Samstag, der 22. Juli 1972 bis Sonntag, der 23. Juli 1972

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Samstag, 22. Juli, Sonntag, 23. Juli 1972

Die Unterzeichnung des Vertrages in Brüssel war unserem Stil entsprechend
auf fast Understatement aufgebaut. Der Abflug hätte sollen von
Kreisky und mir überhaupt nur über den normalen Eingang erfolgen,
doch mussten wir, weil der belgische Botschafter sich einbildete,
zur Verabschiedung zu kommen, den Sondergastraum bestellen. Wir liessen
Lanner, der wie wir wussten, bereits am Flughafen war, ausrufen und
er ist dann im Sondergastraum tatsächlich gekommen. Beim Rückflug und
bei der Ankunft sowohl bei Kreisky, der bereits am Samstag abends
zurückgeflogen ist als auch bei der Ankunft der restlichen Delegation
Lanner und Lanc war überhaupt nichts vorgesehen und sie gestaltete
sich ganz normal. Lanner war von dieser Art, wie er mir versicherte,
Sehr begeistert. Da ich mir natürlich nicht die Bemerkung verkneifen
konnte zu sagen, hier hätte ich gerne gewusst, wie Bock empfangen
worden wäre. Lanner replizierte sofort, dass er sich das sehr gut
vorstellen kann, und dies aber umso mehr unsere einfache Art zu
schätzen weiss, die ihm sicherlich auch sehr liegt. Am meisten
sagte er, hätte er gehasst, wenn dann seine Leute erklärt hätten,
dieser Riesenempfang wäre doch gar nicht notwendig gewesen, obwohl sie
ihn vorher inszeniert hätten. Koppe wird vielleicht eine andere Meinung
vertreten und Lanc, mit dem ich darüber sprach, meint sogar mit Recht.
Dennoch hat mir ein Vorfall in Brüssel gezeigt, dass vielleicht meine
Methode doch die richtige ist. Staatssekretär von Braun aus der BRD
hat seine Tochter bei den Unterzeichnungszeremonien mitgehabt, die ca.
17 – 18jährige hat dann geäussert, dass es sich doch hier nur um eine
grosse Show handelt. Ich teilte diese Meinung und meinte nur, dass
doch die Jugend aber von der Europa-Idee oft als ideales Bild spricht
und sogar bereit ist, dafür etwas zu tun. d.h. die Sache ist in meinen
Augen richtig und kommt bei der Jugend gut an, die Form aber ist längst
überholt. Wenn ich mir vorstelle, dass dort bei Dutzenden von Menschen,
die sich entweder erholen sollten oder gegebenenfalls etwas besseres
arbeiten, zusammenkommen, um dann einen Vertrag zu unterzeichnen,
der gar nicht notwendig ist, dass er von ihnen persönlich unterzeichnet
wird, so ist das für mich ein unnötiger Aufwand. Am lächerlichsten fand
ich, dass ich sogar noch vom Bundespräsidenten geschriebene und gesiegelte
Vollmachten mitbringen musste, damit Kreisky und ich überhaupt unterzeich-
nen können. Botschafter Leitner natürlich meinte, dass man dies doch
dringendst bräuchte, denn man kann doch nicht von vornherein wissen,


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wer z.B. in einem afrikanischen oder asiatischen Staat bereit oder
ermächtigt wäre, Verhandlungen abzuschliessen usw. Die ganze Form
ist längst reformbedürftig, sie hält sich noch immer im spanischen
Hofzeremoniell und wird erst jetzt schön langsam aufgeweicht. Das
typischeste war, dass bei dieser ganzen Unterschriftszeremonie nicht
mehr Frack, Smoking, Cut oder was weiss ich was vorgeschrieben war.

Leitner hatte unverbindlich mit dem Staatsminister Rippon von Eng-
land wegen unserer Papier- aber auch vor allem wegen Butter und Voll-
milchpulver gesprochen. Rippon hatte ihm zugesichert, dass man für Papier
1975 werde leichter reden können als heute, zu diesem Zeitpunkt soll ja
eine Überlegung stattfinden, ob und inwieweit die Kontingente gegebenen-
falls wesentlich erhöht oder vielleicht überhaupt reformiert werden
können und für Butter und Vollmilchpulver sollten wir unver-
züglich aber auf sehr tiefem Niveau und ohne in der Öffentlichkeit
viel darüber zu reden, versuchen Besprechungen mit Grossbritannien
zu führen. Auch ich habe Rippon in dieser Frage angesprochen und er
hat mir ebenfalls versichert, dass die Mengen, die Österreich nach GB
liefert, im Verhältnis zu Neuseeland unbedeutend sind und dies deshalb
Möglichkeit geben müsste, eine für Österreich befriedigende Lösung
zu finden.

Leitner hat in seiner Residenz für den Abend von 6–8 Uhr einen Empfang
für sämtliche Delegationen gegeben. Es war ja mit Sicherheit anzunehmen,
dass kaum die Minister kamen, ausser Mansholt, der mit Kreisky ein
Gespräch führen wollte und deshalb schon eine halbe Stunde früher kam,
waren auch tatsächlich nur die Kommissionsmitglieder Deniau, weil er
unterschrieb und Gen.Direktor Wellenstein von der Kommission anwesend.
Von den anderen Delegationsführern ist nur Brugger mit seiner Frau zum
Empfang gekommen. Trotzdem war die Gefahr und es hat sich dann auch
bewahrheitet, dass mindestens 2–300 Leute, eben Journalisten und
Beamte und sonstige Delegationsmitglieder kommen würden und damit
in der Residenz gar kein Platz wäre, wenn nicht gleichzeitig der
Garten zum Herumstehen benützt werden kann. Leitner hatte dann das
grosse Glück, dass es um 5 Uhr zu regnen aufhörte. Ansonsten wäre das
ein ausgesprochenes Chaos geworden. Leitner selbst aber dirigierte
zu meiner grössten Verwunderung das Fernsehen sehr autoritär und
hat doch erreicht, dass Klaus Emmerich seinen Wünschen entsprechend


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filmen müsste. Am Abend konnte ich dann im Fernsehen dann tat-
sächlich feststellen, dass die von ihm gewünschten Ausschnitte
wirklich gesendet wurden.

In der Mission haben sich die Leute in den letzten Wochen sehr geplagt
und ich habe deshalb veranlasst, dass ein Essen gegeben wird und zwar
für alle, d.h. vom Amtsgehilfen, Chauffeur angefangen bis hinauf zu dem
Delegationsleiter. Ich glaube, dass dies einen guten Eindruck bei allen
gemacht hat, ja selbst einige Presseleute mir erklärten, dass dies
auch ein neuer Zug ist. Früher hätte höchstens der Minister mit ein paar
höchsten Beamten und den ausländischen Kollegen zu irgendeinem super-
feinen und damit natürlich wesentlich teureren Dinner eingeladen. Für
die kleineren Beamtinnen und insbesondere natürlich für das sonstige
Missionspersonal war diese Entscheidung von mir sehr überraschend. Ich
glaube auch für Leitner, der sich aber sehr schnell auf die neue Si-
tuation eingestellt hat. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen,
dass er noch immer hofft, auch weiter in den Diensten des Handels-
ministeriums bleiben zu können und damit die Mission zu leiten. Ich
habe ihn zwar bei der Heimfahrt, im Auto hat er mich nachdem wir
allein fuhren, gefragt, wie seine Sache steht, dass ich mit Kirch-
schläger
schon darüber gesprochen habe, und dass wir jetzt für ihn
eine andere Lösung suchen müssen. Er meinte noch, er würde keines-
falls eine Abteilung im Aussenministerium übernehmen und könnte auch
keine schlechte Botschaft akzeptieren. In diesem Fall müsste er früh-
zeitig in Pension gehen. Ich wies darauf hin, dass doch er immer
behauptet, dass Kirchschläger ein guter Freund von ihm ist, was er
auch neuerdings bestätigt und dass er doch sicher Kirchschläger
für ihn eine entsprechende Lösung finden wird. Wir sollten, wie ich
ihm erklärte, über dieses Problem bei seiner Anwesenheit in Wien
bei der Plenumsdiskussion im Nationalrat darüber sprechen.

Sowohl Urlesberger als auch Krywult kamen dann, jeder getrennt, während
der Tage zu mir, um mir zu versichern, dass die gesamte Mission er-
wartet, dass Leitner jetzt endlich abberufen wird. In Brüssel hält
sich das Gerücht, dass Wanke als neuer Missionsleiter kommen soll.
Scheinbar hat sich die Bestrebung Wankes, in den Staatsdienst aufge-
nommen zu werden, in Brüssel so ausgewirkt, dass man angenommen hat,
er wird dann als Vertragsbediensteter, wenn er nicht pragmatisierter
Beamter werden kann, eben halt vielleicht die Mission übernehmen.
Urlesberger hat mir sogar ein Beispiel gesagt, dass dies früher ein-
mal irgendwo der Fall gewesen ist. Reiterer, der sicherlich davon auch


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schon etwas gehört hat, hat mir gegenüber überhaupt keinerlei Erwähnungen
gemacht, ausser dass er erklärte, das Klima in Brüssel sei sehr schlecht
und er würde viel lieber in Genf leben.

Ich habe Urlesberger, aber auch Hausberger ersucht, sie sollen mir
beide eine kurze Mitteilung zukommen lassen, was die einzelnen Kollegin-
nen und Kollegen auf der Mission für den Vertrag geleistet haben. Ich
möchte nämlich ausser diesem Essen noch auf alle Fälle einen Brief
an jede einzelne Kollegin und jeden Kollegen schreiben. Leitner
meinte auch, man könnte sie vielleicht durch Orden entsprechend aus-
zeichnen, da Kreisky ihm ja schon angeblich mitgeteilt hat, er soll
diesbezügliche Vorschläge für die Mission aber auch natürlich für
die Kommission veranlassen.

ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte gleich versorgen, damit dann nicht nur der
Delegationsleiter, Missionschef usw. ausgezeichnet wird, sondern wirk-
lich auch unsere kleineren Beamten.

Was man meiner Meinung nach aber wirklich konkret untersuchen soll
und hier möchte ich gerne dann mich erkenntlich zeigen, dass man
für die Nachtarbeit, welche ganz besonders die Stenotypistinnen und
Sekretärinnen leisten mussten, ihnen eine finanzielle Entschädigung,
d.h. eine geldliche Zubusse gibt. Für die Vertreter der Interessenver-
bände möchte ich, soferne sie für Auszeichnungen nicht in Frage kommen
sollten, dann auf alle Fälle aber einen Dankbrief schreiben.
Leitners grösster Wunsch wäre ja gewesen, wenn er so wie in der
Schweizer Delegation Jolles und in der schwedischen Delegation Åström
auch den Interimsvertrag resp. Marquet das Globalabkommen hätte mit
unterzeichnen können. Kreisky aber hat in Wahrung, wie er sagte, der
politischen Verantwortung und der strengen Trennung zwischen Minister-
verantwortung, der den Vertrag eben zeichnen und verantworten muss,
und der Beamtentätigkeit, der eben vorzubereiten hat, streng unter-
schieden und dies auch sogar Marquet und Leitner draussen ausein-
andergesetzt. Bei aller Wahrung dieser Notwendigkeit wäre es mir ganz
egal gewesen, wenn auch die beiden noch mit unterfertigt hätten.
Leitner versicherte auch in aller Öffentlichkeit, dass er noch niemals
unter so guten Bedingungen Verhandlungen führen konnte, weil ich immer
erklärte, sie würden sicherlich die optimalste Lösung für Österreich
anstreben und ich sie hundertprozentig gedeckt habe und auch decken
werde. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese freizügige Haltung meiner-
seits nicht oft auch vielleicht bei einzelnen Beamten als Schwäche ausge-


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legt wird, die vielleicht viel lieber ganz konkrete Weisungen hat.
Wenn nämlich jetzt in der Parlamentsdiskussion der Vertrag angegriffen
wird, dann wird sich dieser Beamte vielleicht denken, er hätte sich
viel leichter getan, wenn er mehr oder minder, selbst Detail-
beschlüsse nur auf strengste Weisung geführt hätte. Andererseits
wieder musste Leitner zugeben, als gerade bei Kreisky herausstreichen
wollte, dass auch mein Amtsvorgänger hier sehr viel geleistet und auch
mit ihm sehr zufrieden waren, dass gerade Bock z.B. sehr wohl Weisungen
gegeben hatte, die unserer Meinung nach direkt lächerlich sein müssen.
Wenn nämlich irgendwo etwas, z.B. in der EFTA gegen die Integrations-
politik Bocks gesagt wurde oder er selbst nur etwas erwartet hat, dann
war die Weisung, dass die Delegation sofort den Saal zu verlassen hätte.
Ich weiss nicht, ob da die einzelnen Beamten überhaupt noch eine Freude
gehabt haben an Verhandlungen und ich weiss vor allem nicht, ob sie
dann eine solche Weisung wirklich ganz strikt befolgt hätten. Ich nehme
eher an, dass sie ihre Idee dann letzten Endes doch irgendwo durchge-
setzt hätten, indem sie doch durch Formulierungen und durch Verhalten
mehr oder minder den Minister desavouierten, ohne dass er eigentlich
dagegen etwas unternehmen konnte. Die einzige Möglichkeit in so einem
Fall wäre nämlich, bei den Verhandlungen ununterbrochen anwesend zu
sein. Gerade das aber hat Bock und Mitterer ja nie getan, sondern sie
haben maximal durch Interventionen geglaubt die Verhandlungen dann
weitertreiben zu können, das hat sich dann allerdings als falsch er-
wiesen.

Tätigkeit: Schweizer Diplomat


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    Tätigkeit: AK


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      Tätigkeit: Sekr. JS, ab 1973 GF VKI


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        Tätigkeit: Handelsminister, ÖVP, Präs. HK Wien


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          GND ID: 120934426


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            Tätigkeit: ehem. ÖVP-Vizekanzler, Präs. Donaueurop. Institut, AR-Vors. Leykam


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              Tätigkeit: 73


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                Tätigkeit: Außenminister, Bundespräsident
                GND ID: 118723189


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                  Tätigkeit: ORF


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                    Tätigkeit: Gesandter d. österr. Mission bei d. EWG in Brüssel


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                      Tätigkeit: Botschafter, Onkel v. Louis Marquet; evtl. Falschidentifikation


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                        Tätigkeit: SChef HM
                        GND ID: 12195126X


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                          Tätigkeit: brit. Politiker [1971 brit. Delegationsleiter bei EFTA-Treffen in Reykjavik; zugl. Verhandler des brit. EWG-Beitritts - ein anderer Rippon kann wohl kaum gemeint sein?]


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                            Tätigkeit: GD auswärt. Beziehungen EWG-Kommission


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                              Tätigkeit: 1970-1973 Büro Staribacher, SPÖ-NR-Abg., stv. Vors. SPÖ-Landstraße
                              GND ID: 102318379X


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                                Tätigkeit: schwed. Diplomat


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                                  Tätigkeit: Sektionschef HM, Diplomat, Verteter bei der EG


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                                    Tätigkeit: Schweizer BR f. Wirtsch.


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                                      Tätigkeit: AK Sbg.


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                                          Tätigkeit: Bundeskanzler
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                                            Tätigkeit: öst. Botschafter EWG


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                                              Tätigkeit: EG-Kommissar bis 1977


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