Montag, 6. März 1972
Botschafter Leitner, Reiterer und Steiger berichten von der Neutralen-
besprechung in Zürich. Reiterer schlägt vor, ob man nicht auch die
finnische Taktik bei dem Papiersektor einschlagen sollte. Finnland
exportiert 62 % in die EWG und wollen deshalb bis zum letzten Moment
zuwarten und wenn zwischen Schweden, Österreich und der Schweiz eine
Einigung mit der EWG auf diesem Sektor erzielt werden kann, dann
ähnlich wie es die Norweger bei den Fischereiprodukten gemacht haben
erklären, die und die Zugeständnisse brauchen sie, ansonsten sind sie
nicht bereit einen Vertrag abzuschliessen. Ich habe mich sofort mit
aller Entschiedenheit gegen eine solche Politik gewendet. Die Finnen
können ein solches Vabanque-Spiel – wie ich es ausgedrückt habe –
riskieren, nicht aber die Österreicher. Den Hinweis, dass wir uns nicht
auf ein finnisches Niveau drücken lassen wollen, dadurch aber auch nicht
die finnische Taktik akzeptieren können, habe ich auch Reiterer letzten
Endes überzeugt, der dann sofort wieder zurückgezogen hat. Ich verwies
ganz besonders auf den einstimmigen Beschluss und die Verhandlungstak-
tik, die wir in Moskau bei Patolitschew, wir sollten uns die Finnen
als Beispiel nehmen, auch von der Handelskammer und von der Industriel-
lenvereinigung unterstützt wird.
Bei den sensiblen Produkten, ganz besonders aber bei Papier, haben
die Schweizer und dann auch zögernd die Schweden – wie er berichtete -
die österreichische Kompromisslösung angenommen. Åström hat sich
nur vorbehalten, er wird noch seinem Minister resp. Ministerpräsidenten
berichten und dann telefonisch seine Zustimmung endgültig geben. Reiterer
versicherte mir neuerdings, dass er dieses Prinzip und seine Vorschlä-
ge mit der Industriellenvereinigung, mit der Handelskammer abgesprochen
hat. Er ist überzeugt, dass er dort durchgekommen ist. Den Vorbehalt,
den Gleissner angeblich gemacht hat, wird er ohne weiteres zurückziehen.
Bei den landwirtschaftlichen Nachfolgeprodukten hat die Schweiz aber
auch Schweden kein besonderes Interesse, weil sie 1:2 in die EWG
exportieren, während Österreich 6:1. Auch hier meinte aber Reiterer,
dass es ihm gelungen sei, die Schweizer und Schweden zu überzeugen, dass
Österreich seinen eigenen Standpunkt einnehmen wird und sie das nicht
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als ein Verlassen der eigenen Linie betrachten.
Leitner berichtete über die zukünftige Informationstechnik aus Brüs-
sel. Koppe hat mit ihm vereinbart, dass wir unbedingt einen direkten
Draht während der Sitzung und nach der Sitzung brauchen, damit nicht
allein die Öffentlichkeit und die Massenmedien in Österreich auf ihre
Korrespondenten in Brüssel angewiesen sind. Durch einzelne Bemerkungen
konnte ich dann den wahren Grund, warum sie sich so gegen den
Vorschlag Koppes gestellt haben, klar erkennen. Die Korrespondenten,
insbesondere Klaus Emmerich, hatten einmal erklärt, wozu bin ich
denn in Brüssel, wenn das Ministerium bereits immer wieder Informa-
tionen früher hinausgibt als er seinen direkten Draht nach Wien spie-
len lassen kann. Dem Beamten ist es natürlich auch angenehm, wenn
sie dabei stärker in Erscheinung treten können. Zum Glück konnte
ich auf die zweimaligen Fehlinformationen von einer Aussage Botschaf-
ter Leitners und von der einmaligen des Sekt.Chef Reiterer hinweisen,
sodass ich eigentlich die Informationskonzentration im Ministerium
mit diesen Hineinlegern meiner Herren begründen konnte. Dadurch ist
es gut getarnt, dass ich nur zum Schutz unserer Verhandlungen verlangen
muss.
Da Malfatti als Vorsitzender der Kommission sein Mandat zurückgelegt
hat, muss auch neuerdings ein Termin mit meinem eventuellen Besuch in
Brüssel mit dem Vizepräsidenten vereinbart werden. Ich stelle neuer-
dings die Bedingung, dass ich einen solchen Besuch nur zu dem Zeitpunkt
absolvieren werde, wenn gleichzeitig auch die Journalisten von Öster-
reich von der EWG eingeladen werden, dort sind. Ich sage ziemlich offen
dass mir die Information der österreichischen Journalisten so not-
wendig erscheint, dass ich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel sein muss,
damit nicht nur die Information der EWG in ihre Berichterstattung
einfliesst. In Wirklichkeit ist es mir doch vollkommen klar, dass
jedweder Besuch von mir in der Brüsseler Kommission kaum einen Sinn,
dass materiell dabei doch überhaupt nichts herausschaut. Wenn es mir
nicht gelingt, die österreichischen Journalisten bei dieser Reise
entsprechend zu beeinflussen, dass sie dann über die EG und über
meinen Besuch dort entsprechend berichten, so ist die Brüsseler Reise
ganz sinnlos. Wir würden damit ja nur der ÖVP endlich Rechnung tragen,
dass ich auch einmal in Brüssel gewesen bin. Jeder andere Minister
hätte doch wahrscheinlich, wenn er einen solchen Schwanz von Berichter-
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stattern auf andere Kosten mitnehmen kann, doch auch diese Situation
genützt.
ANMERKUNG FÜR KOPPE UND WANKE: Auf die Koppelung unbedingt beharren.
Der amerikanische Botschafter bei der EWG, Schaetzel, kam anschliessend
und ich ersuchte natürlich gleich die Herren dieser Aussprache dabei zu
sein. Die Amerikaner wollen die gesamten österreichischen und neutralen
Verhandlungen der EFTA-Staaten mit der EWG nur in einem grösseren Rahmen
sehen. Sie meinen, dass es notwendig wäre, dass weltweit eine weitere
Liberalisierung des Handels erfolgen sollte und wahrscheinlich in
Forme einer neuen Kennedy-Runde im Rahmen des GATT der Zollabbau weltweit
neuerlich eine Zollsenkung versucht werden soll. Dieser grundsätzlichen
Überlegung stimme ich vollkommen zu und habe nach erklärt, dass im Rahmen
des GATT ein Besuch beim Generalsekretär mir die Überzeugung gegeben
hat, dass man wahrscheinlich von dort einen solchen Versuch unternehmen
wird. Österreich wird ihn selbstverständlich unterstützen. Interessant
war nur die Bemerkung von Schaetzel, dass er die Auffassung der EG-Kom-
mission hinsichtlich der sensiblen Produkte Papier ausdrücklich teilt.
Wanke hat sofort erfasst, dass die zweckmässig ist, wenn Steiger in
einem Aktenvermerk dies besonders festhält. Damit können wir nämlich
später einmal festhalten, dass nicht nur die EG-Kommission sondern
auch Amerika für diese Ausnahme der sensiblen Produkte gewesen ist.
Poppovic hat mich ersucht und das von Mairhuber angekündigte Papier ge-
schickt, dass ich mich in die Verhandlungen über den Roto-Preis ein-
schalte. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir auch, dass die schwedi-
schen Papierindustriellen heute mit ihm Verhandlungen führen und er
selbstverständlich einsieht, dass die österreichische Wirtschaft wegen
der Papierindustrie in Brüssel nicht verkauft werden kann.
Die Datenverarbeitungsbank der Handelskammer in der Mariahilfer Strasse
wird derzeit auch von der Aussenhandelsabteilung benützt. Da wahrschein-
lich der grösste Teil dieser Aufwendung von den AHF-Beiträgen finan-
ziert wird, bemühen sie sich jetzt, dort einige Daten einzuspeichern.
Bis jetzt haben sie nur die Firmennamen und deren Exportprodukte, aber
leider nicht mengenmässig eingespeichert. Dadurch kann der Aussenhan-
delsstellenleiter durch einen direkten Zugriff erfahren, welche Firmen
in Österreich gewisse Produkte exporieren. Das wirklich interessante
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Urmaterial, wieviele Produkte und in welche Relationen bis jetzt
Exporte in diesen Produkten erfolgt sind, hat nur das Statistische
Zentralamt auf Grund der Export- und Importmeldungen. Das Urmaterial
durch das statistische Gesetz geschützt, hat die Handelskammer keine
Möglichkeit, es einzuspeichern. Jetzt wollen sie die Firmen neuer-
dings befragen, in welche Relationen sie bis jetzt ihre Produkte
geliefert haben und ob sie dort entsprechende Vertreter schon haben.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Firmen sauer werden, weil
sie doch ganz genau wissen, dass das Statistische Zentralamt viel
genauere Unterlagen auf Grund ihrer Ex- und Importmeldungen an der
Grenze bereits besitzen. Ich ersuchte Min.Rat Meisl, meine Idee
jetzt in der Grundsatzgruppe zu besprechen, ob es nicht eine Mög-
lichkeit einer Verflechtung gäbe. Angeblich ist der Computer
vollkommen ausgelastet und nur mehr zwischen 1 und 3 Uhr früh
sind zwei Stunden frei. Die Volkswirtschaftliche Abteilung hat aber
noch keinerlei Daten in dem Computer eingespeichert und verwendet
ihn vor allem noch immer nicht, um gegebenenfalls einige Modelle
durchexerzieren. Das hat mich sehr überrascht und zeigt mit, dass
die ganze Computertechnik von der Handelskammer auch nur dazu benützt
wird, um Buchhaltungen und sonstige normale Arbeiten zu verrichten.
Mit Reichard und Koppe bespreche ich die weitere Vorgangsweise
in der Frage der Produktdeklaration und der Zusammenarbeit mit
dem Verein für Konsumenteninformation. Reichard erwartet, dass für
das heurige Jahr dieselben Subventionen für Projekte bekommt, wie
im vergangenen. Ich erkläre ihm, dass ich dies keinesfalls jetzt
dezidiert zusagen könne, dass es ausschliesslich davon abhängt,
ob wir am Jahresende wirklich noch so viele Mittel freihaben. An-
dererseits erklärt Reichard, dass er eine enge Zusammenarbeit zwischen
Welser und ihm wünscht und von seiner Seite alles geschieht, um dies
zu gewährleisten. Mit der Produktdeklaration meint er nur, könnte er
mit dem Patentamt Dr. Jakadofsky nicht auskommen, da dies ein
umständlicher Jurist sei, der kaum in de Lage ist, die notwendigen
Entwürfe auszuarbeiten. Ich muss ihm leider recht geben, da auch
die Produktdeklaration für Fernseher von Schönherr letzten Endes
gemacht wurde. Reichard wird mit Schönherr und Welser gemeinsam
jetzt einen Weg suchen, damit wir so schnell als möglich die Produkt-
deklaration insbesondere für Bodenbeläge herausbringen. Die Firmen
brauchen nämlich mindestens ein halbes Jahr, bis sie sich auf
diese Verordnung umgestellt haben. Wenn wir deshalb im Herbst
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solcher Verordnung starten lassen wollen, muss die entsprechende
Vorarbeit unverzüglichst jetzt geleistet werden.
In der Ministerratsvorbesprechung berichtet Kreisky über den zweiten
Teil seiner EG-Reise. Er sieht jetzt Schwierigkeiten mit Frankreich und
bezüglich der Landwirtschaft auch mit den Niederlanden. Deshalb empfiehlt
er Weihs und dann so nebenbei auch mir, dass jetzt die Fachminister mit
ihren Kollegen in Kontakt treten müssen. Insbesondere meint er, dass
Weihs über die Landwirtschaftsprobleme genauere Besprechungen führen
sollte. Palme hätte ihn heute angerufen und gemeint, bezüglich der
sensiblen Produkte für Stahlwaren sollten wir jetzt noch nicht einen
entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Ich berichtete ganz kurz über die
Aussprache in Zürich und dass die Schweden sich ja auch letzten Endes
auf die österreichische Linie eingeschwenkt sind. Bezüglich der Stahlpro-
dukte erklärt Kreisky, dass keine Detailbesprechungen geführt hat, weil
er sich im Detail auch gar nicht auskennt.
Bei meiner Rückkehr ins Ministerium konnte ich gerade beobachten, wie
Marquet und Reiterer scheinbar über einen besonders Punkt diskutierten
weil Marquet in seiner Loyalität dann Reiterer aufmerksam machte, ob
er mich nicht auch informieren sollte. Da ich zu sehr in der Nähe stand,
konnte Reiterer nicht anders, als dem zuzustimmen. Marquet hat dann mitge-
teilt, dass er von Åström angerufen wurde, der meint, es wäre zielführend,
jetzt noch nicht für Stahl unseren Vermittlungsvorschlag für den Zoll-
abbau der sensiblen Produkte eben auch für die Stahlprodukte zu machen.
Åström und damit die Schweden – dies dürfte auch der Grund für den Anruf
Palmes gewesen sein – möchten gerne, dass wir bei diesen Produkten
noch zuwarten. Sie glauben, da wir ja in diesem spezifischen Fall als
EGKS-Produkt noch besonders werden verhandeln müssen, dass wir
vielleicht eine bessere Ausgangsposition bekommen, wenn wir jetzt
noch nicht diesen Vermittlungsvorschlag unternehmen. Da ich nicht
unmittelbar für eine Entscheidung angesprochen wurde, habe ich auch
keine Entscheidung getroffen, da zeitlich in der Zwischenzeit die an-
deren Sitzungsteilnehmer alle gekommen sind.
Im Ministerrat brachte ich dann das Verlangen der Landwirtschaft über
die Erstattungsfrage neuerdings zur Frage. Androsch meldete sich sofort
und erklärte, dass seine Beamten und er neuerdings davon überzeugt sind,
dass eine solche Erstattung unzweckmässig ist. Gleichzeitig aber
meinte er, dass allein schon das Drängen der Bauern zeigt, dass sie
jetzt unter dem Verhandlungsdruck Brüssel eine Forderung durchsetzen
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wollen, die innerösterreichisch gar nicht notwendig ist. Da sich
weder Weihs noch sonst irgendwer in die Debatte einmischte, sah ich
auch keinen Grund, dieses Problem stärker zu betonen oder die Debatte
fortzusetzen. Ich bin zwar überzeugt, dass früher oder später auch
die SPÖ-Regierung in diesem Punkt nachgehen wird, aber warum soll
ich dann als der Mann dastehen, der vielleicht Androsch und Kreisky,
der sich ihm angeschlossen hat, in den Rücken gefallen ist. Da die
Interessenvertretung der Arbeiterkammer und des Gewerkschaftsbundes
eine Erstattung bis jetzt ganz entschieden abgelehnt haben,
sehe ich keinen Grund, mich – nachdem ich keine übereinstimmenden
Meinung bis jetzt erzielen konnte – besonders zu exponieren.
Kreisky möchte über die Bauern sowieso in der nächsten Zeit eine
neue Taktik einfädeln. Er ist sehr unglücklich und auch ungehalten,
dass es bis jetzt noch nicht geglückt ist, seine Zusagen über die
Bundesprüfungskommission einzulösen. Er meint, dass Weihs seinerzeit
versprochen hat, er wird eine Praktiker-Beirat in seinem Ministerium
errichten. Aus diesem Praktiker-Beirat ist bis heute nichts geworden.
Dann wurde von ihm allerdings scheinbar auf besonderen Druck Kreisky
erklärt, er wird eine Bundesprüfungskommission über die Budgetmittel
einsetzen. Auch hier geht nichts weiter, da Weihs mit Lehner schein-
bar jetzt vereinbart hat, dass von dieser Seite die Nominierungen
erfolgen und nur solche Leute nominiert werden, die in irgendeiner
Weise zu den Kammern gewählt wurden. Kreisky möchte aber, dass
Nominierungen erfolgen von den Organisationen, die entsprechend dann
ihre Leute, die stark genug sind, in dieser Bundesprüf- resp. Landes-
prüfkommission die notwendigen Unterlagen auch entsprechend bearbei-
ten können. Weihs erklärt, dass er in den nächsten Wochen eine end-
gültige Nominierung und Bestellung vornehmen wird. Kreisky
selbst wird jetzt eine Besprechung mit dem Arbeitsbauernbund,
dem freien Bauernverband und mit den FPÖ-Bauern durchführen. Er
bittet auch die davon betroffenen und interessierten Minister z.B.
auch den Unterrichtsminister anwesend zu sein. Da ich an diesem Tag
bereits mit dem Aussenminister und Bundespräsidenten nach Paris
fliege, habe ich mich bereits entschuldigt.
Betreffend der ÖROK Aichfeld-Murboden-Sitzung wird das Unterlagen-
material noch einmal durchbesprochen. Der einzige strittige Punkt
ist noch die Gesellschaft, die zu errichten ist. Androsch hat sich
bei diesem Tagesordnungspunkt nicht gemeldet und daher auch keinerlei
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Vorschläge gemacht, wie diese Gesellschaft arbeiten soll. Der Ent-
wurf, den die Raumordnungsleute Veselsky vorgelegt haben, wird damit
automatisch im Prinzip genehmigt. Bezüglich der Zusammensetzung erklärt
Veselsky, dass er zuerst 50 % Bund, 25 % Land Steiermark und 25 % die
Gemeinden vorgeschlagen hat. Kreisky hat nun entschieden, dass 60 %
Bund, 30 % Steiermark und 10 % die Gemeinden haben sollen. Beim Auf-
sichtsrat hat Veselsky Schwierigkeiten, denn hier soll das Bundes-
kanzleramt, das Finanzministerium, Handels- und Bautenministerium be-
rücksichtigt werden. Dann sollen zwei Länder und ein Gemeindever-
treter kommen. Kreisky meint sofort, dass auch das Sozialministerium
primär berührt ist und daher in den Aufsichtsrat entsendet werden
sollte. Androsch macht sofort den Vorschlag und erklärt, dann ist es
doch einfacher, 6:3:1 wie auch dem Kapitalanteil entspricht.
Über die Geschäftsführung wird nichts gesagt.
Da ich die Interessenvertretungen zu mir gebeten habe, um über die
Frage der sensiblen Produkte und der landwirtschaftlichen Nachfolgepro-
dukte neuerdings zu verhandeln, muss ich vorzeitig die Ministerrats-
besprechung verlassen. Zu meiner grössten Verwunderung muss ich fest-
stellen, dass Gleissner, dem wir es überlassen haben, wen er zu dieser
Besprechung einlädt, zwar einen ganzen Rattenschwanz von Handelskam-
mer- und Industriellenleuten bringt, aber die Arbeiterkammer und den
Gewerkschaftsbund überhaupt nicht eingeladen hat. Auch das Finanzmini-
sterium ist nicht vertreten. Mussil erkennt sofort die schwierige
Situation und erklärt, dass es sich eben um eine Vorbesprechung von
Landwirtschafts- und Handelskammer handelt, sowie der Industriellenver-
einigung, um die offenen Fragen abzustimmen. Ich veranlasse, dass
dann sofort für den nächsten Tag eine interministerielle Sitzung ein-
berufen wird, um doch noch die offenen Punkte soweit sie noch nicht
endgültig fixiert sind, zu besprechen. Reiterer selbst möchte
dies recht spät ansetzen, damit er um 11 Uhr dann bereit wegfahren
kann und wegfahren muss um nach Brüssel zu kommen und dann vielleicht
doch nicht den Streit weiter fortzusetzen.
Einleitend schlage ich vor, dass wir sofort über die sensiblen Produkte
reden sollen, da ja hier eine Übereinstimmung erzielt werden konnte.
Gleissner bestreitet dies ganz entschieden und Mussil begehrt auf
und meint, wenn sie keine Möglichkeit haben, mit mir über ihre Wünsche
zu reden, sondern die österreichische Bundesregierung diktieren will,
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dann werden sie das auch zur Kenntnis nehmen, aber dann müsste auch
die österreichische Bundesregierung die Verantwortung dafür überneh-
men. Ich bin natürlich sehr erstaunt, denn ich habe angenommen, dass
Reiterer wirklich in Detailbesprechungen die Zustimmung der Handels-
kammer und der Industriellenvereinigung hat. Ansonsten hätte ich an
seiner Stelle doch in Zürich nicht über diesen Vorschlag so konkret
gesprochen. Reiterer zieht sofort zurück aber und erklärt, er hätte
in Zürich nur die prinzipielle persönliche Meinung zum Ausdruck ge-
bracht und könnte daher jederzeit diesen Vorschlag modifizieren. Mussil
hat natürlich recht, wenn er erklärt, er möchte doch vorerst mit der
Papierindustrie die Details noch besprechen und hätte daher abgewartet
was morgen bei den Besprechungen zwischen Poppovic und den schwedischen
Papierindustriellen herauskommt. Reiterer kapiert dieses Problem
scheinbar überhaupt nicht und verhandlungstaktisch ist er eine solche
Niete, dass er mir dann lächelnd zuflüstert, na habe ich doch mein
Konzept bei der Handelskammer und bei der Industriellenvereinigung
durchgebracht. Wenn er darunter versteht, dass sie bereit waren, für
die sensiblen Produkte einen Vermittlungsvorschlag jetzt endlich
machen zu können und auch die Vorgangsweise wenigstens im Prinzip
zu akzeptieren, so muss ich sagen, hat dazu Marquet mit seinen Aus-
führungen wesentlich mehr beigetragen, als er mit seinem Herumreden.
Er erklärte nämlich dezidiert, dass die Zeit des Herumredens jetzt
vorüber sei und dass man jetzt endgültig einen entsprechenden
Vorschlag machen müsse. Seine instruktiven Ausführungen haben glaube
ich alle restlos überzeugt und selbst Mussil musste zugestehen, dass
dieser Zeitpunkt jetzt gekommen sei. Reiterer hat auch bezüglich
der anderen Produkte ziemlich konkrete Vorschläge scheinbar der
Handelskammer unterbreitet. Ich habe mich sehr geärgert, dass er
diese Unterlagen mir wieder nicht vorher zur Verfügung gestellt
hat.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Ich glaube, wir sollten eine andere Taktik ein-
schlagen, um über Steiger dieses Material immer zu bekommen.
Gleissner formuliert dann die Wünsche der Handelskammer. Sensible
Produkte müssen spiegelgleich, d.h. auch die EG gewährt auch die
Ausnahmen mit Ausnahme von Silicium. Salznachfolgeprodukte sind
eine innerösterreichische Schwierigkeit und deshalb wünschen sie
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dass sie als sensible Produkte angemeldet werden. Reiterer erfasst
wieder nicht oder drückt sich zumindestens nicht so aus, dass dies
doch nur auf die zeitlich beschränkte Ausnahmeliste gesetzt werden
kann. Die Handelskammer aber meint, dass sie ständig ausgenommen werden
sollten, was mich natürlich ungeheuer aufbringt und selbst Marquet mir
beipflichtet, dass eine solche Vorgangsweise vollkommen unmöglich ist.
Wir bekämpfen seit Monaten, dass sensible Produkte nicht dauernd
ausgenommen werden darf und jetzt machen wir einen Vorschlag, wo wir
eine solche Ausnahme für dauernd wünschen. In Wirklichkeit will die
Handelskammer nur den Finanzminister zwingen, Salz für die Industrie
billiger abzugeben und glaubt auf diese Art und Weise mich damit er-
pressen zu können. Letzten Endes schwenken sie aber doch darauf ein,
dass gegebenenfalls Salznachfolgeprodukte zeitlich ausgenommen als
sensibles Produkt behandelt werden soll. Über die Plafondierung wünschen
sie, dass nicht das Jahr 1969 sondern ein Schnitt aus dem Jahre 1969/70
und 71 gebildet werden soll. Reiterer wird sich bemühen, dies in
Brüssel durchzusetzen, wobei ihm vorschwebt, dass analog den Zoll-
senkungen eine Zollkontingentaufstockung erfolgen soll. Ich bin mir
zwar noch immer nicht klar, welche Zusammenhänge hier bestehen sollen
und niemand kann mir dies erörtern, aber Reiterer bildet sich das ein
und ich werde ihm deshalb nicht widersprechen. Er macht sowieso die
Einschränkung, dass er doch bei der Durchsetzung dieses Zollkontingente
grosse Schwierigkeiten haben wird und er deshalb im Laufe der Verhand-
lungen noch andere Vorschläge von seiten der EG erwartet. Bei der Er-
stattungsdiskussion kommt es dann zu den entsprechenden Auseinander-
setzung zwischen mir und der Landwirtschaftskammer und der Handelskammer.
Da ich nicht bereit bin, eine Zusage zu machen, nicht einmal eine Ver-
wendungszusage, sind glaube ich alle sehr enttäuscht. Plötzlich löst
sich die ganze Frage abrupt, weil sie meinen, sie müssten doch endlich
einmal die Möglichkeit haben, mit allen Ministern und dem Bundeskanzler
zu sprechen. Ich gehe mit schwacher Hoffnung zum Telefonapparat und
kann wirklich auf der direkten Leitung noch Kreisky erreichen, der
sofort erklärt, jawohl morgen nach dem Ministerrat sollen alle kommen.
Damit sind alle infolge der fortgeschrittenen Zeit einverstanden und
die Sitzung wird abgebrochen.
Im Laufe des Tages haben wir die Zeitungsnachricht, dass ein Staats-
sekretär ins Handelsministerium für Fremdenverkehr kommen soll, intern
eingehend diskutiert und wurden von einigen Zeitungen auch interviewt.
Kreisky hat mir gegenüber kein Wort erwähnt, hat aber angeblich
der Presse die Auskunft gegeben, auch er hätte dieses Projekt
aus der Zeitung erfahren. Irgendein Versuchsballon von irgendjemandem
muss aber hinter dieser Meldung stehen. Vielleicht wird es Koppe
im Laufe der Zeit herausbekommen.
Tagesprogramm, 6.3.1972