Sonntag, 23. Juni 1974
Noch nie war ich so pessimistisch bei einer Wahl wie diesmal.
Obwohl ich normalerweise nur Wetten abschliesse, über Probleme
die ich beeinflussen kann, d.h. wo ich eigentlich von vornherein
schon weiss, dass ich sicher gewinne, habe ich mich diesmal auch
auf eine Wettprognose über den Ausgang der Bundespräsidentenwahl
eingelassen. Kienzl – um eine Flasche Milch, dass wir nicht
die 52 % erreichen, in einer Sektion, dass wir knapp über 50 %
kommen. Leider jene verloren, aber diese gewonnen. 51,3, ein
phantastischer Erfolg! Im ORF-Rechenzentrum hatte Bruckmann
als die Vorarlberger Ergebnisse, die immer als erste vorliegen,
in die 6 Methoden eingespeichert hatte und mit ganz wenigen
anderen Gemeinderesultaten die erste Hochrechnung durchführte,
einen Lugger-Vorsprung von 51,5 erbracht. Bruckmann war aller-
dings sofort der Meinung, das könnten wir vergessen, die Streu-
ung ist zu untypisch. Im Innenministerium, wo man eine Hoch-
rechnung nicht vornahm sondern eigentlich nur aufaddierte und
konnte man auch kein genaues Bild am Anfang ausser einem leich-
ten Trend zu Kirchschläger erkennen. Rösch hat eine sehr pri-
mitive Beruhigungsmethode entwickelt. Er nahm von der Jonas I-
Wahl die 63.000 Stimmen Überschuss, die wir damals gehabt haben
und addierte von allen Meldungen, die Plus oder Minus dazu.
Solange ich dies verfolgte war stets eine steigenden Tendenz
und bevor Wien erste Sprengelergebnisse lieferte, war der Vor-
sprung bereits auf 78.000 angewachsen. Wien hätte von dem dama-
ligen Vorsprung 200.000 gegebenenfalls 50.000 verlieren können
wäre Kirchschläger noch immer gewählt gewesen. Die ersten Er-
gebnisse aber bei uns im Bezirk zeigten schon, dass auch hier vor
keinem Verlust sondern ganz im Gegenteil von einer weiteren
Zuwachsrate gerechnet werden konnte. Insbesondere in den bür-
gerlichen Bezirken und die Landstrasse zählt dazu, war durch-
schnittlich ein Zuwachs zu erwarten und selbst in Favoriten
wurden die Traumgrenze 75 % für den soz. Kandidaten überschritten
Noch niemals war ein solches Ergebnis jemals in der zweiten Re-
publik zu verzeichnen. Damit war nicht nur die Wahl geschlagen
sondern wirklich ein grosser Sieg erzielt. Die Befürchtung von
Gratz, der meinte, die Hauptschwierigkeit für Wien wird darin
liegen, dass man uns nicht mit Jonas I sondern Jonas II Wahlen
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vergleichen wird und dann natürlich mit einem perzentuell
schlechteren Ergebnis gerechnet werden muss, ist nicht eingetrof-
fen. Die wichtigste Erkenntnis aber, die aus diesen Wahlen für
Blecha aber auch für mich frappierend war, dass die letzten Wahl-
ergebnisse in Meinungsumfrage und Resultat folgendes zeitigt:
Meinungsumfragen, die natürlich niemals knapp vor dem Wahltag
bestellt werden, weil sie ja die Ergebnisse nach der Wahl
bringen könnten, werden und wurden ja nie durchgeführt. Die des-
halb länger zurückliegenden Ergebnisse, die meistens 3 Wochen vor
dem Wahltag vorliegen, haben weitestgehend bei Blecha gestimmt.
Dies gilt für gewonnene Wahlen wie in Wien und jetzt Bundes-
präsidentenwahl als auch die Landeswahlen, die wir verloren haben
in Oberösterreich oder Salzburg und NÖ. Aus diesen Erkenntnissen
ist mit grösster Wahscheinlichkeit anzunehmen, dass sich der Wäh-
ler in den letzten Wochen nicht mehr von seiner Wahlentscheidung
die er scheinbar viel früher schon getroffen hat, abbringen lässt.
weder durch einen entsprechend starken Einsatz der Wahlpropaganda
der einzelnen Parteien – Plakate, Verteilungsaktionen am Markt bei
Bädern usw. - von Wahlgeschenken, noch aus von Fernseh-Diskussionen,
denen man immer ein ganz besonderes Gewicht beilegt. Wenn diese
Theorie stimmt, dann könnte man sich viel Aufwand in den letzten
Wochen ersparen. Wahrscheinlich aber wird man dies auch in Hinkunft
nicht unterlassen, um die eigenen Funktionäre zu beruhigen, weil
niemand verstehen würde, dass jetzt knapp vor der Wahl womöglich
auf Grund eines guten Meinungsumfrageergebnisses niemand mehr
etwas unternimmt, um wirklich zu gewinnen. Unsere Funktionäre,
ja selbst unsere Wähler würden wahrscheinlich nicht nur nervös
sein, sondern heftigst kritisieren, wenn nicht bis zum Letzten der
ganze Einsatz erfolgt. Ich selbst z.B. selbstverständlich wirklich
obwohl ich sehr pessimistisch prognostiziert hatte und nur an einen
knappen Sieg glaubte, doch fest davon überzeugt, dass sich die
wie mir die JG jetzt sagte 2.400 Karten, die ich am Samstag beim
Kiosk der JG beim AEZ signierte, wirklich überzeugt, dass dies
kaum mehr einen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben würde.
Trotzdem hat diese Aktion, die mit vielen jungen Genossen der JG
auch am letzten Samstag noch gestartet wurde, zumindestens bei
unseren Funktionären noch den Eindruck erweckt, alle kämpfen bei
uns bis zum letzten. Der Erfolg gibt den Funktionäre recht und
stärkt sie, das Wichtigste was ich aber neidlos anerkennen muss,
Kreiskys Konzept ist aufgegangen.