Sonntag, 29. September 1974
Der Freie Wirtschaftsverband hat seine Funktionäre nach Wien zu
einer Veranstaltung, Treffpunkt Wien, geladen. Samstag hatten sie eine
Stadtbesichtigung und am Abend eine Veranstaltung im Raimundtheater
und Sonntag die Hofburg, den großen Kongreßsaal gemietet. Zu meiner
größten Verwunderung war dieser Saal wirklich voll, wobei man aller-
dings berücksichtigen muß, daß aber auch aus den Bundesländern viele
Autobusse gekommen sind. Spaßhalber meinten Funktionäre des Freien
Wirtschaftsverbandes, wenn schon die Fraktion Sozialistischer Gewerk-
schafter von Wien den Kongreßsaal anfüllt, dann müßte dies auch dem
Freien Wirtschaftsverband gelingen. Es herrschte eine sehr gute Stimmung,
Verbands-Präsident Mühlbacher hielt als Erstes ein ausgezeichnetes
Referat über die Tätigkeit der Bundesregierung für die Gewerbetreibenden.
Außerdem fasste er nachher die zukünftige Arbeit für die nächste Zeit
zusammen und verwies besonders auf die Handelskammerwahlen im Frühjahr hin.
Die Formulierungen waren sehr überlegt, die Angriffe gegen den Wirtschafts-
bund wirklich feinstes Florett, mit einem Wort, sein bester Vortrag
den ich jemals gehört habe. Kreisky selbst ist durch seine Erkrankung
entschuldigt worden, daß er später kommt und es wurde deshalb auch die
Tagesordnung umgestellt. Zuerst sollte Kreisky als erstes referieren.
Auch von den Gewerbetreibenden jubelnd begrüßt, hielt er ein sehr langes
Referat. Nur einleitend verwies er darauf, nachdem sein Thema über den
Mittelstand zu sprechen lautete, daß die gesamte Wirtschaftslage für den
Mittelstand von größter Bedeutung sei. Dann beschäftigte er sich mit
der allgemeinen Wirtschaftspolitik, sogar im weltweiten Rahmen, um zum
Schluß nur noch darauf hinzuweisen, was auch diese Regierung für den
kleineren Gewerbebetrieb gemacht hat. Hier verwendete er scheinbar
Zahlen vom Handelsministerium, wobei er mit Recht darauf verwies, daß
wahrscheinlich Mühlbacher in seinem Referat dies schon wesentlich
besser erörtert hat. Die Veranstaltung war vielleicht nicht als Wahl-
auftakt für die Handelskammerwahl gedacht, weil diese erst im nächsten
Frühjahr stattfinden wird, war aber immerhin ein wirklich voller Erfolg
auch für die Funktionäre. Einige Teilnehmer sprachen mich an wegen der
Samstagsperre für Kleinhandel. Sie wollen auch, wie sie sich ausdrücken,
eine 5-Tagewoche. Häuser der neben mir saß, meinte, hier treffen sie
sich ausnahmsweise einmal auch mit den Handelsangestellten. Ich selbst
habe ausdrücklich dort auf Fragen erklärt, daß ich mir eine baldige
Lösung dieses überaus schwierigen Problemes nicht vorstellen kann.
Zu Häuser sagte ich, jetzt habe ich dieses Problem erfolgreich 4 Jahre
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geschoben, dies muß mir auch das fünfte Jahr noch gelingen.
Die Beteiligung bei der Arbeiterkammerwahl am Sonntag war wie erwartet.
Ich war glaube ich in unseren Wahlsprengel, wo die Sekretärinnen und
Angestellten der Lebensmittelarbeiter Beisitzer resp. Wahlleiter sind,
der Zwanzigste. Obwohl ich erst Mittags und gar nicht schon in der Frühe
wählen ging. Ich bin für die Wahl verhältnismäßig sehr skeptisch, weil für
mich als Außenstehenden ein verhältnismäßig flauer Wahlkampf geführt
wurde. Allerdings kann ich nicht beurteilen, ob in den früheren Wahl-
auseinandersetzungen insbesondere so lange ich dafür verantwortlich war,
tatsächlich mehr geschehen ist. 69 hatten wir ja eine einmalig gute
Situation, weil sich eben die Sozialistische Partei in Opposition befand
und daher auch dieser Wahlkampf damals von einer guten Basis aus geführt
werden konnte. Heuer ist es leider so, daß die Arbeiterkammerwahlen im
Zeichen einer zwar vielleicht erfolgreichen sozialistischen Regierung,
aber immerhin nach ganz anderen Gesichtspunkten hätten geführt werden
müssen als 69. Ob dies geglückt ist, ob tatsächlich die Arbeiter dies
anerkennen, weiß ich noch nicht. Montag abends werden wir es wissen.
Tagesprogramm, 29.9.1974