Botschafter Haymerle kam, um den Abschiedsbesuch – er wird jetzt
Botschafter in Moskau – abzustatten. Er fragte mich auch, wie er
sich in verschiedenen Integrationsfragen und insbesondere bezüglich
meines Besuches bei Patolitschew verhalten sollte. Ich teilte ihm
sofort mit, dass ich mit Patolitschew übereingekommen bin, dass es
wenn es die parlamentarische Arbeit erlaubt, ich natürlich Russland
einen Besuch abstatten werde. Patolitschew hat das eingesehen und
ich würde deshalb mich ausschliesslich danach richten, ob und wann ich
vom Parlament wegkommen könnte. Betreffend die Integration setzte ich
ihm auseinander, dass wir auf alle Fälle grössten Wert darauf legen,
dass die Sowjetunion aber auch die anderen Oststaaten ziemlich genau
informiert werden durch die Ostpolitik, die ich insbesondere im Han-
delsministerium entriert habe, soll ja dem Osten das Gefühl gegeben
werden, dass wir an einerAusweitung der wirtschaftlichen Beziehungen
grösstes Interesse haben. Aus diesem Grund wollen wir auch weitest-
gehend in dem Punkt der Liberalisierung, Globalkontingent, Kontingent-
erhöhung und anderen entsprechendenVorschlägen ihnen entgegenkommen.
Im Ministerrat teilte Kreisky mit, dass die Wahl für den ORF-Aufsichts-
rat unter den Wissenschaftlern ergeben hatte, dass Dozent Frühwirt,
Vorsitzender des Assistentenverbandes die meistenStimmen erhalten hat.
Insgesamt haben sich fast 50 % der Wissenschaftler an dieser Wahl be-
teiligt. Zum grössten Leidwesen wurde aber nicht Rohracher sondern
Frühwirth gewählt. Ich bin davon überzeugt, dass er als agressiver
ÖVP-ler – Frühwirth ist gleichzeitig Obmann der ÖVP-Landstrasse –
wahrscheinlich entsprechende Politik im Aufsichtsrat machen wird.
Ich bin neugierig, wenn ich ihn das nächste Mal treffe, werde ich
ihn fragen, ob er noch immer auf dem Standpunkt steht, dass Kreisky
diese Wahl nur gemacht hat, um manipulieren zu können. Dies behaup-
tet bekanntlicherweise die ÖVP. Wenn man von den Ergebnissen ausgeht,
so kann man sogar feststellen, dass der einzige Vertreter der SPÖ
der bis jetzt im Aufsichtsrat war, nämlich Dr. Speiser, früher die
Volksbildner, abgewählt wurde. Allerdings ist dafür für den Sport
wieder der Generalsekretär des ASKÖ Spiola gewählt worden. Der Demo-
kratisierungsprozess auf diesem Sektor hat zweifelsohne eine gute
Optik, materiell hat er allerdings nichts gebracht. Die Ministerrats-
sitzung war an und für sich nichts interessant. Nur im Nachtrag hatte
ich eine alte Auszeichnung von spanischen Unternehmer, das bereits
vor drei Jahren eingereicht wurde, zur Endbeschlussfassung vorgelegt.
Ich hatte nicht beachtet, dass in der Zwischenzeit ein Teil diese
Unternehmervertreter Syndikatsvertreter, d.h. Gewerkschaftsvertreter
wurden. Gratz hat sich diesen Nachtrag, der im letzten Moment dem Mini-
sterrat zugeleitet wurde, aber angeschaut und mich auf diese Situation
besonders aufmerksam gemacht. Er ersuchte auch,ob ich eine Möglichkeit
sehe, diesenAntrag zurückzustellen. Ich konnte eben deshalb sehr leicht
entsprechen, da ich erklärte, es seien ja jetzt ein Sozialattachee
und einSyndikatsvertreter auszuzeichnen und ich sei dafür nicht zuständig
und bitte deshalb, die ganze Angelegenheit zurückzustellen.Nach Meinung
von Gratz – und ich teilte sie – sollte nicht gerade ich womöglich
spanische Faschisten, die einmal Unternehmer, dann wieder Arbeitnehmerver-
treter sind, auszeichnen.
Bei der Sektionsleiterbesprechung hat dann Ottahal überhaupt zu erkennen
gegeben, dass man gegebenenfalls auf die ganze Auszeichnung verzichten
könnte, da sie schon so lange zurückliegt.
Firnberg berichtete über die OECD-Prüfung über die Wissenschaftspolitik,
die insbesondere die Hochschulen stark kritisiert, dass sie viele Kosten
verursachen und wenig effizient arbeiten. Veselsky berichtete über die
OECD-Inflationsbekämpfungssitzung in Paris. Häuser über die Haus- und
Wohnungszählung im Jahre 1971. Veselsky kam anschliessend nach der MR-
Sitzung zu mir, meinte der Bericht sei so ungeheuer interessant, den
die OECD jetzt zur Inflationsbekämpfung gemacht hätte, er würde mir diese
BErichte und auch die Industrieberichte zur Verfügung stellen. Ich versuchte
ihm auseinaderzusetzen, dass insbesondere John dafür gewonnen werden müsste,
den Industriebericht nicht nur zu bearbeiten, sondern auch bei der OECD
in Paris zu vertreten. Veselsky wird mit Wanke über dieses Problem noch
einmal sprechen, im Prinzip ist er aber mit dieser Lösung einverstanden,
da ich ja insbesondere darauf hinwies, dass bei diesem Industriebericht die
verstaatlichte Industrie ganz hart angegriffen wurde.
Bei der Sektionsleiterbesprechung referierte Böhm über die Änderungen auf
dem Personalsektor. Er versuchte, die Berufung Jagodas als meine alleinige
Entscheidung darzustellen. Ich erwiderte deshalb sofort, indem ich den
Ablauf sehr detailliert schilderte, dass Schipper, Habel, er und ich bei
einer stundenlangen Besprechung zur Überzeugung gelangt seien,dass Jagoda
der beste Mann für diesen Posten sei, um insbesondere die Ruhe im Hause
aufrechtzuerhalten. Eine Berufung eines Aussenstehenden konnte nach überein-
stimmender Auffassung wesentlich dazu beitragen, um die Rivalität der im
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Haus sich bewerbenden Ministerialräte nicht auf die Spitze zu treiben.
Widerspruch erhob selbstverständlich gegen diesenEntscheid keiner,
weil ich ja auch gleichzeitig die Gelegenheit wahrnahm, um Habel ganz
offiziell zu einem weiteren Verbleib aufzufordern. Habel erwiderte, dass
er nur ein sehr loses Verhältnis mit dem Ministerium wünscht. Böhm ver-
suchte eine womöglich sehr starke Bindung von Habel zugesagt zu bekommen
indem er die Beispiel Kabinos und Augenthaler erwähnte. Habel lehnte aber
sofort ab und sagte, er hätte nur Interesse an einer wirklichen losen
Mitarbeit. Wenn er nicht tatsächlich die Pension geniessen möchte und
sich fest bindet, dann könnte er in der Industrie einen Posten bekommen, der
ihm ein Vielfaches seiner Bezahlung, di-e er im Ministerium eventuell haben
wird, betragen würde. Er hat aber auch dieses Angebot, da er zu sehr ge-
bunden wäre, abgelehnt.
Der Bundeskanzler gab für eine britische Parlamentdelegation ein Mittag-
essen. Dort hat ein walisischer ehemaliger Bergarbeiter, der seit Jahren,
ich glaube sogar seit Jahrzehnten, Abgeordneter der Labourparty ist, eine
Tischrede gehalten. Sie war erstens schrecklich lang und zweitens in der
typischen Manier, die Wodak als ähnlich der von Bevin und anderen Berg-
arbeitern bezeichnete. Theatralisch vorgetragen und im Inhalt eigentlich
nichtssagend. Auch in unserer Internationale – der Internationale der
Lebensmittelarbeiter – gab es und gibt es solche Typen von Gewerkschafts-
vertretern und Arbeitervertretern. Ich glaube nur, dass diese Zeit vorüber
ist und diese Art in der Politik wirklich nicht mehr gefragt ist. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass bei jungen Arbeitern eine solche Art der
Rede überhaupt noch ankommen kann, vielleicht aber täusche ich mich sowohl
im englischen Sprachgebiet aber auch vielleicht sogar in unserem deutschen
und österreichischenSprachgebiet.
Im Hause hatten Wanke, Koppe, Heindl und ich eine längere Diskussion, wie
wir jetzt in Zukunft vorgehen wollen. Zweifelsohne haben wir durch unser
Fachwissen und durch unsere seriöse Arbeit im Hause jetzt einen verhältnis-
mässig sehr guten Ruf, was das fachliche betrifft. Wir befürchten aller-
dings, dass man auf dem Standpunkt steht, die können eh alles selbst er-
ledigen und deshalb sehr leger die Arbeit in den einzelnen Abteilungen be-
treibt. Dies ist zweifelsohne abteilungsweise verschieden, muss aber natür-
lich geändert werden. Wir werden deshalb mehr Arbeit delegieren an die
Abteilungen und an die einzelnen Referenten, gleichzeitig aber kontrollieren
ob diese Arbeiten auch dann tatsächlich durchgeführt werden. Koppe erwies
sich wieder einmal als gelernter Psycholog, Wanke als Grundsatz-
politiker und Heindl als ministerienerfahrendster Taktiker.
Bei der Wiener Konferenz referierte Slavik über das Budget. Einleitend
verwies er auf seine Lehrer, die ihm bis jetzt als Bürgermeister vorge-
standen sind und erwähnte natürlich auch Marek. Er bedankte sich für dessen
Wohlwollen. Marek erntete ungeheuren Applaus, man kann daraus entnehmen,
dass die Wiener Konferenz ihn nur sehr ungern ziehenlässt. Bei der Berufung
seinerzeit hat Marek mir einmal gesagt, da ich ihn hänselte, dass Mariahilf
jetzt so gut im Rennen liegt – er ist ja Mariahilfer Funktionär – dass er
ja fast alle Sektionsleiter schon entsprechend placiert hatte. Porges
wurde Direktor der Messe, Heller Hochbaustadtrat, Sandner Kulturstadt-
rätin und jetzt sogar Vizebürgermeister, er selbst letzten Endes Bürger-
meister. Ich war überzeugt, dass Marek niemals so Personalpolitik nach
den Bedürfnissen von Mariahilf gemacht hat, aber der Umstand wollte es,
dass wirklich sehr viele Mariahilfer entscheidende Positionen bekamen.
Jetzt sagte ich zu Jacobi, beginnt der Niedergang von Mariahilf. Porges
und Marek scheiden aus, Heller ist heute in einem anderenBezirk und
in Wirklichkeit sehr umstitten als Stadtrat und was die Frage mit Gerti
Sandner betrifft, glaube ich, dass es wirklich ein grosses Problem für
sie noch werden wird. Ich wäre persönlich sehr glücklich, wenn die SPÖ
diese Bindung zwischen Gemeinderat Fröhlich, der ein bedeutender Funktio-
när der Handelskammer auch ist, und ihr selbst als eine private Selbst-
verständlichkeit auffassen würde. Ich zweifle aber, dass dies möglich
sein wird und hoffe nur ein ganz klein wenig, dass ich mich täuschen
würde. Anschliessend an das Referat wurde ein Lichtbildvor-
trag gehalten, der ungefähr den Sektionsniveaus entsprach, brachte kei-
nerlei neue Gedanken, hatte auch keine besondere bildhafte Wirkung. Er
erwürgte nur die Diskussion, denn niemand meldete sich anschliessend
zu Wort. Ich glaube, dass diese Politik nicht sehr zielführend sein kann.
Ich weiss allerdings nicht, ob sie beabsichtigt war, vielleicht hat sich
dies nur aus reinem Zufall so ergeben. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass
man eine Diskussion auch organisieren und immer wieder darauf drängen
muss, weil ansonsten von den einzelnen Mitgliedern dieser Körperschaft,
in dem Fall von der Wiener Konferenz der Eindruck entsteht, man wünscht
vielleicht gar nicht, dass diskutiert wird.
Tagesprogramm, 24.11.1970
Tagesordnung 31. Ministerratssitzung, 24.11.1970
03_0837_02Tagesordnung 31. Ministerratssitzung, 24.11.1970 (Entwurf 19.10.1970)
03_0837_04Nachtrag Tagesordnung 31. Ministerratssitzung, 24.11.1970