Montag, 6. Mai 1974
Beim Journalistenfrühstück konnte ich die neue Geschäftsführung
von der ÖFVW Dr. Zolles als Geschäftsführer, der für alles Ver-
antwortlich ist und dann ohne dass es expressis verbis gesagt
wird der erste und Dkfm. Kübler vorstelle. Solange dieses Problem
strittig war, wurde ich in der Pressekonferenz einige Mal ge-
fragt, wer eigentlich wird und wann ich endlich die Bestellung
vornehme usw. Jetzt, wo es entschieden war, interessierte sich
fast niemand mehr dafür. Es war eine flaue Diskussion. Bei einem
so ständigen Kontakt mit den Massenmedien muss man sich auch auf
deren Psychologie einstellen. Sie wollen immer interessante Neuigkei-
ten , Entscheidungen, bevor man wirklich welche endgültig treffen
kann, deshalb z.B. jetzt ihr Interesse, was wir gegen die italie-
nischen Importbeschränkungen machen werden, und wehe, man hat nicht
eine festgefügte Meinung ! Wenn man politisch den Fehler macht,
dann aber seine eigenen Ideen nur zu deponieren ohne Rücksicht da-
rauf, ob man sie einmal durchsetzen kann, passiert es, dass man
nachher kritisiert wird und erklärt, ja warum haben Sie dieses
oder jenes nicht gemacht, was sie doch damals angekündigt haben.
Wie sehr es aber darauf ankommt, der Presse eben eine zwear befrie-
digende aber dennoch ausweichende Antwort zu geben, heisse Eisen
also anzupacken, sich aber dabei die Finder nicht zu verbrennen,
kann ich jetzt immer wieder feststellen. Kreisky ist glaube ich in
dieser Beziehung ein Meister, denn er versteht die Presse immer
wieder, sei es im Pressefoyer nach dem Ministerrat, sei es bei
Pressebesprechungen oder sei es noch viel mehr in Einzelgesprächen
mit Journalisten, zu all den Problemen Stellung zu nehmen, ohne
dass man ihm nachher effektiv einen Strick daraus drehen kann.
Trotzdem fällt niemandem ein zu sagen, dass also seine Auskünfte
unbefriedigend sind oder gar ihm nachzuweisen, dass er in vielen
Fällen eine andere Stellungnahme im Laufe der Zeit eingenommen hat.
Er geht eben mit den Massenmedien und deren Wünschen und Stellungnah-
men weitestgehend mit, beeinflusst sie zum Teil und macht auch deren
Wandlung irgendwie dann mit. Interessant ist, dass man seinerzeit
Pittermann, am Höhepunkt seines Einflusses als Vizekanzler und
Parteiobmann vorgeworfen hat, dass er ideenreich immer wieder
neue Vorschläge gemacht hat und wenn dann seine Mitarbeiter oder
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ganze Gruppen sich schön langsam dieser Idee angeschlossen haben,
dann hat er sie schon wieder verlassen gehabt und eine neue Idee
meistens sogar auf einem ganz anderen Gebiet aber manchmal auch
in Abwandlung seiner ursprünglichen Ideen geboren, zur Diskussion
gestellt hat. Pittermann hat scheinbar es nie so verstanden
wie Kreisky, die Wandlung oder wie man bei uns sagen würde
die Kurven zu nehmen oder es ist ihm zumindestens nicht ge-
glückt, die Massenmedien davon zu überzeugen, dass es eben gar kei-
ne Wandlung gewesen ist, sondern dass dies eben schon immer
seine Absicht war.
ANMERKUNG FÜR KOPPE: Wie erklärt man dieses Phänomen und welche
Konsequenzen ergeben sich eigentlich daraus ?
Beim Mittagessen auf der Botschaft von Uruguay, wo ich mit den
deutschsprechenden in Österreich akkreditierten Botschaftern nach-
her zu einer Diskussion über Wirtschaftsprobleme mich stellte,
hatte ich Gelegenheit, mit dem italienischen Botschafter Cagiati
über die neuen Importbesprechungen zu reden. Der niederländi-
sche und belgische Botschafter, die im Rahmen der EG noch mehr
betroffen sind als wir, teilen die Meinung der Italiener, dass
es sich hier nicht um einen Verstoss gegen irgendwelche Ver-
träge – EG-Vertrag oder GATT-Vertrag – handelt, da es sich um
eine ausserordentliche Massnahme handelt, die formell möglich
ist. Der schwedische und der jugoslawische Botschafter hüllten
sich in Schweigen. Ich selbst habe die Meinung vertreten, dass
es vielleicht formell richtig sei, was ich allerdings
bezweifelte, dass aber Östereich ganz besonders durch die
Vieh- Fleisch- und Käseeporte, ja vielleicht sogar wenn tat-
sächlich Holz auf der Liste sein sollte, auch dort schwer ge-
schädigt wird. Der italienische Botschafter hat mir versprochen,
unverzüglich die Liste zur Verfügung zu stellen, er selbst besitzt
sie auch nicht. Sie soll auf alle Fälle drastisch reduziert wor-
den sein, ursprünglich waren 200 Positionen drauf, jetzt ein Viertel
davon. Interessant für mich war, dass also die EG-Staaten sich
mit der Entscheidung Italiens mehr oder minder abgefunden haben,
dass sie keinesfalls Retorsionsmassnahmen beabsichtigten, dass
es daher lächerlich ist, wenn die Landwirtschaft uns solche
Retorsionsmassnahmen allen Ernstes vielleicht verlangen wird.
Mit Meisl habe ich dieses Problem besprochen und über die Aussprache
sofort berichtet. Meisl meint, es genügt, wenn wir jetzt inter-
ministeriell jetzt die nächsten Schritte festlegen und vor allem
einmal über die Ergebnisse, soweit sie bis jetzt vorliegen, überhaupt
erst diskutieren.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Aus dieser Frage wird die ÖVP ein Politikum machen
bitte deshalb jetzt schon festhalten, wo über-
all das Handelsministerium aktiv wurde.
Die Planungsgeellschaft für das 2. Kernkraftwerk ist in voller Stär-
ke erschienen. Gen.Dir. Reisinger, wie Direktor Klimesch, OKA,
von der Verbund Ehrbacher und Arthold, die Geschäfsführer und sogar
noch Angehörige des Stabes waren in voller Stärke bei mir, Frank und
dem Referenten Bolhar aufgekreuzt. Ihre Sorge ist, dass sie nicht
zeitgerecht die Genehmigung für die Errichtung dieses zweiten Kern-
kraftwerkes bekommen. Das Gesundheitsministerium Sekt.Chef Pindur
und Min.Rat Hawlicek haben sich nicht bereiterklärt, eine Vorgenehmigung
wie es z.B. die Schweiz macht, zu geben. Sie verlangen, dass die
Planungsgesellschaft das endgültige Projekt, wie sie es ausschreiben,
in allen Details vorlegen und dann werden sie erst auf Grund des Strah-
lenschutzgesezes die entsprechenden Genehmigungen erteilen. Sie
wollen vor allem einmal keine Teilgenehmigungen, wie sie immerhin
noch bereit waren, beim 1. Kernkraftwerk zu machen, auch beim 2. Kern-
kraftwerk einschlagen. Frank erklärte rundwegs, dass jeder Beamter
nach dem AVG- vorgehen wird, das war eine ihre Hauptbeschwerden und
er meinte, die einzige Lösung wäre, sie sollten alle davon Betroffenen
einladen, um ein gemeinsames Vorgehen zu erreichen.Ausserdem kritisierte
er wieder, ich höre das jetzt schon einige Male, dass der Planungs-
stab überhaupt nicht ausreicht um eine wirklich zweckmässige Aus-
schreibung zustandezubringen. Da diesmal nicht mehr ein schlüsselfertiges
Projekt ausgeschrieben wird, d.h. ein Generalunternehmer gesucht
wird, der dann allerdings alle Kosten hat dem 1. Kernkraftwerk verrechnet,
sondern eben der nukleare Teil und der konventionelle Teil
getrennt ausgeschrieben werden soll. eine Forderung, die die auslän-
dischen Lieferanten und aber auch ich ganz besonders erhoben habe,
weil es nur so zu einem Konkurrenzkampf wirklich kommen kann, bedeutet
natürlich, dass wesentlich mehr Arbeit in die Ausschreibung aufge-
wendet werden muss. Ich selbst werde mit Leodolter über dieses Prob-
lem Besprechungen aufnehmen.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte einen Termin Leodolter mit Pindur
und Hawlicek, Frank Bolhar und mir verein-
baren.
Die zweiten Verhandlungen über die Novelle des Preisregelungsgesetzes
verliefen erwartungsgemäss. Diesmal erschien für Salzburg Lechner
aber nur Wenzl war noch als LH erschienen, der auch beim ersten Mal
dabei war. Die ÖVP-Landeshauptleute lehnten eine Kompetenzübertragung
an sie entschieden ab. Das drückten sie so aus, sie sollen die volle
Verantwortung übernehmen, was sie selbst gar nicht regeln können.
weder personalpolitisch noch organisatorisch könnten sie einen solchen
Aufwand verkraften. Der Hinweis von Heller , dass doch dann das Handels-
ministerium dies noch viel weniger könne, hat sie nicht besonders
beeindruckt. Schneider von NÖ und der ÖVP-ehemalige Innenminister
Soronics, jetzigen LH-Stellvertreter und Preisverantwortlicher
für Burgenland, die beiden machten mir also ganz besonders den
Vorschlag, man sollte die Idee von Drennig, die jetzt in einer
Pressekonferenz schnell der Öffentlichkeit vorgestellt würde, auf-
greifen. Mein Hinweis, dass doch damit gar nichts gelöst ist , wenn
ich nicht nur vorerst abzuwarten habe, ob die vier Interessens-
vertreungen mir genehmigen, den § 3 a anzuwenden und wenn dies nicht
der Fall ist, ich dann ein weiteres Konzilium bestehend aus den Kartell-
richtern und zwei Experten fragen sollte, ob dort Wettbewerb herrscht
oder nicht, haben sie zwar nicht entkräften können aber darauf hin-
gewiesen, dass es ihnen darauf ankommt, zu meinen Vorschlägen nicht
nur nein zu sagen, sondern auch Gegenvorschläge zu erstatten. Bassetti
ging so weit, dass er erklärte, seiner Meinung nach müsse der Han-
delsminister die Möglichkeit haben, wenn jemand Preise erhöht, ohne
die Paritätische Kommission zu befassen, dagegen einzuschreiten. Als
ich die ÖVP-Landehsauptleute auf diese Aussage festlegen wollte,
hat Lechner sofort dagegen heftigst polemisiert und erklärt, das
sei nicht seine Meinung und auch die anderen ÖVP-ler haben sich dann
natürlich auch angeschlossen. Tirol, seinerzeit schon Wallnöfer und
diesmal Bassetti waren also wesentlich mehr bereit, zumindestens dem
Handelsminister Kompetenzen zu geben als scheinbar andere Landes-
hauptleute der ÖVP. Nach stunden lagen Diskussionen, wo insbesondere
Kery die ÖVP hart attackierte, was Lechner veranlasst zu erklären,
noch niemals ein solcher Ton den Landeshauptleuten gegenüber an-
geschlagen worden, gingen wir mit verschiedener Meinung auseinander.
Da ich ja, so wie immer, im Hinausgehen nicht ein besorgtes Gesicht
machte, meinte die Presse und das Fernsehen, es sie ein voller Erfolg
von mir zu verzeichnen gewesen. Dies stimmt sogar, da es mir ge-
lungen ist, in diesem wichtigen Gremium die ÖVP zu veranlassen meinen
Vorschlägen unter gar keinen Umständen zuzustimmen. Damit ist der
politische Effekt erreicht, dass wir selbst bescheidenste Vor-
schläge nicht durchbringen, weil die Landeshauptleute eben keine
Kompetenz übernehmen wollen. Nach aussenhin aber erklärte ich ,
dass es eben zu keiner Einigung gekommen ist und dass ich nach einer
Aussprache mit den Interesensvertretungen am nächsten Tag dann einen
entsprechenden Gesetzentwurf auf alle Fälle im nächsten Ministerrat
einbringen werde.
In der Ministerratsvorbesprechung bin ich mit zweieinhalb Stunden Ver-
spätung gekommen, hab deshalb die Ausführungen Kreiskys über den Prä-
sidentenwahlkampf und die politische Linie nicht mehr gehört. Wir dis-
kutierten dann nur mehr die Stabilisierungsvorschläge, die Androsch in
einer wirtschaftspolitischen Aussprache präsentieren will. Als Grösstes
und Wichtigstes will er dort die Einkommens- und Lohnsteuersenkung,
die 1,6 Mill. ausmachen soll, als doch immerhin Stabilisierungs-
beiträge den Interessensvertretungen und Ländern verkaufen. 5 Mia sollen
ca. der Budgetausfall für den Bund betragen, 4,5 für die Länder und
1,5 Milliarden für den Wohnbau. Der Eckzinsfuss wird von 3,5 % auf
5 % anzuheben sein. Da bereits jetzt höhere Habenzinsen gezahlt
werden, würde der Sollzinssatz nur 1/2 Prozent steigen. Dann müsste
der Kapitalmarkt von derzeit 7 Effektivverzinsung auf 9,25 erbringt
durch 98 Zuteilung und 102 Erlös nominell von den 7 % auf die 8 bis
8,5 % angehoben werden. Um den Sekundärmarkt nicht weiter verfallen
zu lassen, muss er Bonifikationen geben, und im Bundesbudget würde
das 300 Mill. S im nächsten Jahr kosten. Alle diese Massnahmen sind
in Wirklichkeit nicht stabilitätsfördernd, sondern im Gegenteil.
Trotzdem glaube ich auch, dass es mehr oder minder ein Erfordernis ist,
dem Verlangen des ÖGB in beiden Fällen Rechnung zu tragen und jetzt
muss man dies halt irgendwie stabilitätspolitisch verpacken resp. der
Öffentlichkeit einreden, dass dies ein weiterer Schritt im Rahmen
der Stabilität ist. Androsch möchte das so machen, dass dadurch eine
Zwischenlohnrunde entfallen kann und bei der nächsten Lohn- und Ge-
haltsverhandlungen, die 3 – 6 % reale Einkommenssteigerungen in
den Forderungen der Gewerkschaften berücksichtigt werden.
Da von vornherein nicht feststeht, wie hoch die Gewerkschaften ihre For-
derungen stellen werden, kann man nur sagen, dass sie sehr wohl die
Steuersenkung berücksichtigt haben. Falls es zu einer DM-Aufwertung kommen
wird bis 5 % diesmal in der ganzen Grösse auch Österreich mitmachen.
Die OeNB, die derzeit erklärt, sie müsste 3 Mia S ungefähr jährlichen
Geldzuwachs haben und um das Wirtschaftswachstum damit auch finan-
zieren zu können, sollte jetzt einmal ihre globale Äusserung quanti-
fizieren. Moser hatte gegen die Erhöhung der Sollzinsen ausgelöst
durch die Erhöhung des Eckzinsfusses grösste Bedenken. Durch die
Kreditexpansionsbeschränkung auf 12 % wird der Wohnbau besonders hart
getroffen. Alle Institute, selbst die Sparkassen, haben die Promessen
wesentlich reduziert und welche, die sie bereits ausgegeben haben,
entweder gar nicht eingelöst oder wesentlich zu einem späteren Zeit-
punkt vermindert eingelöst. Mit Beginn des Jahres wurde bereits eine
Zinserhöhung vorgenommen und auf die Mieten überwälzt, obwohl die
Mieter davon noch gar nichts wissen. Jetzt noch einmal eine zweite
betrachtet er für katastrophal. Ausserdem trifft ihn noch der Verlust
der 1,5 Mia Wohnbaumittel, die er sich zusätzlich scheinbar erwartet
hat durch die Einkommens- und Lohnsteuersenkung. BIS jetzt stehen
genug öffentliche Mittel immer bereit, da eben die Kreditrestriktion
wahrscheinlich ähnlich wie bei uns die Bürges eine gewisse Nachfrage-
hemmung ergeben haben. Kreisky wies darauf hin, dass es doch notwen-
dig ist, viel mehr einen Sparprozess auch in der öffentlichen Hand
einzuleiten als dies bis jetzt geschehen ist. Ihm schwebt vor, dass
das Konferenzzentrum in der UNO-City jetzt nicht gebaut wird. Darüber
hinaus müsste beim Strassenbau, der politisch weder in Oberösterreich
noch in Salzburg, obwohl dort ungeheure Aufwendungen für die Strassen
gemacht wurden, einen Niederschlag bei den Wahlen gebracht haben –
das Gegenteil war der Fall – ebenfalls eine gewisse Reduktion erfahren.
Moser wehrte sich ganz besonders dagegen, weil er darauf hinwies,
dass gerade im Strassenbau die Preise um 40 % zurückgeführt wurden,
ebenso beim Brückenbau, teilweise auch im gesamten Tiefbau und er heute
Preis verzeichnet, wie er sie 1972 zum letzten Mal feststellen konnte.
Im Strassenbau seien 30.000 Beschäftigte und darüber hinaus aber die
Unternehmungen mit Maschinen nicht nur bestens ausgerüstet sondern
eben verpflichtet, diese unbedingt einzusetzen. Ich berichtete über
das Ergebnis von der LH-Besprechung, es ergab sich daraus keine
Debatte. Lanc berichtete, dass der Strassengütertarif von den Frächtern
um 19,83 % Herbst des vorigen Jahres eingereicht wurde, für Öltarife
20,8 und bis jetzt die Handelskammer intern diese Tariferhöhungen
auf 12 % für den Strassengütertarif und den Mineralöltarif auf 11%
gesenkt hat.
Er müsse innerhalb von 6 Monaten entscheiden, das wäre am 15. Mai
möchte aber noch die Wirtschaftsdebatte am 21. Mai abwarten. Kreisky
hat mitgeteilt, dass die Freiheitlichen keine Wirtschaftsdebatte im
Nationalrat wollen. Trotzdem glaubt er müssen wir sie abführen, ins-
besondere unter der Parole, Versprochen-Gehalten. Er selbst wird sich
2 – 3 Gebiete nur herausnehmen und Androsch wird dann eben die
Stabilitätspolitik zu erörtern haben. Die Angst der Freiheitlichen,
dass dies auf den Präsidentschaftswahlkampf auch für die Sozialisten
sich negativ auswirken könnte, teilt Kreisky nicht, ganz im Gegenteil,
er meint, dass die Regierung sich eben erklären muss und zwar von der
Regierungsbank herunter, wenn auch die FPÖ dann wieder wegen Waffenun-
gleichheit schreien wird und vielleicht gar erwartet, dass die Regierung
die Angriffe sei es der ÖVP oder FPÖ ohne dass jeder einzelne Minister
und wenn es notwendig ist sich ständig meldend wehrt, zur Kenntnis nimmt.
Die Behauptung vielleicht der Freiheitlichen, die Parole, lieber rot als
schwarz, die sichereinmal die Liberalen ausgezeichnet hat, hat jetzt
immer weniger Zugkraft. In Wirklichkeit liegt der Trend nur mehr zur
Persönlichkeit und es ist fraglich, ob die Freiheitlichen überhaupt
ihre Mitglieder so beeinflussen können, wie es sie gerne dar-
legen möchten. Am meisten aber war Kreisky erschüttert, als Lanc mit-
teilte, dass jetzt ein Warnstreik in Schwechat durchgeführt werden
soll von Seiten der Flughafenbeschäftigten gegen die Pistengegner.
Kreisky glaube ich kritisiert hier mit Recht, dass dies hier doch
ausschliesslich gegen die Regierung gehen wird, die Pistengegner gar
nicht beeinflusst und die öffentliche Meinung nur dahingehend moti-
vieren kann, dass hier die Regierung auch wieder einmal versagt hat.
Die Forumdiskussion im mag. Bezirksamt Landstrasse war auch in der
zweiten Folge eine Pleite. Bereits in der ersten wo Stadtrat Schieder
zur Verfügung stand, waren ca. 60 nur anwesend. Auch diesmal waren es
65 und in Wirklichkeit die Zuhörer lauter Genossen. Die Bezirksrats-
fraktion hatte beschlossen, dass auch ich an dieser Forumdiskussion
teilnehmen sollte und ich stellte mich naütrlich zur Verfügung und
zur Diskussion. Wenn nicht einige Genossen Anfragen über die
Massnahmen gegen Italien, die Landeshauptleutebesprechung aber dann ganz
besonders über die Erhöhung der Geburtenbeihilfe von 4 auf 16.000
zur Diskussion gestellt hätten, wäre ich dort ganz sinnlos gesessen.
Eine harte Auseinandersetzung gab es über die letzte Frage. Selbst
unsere Genossen können nicht begreifen, dass man 16.000 S jetzt
aufwendet und schon gar nicht begreifen, dass auch Ausländer diesen
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Betrag bekommen sollen. Mein Hinweis, dass ja auch im Familienlasten-
ausgleichfonds von ihnen eingezahlt wird, war den meisten überhaupt
nicht bekannt und die Bevölkerung stellt sich scheinbar vor, in Hinkunft
kommen Ausländer eben 6 Monate nach Österreich, kriegen hier ihr Kind
16.000 S und dann fahren sie wieder nach Hause.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Nicht in unserer offiziellen Stellungnahme des
Handelsministeriums aber inoffiziell sollte
man das Gesundheitsministerium auf diese Kritik
hinweisen.
Die so spät angesetzte Diskussion mit den Wissenschaftlern und das Abend-
essen hat sich bis 1/2 1 Uhr nachts hingezogen. Entwaffend war, dass
die Wissenschaftler, ob schwarz oder rot übereinstimmend feststellten,
dass sie ratlos sind. Sie kennen kein Rezept gegen die inflationäre
Entwicklung, wie wir sie jetzt haben, reden sich darauf aus, dass eine
solche Situation noch niemals gegeben hat und jeder hat mehr oder minder
halt in Variationen seine Ideen dargelegt. In einem Punkt sind sich alle
einig, die nächste Aufwertung auf alle Fälle mitmachen muss. Kausel
behauptet sogar, dass es der grösste Fehler der zweiten Republik war,
dass man 1969 die Aufwertung nicht mitgemacht hat. Hart attackiert
wurde die starke Industrieförderung durch vorzeitige AfA, dies nicht
nur von sozialistischen Professoren wie Frisch und Matzner, Rothschild
und Nowotny, sondern auch Kausel, Seidel, Streissler waren der Meinung.
Interessant war, dass Bös, Universität Graz, auf der einen Seite die
Meinung vertrat, man sollte indizieren, d.h. alle Ausgaben so wie in
Brasilien an den Index binden. Gleichzeitig aber meinte, man sollte
in der administrativen Preispolitik mehr dem Wettbewerb zum Durchbruch
verhelfen. Er glaubte darin einen Wandel gefunden zu haben, da Koppe
aus Meinem Büro noch vor einiger Zeit die Wettbewerbspolitik heraus-
strich, weil eben jetzt immer mehr administrative Massnahmen von mir ver-
langt werden. Scheinbar wollte er doch auf den Vorschlag von Drennig hin-
arbeiten und ich habe ihm sofort erklärt, dass wir sehr wohl für den
Wettbewerb sind, wenn es ihn irgendwo gibt, aber es uns gar nicht
hilft, wenn man bei Preisexzessen oder sich Unternehmer nicht an die Pari-
tätische Kommission wenden, dann feststellen, dass dort ein Wettbewerb ist
oder nicht. Monopole im Sinne des Drennig-Vorschlages, wo ich eingreifen
könnte, gibt es in Österreich sehr sehr wenige. Knapp wieder wollte
von mir, dass ich die Importpreisverordnung in Kraft setzen sollte und
diese Ermächtigung mir im Gesetz gegeben werden müsste. Nussbaumer wieder
meinte, man sollte aufwerten, die Tarife nur nach den Indexstreigerungen
der letzten Jahre erhöhen und keinesfalls die Nachziehung der Tarife vor-
nehmen.
Bezüglich der Handelsspannen empfiehlt er ein belgisches Beispiel,
wo Preiserhöhungen drei Wochen vorher publiziert werden müssen.
Da dann die Konsumenten schnell noch zum alten Preis kaufen, werden
die Lager leer und deshalb sie der Handel mit Preiserhöhungen sehr zurück-
haltend.
ANMERKUNG FÜR GEHART: Da Du anwesend warst versuche zu klären, ob in
Belgien wirklich ein solches System existiert
und wie es spielt.
Prof. Frisch hat seine Idee, die er ja sogar mit unserer Unterstützung
in seinem Institut ausgearbeitet hat, expliziert. Er meint, dass die
Kreditexpansion im vergangenen Jahr, wenn man die 27 Mia als Grundlage
nimmt, falsch ist. Man muss die 27 Mia Vorratsentlastung abziehen und
kommt bei dem Rest dann auf ca. eine 14 %-ige Kreditexpansion, die in
jeder Konjunktur bis jetzt festgestellt werden konnte. Seiner Meinung
nach sollte man die Soll-Zinsen wesentlich erhöhen, da derzeit der
Unternehmer wenn er 10 % Zinsen bezahlt und die Inflationsrate abzieht,
in Wirklichkeit nur mehr 2 % real für die Zinsen effektiv bezahlen muss,
wie er sich ausdrückt ein zu niederer Zinssatz. Andre selbst meint wieder,
die Steuersenkung sei gut, aber die Habenzinsen müssten wesentlich er-
höht werden, ohne sich allerdings über die Sollzinsen wesentlich aus-
zulassen. Das Ganze sei ein Verteilerkampf aber nicht nur zwischen dem
Unternehmer und Arbeiter sondern auch die Hausfrau mit dem Greissler
ja sogar innerehelich, wenn sie höheres Wirtschaftsgeld verlangt. Seidel
wieder meinte, dass man bei den Preisen nicht nur wie Kreisky immer
sage, die Handelsspannen in Angriff nehmen muss, Kreisky ist davon überzeugt,
seitdem er in der paritätischen Kommission sitzt und dort immer wieder
sieht, wie die Industrieanträge reduziert werden, dass auf diesem Sektor
alles in Ordnung ist, es müsste auch versucht werden, die Preise der
Industrie zu senken. Ausgehend von der derzeitigen Heizöl-schwer-Preis-
verbilligung müsste hier auch Rückwirkungen bei Preisen der Industrie
möglich sein. Die Diskussion ergab eine ganze Anzahl von interessanten
Details, aber zum Schluss in der Zusammenfassung hat Kreisky noch einmal
herausgestrichen, dass die Wissenschaft ratlos ist, dass er die sehr
konkreten Fragen und was würden sie meine Herren tun, die differenzierte-
sten Auffassungen zutagegebracht hat, aber auch wirklich kein durchschla-
gendes Rezept, nicht einmal von einem Wissenschaftler geschweige denn
von allen übereinstimmend vorgetragen werden konnte. Kreisky hat in diesen
Fragen dieselbe Taktik wie auch ich. Mir kommt es gar nicht sosehr
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darauf an, wenn ich zu einer Verhandlung gehe, dort unbedingt Über-
einstimmung zu erzielen oder gar die Patentlösung zu finden, meistens
gibt es eine solche ja sowieso nicht, sondern viel mehr in einer
politischen Diskussion dann sagen zu können, jetzt haben wir mit den
besten Köpfen der Wissenschaft nächtelang diskutiert, sie konnten uns
auch kein Rezept sagen, gegen unseren Vorschlag, den ich eben zu ver-
treten habe, haben sie keinen Einwand gehabt, manche dieser Vorschläge
sogar begrüsst, sodass eigentlich auch wissenschaftlich es endgültig
erwiesen ist, dass wir das Richtige tun. Darüber hinaus haben solche
Aussprachen noch den Vorteil, dass sich Kreisky mit Recht dann drauf
berufen kann, dass noch keine Regierung auf so breiter Basis über
die wichtigsten wirtschaftspolitischen Probleme Kontakt zu den Wissen-
schaftern gesucht hat und sich in freimütiger Diskussion mit ihnen über
ihre Politik auseinandergesetzt hat. Da Kreisky dies ja doch immer wieder
in Abständen macht, wo man mit Recht sagen kann, das macht er nicht nur
vor Wahlen, kann ihn die ÖVP umso weniger angreifen als Kreisky nicht
die Möglichkeit gehabt hat, die Wissenschaftler so stark heranzuziehen,
hat er sich seine 1500 Experten geschaffen. Auch diese dienten ihm ja
mehr oder minder dazu, um die öffentliche Meinung für die soz. Partei
zu mobilisieren, auch dann, wenn die Ergebnisse damals genauso wenig
konkrete Rezepte ergaben als die Aussprache jetzt mit den Wissenschaftlern.
Tagesprogramm, 6.5.1974
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)