Donnerstag, 7. Oktober 1971
Seit Wochen konnte ich wieder einmal in der Lebensmittelarbeiter-
gewerkschaft mit Blümel und Pauli Balaz einige Probleme besprechen.
Die beiden Brotfabriken Anker und Hammer, die derzeit zwar kapital-
mässig in einer Firma zusammengefasst wurden, sollen nun auch organi-
satorisch konzentriert werden. Seit Jahrzehnten gibt es zwischen die-
sen beiden Betrieben auch in den Belegschaften eine gewisse Konkurrenz.
Jede Belegschaft versucht – und insbesondere die Belegschaftsver-
tretung – die bessere Produktion in ihrem Betrieb zu konzentrieren.
Jetzt hat das Unternehmen – Schoeller hat mich vor etlichen Monaten
davon verständigt – die endgültige Absicht, die Produktionen zu be-
reinigen, d.h. eine Aufteilung der Produktion auf die beiden Pro-
duktionsstätten vorzunehmen. Verständlicherweise versucht nun jede
einzelne Belegschaftsvertretung sowohl für Anker als auch für Hammer
die ertragreichen und zukunftsträchtigen Produktionen für ihren Be-
trieb zu bekommen. Dies führt zu ungeheuren Spannungen innerhalb
unserer Gewerkschaft. Sogar die beiden Bäckersekretär sind hier in
einer Kampfstellung. Am grünen Tisch lässt sich eine Konzentration
und Rationalisierung eines Betriebes und eine Produktionsbereinigung
der Produkte und Neuaufteilung auf die einzelnen Betriebsstätten
furchtbar leicht machen. Schwierig wird es dann in der Durchführung.
Für mich eine heilsame Lehre, dass man diese Probleme genau kennen
und studieren muss und vor allem auch die personalpolitischen Konse-
quenzen bis ins Letzte durchdenken muss. Wichtig ist dann noch, dass
man vorbereitend versucht, die Belegschaftsvertretungen vorher an
einen grünen Tisch zu bringen, wo sie doch vielleicht dieser Idee,
die vielleicht sogar von ihnen generell anerkannt wird, auch vorher
bevor es zur Durchführung kommt, von ihnen aus selbst verlangt wird.
Das Schlechteste ist, wenn wie dies in diesem Fall geschehen ist,
von oben herab Entscheidungen getroffen werden und nachher erst die
Belegschaftsvertreter, d.h. die Betriebsräte davon informiert werden.
Auf der einen Seite verstehe ich, dass die Unternehmensleitung keine
Unruhe in die Betriebe vorzeitig hineinbringen will. Auf der anderen
Seite aber muss sie damit rechnen, wenn sie dann überraschend die
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Belegschaftsvertreter verständigt, dass dann ein grosser Wider-
stand zu überwinden ist. Dass eine solche Konzentration überhaupt
nur in einer Hochkonjunktur möglich ist, ist für mich eigentlich
jetzt selbstverständlich.geworden, in einer normalen Produktionsphase
oder gar vielleicht in einer Rezession kann meiner Meinung nach dies
nur mit Brachialgewalt gemacht werden und da kann ich mir überhaupt nicht
vorstellen, wie man dies unter Aufrechterhaltung der Ruhe in den Be-
trieben abwickeln könnte.
Bei der Überreichung der Dekrete zur Führung des Staatswappens hat
die Firma Joka einen gewissen Herrn Hutterer geschickt, der vorher
anfragte, ob er seine Fotobeleuchtungsgegenstände aufbauen darf,
damit er die ganze Szene festhält. Ich war natürlich damit einverstan-
den und versuchte, von diesem Firmenangehörigen Details über den Be-
sitzer zu erfahren, damit ich doch bei der Überreichung mehr als
nur aktenmässig festgehaltene Bemerkungen machen könnte. Am Anfang
entwickelte sich dieses Gespräch sehr holprig. Dann, nach einiger
Zeit aber, hatte ich doch den Mann so weit, dass er ganz frei wie ein
normaler Mensch zu einem anderen sprach. Er sagte mir dann aber auch
zum Schluss, ich?habe ja noch niemals mit einer so hochgestellten
Persönlichkeit gesprochen und ich bitte daher um Verständnis,
dass ich hier nicht gleich entsprechend rückhaltlos und frei von
der Leber weg geplaudert habe. Ich ich ihm erklärte, dass auch ein
Minister nur ein ganz gewöhnlicher Mensch ist, mit dem man ohne weiteres
reden kann, meinte er, dies habe er erst jetzt bemerkt. Die Firma ist
in Schwanenstadt, wo Bürgermeister, NR-Abgeordneter der ÖVP Staudinger
einen bedeutenden Einfluss hat. Der Filmer und Fotograf Hutterer
ist auch gleichzeitig ein Freund – wie er mir gestand – von Staudinger.
Ich bin neugierig, was er in Schwanenstadt erzählen wird. Die beiden
anderen Firmen – die Druckerei Sochor in Zell am See und die Elektro-
firma Stuzzi – hatte ich Detailinformationen aus meiner bisherigen
Tätigkeit und brauchte deshalb nicht erst einige Gags von Dritten er-
fahren. Da derzeit auch mein Kalender verhältnismässig frei ist,
musste ich nicht nach einer Viertelstunde nach der Überreichung und
den Ansprache heute wieder durch eine Gebärde zum Aufbruch zwingen,
sondern konnte auch über die wirtschaftliche Situation mit ihnen
plaudern. Bei dieser Gelegenheit konnte ich übereinstimmend fest-
stellen, dass ein einzige Problem heute die österreichische Wirt-
schaft beschäftigt und das ist der Arbeitskräftemangel. Stuzzi z.B.
sagte, er hätte in den letzten Monaten und wahrscheinlich für das
ganze Jahr und auch für die Hinkunft mehr für Annoncen um Arbeits-
kräfte ausgegeben als für Werbung wegen Verkauf seiner Produkte.
Noch viel schlimmer ist es bei Joka in Oberösterreich und Sochor
in Zell am See in Salzburg. Ich glaube auch, dass wir uns schön lang-
sam in eine Situation hin wandeln, wo der Kapitalismus, d.h. der
Mangel an Kapital, der einmal die österreichische Wirtschaft und
die Weltwirtschaft aufgezeichnet hat, vielleicht allmählich in
einen Leberismus – wie Heinzi Kienzl die neue Situation bezeichnet –
wo der Kapitalmangel beseitigt, dafür aber ein Arbeitskräftemangel
weltweit herrscht in Europa und insbesondere in den hochindustria-
lisierten Staaten ist diese Entwicklung wirklich weit fortge-
schritten. Ich persönlich habe deshalb vor Jahren, als die ersten
Gastarbeiter nach Österreich kamen, diese Entwicklung vorausgesehen
und deshalb schon immer davon gesprochen, dass die Kapitalstruktur
in Österreich sich vom Eigenkapital zur immer einem grösseren Anteil
an Fremdkapital entwickeln kann und dass dies auch gar nicht beängsti-
gend sei. Schwierig wird es in Hinkunft sein, die geschulten Arbeits-
kräften zu bekommen und ich habe damals bereits einen Arbeitskräfte-
mangel prognostiziert. Ich glaube allerdings, dass die Arbeitskräfte
durch Rationalisierung ersetzt werden können und dass der Arbeits-
kräftemangel sich früher oder später letzten Endes auf eine gewisse
Gruppe von Arbeiten nur beschränken wird. Durch unsere falsche Schul-
politik fürchte ich, werden wir ein intellektuelles Proletariat früher
oder später bekommen und es wird dann äusserst schwierig sein, diese
proletarischen Studenten resp. fertige Doktoren und Mittelschulingenieure
und Techniker, die wir produzieren werden, rationell überhaupt in einen
Wirtschaftsprozess einschalten zu können. In Amerika habe ich das
Gefühl ist diese Phase bereits erreicht. Hier wäre eine Untersuchung
wie man das Sozialprestige der Arbeiterschaft, des Facharbeiters
heben könnte, um einen weiteren Anreiz neben höheren Löhnen auch noch
durch soziologische Besserstellung dieser Arbeitsgruppe innerhalb des
Ausbildungs- und Produktionsprozesses zu heben- Hier sollte glaube
ich das Handelsministerium federführend auftreten, um die Bedürfnisse
der Wirtschaft an Facharbeitern, Hilfsarbeitern und insbesondere
angelernten Arbeitern, denn diese werden in immer stärkerem Masse
in den nächsten Jahrzehnten notwendig werden, durch eine Untersuchung
und vielleicht sogar durch eine Enquete zu eruieren.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte überleg Dir, ob wir nicht nach dem 10. Okt.
dieses schwierige Problem in Angriff nehmen sollen. Die Lösung, die man
seinerzeit mit dem Berufs-
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ausbildungsgesetz, auf das die Arbeiterkammer so stolz ist, angestrebt
hat, war unzulänglich und ist vielleicht sogar noch fortschrittshemmend.
Hier müssten wir eine Arbeitsgruppe einsetzen, die weitblickend für die
Zukunft Unterlagen erarbeitet und vor allem in der Öffentlichkeit dieses
Problem klar und deutlich aufweist.
Das Kaolinwerk in Mallersbach, das zu 50 % Dr. Panny und zu 50 % der
Aspanger Kaolin gehört, macht infolge ihrer alten Produktionsstätte
ungeheuer viel Staub. Die Anrainer und insbesondere ein Mann, der aller-
dings erst jetzt sein Haus in diese Gegend gebaut hat, beschweren
sich deshalb – teilweise sogar zu Recht. Die OB, d.h. zuerst eigentlich
die Berghauptmannschaft Wien hat bescheidmässig den Unternehmen Auflagen
erteilt, die 1 Mill. S Investitionen erforderlich machen. Das Unter-
nehmen hat gegen diesen Bescheid aus unverständlichen Gründen nicht
Einspruch erhoben und so kann jetzt die Bergbehörde ihren Bescheid
auch tatsächlich erzwingen. Hätte das Unternehmen nämlich Einspruch
erhoben, wäre die Auflage sicherlich von der Obersten Bergbehörde
kaum in dem Umfang aufrechterhalten werden könnte als sie die Berg-
behörde unten erteilt hat. Trotzdem ist die Bevölkerung mit dieser
Entwicklung nicht einverstanden und hat unseren Dipl.Ing. Steiner
einem Vertreter der Bergbehörde Wien, unqualifiziert angegriffen.
Die Herren haben nun gefragt, wie sie sich in Hinkunft verhalten sollen
resp. ob ich bereit bin, unsere Beamten auch gegenüber einer aufge-
brachten Bevölkerung oder einzelne Personen zu schützen. Ich erklärte
sofort, dass dies ausser jeder Diskussion und Frage gestellt ist, denn
ich stehe zur Beamtenschaft, wenn sie in Erfüllung von Gesetzen ihr
Möglichstes machen. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass der Be-
trieb in zwei Jahren vollkommen stillgelegt werden muss, da dann das
Vorkommen erschöpft ist. In unmittelbarer Nähe hat die Firma ein
neues grosses Kaolinverkommen in Niederfladnitz entdeckt. Dort müsste
sie aber 40 Mill. investieren und der eine Besitzer Dr. Panny hat nicht
die Finanzkraft, um diese Gelder aufzubringen. Die Aspanger Kaolinwerke
warten deshalb bis er bereit ist, seinen Anteil entsprechend zu ver-
kaufen. Wahrscheinlich ist ihnen deshalb eine Auflage für das alte
Werk ganz recht, um Dr. Panny aus dem Betrieb und der Gesellschaft hin-
auszukaufen. Die Bergbehörde wurde aber bereits angekündigt, dass die
30 Beschäftigten, die vielleicht dann wirklich in Mallersbach ihre
Tätigkeit verlieren, sich an die Gewerkschaft wenden werden, um dieses
unqualifizierte Vorgehen – wie sie behaupten – nämlich durch Auflagen,
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die den Betrieb zur Stillegung zwingen, verhindern. Ich bin neugierig,
ob die Bau-Holzarbeitergewerkschaft bei mir intervenieren wird. Diese
beiden Interessengegensätze – wie Bevölkerung mit entsprechendem Umwelt-
schutz und die Gewerkschaft, die ihre Belegschaft und Arbeitsplätze
erhalten muss, auf einen Nenner gebracht werden können, muss äusserst
schwierig sein. Zum Glück ist dies nur eine zeitlich begrenzte Frage,
da der Betrieb in zwei Jahren auf alle Fälle stillgelegt wird.
Die AEZ-Passagendiskussion mit Muliar entwickelt sich eigentlich für meine
Begriffe nicht so wie wir dies vor Jahren als Pawlatschentheater, indem
wir im Bezirk herumgezogen sind, gemacht haben. Sicherlich kommen ins
AEZ wesentlich mehr Leute, wenn Muliar angekündigt ist und sie kommen,
um ihn zu sehen und Autogramme von ihm zu verlangen. Sicherlich ist es
sehr gut, dass sich ein so bedeutender und bekannter Schauspieler wie
Muliar ganz öffentlich für die sozialistische Regierung ausspricht
und Wahlwerbung für sie betreibt. Sicherlich ist es einmal, dass wir
eine Doppelconference machen können, aber diese Doppelconference war
das erste Mal, als wir diese Idee geboren haben, viel natürlicher.
Wenn wir daher im nächsten Wahlkampf wieder zusammen arbeiten sollten,
müsste ich mit ihm vorher nicht abbesprechen, was er beabsichtigt zu
sagen und entsprechend vorbereitend dann seine Gags anbringt, sondern
wir müssten, so wie das seinerzeit der Fall war, ganz natürlich eine
Doppelconference beginnen und die Leute würden dann wahrscheinlich
viel mehr noch zu lachen haben und das Ganze würde wesentlich natür-
licher wirken. Überraschend ist auch Kreisky zu dieser Veranstaltung
gekommen und ich glaube, dass die Bevölkerung wirklich bass erstaunt war,
wie viel wir an Prominenz aufbieten, um hierauf der Landstrasse Propa-
ganda zu machen. Dabei wirkt sich dies keinesfalls auf die Landstrasse
primär aus, denn ich bin überzeugt davon, dass gerade im AEZ durch die
Stadtbahn- und Schnellbahnstation viel mehr andere Wiener passieren und
deshalb in ihre Bezirke die Erfahrungen und Mitteilungen, die sie
bei diesen Passagendiskussionen machen können und insbesondere auch die
Antworten dann weiter verbreiten.
Die Pflichtversammlungen, die in jedem Bezirk vor dem Wahlabschluss
gemacht werden, waren bei uns im Schwechaterhof sehr gut besucht. Wir
mussten sogar den oberen Saal aufmachen und auch der war besetzt und es
herrschte eine ganz gute Stimmung. Natürlich sind dies aber zu 99 % Ge-
nossen, die zu diesen Versammlungen kommen. Ich selbst glaube, habe
alle diese Gesichter schon etliche Male gesehen. Vor allem aber auch
bei unsere Pensionistenversammlung, die meistens einen Tag vorher ge-
macht wird. Wenn man dann, um die Leute doch auf ihre Rechnung kommen
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zu lassen, die entsprechende lustige oder gagmässige Rede bringt,
habe ich dann oft das Gefühl, ob man wirklich auf diese Art eine
Versammlung bestreiten soll. Zum Glück gibt es aber immer mehrere
Redner, die in ihrer Art – und dies ist sehr richtig – auf die poli-
tischen Probleme eingehen. Wanke fürchte ich, wenn er mich hören
würde, hätte mir Recht die Kritik anzuwenden, dass man vielleicht als
Bundesminister selbst in einer Versammlung über diese Fragen viel
ernster berichten muss und nur wirklich ab und zu einen Witz oder
Gag starten dürfte.
Die deutsche Bruderpartei hat einige Funktionäre zur Beobachtung
und zum Studium des Wahlkampfes nach Wien geschickt. Ich habe gar nicht
gewusst, dass diese Genossen schon etliche Versammlungen von mir be-
sucht haben. Ich habe am Abend dann mit ihnen eine ausführliche Aus-
sprache im Sekretariat gehabt und wir erklärten ihnen unsere Wahl-
kampftaktik und die haben sie mindestens uns gegenüber als sehr gut
bezeichnet.
Tagesprogramm, 7.10.1971