Mittwoch, 1. Mai 1974
Um 8 Uhr früh rief mich Botschafter Reiterer aus Brüssel an,
um wie er mir sagte, wichtige Informationen zu geben, die ich
nicht aus dem Rundfunk erfahren sollte. Er wollte weit ausholend
beginnen, dass die Italiener jetzt Einfuhrbeschränkungen festlegen
wollen und war sehr erstaunt als ich ihm sagte, dass ich dies
bereits gestern abends bei meiner Fahrt in NÖ im Detail ge-
hört. Er setzte zu einem zweiten wichtigen Informationsansatz
an und meinte, er höre aber, dass auch angeblich Depotgebühren
festgelegt werden, doch habe er keine Möglichkeit , diese Mel-
dung zu prüfen. Meine Antwort hat dann glaube ich ein Reich
bei ihm zusammenstürzen lassen, indem ich auch sagte, dies sei
auch bereits bekannt und absolut nichts Neues. Jetzt stammelte
er, er hätte bereits gestern abends versucht, Weihs und mich zu
erreichen. doch wäre dies nicht möglich gewesen, er hätte aber
über die Informationen, die ihm strengst vertraulich
um 7 Uhr zugegangen sind, Marquet verständigt. Ich sagte, das
genügt, Marquet wird alles veranlassen und meinte dann noch,
wie sehen uns ja sowieso bei der EFTA-Tagung. Ich bin überzeugt,
dass vielleicht andere Botschafter ein bisschen mehr wissen,
dass aber im Grund genommen, die heutige Kommunikation mit
dem Fernsehen und Radios und dem Reportern, die überall herum-
schnüffeln wesentlich besser ist als der diplomatische Dienst.
Schon allein aus diesem Grund würde ich, wenn ich dafür verant-
wortlich wäre, eine wesentlich Reorganisation vornehmen. Früher
einmal möge er noch einen gewissen Inforamtionswert gehabt haben,
heute schlagen ihn die Massenmedien mit Längen. Zusätzliche
Informationen, die er dann vielleicht strengst vertraulich auf
Cocktail-Partys erfährt und die meistens keinen Wert haben,
kann man sich sicherlich ersparen, da dies aber sicherlich
nicht mein Problem ist, will ich mich damit auch gar nicht be-
lasten. Interessant ist nur, dass Reiterer, der jetzt bereits
ein Jahr in Brüssel ist, überhaupt noch kein Bedürfnis gehabt
hat, mit mir Kontakt aufzunehmen und wirkliche gute Informationen
sogenannte Inside-Information zu liefern. Da ich aber überzeugt
bin, dass er kaum etwas essentielles zu berichten hat, was
nicht schon in Zeitungen steht, und die man irgendwo anders
erfährt, lege ich persönlich überhaupt keinen Wert darauf mit
ihm Kontakt zu bekommen.
Die Mai-Kundgebung am Rathausplatz war sehr gut besucht, dieser
war voll, doch glaube ich wäre es zweckmässiger gewesen, wir
hätten unseren Mai-Aufmarsch durchgeführt. Die Vermutung, dass
damit vielleicht der Wiener Vorstand die Idee hat, nach einer
einmaligen Unterbrechung die Mai-Kundgebung in Hinkunft überhaupt
nur mehr als Versammlungen abzuhalten, wurde durch die Erklärung
Probst' zunichte gemacht, der ankündigte, dass der traditionelle
Mai-Aufmarsch wieder stattfinden wird. Da dort ja die aktiven
Genossinen und Genossen standen, bekam er dafür Beifall. Gratz
hatte eine phantastische Formulierung für den Kampf, den er
jetzt um die WIG führt. Er meinte zu recht, in der Stadt Gärten
und in den Arbeitsbezirken Mistgstätten wird es bei der soz.
Verwaltung nicht geben. Noch besser finde ich aber, dass er
den Wienern die Möglichkeit geben wird, die WIG eine Woche lang jetzt
schon zu besuchen. Wahrscheinlich ohne Eintrittsgebühren, wenn
er diesen Einfall nicht heute nachts gehabt hat, sondern schon
längere Zeit, dann ist es wieder die Detaildurchführung, die
wahrscheinlich bürokratisch lange auf sich warten lässt, dass
er nicht imstande war zu sagen, in der Woche von bis. sondern
ankündigen musste, der Termin wird noch bekanntgegeben. Kreisky
hielt, ich glaube, er hat nicht einmal eine Aufzeichnung gehabt
eine phantastische Mai-Rede, dann wurde Kirchschläger aufgefordert
und er hat auch sich bestens vorbereitet, hat geschrieben Stichworte
gehabt, d.h. nicht improvisiert, aber sehr gut frei gesprochen
eine wirklich beeindruckende Rede gehalten. Er macht dies überhaupt
sehr geschickt. Als ihm jemand eine papierene rote Nelke gab, hat er
diese genommen, sie sehr gut in die zwei Maibüscherln, die er
gehabt hat, hineingesteckt, sodass man sie eigentlich gar nicht
gesehen hat, als wir das Lied der Arbeit gesungen haben, hat er
sichtbar aber nicht zu deutlich mitgesungen, wer genau beobachtet
hat, konnte also seine Mundbewegungen klar und deutlich erkennen,
als dann aus Tradition am 1. Mai am Rathausplatz die International
ertönte, hat er natürlich nicht mitgesungen. Für Kirchschläger ist
es wahrlich nicht leicht, hier auf dem Bankett sich so zu
bewegen, dass unsere Genossen nicht verärgert sind oder gar
vielleicht von ihrer Kampfkraft ihn zu wählen nachlassen, aber
andererseits ihm die ÖVP nicht eines ans Zeug flicken kann,
wie das Schleinzer sicher machen wird und ihn als Sozialisten
auszugeben. Die beste Definition hat er selbst gefunden, er
ist ein sozialer Demokrat.
Um wieviel leichter hatte ich es bei meinen Maifeiern,
sowohl in Grünbach, wo die Fünfhauser eine Sektion als
Ausflugsziel hingeschickt hatten als auch in Seebenstein,
wo die Favoritner mit einer Sektion anwesend waren, jeweils
wurde ein Autobus hingeführt, wollten die Ortsobmänner
und insbesindere die Bürgermeister, dass ich selbstverständ-
lich über die NÖ-Wahlen reden soll und über die Bundesprä-
sidentenwahl und wie sie sagte, geh drah a bissel eine. ?
Dies fiel mir verhältnismässig sehr leicht, da ich natürlich
den Leuten aus dem unmittelbaren Erleben mit Maurer aber
ganz besonders mit Kirchschläger immer wieder Detailinforma-
tionen und Anekdoten sagen kann, die mir meinen alten
Schmähs gepaart immer ganz gut ankommen. In Seebenstein
war mit der Sektion des alten Freiheitskämpfers Blasil
glaube ich heisst er, Chilenen und noch zwei andere auslän-
dische Genossen mitgekommen. Die nö. Organisation hat ihnen
gesagt, sie sollen um 4 Uhr beim Aufmarsch in Seebenstein
anwesend sein, sie hatten deshalb Fahnen mitgenommen und
waren sehr enttäuscht, dass dort überhaupt kein Aufmarsch jemals
stattgefunden hat, nicht nur allein wegen des Schlechtwetters
sondern immer nur im Saal eine Veranstaltung durchgeführt wird.
Noch mehr enttäuscht waren sie, dass sie um 1/2 6 Uhr schon
wegfahren mussten und ich erst um 1/2 6 Uhr das Referat beginnen
sollte. Zum Glück hat man mich auch falsch instruiert und
ich war bereits um 5 Uhr dort und konnte, als ich zufälliger-
weise von diesem Missgeschickt erfuhr, den Bezirksobmann und
Bürgermeister davon überzeugen, dass ich doch jetzt um 5 Uhr
sofort anfangen und eine 1/2 Stunde für die Wiener rede und
dann für die eventuell noch kommenden Seebensteiner von mir aus
auch mit anderen Worten dasselbe über die Bundespräsidenten-
wahl noch einmal sagen werde. Dies war aber gar nicht not-
wendig, denn die meisten waren beretis im überfüllten Saal.
Wenn es nach der Stimmung geht und nach dem Besuch, müsste es
eigentlich Czettel gelingen, gegen Maurer nicht allzu schlecht
abzuschneiden. Versammlungen und 1.Mai-Feiern können da
allerdings täuschen.
Tagesprogramm, 1.5.1974