Sonntag, 21. November 1976
In Lindabrunnn, dem Gewerkschaftshaus der Handels- und Trans-
portarbeiter werden jetzt von allen erdenklichen Organisationen
Veranstaltungen gemacht, um das Haus einigermassen zu belegen.
Dies gilt ganz besonders für Samstag/Sonntag. Durch reinen
Zufall habe ich dort einen Frauen-Wochenendkurs aus dem Burgen-
land und Kärnten vorgefunden. Bundesrat Demuth hat mich sofort
eingeladen, dort ein Kurzreferat zu halten. Sie meinte mir
gegenüber, es seien aus Privatangestellte dabei, d.h. Ver-
käuferinnen und diese möchten gerne meine Meinung zum Laden-
schluss hören. Ich habe dort über die Wirtschaftslage, d.h.
über die unangenehme Seite, Preise usw. gesprochen und natür-
lich auch dann über das Ladenschlussproblem. In der Diskussion
kam einhellig, soweit sich Diskussionsrednerinnen meldeten,
zum Ausdruck, dass – wie Demuth auch sagte – kein Beschluss
der soz. Frauen über die Ladenschlussfrage vorliegt. Für
mich war es sicherlich nichts Neues, wohl aber für die Teilnehmer-
innen.
Unsere Bezirkstagung hat sich in den Vortagen primär mit Bezirks-
problemen beschäftigt. Hauptsächlich wurde die zukünftige Tätig-
keit unserer Bezirksräte aber vor allem auch der Gemeinderäte
in unserem Bezirk besprochen.Für die nächsten Wahlen 1978 muss
jetzt bereits ein intensivere Kontaktnahme insbesondere auch
der Gemeinderäte erreicht werden. Am Sonntag diskutierten wir
dann allgemein politische Fragen ganz besonders den Bauring-
Prozess. Welche Verstösse gegen eine klare Linie und saubere
Politik unserer Partei, die die Mitglieder und Funktionäre er-
warten, lösen in unserer Partei immer ungeheure Bewegungen aus.
Auf der einen Seite bin ich sehr froh, dass diese Kritik bei
uns üblich ist. Auf der anderen Seite aber bin ich überzeugt
dass wir uns viele solche Ausrutscher nicht erlauben können.
Einfluss auf unsere Funktionäre durch die Berichterstattung
in verheerend. Natürlich haben alle abgelehnt, dass sie durch
diese Berichterstattung manipuliert sind. In Wirklichkeit
muss ich selbst bekennen, dass ich durch die Art der Information
auch selbst entdecke, dass ich beeinflusst werde. Das positivste
bei diesen stundenlangen Diskussionen, sei es in unseren bezirks-
öffentlichen Sitzungen, sei es bei solchen Tagungen ist aber die
freie Aussprache und die harte Kritik. Alle Teilnehmer sind über-
zeugt, dass dies in unserem Bezirk am häufigsten, am freiesten
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und damit zum Besten aller geschieht. Da dies vor meiner
Zeit – bevor ich Obmann wurde – nur sehr beschränkt der Fall
war, bin ich über die Bestätigung dieser Politik, die ich
seit eh und je vertreten habe, sehr befriedigt. Ich gebe
mich allerdings keiner Illusion hin, dass die jüngeren
Funktionäre, die die andere Zeit nicht gekannt haben, den
jetzigen Zustand als normal und selbstverständlich nehmen
werden. Der Vorteil, diese Reform eingeführt zu haben, wird
daher mit der Zeit vollkommen verlorengehen. Zum Glück
oder besser gesagt leider müsste ich sagen, gibt es in anderen
Bezirken eine solche freie Aussprache angeblich nicht. Dadurch
bleibt die Vergleichsmöglichkeit für unsere Funktionäre
auf alle Fälle gewahrt. Heindl, der den Vorsitz führte, den
er sehr gut macht, hält Gott sei Dank auch an dieser Politik fest.
Der Vorteil ist bei ihm, dass er selbst einmal als kleiner
Funktionär in NÖ die andere Zeit auch erlebt hat. Wer jemals
die freie Aussprache, ich will nicht sagen verboten, doch
grosse Schwierigkeiten damit gehabt hat, der weiss es erst recht
zu schätzen, dass sie jetzt bei uns im Bezirk wirklich in
weitestgehendem Ausmasse gibt. Das wichtigste Ergebnis solcher
Konferenzen ist in meinen Augen die Möglichkeit der freien
Diskussion, der harten Kritik, trotzdem keiner persönlichen Ver-
ärgerung.