei
irgendeiner Veranstaltung teilnehmen sollte, wie z.B. der Eröffnung
der Europa-Gespräche, wenn eine Lücke entsteht, dann tatsächlich dort
zweckmässig aufscheine. Allerdings konnte niemand wissen, dass der
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Bundespräsident, der abgesagt hat, durch einen Vortrag von Dahren-
dorf ersetzt wird.
Beim Empfang für Brandt habe ich Kirchschläger über unsere Aussprache
mit Dahrendorf informiert. Ich kam auch mit Androsch ins An drosch
über die Mitteilung von Gen.Sekr. Broicher, dass sie die Mehrwert-
steuer von 11 auf 16 % erhöhen wollen, um die ursprünglich geplant
die Lohn- und Einkommensteuersenkung vornehmen zu können. Broicher
war nämlich über die Mitteilung, dass wir dies gleichzeitig mit
1. Jänner 1972 machen sehr entzückt, denn er hat darin eine gewisse
Kombination gesehen, die ihnen in der BRD vorgeschwebt ist. Allerdings
haben sie jetzt eine derartige Budgetlücke, dass sie nur 2 % allein
für die Abdeckung der Abgänge des Bundeshaushaltes brauchen. Ob es
daher zu einer Senkung der Lohn- und Einkommensteuer bei gleichzeitiger
Erhöhung der Mehrwertsteuer kommen wird, steht noch nicht fest.
Androsch erwiderte, dass mit den 16 % nicht das Auslangen ge-
funden werden kann und er eigentlich 18 % bräuchte. Bei Benzin ist
er fest entschlossen, bei den 16 % zu bleiben, um nicht einen weiteren
Einnahmenverlust hinnehmen zu müssen. Ich erkläre ihm, dass aber dann
eine nur 30 Groschen Benzinpreiserhöhung kaum möglich sein wird.
Auf meine Frage, ob er die Einstellung der Komfortzimmeraktion, nachdem
wir bereits Anträge für 42 Mill. haben, verlautbaren sollen, meint
er, dass wenn eine Aktion so gut eingeschlagen hat, wir dies nicht
tun sollten. Er wird sich bemühen, im Herbst durch Umschichtung
und eventuelle zusätzliche Deckungen eine Budgetüberschreitung für
diese Aktion in Erwägung zu ziehen. Er meint, dass wir unsere Fremden-
verkehrsaktivitäten viel zu wenig verkaufen. Bisher gilt auch ganz
besonders für das Ausfinanzieren der Fremdenverkehrs-ERP-Ansuchen.
Ich verspreche ihm, dass wir dies beim Fremdenverkehrstag nachholen
werden.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Bitte die propagandistische Seite, damit
Mauhart nicht beleidigt ist, mit diesem zu besprechen.
Androsch ist bereit für die zu gründende Weltpatentdokumentations-
gesellschaft den Vorsitz des Aufsichtsrates an das Handelsministerium
abzutreten. Er meint, dies sei bis jetzt nur bei der Austria-Wochen-
schau der Fall gewesen, alle anderen Gesellschaften werden vom
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Finanzminister geführt, d.h. der Aufsichtsratsvorsitzende wird
von ihm gestellt. Er meint, dass dies eine Gelegenheit sei, um
Gehart den versprochenen Aufsichtsratsposten zu geben. Man sollte
dieses Problem sofort mit Auracher besprechen und Gehart für diesen
Posten vorschlagen. Die Begründung könnte sein, dass Gehart bereits
jetzt diese Materie in der Grundsatzabteilung behandelt hat und darüber
hinaus sprachkundig ist. Und vor allem in Genf in seiner vorhergehenden
Funktion internationale Probleme sehr gut kennt.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte diese Zustimmung Androschs bezüglich
der Budgetüberschreitung mit seinem Büro festhalten.
Tagesprogramm, 23.5.1972
Tagesordnung 27. Ministerratssitzung, 23.5.1972
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