Montag, 11. September 1972
Bei den Parteiengesprächen über die EG-Maßnahmen mit der ÖVP
versuchte diese jetzt immer zu den 8 Punkten noch zusätzliche
Forderungen zu präsentieren. U.A. will sie Kapitalbeteiligungs-
gesetz. Mussil meinte, auf privatwirtschaftlicher Basis ohne Ge-
setz sollen die Geldinstitute veranlaßt werden, deine neue Ge-
sellschaft zu gründen. Der Finanzminister sollte die Konzession
diesen Instituten geben. Androsch erwidert, daß sich die Banken
vorstellen, daß das Risiko inkl. einer Ertragshaftung, wenn die
Rentabilität einer Firma keinen positiven Abschluß erwarten läßt,
vom Bund getragen werden soll. Deshalb hat er diesen Vorschlag den
Banken bis jetzt immer abgelehnt. Er selbst wird aber im Oktober
im Nationalrat ein Gesetz über die Kapitalbeteiligung einbringen.
Die Haftungslücke zwischen den EuE-Fonds 2,5 Mio. und den Landes-
Kreditgarantiegemeinschaften die außer Wien und Vorarlberg nur bis
1 Mio. garantieren, sollten auch ÖVP-Vorschlag durch Herabsetzung der
2,5 Mio. EuE-Fonds auf 1 Mio. geschlossen werden. Die ÖVP wäre auch
einverstanden, wenn ein Teil der Differenz durch Senkung der 2,5 Mio.
z.B. auf 1,5 Mio. und die Länder aufgefordert werden, auf 1 Mio. auf
1,5 Mio. zu gehen. Androsch wird einen Brief an die Länder richten
um ihnen vorzuschlagen, sie sollten ihre Ideen jetzt präzisieren
und bei der nächsten Finanzländerreferentenbesprechung zu einem
positiven Abschluß zu kommen.
An den ERP-Fonds an die EuE-Fonds an die Gewerbestrukturverbesserungs-
fonds usw. sollen Richtlinien gegeben werden, wo an die Priorität
ihrer Kredite für die Betriebe die durch die EG-Verträge besonders
betroffen werden, festgehalten wird.
Die Teilzeitbeschäftigung, ein besonderes Anliegen von Mock, wird
Häuser im nächsten Jahr mit den Interessensvertretungen verhandeln.
Hier stellt Häuser aber auch ich als Handelsminister und Gewerkschafts-
obmann fest, daß die Industrie hier sehr vorsichtig vorgehen möchte,
denn es kann dann dazu kommen, daß derzeitige Frauen, die ganztägig
beschäftigt sind, auf Halbtagsarbeit umsteigen und dann die Industrie
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nicht zusätzliche Arbeitskräfte, sondern die jetzigen Arbeitskräfte
zum Teil verliert.
Ausbildungsbeihilfen des Arbeitsmarktförderungsgesetzes, die derzeit
Grenzwert von S 500,–– resp.steritore Leerstelen von 1.000,–– hat,
in Wirklichkeit de facto aber nur mit 306 bis max. 307,–– S ausge-
nützt ist, will Mock, daß erhöht wird. Häuser erklärt, daß solange
die Grenzwerte nicht erreicht wird und er vom Beirat keine anderen
Vorschläge bekommt, er nicht daran denkt und keinen Grund sieht
jetzt bereits entsprechende Korrekturen vorzunehmen.
Punkt 8 des ÖVP-Programmes, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen
für die Arbeitsmarktförderung wird defacto erfüllt, als schon be-
reits vorgesehen war, die 400 Mio 72 auf 500 Mio 73 bei einem Ar-
beitslosenreservefondsstand von 595 Mio. S aufzustocken.
Punkt 7, Qualitätskontrolle für Pfirsiche, Trauben, Zitrusfrüchte
Salat, Gurken, Tomaten, Paprika, werden unverzüglich von Weihs in
die Begutachtung gegeben. Die Überwachung wird, wie Androsch darlegt,
allerdings in dem Dienstposten zusätzlich gebraucht werden, gewähr-
leistet sein.
Punkt 6) Sicherung Milchabsatz durch Verlust des engl. Marktes, soll
dadurch verhindert werden, daß Kreisky nach London fliegen wird, um
mit Premierminister Heath zu sprechen. Schleinzer will noch die § 9-
Einnahmen des Marktordnungsgesetzes ungeschmälert für absatzsichernde
Maßnahmen reserviert haben. Weihs wird diesbezügliche Besprechungen
mit ihm führen.
Punkt 5) mehrjährige Verlängerung der Wirtschaftsgesetze wird mit
2 Jahren beschlossen. Gleichzeitig sollen im Frühjahr nächsten Jahres
die Verhandlungen über eine Novelle beginnen. Hier sieht Schleinzer
keine Schwierigkeiten, sich auf diesen Zeitraum zu akkordieren.
Punkt 4) Ausgleichsabgabe wird beschlossen. Die Erstattungsregelung
unter allen Umständen abgelehnt. Ich muß mit ihnen dann noch Spezial-
verhandlungen führen, da Weihs und Androsch keine Zeit haben. Bei
diesen Verhandlungen, wo die ÖVP durch Minkowitsch, Mussil, Mock
und durch die Experten Dr. Smolka vom FV der Nahrungsmittelindustrie
und Dr. Korbl von der Landwirtschaftskammer vertreten ist, erkläre
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ich sofort, daß ich nicht bereit bin, über die Erstattungsregelung
zu sprechen. Ich sehe derzeit keine Möglichkeit sie durchzusetzen
und lehne daher auch jedwede theoretische Besprechungen ab. Mussil
glaubt noch immer, daß ich ausschließlich der Hauptgegner gegen eine
Erstattungsregelung bin und bezeichnet mich deshalb als den Luzifer
inkognito. Er meint, daß Kreisky mir einen solchen Auftrag, die
Erstattungsregelungslösung zu finden, gegeben hat und ist sehr er-
staunt als ich erkläre, daß ich einen solchen Auftrag nicht habe und
auch nicht entgegennehmen könnte. Korbl behauptet, er hätte mit Arbei-
terkammer einen weitestgehenden Akkord in dieser Frage insbesondere die
Erstattungsregelung für Stärke bereits erzielt. Er gibt mir auch ein
Papier welches die AK vor Monaten resp. Wochen ein 2. Papier schon
erhalten hat. Korbl hat angenommen, daß ich diese Unterlagen selbst
verständlich von der AK bekommen habe. Mein Einwand, daß ich ja
dort nicht mehr verankert bin, ich habe ja sogar auf Wunsch der
Handelskammer das Arbeitsverhältnis gelöst, glaubt er nicht. Mussil
meinte es war ein großer Fehler, daß ich ihn nicht vorher konsultiert
habe, bevor ich mein Arbeitsverhältnis gelöst habe. Er hätte mich da-
vor gewarnt. Lieber wäre ihm gewesen wenn ich den Obmann der Lebens-
mittelarbeiter zurückgelegt hätte. Gleichzeitig erklärt er aber, nach-
dem sich diese Diskussion auf einer humorvollen Ebene abgespielt hat,
es wäre nach reiflicher Überlegung aber auch nicht gut diesen Schritt
zu tun, weil ansonsten Koll. Deutsch als Obmann nachrücken würde. Da
ist ihnen viel lieber, daß doch ich Obmann bleibe.
Korbl führte ein Telefongespräch mit Zöllner,
wo erklärt wird, daß die Arbeiterkammer niemals noch eine Erstattungs-
regelung oder den Vorschlägen der Landwirtschaftskammer zugestimmt hat.
Ich erkläre mich bereit mit der AK und dem ÖGB dahingehend zu ver-
handeln, daß 1. die Zuckerindustrie die österr. Verarbeitungsindustrie
mit Weltmarktzucker beliefert kann, ohne daß die Fixkosten auf diesem
Zucker umgelegt werden. Die gesamten Fixkosten würden sowie dies
voriges Jahr schon war, von der Preisbehörde festgelegt werden, auf
dem inländischen Zucker für den Verbraucher überwälzt werden. Die
variablen Kosten können auf den Zuckerpreis angerechnet werden, die
Differenz müßte aber von den Rübenbauern getragen werden. Derzeit
ist die Abschöpfung von S 4,–– auf 1,80 zurückgegangen gegenüber
dem Weltmarktpreiszucker, deshalb müßte ein solcher Akkord jetzt zu
erreichen sein. Die Süßwarenindustrie benötigt für den Export ihrer
Waren ca. 12.000 t, die Zitronensäureproduktion 10.000 und für Peni-
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zillin und Nevolose werden max. 5.000 t benötigt. Es käme deshalb
für dieses Konzept max. 30.000 t Zucker im Jahr in Frage. Bei Mehl
wäre für ca. 800 t, die derzeit im Vormerkverkehr hereinkommen,
eine ähnliche Lösung anzustreben. Die Stärke, wo es derzeit das
Stärkegesetz und die Stärkederivateabgabe mit 2,20 S gibt, ist der
Inlandsmarkt abgesichert. Nur für die derivate Verarbeitung , konvalin
gummierte Papiere, Textilien, Wellpappe und so weiter, müßten nach
Auffassung von Dr. Smolka 30 Mio. S für die Binnenerstattung zur Ver-
fügung stehen. Hier kann es derzeit zu keiner Einigung kommen, weil
eine Erstattung eben auf alle Fälle abgelehnt wird. Ich verpflichte
mich mit der AK und dem ÖGB Lösungen zu versuchen, ohne eine Erstattungs-
regelung in Aussicht zu stellen.
Punkt 3) Begünstigungen der Investitionen im Ausland kommt es zu
einer Einigung, daß es sich dabei nur um Vertriebs- und Service-
investitionen handeln kann. Produktionsbetriebsbeteiligungen werden
von allen, auch der ÖVP, abgelehnt.
Verlängerung des Strukturverbesserungsgesetzes auf 2 Jahre bis 1975
wird vereinbart. Hier handelt es sich um die Befreiung der Unter-
nehmungen bei Verschränkungen der Kapitalgesellschaften durch Nicht-
aufwertung bei der Kapitalverkehrsteuern + Gebühren.
Punkt 1) Ausbau der Wachstumsgesetzes ist zwischen Finanzminister
und der Handelskammer abgeklärt, daß eine kumulative Ausnützung
des Investitionsfreibetrages der Investitionsrücklage und der nicht
entnommenen Gewinne nicht möglich ist. Eine Wahlweise zwischen
Investitionsrücklage und Investitionsfreibetrag sollte es geben, wenn
gleichzeitig vereinbart wird, daß die degressive AfA verschwindet,
wie in der Einkommensteuernovelle des Finanzministeriums vorgesehen
ist. Gegen diese Bestimmunge läuft die Handelskammer Sturm.
Die Verhandlungen werden in sehr sachlichem Tone geführt, die ÖVP
weiß genau, daß sie dem Vertrag zustimmen muß und deshalb irgendwelche
Ergebnisse von ihrem Forderungsprogramm durchsetzen muß. Schon allein
um ihr Gesicht zu wahren. Morgen werden die Verhandlungen fortge-
setzt und wahrscheinlich auch zu einem Abschluß gebracht. Die ÖVP
drängt nämlich darauf, daß vor der Plenarsitzung am Donnerstag, ein
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solcher Abschluß zustande kommt.
Androsch stellt Überlegungen an, wieweit die Regierung ihrerseits
ein Programm dem Parlament am Donnerstag, überraschend vorlegen kann
und wird.
Reiterer hat mit der Handelskammer Besprechungen über die Formulierung
des 10-Jahres-Vertrages mit der UdSSR geführt. Da er mit seinen Vor-
schlägen nicht durchkommt ersuchte er mich jetzt ihm Weisung zu geben,
daß er entgegen dem Vorschlag der Handelskammer unsere Verhandlungs-
mission in Moskau anweisen darf, nach seinen Vorschlägen vorzugehen.
Es handelt sich darum, daß die UdSSR das Wort "erleichtern" wünscht,
während wir "verbessern" sagen. Verbessern sagt aber die UdSSR, daß
es bis jetzt schlecht war und das will sie nicht akzeptieren. Bei
erleichtern dagegen befürchtet Gleissner, daß es sich darum handelt,
dann Zollermäßigung durchzusetzen. Ich weigere mich Reiterer eine
solche Ermächtigung zu geben, weil ich letzten Endes auf dem Stand-
punkt stehe, er höhte sich vorher mit mir ins Einvernehmen setzten
sollten , bevor er mit der Handelskammer zu Besprechungen gekommen
ist. Ich vereinbare mit Gleissner und Mussil, daß eine gemeinsame
Formulierung gefunden werden muß und soll. Reiterer wird sich abge-
wöhnen zuerst der Feschak zu sein, wenn er nicht weiterkommt, dann
von mir Weisungen zu erbitten, um die politische Verantwortung aus-
schließlich auf mich zu überwälzen.
Die Firma Solo wünscht ein weltweites Antimarktstörungsverfahren
gegen den schwedischen Konzern und gegen die russische Konkurrenz.
In beiden Fällen aber konnten wir nicht annähernd nachweisen, daß
tatsächlich dein Dumping gegen uns betrieben wird. Hillebrandt und
Pschorn erklären deshalb, daß solche Verfahren nicht möglich sind
und Gleissner schließt sich dieser Meinung an. Ich selbst habe von
allem Anfang an eine solche Vorgangsweise ganz entschieden abgelehnt,
da Bock bereits 1967 ein solches Verfahren gestartet hat und nach 4
Wochen bereits wieder zurücknehmen mußte. Die Frage Gen.Dir. Siegmanns,
ob er mit keiner Unterstützung rechnen könnte, obwohl er ganz große
Investitionen auf dem Zündholzsektor jetzt wieder vornehmen würde,
erkläre ich, daß ich das 1. Mal jetzt einer Firma brate, solche
Investitionen zu tun. Auf diesem Sektor erkläre ich, kann er nie
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den gewünschten Schutz bekommen, den er sich vorstellt.
In der Ministerratsvorbesprechung wird über die Dienstposten
lang und breit diskutiert. Für 1973 würden um 5000 Posten mehr
sein. Im Handelsministerium werden dann letzten Endes zu den drei
Leuten vom Patentamt noch 10 für die Abteilung 25a genehmigt. Die
weiteren angeforderten 10 können im Laufe des nächsten Jahres durch
Beschluß zusätzlich beschaffen werden, wenn entsprechende Personen
zur Verfügung stehen. Kreisky der die Dienstposten letzten Endes
genehmigen muß, möchte von den Ministern, die insbesondere mehr
verlangt haben, entsprechend angeschossen werden und in der Öffent-
lichkeit damit zeigen, daß die Bundesregierung und er selbst sich
gegen die erhöhten Anforderungen gewehrt hat. Das Unterrichtsmini-
sterium bräuchte 2.882 zusätzliche Bundeslehrerposten und wird nur
2.000 bekommen. Das Wissenschaftsministerium 1.171 Assistenten, Biblio-
thekare usw. und wird nur 500 bekommen. Die Post und die Bahn wird
2049 benötigen und wird nur 749 erhalten.
Kirchschläger und in weiterer Folge auch Kreisky bespreche ich das
Problem der Überstellung von Reiterer nach Brüssel. Kirchschläger
erklärte er habe große Schwierigkeiten für Leitner, irgendeine Be-
schäftigung die dieser akzeptieren würde, zu finden. Ich selbst
setze Kreisky auseinander, wie dringend notwendig es ist diesen
Schritt zu tun, um Meisl die Leitung der Sektion übertragen zu
können. Kirchschläger erklärte er würde, wenn die Brüsseler Mission
dann in seine Kompetenz auf Grund des großen Kompetenzgesetzes fällt,
Reiterer wieder an mein Ministerium wieder zurückstellen. Er gedenkt
nicht Reiterer in den höheren diplomatischen Dienst zu übernehmen.
Wir nehmen in Aussicht, daß mit Jahresende Leitner endgültig von
Brüssel abgezogen werden soll. Kreisky selbst behält sich die Zu-
stimmung dazu noch vor, da er zu erst sich noch überlegt was man
doch vielleicht mit Leitner anfangen könnte. Kirchschläger wird auch
noch versuchen irgendeine Lösung zu finden.
Bei der Besprechung im ÖGB schlägt Waldbrunner vor, es wäre dringend
notwendig, die seinerzeitige Wirtschaftskommission des Wirtschafts-
parteivorstandes neuerdings zu aktivieren. In dieser Wirtschafts-
kommission wafen die Spitzenvertreter der Nationalbank, aber auch der
Genossenschaften des Gewerkschaftsbundes und der Partei und es sollte
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dort versucht werden, eine Koordination aller offenen Probleme.
Kreisky ist Vorsitzender dieser Wirtschaftskommission und er wird
diesen Wunsch nachkommen.
Anmerkung für WANKE
Damit hat sich unser Versuch, eine Koordinierung jetzt herbeizu-
führen, jetzt erübrigt.
Benya berichtet, daß die Lebensmittelarbeiter ihre Lohnverträge
für Bäcker, Müller, Molkerei und Fleischer abschließen werden.
Die diesbezüglichen Preiserhöhungen sollten durchgerechnet werden,
insbesondere was man auch den Bauern auf dem Milchsektor zugestehen
will. Benya erklärt mir, daß 30 Groschen Verbraucherpreiserhöhung
akzeptiert werden könnten. In diesem Falle müßte man jetzt errechnen,
wieviel die Erzeuger dann bekommen könnten. Bei Brotgetreide schlägt
Kreisky vor, sollte man durch die Mißernte bedingt, auf die 5 Groschen
Abzug, die Weihs von der 15 Gr. Erhöhung für den Füllweizen vorge-
sehen hat, verzichten. Durch diese Lösung wird leider wieder die
Differenz zwischen Qualitätsweizen und Füllweizen verkleinert, ob-
wohl sie in Wirklichkeit wesentlich vergrößert werden müßte. Wir
werden in Hinkunft vielmehr Füllweisen abgeliefert bekommen, als wir
tatsächlich braune und dadurch durch Denaturierung und Herabstützung
auf den Futtermittelpreis viel Geld vom Bund zuschießen müssen.
Tagesprogramm, 11.9.1972
Tagesordnung 39. Ministerratssitzung, 11.9.1972