Freitag, der 13. Mai 1977

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Freitag, 13. Mai 1977

Der EFTA-Gipfel ist genauso verlaufen, wie ich ihn mir vorge-
stellt habe. Die Beamten hatten sich durch Monaten hindurch bemüht,
eine gemeinsame Empfehlung zu erarbeiten. Dies ist letzten Endes,
obwohl anfangs grosse Schwierigkeiten bestanden, und ganz besonders
die Schweizer bevor sie dem Gipfel zustimmten, grösste Bedenken
hatten, dann doch gelungen. Natürlich geht eine solche Einigung
auf Kosten der Substanz. Je weniger konkrete Fragen angesprochen
werden, je mehr allgemeine Absichtserklärungen diese Deklaration
beinhaltet, um so leichter gelingt es, eine Einigung zu erzielen.
Die Erklärung der einzelnen Ministerpräsidenten war deshalb auch
je nach ihrer Situation und Wunschvorstellungen geprägt. Einen
wirklichen Gegensatz hat es nicht gegeben. Diesmal war für
jede Sprache ein Übersetzer, weshalb sprachliche Schwierigkeiten
keine Rolle spielten. Zumindestens bei den offiziellen Sitzungen.
Beim Kamingespräch war es dann doch schwieriger, weil eben keine
Übersetzer zugelassen wurden sondern Botschafter sich als Über-
setzer für ihre Ministerpräsidenten, Pahr sogar in Französisch
für Soares zur Verfügung stellten. Einleitend hat Kreisky kurz die Ge-
schichte der EFTA umrissen und dann darauf hingewiesen, dass die
Verdichtung der Integration notwendig sei. Fälldin, Schweden, wurde
als erstem das Wort erteilt, der meinte, die Arbeitslosigkeit, die
gleichzeitig eine Inflation auslöst, steht im Widerspruch zur
Lehre. Auch Schweden sei stark verschuldet, die Entwicklungs-
länderpolitik müsse geändert werden, Eingriffe in die Preisbildung
werden von den Entwicklungsländern verlangt und in der Rohstoffpolitik
Exportpläne zu verbessern auf die Knappheit Rücksicht zu nehmen
und wahrscheinlich auch Vorratspolitik betrieben. Schweden ist
immer ein Land gewesen, das mit den anderen nordischen Ländern
für die Entwicklungspolitik viel getan hat und auch heute die
Wünsche dieser Länder stärkstens vertritt, zum Leidwesen von dem
Schweizer Aussenhandelsmann Jolles. In der Kredit-, Steuer-, Regional-
Arbeitsmarktpolitik und insbesondere in der Verteilung müsste mehr Soli-
darität herrschen, ist scheinbar die Meinung aller Nordländer.
Der Schweizer Aussenminister Graber wies darauf hin, dass die
Zusammenarbeit auch in anderen Gremien ausser der EFTA notwendig
sei und verwies auf den Europarat, OECD und KSZE. Dieser Prozess
müsste fortgeführt werden. Brugger als Schweizer Wirtschafts-
minister und eigentlich der für EFTA und alle anderen Wirtschafts-
fragen Zuständige meinte, wenn wir aus der Rezession jetzt heraus-
kommen sollen, dann müssten wir unbedingt den Protektionismus ver-
meiden.



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Die Versorgung müsse sichergestellt werden, es gebe technische
Vereinfachungen wie z.B. Ursprungsregel und vor allem müsste
die Europäische Gemeinschaft und die EFTA in eine westeuropäische
Freihandelszone mit einem entsprechenden Rahmen europäischen Wirt-
schaft die Möglichkeit der engeren Verflechtung geben. Handelshemmnis-
se könnte es durch Rechtsvorschriften vor allem auch administrative
ohne solche geben. Neue Bereiche müssten liberalisiert werden.
Nordli, Ministerpräsident Norwegens kam auf die gemeinsame Über-
einstimmung der Staaten in Oslo, wo allerdings eine sozial-
demokratische Parteiveranstaltung sich mit Wirtschafts-
problem stattfand und auf die Londoner Beschlüsse zu sprechen.
Die Investitionsnotwendigkeit, die aktive Arbeitsmarktpolitik
und das Ziel, die Inflationsrate zu senken, das Zahlungsbilanz-
defizit der Länder gemeinsam versuchen zu senken, mit einem Wort
Solidarität zu üben, um die Wirtschaftslage zu verbessern.
Miettunen, der finnische Ministerpräsident war im Zeitpunkt der
Konferenz nur mehr geschäftsführend, denn der Präs. Kekkonen
hatte schon den Sozialdemokraten mit der Bildung der Regierung
beauftragt. Die Finnen haben in ihrem EG-Arrangement keine
Evolutivklausel, wünschen aber ebenfalls, dass sich die Inte-
gration verdichtet. Selbstverständlich wies er auf die Kontakte
zu diesem Zweck aber auch einschliesslich der COMECON-Staaten
hin. Man müsse die KSZE-Schlussakte nützen, er freue sich über
Beschluss, dass Spanien jetzt durch Verhandlungen in die EFTA
aufgenommen werden soll, und meinte nur, auch Jugoslawien hätte
jetzt ein stärkeres Interesse für die EFTA. Mindestens für
Kontakte. Min.Präsident Soares leitete ein, dass Portugal
ein EFTA-Gründungsmitglied ist, dem Europarat aber erst im
Vorjahr beitreten konnte, bis es eine demokratische Regierung
hatte. Die schwierige Wirtschaftssituation sei darauf zurückzu-
führen, dass 700.000 Portugiesen aus den Kolonien jetzt nach
Portugal zurückgekommen sind. Noch immer gibt es aber in Europa
1 Mill. Portugiesen als Gastarbeiter. Die Politik müsse man so
machen, damit Portugal, Spanien, Griechenland und vielleicht
sogar eventuell sogar Italien nicht in ein andere Bündnissystem
übergeführt werden. Darin sieht er eine grosse Gefahr. Der is-
ländische Ministerpräsident ist nicht gekommen, obwohl sogar beabsich-
tigt war, dass er anschliessend gleich einen Staatsbesuch in Öster-
reich gemacht hätte. Der Aussenminister gab für ihn die Erklärung.
Als letztes bedankte sich dann noch der liechtensteinische Präsident
Dr. Kieber, dass auch der Kleinststaat eingeladen wurde.



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Kreisky hat dann den Vorschlag zur Erholung der Wirtschaft
den der europäische Gewerkschaftsbund durch seinen Repräsentanten
den Obmann des deutschen Gewerkschaftsbundes Vetter allen
Delegationen gegeben. Konkret schlug er dann vor, man möge
Kooperationen verschiedener Länder auch mit den COMECON-Staaten
auf Firmenebene für Drittmarktgeschäfte stärker intensivieren.
Innerhalb der EFTA-Länder soll ein stärkerer Erfahrungsaus-
tausch und vor allem einmal Informationen über Wirtschafts-
massnahmen erfolgen. Die Vertiefung der Integration im Rahmen
der EFTA aber ganz besonders im Rahmen der EG sollte durch
agrarpolitische Massnahmen, durch Wegfall der Beschränkungen
der sensiblen Produkte und vor allem durch die Tatsache, dass
der Transit vom Westen nach dem Osten mehr berücksichtigt
werden muss, verstärkt werden. Die Oststaaten wünschen Zoll-
präferenzen, die ihnen Österreich nicht geben kann, eine
Freihandelszonenlösung kommt für uns nicht in Frage sondern
in diesem Fall müssten sie sich an die EG wenden. Österreich
wird keine Initiative auf diesem Gebiet setzen sondern auf den
Korb II vom Helsinki-Vertrag verweisen. Dringend notwendig wäre
eine europäische Energiepolitik. In der Diskussion am Nachmittag
ergab es einen einzigen Differenzpunkt, das war die Priorität
der Vollbeschäftigung oder Inflationsbekämpfung. Die Schweizer
wurden bei der Pressekonferenz nämlich auf differente Auffassungen
zwischen den nordischen Staaten und der Schweiz diesbezüglich
besonders angesprochen. Nach längerer Debatte stellte sich dann
doch heraus, dass man sich auf die Resolution, die vormittags
beschlossen wurde, einigen und auch zurückziehen konnte, denn
dort wurde ja erklärt, dass sowohl die Vollbeschäftigung als
auch die Inflationsbekämpfung wichtig sei.

Beim Kamingespräch am Abend war für mich überraschend und Brugger
hat mir dann bestätigt, dass zuerst in einer Stunde das Essen
abgewickelt war. Man sieht, es geht, wenn man wirklich wollte
in wesentlich kürzerer Zeit als dies sonst bei Banketts oder
offiziellen Essen der Fall ist. Da über zwei Dutzend Teilnehmer
waren, war es schon schwer, ein wirklich vertrauliches Kaminge-
spräch zusammenzubringen. Kreisky fragte zuerst, wer mehr oder
den Londoner Gipfel wüsste. Keiner meldete sich, weil scheinbar
wirklich keiner etwas wusste und einige meinten, da müsse
doch Kreisky eigentlich der Bestinformierte sein. Um das Gespräch
überhaupt in Gang zu bringen, hat dann Kreisky seine Nahostmission


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geschildert, insbesondere den Wandel in der Palästina-Frage
zwischen den Arabern, wo nur mehr Libyen eine sture-starre Haltung
einnimmt. Er kam dann auch Zypern zu sprechen, wo ebenfalls die
Griechen und die Türken jetzt verhandeln wollen, auf den Nord-Süd-
Dialog, wo die Energie eine grosse Rolle spielt, oder besser
gesagt spielen müsste. Die Absicht der Amerikaner aus der ILO auszutreten
und selbstverständlich dann auf die unmittelbaren Nachbarstaaten
Österreichs, wo Kreisky meinte, nur mehr in der CSSR sei ein
starres System und von dort wünschen die halbdutzend Menschen-
rechtskämpfer zu emigrieren. Brugger meinte dann mir gegenüber,
es sei schade, dass man diese Kamingespräche nicht besser organi-
siert hat, denn dann wäre vielleicht mehr herausgekommen. Seiner
Meinung nach hätte man Probleme an die einzelnen Regierungschefs
verteilen sollen, wer dazu ein kurzes Statement angibt, damit systemati-
schere Gespräche geführt werden können. Brugger meinte andererseits
er hätte sich nicht zu Wort gemeldet, weil er schon schrecklich
müde war. Ich war von dem Kamingespräch nicht enttäuscht, weil
ich mir eigentlich gar nicht viel erwartete. Was kann bei einem
Tour d'Horizon anderes herauskommen. Wenn bei dem Golfstaatenbesuch
Kreisky erfahren hat, dass diese am meisten Iran wegen seiner
Aufrüstung fürchten und dies strengst vertraulich in dieser Runde
mitteilt, ist dies glaube ich auch nicht gerade ein umwerfendes
Erkenntnis. Einen Informationswert kriege eine solche Mitteilung
dann vielleicht, wenn festgestellt wird, wer sie gemacht hat.
Was Kreisky aber verständlicherweise wieder nicht sagte. Meine
Aversion gegen die Aussenpolitik wurde auf alle Fälle durch dieses
Kamingespräch nicht verkleinert. Vielleicht ist dies aber auch darauf
zurückzuführen, dass ich eben sprachliche Schwierigkeiten habe.
Die wirkliche entscheidende Kenntnis insbesondere Detailkenntnisse
mir fehlen und mich aber auch gar nicht interessieren. Kreisky
hatte in dieser Runde den grossen Vorteil, dass er durch die meisten
persönlichen Bekanntschaften mit Staatsmännern insbesondere im
Nahen Osten und durch das häufige Treffen mit diesen sicherlich
der bestinformierte Mann ist. Für mich war natürlich nur die Frage,
wie weit er objektiv berichtete und wie weit er mit seinem Bericht
auch wieder seine Politik machte. Das letztere stand für mich
ganz ausser Zweifel.

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Tagesprogramm, 13.5.1977

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)


Tätigkeit: Schweizer BR f. Wirtsch.


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