Freitag, 8. Oktober 1971
Die österreichische Niederlassung des Sex-Verlages Beate Uhse
beschwert sich über ungerechtfertigte Behandlung. Herr Holzer,
der Vertreter, hat einige Mal im Ministerium um Einfuhrgenehmi-
gungen eingereicht und niemals einen positiven aber auch keinen
negativen Bescheid bekommen. Das Sozialministerium hat angeb-
lich erklärt, seine Salben und Trankerln nicht untersuchen zu
wollen und deshalb den Magister, der die entsprechenden Arbeiten
für den Verlag gemacht hat, ersucht, die ganzen Präparate wieder
zurückzunehmen. Dadurch hat das Handelsministerium auch keine
Einfuhrgenehmigung ausgestellt, allerdings auch keinen negativen
Bescheid erlassen. Ich bin überzeugt, dass diese sexstärkenden
Mittel nichts anderes sind als ein teurer sinnloser Geldaufwand.
Dennoch glaube ich, dass es unmöglich ist, einer Firma aus Konsumenten-
schutzgründen z.B. nicht einmal einen negativen Bescheid zu geben.
Ebenso wünscht die Firma eine klare Entscheidung, welche Bücher
unter Pornographie fallen und deshalb in Österreich nicht vertrieben
werden dürfen. Das Justizministerium hat ebenfalls bis jetzt abge-
lehnt, eine Entscheidung zu fällen. Die Mutzenbacher wurde in Wien
verboten, in Linz aber in der ersten Instanz erlaubt. Ich bin
überzeugt, dass die Firma natürlich eine positive Erledigung ihrer
Ansuchen wünscht. Ob dies möglich ist, kann ich nicht überprüfen.
Auf alle Fälle aber hat sie ein Recht auf einen negativen Bescheid.
Ich habe Herrn Holzer zugesagt, er möge mir Material zur Verfügung
stellen und ich werde dann mit Christian Broda über dieses Problem
sprechen.
Schleinzer hat sich in einem Brief an den Bundeskanzler beschwert,
dass die Opposition über die Wirtschaftsverhandlungen mit Brüssel
nichts erfährt. Dem Wunsch Kreiskys entsprechend habe ich Schleinzer
eingeladen zu einer Besprechung. Da Schleinzer selbst keine Zeit
hatte, hat er Mussil, Karasek und Brandstätter geschickt. Mussil und
Brandstätter als Interessenvertreter sind über alle Details bestens
informiert. Bei Karasek hat seinerzeit Min.Rat Steiger angefragt,
ob er – da er ihm freundschaftliche Beziehungen verbinden – Karasek
Informationen geben darf. Wanke hat dies sofort akzeptiert, ich selbst
erklärte, dass ich eine solche Information nicht nur nicht verbiete,
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sondern ganz im Gegenteil fördere. Ich begrüsste die Herren deshalb
als den Schattenminister für Wirtschaft, den Landwirtschaftsminister
und den Aussenminister des Schattenkabinetts. Gleich bei der ersten
Frage von Mussil, der einleitend eben erklärte, dass die ÖVP sich be-
schweren müsse, wurde klar, dass er bestens informiert ist. In Wirk-
lichkeit lief die ganze Diskussion dann darauf hinaus, dass Mussil
auf dem Standpunkt steht, ich müsste wesentlich mehr in Brüssel in
Erscheinung treten. Er wollte auch, dass ich in die europäischen Haupt-
städte reise, um dort den österreichischen Standpunkt besser zu ver-
treten. Mein Gegenargument war, dass ich es entschieden ablehnte,
irgendwo in einer Hauptstadt oder gar in Brüssel zu erscheinen, wenn
keine wie immer geartete Notwendigkeit dazu existiert. Ich werde nie-
mals Prestigereisen unternehmen, andererseits aber natürlich wenn es
einen Sinn hat, bereit sein, über die ganze Welt zu reisen. Was Paris
betrifft, erklärte ich ihm, dass meine Schwägerin dort.ist und die
ganze Zeit schon wünscht, dass ich sie besuchen käme. Die Ausführungen
haben allerdings Mussil glaube ich noch nicht vollkommen überzeugt.
Ich ersuchte deshalb Reiterer, auch seine Meinung zu diesem Problem
zu sagen. Reiterer selbst redete um den Brei herum und erklärte, wie
es bei dem letzten Neutralentreffen gewesen ist und dass doch alles
im engstens Einvernehmen mit den Interessensvertretungen geschieht
und dass doch wirklich eine gute Zusammenarbeit zu verzeichnen sei.
Eine wirklich entscheidende Aussage machte dann Steiger. Er verwies
auf die Sitzung der vier Neutralen in Wien, wo insbesondere beschlos-
sen wurde, dass keine einzige Stelle bei den einzelnen Ministern inter-
venieren sollte, aber auch nicht in Brüssel, da dies als eine Ein-
mischung in die inneren Angelegenheiten der EWG aufgefasst werden
konnte. Ich selbst verwies noch darauf, dass Jolles ganz besonders
den Standpunkt vertritt, dass es unzweckmässig wäre, auf irgendeine
Stelle heute – ausser über den diplomatischen Weg der Botschaften –
eine direkten Druck auszuüben. Die Botschaften selbst sollten nur die
Stellungnahmen der einzelnen neutralen Staaten neuerdings im Aussenamt
resp. im Aussenhandelsministerium hinterlegen. Nachdem Mussil erkannt
hatte, dass auch dieser Angriff in Wirklichkeit jeder Substanz entbehrte,
so wendete er dieses Gespräch sofort ins Gaghafte. Er meinte, ich
hätte in den vergangenen Wochen viel besser in Paris oder in Brüssel
zugebracht als hier in Österreich Wahlwerbung zu betrieben, insbeson-
dere mit Muliar gestern im AEZ. Am wenigsten zufrieden mit den bisheri-
gen Ergebnissen ist selbstverständlich die Landwirtschaft. Ich erläu-
terte Brandstätter, dass es vollkommen aussichtslos ist, bei einer
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Mandatserteilung die Landwirtschaft in den freien Warenverkehr, wie
das für die gewerblichen Produkte vorgesehen ist, einzubeziehen.
Wenn ein Mandat erteilt wird, so meinte Karasek, bestünde aber doch
immerhin die Möglichkeit, dass auch Landwirtschaftsfragen behandelt
werden können. Ich leugnete dies nicht, sagte aber gleichzeitig, dass
wenn das Mandat nicht so ausfallen sollte, dann in bilateralen Be-
sprechungen man versuchen muss, die Landwirtschaftsprobleme zu lösen.
Brandstätter meinte, dass Weihs auf diese bilaterale Möglichkeit hin-
arbeitet und dies als höchstens letzten Ausweg angestrebt werden sollte.
Brandstätter meinte auch, dass doch Weihs und auch in mehr Gelegenheit
nehmen sollten, mit Ministern anderer Staaten in Kontakt zu kommen.
Ich konnte ihn darauf verweisen, dass ich jedweden Kontakt gerne auf-
nehme und jetzt am nächsten Sonntag nach Venedig fahre, wo ich viel-
leicht den Aussenhandelsminister Zagari treffen würde. Ich hätte auch
sonst alle Gelegenheiten wahrgenommen, um mit Staatssekretären oder
Aussenhandelsministern ins Gespräch zu kommen und dort die öster-
reichischen Wünsche zu deponieren. In Wirklichkeit sind sich doch alle
vollkommen klar darüber, dass alle diese Gespräche kaum einen Ein-
fluss auf die Entscheidung des Ministerrates in Brüssel haben werden,
Da die drei behaupteten, dass die Schweizer so engen Kontakt mit anderen
Ministern haben, wollte ich anschliessend Brugger telefonisch erreichen.
Dies war leider nicht möglich und ich werde es am Montag sofort nach-
holen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweizer tatsächlich
eine so rege intensive Tätigkeit auf Ministerebene entfalten.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte Montag dieses Problem neuerdings besprechen
um die tatsächlichen Verhältnisse ergründen zu können.
Abschliessend meinte Mussil, sie würden sich jetzt überlegen, ob gegebe-
nenfalls eine Aussendung gemacht werden würde. Ich erklärte sofort,
dass ich beabsichtige, eine offizielle Stellungnahme des Ministeriums
hinauszugeben, wo ich über das Ergebnis berichte. Ich hatte nicht
die Absicht, die Parteien in Hinkunft durch besondere Informationen
zu mir zu bitten, sondern ich werde dem neuen Nationalrat ein nichts-
sagendes Papier schicken, damit eben im Integrationsausschuss über
die weitere Entwicklung verhandelt werden kann. Insbesondere wollte
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Karasek, das wir ähnlich wie im aussenpolitischen Ausschuss vorher,
bevor die Verträge abgeschlossen sind, über die Probleme diskutieren,
damit dann die Opposition leichter dem Ergebnis zustimmen kann. Aus
den Ausführungen war klar und deutlich zu ersehen, dass auch sie damit
rechnen, weiterhin in der Opposition zu bleiben.
Die letzten Ergebnisse von IFES lassen dies allerdings auch vermuten.
Meinungsumfragen haben zwar mit Ende September Anfang Oktober einen
Rückschlag für die Sozialisten erbracht. Von 46 % sind wir auf 41 %
zurückgefallen. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass
die sozialistischen Angestellten, die sich im Laufe der Monate
April bis September von 43 auf 47 % hinaufgearbeitet hatte, auch
34 % zurückgefallen sind. Die ÖVP bleibt nach wie vor mit 31 %
gleich. Auch die Freiheitlichen haben keinen Zuwachs zu verzeichnen.
Stark zugenommen haben die unentschlossenen Wähler, resp. die die
Antwort verweigerten. Nach den bisherigen Erfahrungen und Systemen
aufgeteilt, ergäbe sich für den Wahltag folgendes Bild: Unent-
schlossene 6, SPÖ 47, ÖVP 40, FPÖ 6, KPÖ 1. Wenn man nun die Unent-
schlossenen auch noch aufteilt und hochrechnet, würde für die SPÖ
49,1 % Stimmen herauskommen und damit 91 Mandate. Die Ergebnisse der
IFES stehen in teilweisem Gegensatz zur SWS, dort nehmen die Freiheit-
lichen zu und haben 9 % anstelle der IFES 6 %. Die ÖVP schneidet
auch bei SWS sehr schlecht ab. In der Benotung hat insbesondere die
ÖVP, Schleinzer in der letzten Zeit verloren, nur die eigenen Wähler
benoten Schleinzer gut. Demgegenüber kann Kreisky noch immer ein
weiteres Zunahmeplus verzeichnen. Blecha sagt, dass die Angestellten
immer die Gruppe sind, die wie ein Seismograph sofort ausschlagen.
Allerdings pendeln sie dann in kürzester Zeit wieder zurück. Die Ar-
beiter und Bauern und auch Gewerbetreibenden sind dagegen verhältnismäs-
sig stabil. Wenn die Theorie stimmt, dann müssten die sozialistischen
Angestellten doch bis zum 10. Oktober teilweise zurückpendeln. Das Plus
bei Kreisky müsste ein weiteres Symptom dafür sein, dass die absolute
Mehrheit möglich wäre.
Bei meiner letzten Passagendiskussion konnte ich auch immer wieder
feststellen, dass mich selbst Genossen angesprochen haben, die sich
sofort so deklarierten, was an und für sich sehr unangenehm ist, und
fragten, warum denn eigentlich die Verstaatlichungsfrage jetzt vom
Häuser angeschnitten wurde. Ich versuchte den Sachverhalt aufzuklären.
Ebenso habe ich ununterbrochen Angriffe wegen der Pensionen der Stadt-
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räte und vor allem der Bezüge des Bürgermeisters bekommen. Trotzdem
wickelten sich diese Diskussion sehr objektiv und in vollkommener
Ruhe ab. Ich glaube, dass wirklich die österreichische Bevölkerung
eine hohe demokratische Reife erreicht hat. Ich glaube, dass die
21-jährige Zusammenarbeit in der grossen Koalition und vor allem
auch die überparteilichen Organisationen wie der Gewerkschaftsbund und
die katholische Kirche wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen
haben. Wie immer die Wahl ausgehen wird, eines steht für mich fest:
man müsste trachten, dass nicht neuerliche schwere Gegensätze aufge-
brochen werden. Wenn ich auch verstandesmässig die Angriffe Kreiskys
gegen die ÖVP und die Beschuldigung, dass faschistoide Züge in ihr be-
merkbar sind, begreife, so billige ich dieses Vorgehen keinesfalls.
Tagesprogramm, 8.10.1971