Donnerstag, 11. Dezember 1975
Das Budgetkapital Handel wurde von Generalsekretär Mussil
als Hauptsprecher der ÖVP eingeleitet. Mussil hatte vorher
mir fast gedroht, wenn ich ihm so hart attackiere, wie ich dies
bei der Beantwortung in der Regierungserklärung auf die Kritik
von Lanner machte, dann schlägt er im Haus einen Wirbel, wie ich
ihn noch nie erlebt habe. Ich war deshalb sehr gespannt, wie er
mich attackieren wird. Sehr geschickt setzte er sich anfangs aus-
schliesslich mit Kreisky auseinander. Er nützte die Buchausgabe
Kreisky's mit Palme und Brandt, um ihn als Planwirtschaftler
zu qualifizieren. Gehart fand dies als ungerecht. Mussil brauchte
aber diese Theorie, um eben besonders dann auf den Kollektivismus
und die kollektivistische Politik zu begründen. Hofstetter meinte
mir gegenüber, Mussil hielt ein grosses ideologisches Referat.
Auch die anderen Redner setzten sich grösstenteils mit dem sogenannte
Feindbild Unternehmer, das die kollektivistische Regierungspartei
prägt, auseinander. Für mich war es klar und deutlich zu erkennen,
dass man gerade in meinem Kapitel die Begründung eines ideologischen
Kampfes begründet sehen will. Die neue Welle der ÖVP. Taus hat ja
überall erklärt, die Ideologie müsse wesentlich stärker wieder in
die Politik eingeführt werden, siehe seine Äusserungen auch beim
CV-Treffen über den politischen Katholizismus. Ob der reine Theore-
tiker Taus dabei so falsch liegt, kann ich jetzt noch nicht be-
urteilen. Sicher ist für mich eines, dass er spürt, dass in der
praktischen Politik sich die ÖVP nicht entsprechend gegenüber
der sozialistischen Partei sich profilieren kann. Deshalb sein
Versuch, die ideologischen Gegensätze herauszuarbeiten. Ich glaube
dass wir auf diese Politik so wenig wie möglich eingehen sollten.
Ich persönlich bin dazu überhaupt nicht bereit, weil ich mich dann
mit einem ganz neuen Rüstzeug ausstatten müsste. Ideologie war
niemals meine Stärke, als Pragmatiker versuchte ich zeitlebens
nicht einen ideologischen Gegensatz bei meinen Verhandlungen he-
rauszustreichen, sondern durch Konsenspolitik Lösungen für Einzel-
probleme zu erzielen. Deshalb hat mich von Mussil der einzige
Vorwurf getroffen, dass ich spalten will, wobei er mir nachher zu
erklären versuchte, dies beziehe sich nur auf die Bestrebung das
einfachgesetzliche Regelung das Wirtschaftspaket aufzuschnüren.
Hier hat er nicht ganz unrecht. Seine Politik ist eben jetzt sogar
die internationale Energieagenturlösung als 2/3-Gesetz zum Wirt-
schaftsgesetz dazuzuschnüren. Mein Bestreben ist es, durch einfach-
28-1462
gesetzliche Regelung des Preisgesetzes und in weiterer Folge
sogar wenn notwendig auch des einfachgesetzlichen Notstands-
regelung der Energieagenturaufträge mich aus dem Paket zu lösen.
Wenn es mir gelingt diesen Ideologiestreit zu vermeiden, im Finanz-
ausschuss habe ich deshalb wie er sich ausdrückt nur unzulänglich
seine Frage – wie halten sie es mit der Marktwirtschaft – beant-
wortet und auch im Haus ging ich darauf nicht ein, wenn es also
gelingt diesen Ideologiestreit auszuweichen, dann konterkariere
ich die neue Linie der ÖVP-Politik auf meine Art und Weise. Wenn
wir nämlich in den Details weiterhin gute Lösungen zustande bringen,
wenn der Wirtschaftsaufschwung wieder einsetzt und über den nächsten
Wahltermin anhält, kann meiner Meinung nach auch die ÖVP mit der
Ideologie-Wahlkampfparole nichts erreichen. Dabei ist für mich
die Frage, ob sie überhaupt einen so langen Zeitraum mit der in
Wirklichkeit theoretischen Auseinandersetzung bestreiten kann.
Gelingt es aber der ÖVP einen grossen Ideologiestreit vom Zaun
zu brechen, kann ohne weiters wieder die "Rote Katze" fröhliche
Urständ feiern. Wir haben anschliessend im Büro über dieses Problem
zwar nicht diskutiert, aber doch sehr interessant mit Tieber und
Gehart wieder einmal die Frage erörtert, was eigentlich meine
Funktion ist, resp. war. Ich vertrat seit eh und je den Standpunkt,
Hauptaufgabe ist es, die Handelskammer so abzuschirmen und soweit
als möglich zu pazifizieren, dass sie nicht der Angriffskeil, die
Ideenzentrale, wenn man will, der grosse Sturmtrupp der ÖVP wird.
Vielleicht war ausser der Drohung Mussil's dann diese Überlegung
mit ein Grund, warum ich eigentlich verhältnismässig sehr zahm
auf die Angriffe bei der Budgetdebatte dann im Schlusswort reagiert
habe. Ich will keinen Streit, oder zumindestens keinen ideologischen
Streit und eine ideologische Auseinandersetzung. Ich bin mir voll-
kommen bewusst, dass dies eine sehr opportunistische Haltung ist.
Da die Diskussion wesentlich länger dauerte, als vorgesehen, man
rechnete ursprünglich maximal bis 3 Uhr, so hielt ich mich auch
als Minister an die sonst nur für die Nicht-Hauptredner vorgesehenen
20 Minuten. Natürlich konnte ich dann nur die wichtigsten und
wahrscheinlich auch zukünftig im nächsten Jahr brennendsten Probleme
herausgreifen: die Nahversorgung, Energiesicherung, einfachgesetz-
liche Preisregelung, Bergbauförderung und Lehrlingsfrage. Mussil
machte den Zwischenruf, dass ich mich gar nicht mit den Debatten-
beitrag meiner Parteifreunde beschäftige. Am liebsten hätte ich
ihm gesagt, mit denen stimme ich überein und wo ich übereinstimme
28-1463
brauche ich keine Bemerkung machen. Dies wäre aber sehr gefähr-
lich gewesen, denn dann hätten auch die Oppositionsdebattenredner
schliessen können, dass in die Punkte wo ich ihnen nicht ent-
gegentrat mit ihnen übereinstimmte. Dies trifft aber keinesfalls
zu, sondern man kann eben nur in so einer kurzen Zeit gewisse
Punkte herausnehmen.
Andere Debattenredner, wie Westreicher, Blenk z.B. wollten, da sie
meine scheinbar meine Politik nicht entsprechend kritisieren
können, ausgehend von den Belastungen, die der Finanzminister,
wie sie sich ausdrücken, auferlegt, meine Funktion als Handelsminister
so sehen, dass ich wie Westreicher sagt, für eine integrierte
Fremdenverkehrspolitik eintrete. Er versteht darunter ich müsste die
Fremdenverkehrswirtschaft vor allen Steuererhöhungen beschützen
und mich für die Forderung auf Steuersenkung beim Finanzminister
einsetzen. Neumann wieder wollte, dass ich eben im Budget schon
für die Bergbauförderung solche Mittel vorsehe, die die Bergbaue
glauben, dass sie dringendst benötigen. Was man also von der ÖVP-
Seite möchte, eine Konfrontation mit dem Finanzminister. Die An-
griffe in der Budgetdebatte richteten sich auch neben Kreisky
primär gegen Androsch. Selbst bei meinem Kapitel. Natürlich liess
ich mich in der Vergangenheit und sicherlich auch nicht in der
Zukunft gegen ein anderes Regierungsmitglied ausspielen.
Wenn ich eine solche Politik mitmachen würde, wäre dies, dass ist
meine innerste Überzeugung seit je das Ende der Erfolgschance
dieser Regierung. Niemals darf es innerhalb der Regierung eine
Situation geben, wie es in der ÖVP gang und gäbe war, wo die
bündischen Interessensgegensätze durch Vetos der einzelnen Minister
in den Ressort der anderen, eine einheitliche zielstrebige Re-
gierungspolitik unmöglich macht. Kreisky – und darin liegt sein
grosser Verdienst – hat bereits 1970 es gar nicht so weit kommen
lassen, dass wenn es wirklich Ansätze von Gegensätzen zwischen
einzelnen Ministern gegeben hat, dann darüber diskutiert wurde,
sondern hat sofort immer erklärt, in der Regierungsvorbesprechung
wir können dies hier nicht lösen. Jedermann war es also klar,
dass er keine Konfrontation wollte. Da ich mit anderen Ministern
eine solche niemals hatte, weiss ich nicht, ob er bei anderen
Ministern, dann im bilateralen Weg versuchte, diesen Gegensatz
aufzuräumen, oder ob sich nicht dann in der Praxis die Lösung so
ergab, dass eben der Einwand des nicht dafür zuständigen Ministers
28-1464
ganz einfach unterging. Durch diese Arbeitsmethode erscheint
die Tätigkeit der Regierung wie aus einem Guss. Mitterer hat
bereits deshalb 1970 bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen,
dass alles Kreisky macht und deshalb kein einziger Minister et-
was zu reden hat. Gerade ihm, der ja ständig mit seiner bündischen
Struktur und bündischen Wünschen an einer erfolgreichen Politik
scheiterte, musste unser System auf der einen Seite traumhaft er-
scheinen, auf der anderen Seite aber von Kreisky konformiert, un-
natürlich erscheinen. Hier hat die ÖVP-Beamtenschaft parteipolitisch
versagt. Hätten nämlich die Ressortvertreter bei jeder Gelegen-
heit den reinen Ressortstandpunkt herausgearbeitet, den Minister
zur Entscheidung vorgelegt, versucht diesen zu verpflichten und
wäre dies systematisch bei allem geschehen, dann wären wir sicher
in grössere Verlegenheit gekommen. So aber stellt sich zumindestens
für mich die Situation dar, wurde, sei es aus Feigheit oder aus
Faulheit, niemals der Minister mit seinen Ressortstandpunkten
hart konfrontiert und konnte deshalb eigentlich unbelastet diese
Konsenspolitik mit seinen Ministerkollegen machen. Der Konsens
besteht eben darin, sich so wenig wie möglich, von meinem Stand-
punkt sogar absolut, sich nicht in die Angelegenheit des anderen
reinmischen . Ob diese Politik aber unter einem anderen Bundes-
kanzler als Kreisky auch möglich ist, traue ich mir heute nicht
zu beantworten.
Da ein Minister als Debattenredner ja nicht auftreten kann und soll,
bleibt ihm eigentlich nur die einzige Möglichkeit bei Gesetzen
die im Haus dann beschlossen werden oder in der Debatte seine
Meinung zu sagen. Ich selbst nütze diesen Weg fast nicht, da
ich auf dem Standpunkt stehe, ich kann mit Hilfe der Presse-
gespräche und sonstiger Öffentlichkeitsarbeit wesentlich mehr er-
reichen. Das Plenum des Nationalrates hat mir diese Politik bis
jetzt auch gar nicht übel genommen. Vielleicht ist es aber zweck-
mässig, wenn ich in Hinkunft gewisse Gesichtspunkte schon bevor
die Debatte beginnt mir überlege und vorher büromässig diskutiere,
die ich dann bei meiner Wortmeldung besonders herausstreichen sollte.
Dadurch würde auch meine Antwort an die einzelnen Abgeordneten
systematischer sein und einen gewissen positiven Effekt erzielen.
ANMERKUNG für ALLE: Bitte überlegt, wie wir diesen Gesichtspunkt
in Hinkunft stärker berücksichtigen können.
Da mich sowohl Lausecker als auch Broda wegen des 9-er Postens
intervenierten, musste ich mich jetzt endgültig absichern, wenn
ich tatsächlich diesen Wunsch Broda's erfülle. Ich habe deshalb
Kreisky informiert, dass ich jetzt die Ausschreibung für die
Sektionsleitung der Industriesektion herausgegeben habe. Meine
Idee ist den mir unbekannten Botschafter Schmidt auch von dieser
Ausschreibung in Kenntnis zu setzen und zu versuchen, ob er sich
um diesen Posten bewirbt. Kreisky meinte, er kenne Schmidt aller-
dings in der letzten Zeit nicht mehr sehr genau, und bezeichnet
ihn als tüchtigen Beamten, der allerdings sehr arrogant sei. Kreisky
hat allerdings, wie ich aus einer Nebenbemerkung entnehme, zuerst
gemeint er käme für die Aussenhandelssektion in Frage. Ob er den
diplomatischen Dienst verlassen würde und ob dies zweckmässig sei,
wollte er scheinbar nicht beantworten.
Kreisky nützte die Gelegenheit, um mich zu fragen, wieso André
Heller von der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung eine
finanzielle Unterstützung für seine Reise bekommen konnte. André
Heller hat schon seit eh und je Österreich und ganz besonders
Wien, immer heruntergemacht. Ich konnte ihm in diesen Punkt wirk-
lich keine befriedigende Antwort geben und habe deshalb nur erklärt.
dass dafür ein Direktorium zuständig sei, um insbesondere von
Zolles, der ja letzten Endes als Geschäftsführer für alles verant-
wortlich ist, abzulenken.
ANMERKUNG für TIEBER: Kläre bitte wirklich, wieso es zu dieser Sub-
vention gekommen ist und wer dies veranlasste.
Der Nachfolger von Reiter im Kabinett von Kreisky ist Reithofer
von der AK. Er erzählte mir dass er von seiner Arbeit in der AK,
ja selbst als Konsulent des Finanzministers, jetzt sehr frustriert
ist. Der Wirtschaftsbeirat, wo er auch gleichzeitig Sekretär ist,
entwickelt derzeit überhaupt keine Aktivitäten. Die AK, wo er das
Finanzreferat führt, kann sich wie er sich ausdrückt, nur mehr
mit technischen Details beschäftigen. Seine Konsulententätigkeit
im Finanzministerium gibt ihm aber genauso wenig, wie
Prof. Matzner, die Möglichkeit mitzuwirken. Er meinte, er hätte
dort hätte er nur Gelegenheit gehabt einige Reden zu schreiben.
Aus der Diskussion entnahm ich, dass Reithofer sogar die Absicht
hat aus der Kammer auszuscheiden, um als pragmatischer Beamter
28-1466
in Hinkunft zu arbeiten. Er ist sich allerdings klar, dass er
innerhalb des Bundeskanzleramtes jetzt nur einige Jahre dazu
als Kabinettschef Gelegenheit haben wird. Ich habe Reithofer sofort
angeboten, dass wenn diese Arbeit dort vorüber ist und ich nehme
an, dass wird maximal 2 Jahre dauern, länger hält man diesen
mörderischen Job bei Kreisky sicherlich nicht durch, dass er sofort
ins Handelsministerium dann als Beamter überwechseln könnte. Ich
sagte ihm ganz offen, hätte ich früher gewusst dass er von der
Arbeiterkammer weggeht resp. weggehen will, dann hätte ich ihm
schon längst ins Handelsministerium genommen.
ANMERKUNG für WANKE: Es zeigt sich dass wir doch zu wenig Kontakt
zu guten Leuten haben.
Beilage TB 11.12.1975