Donnerstag, der 24. Mai 1973

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Donnerstag, 24. Mai 1973

Die Fraktionssitzung der Delegierten zum LUGA-Gewerkschaftstag
verlief wider Erwarten zuerst vollkommen apathisch. Zu dem Bericht
und den Anträgen, die Koll. Blümel referierte gabe es überhaupt
keine Diskussion. Nicht ein einziger Delegierter hat sich gemeldet,
um irgendwelche Kritik, Vorschläge oder zumindestens Bemerkungen zu
machen. Da wir auf der Tagesordnung nur BErichte und Allfälliges
hatten, bestand die eminente GEfahr, dass wir anstelle der votge-
sehenen 2 1/2 Stunden in einer halben Stunde die Fraktion erledigt
hätten. Deutsch, der Obmann unseer soz. Fraktion, ersuchte mich
deshalb, ich sollte unbedingt ein politisches Referat halten.
Ich war zwar nicht besonders darauf vorbereitet, habe aber selbst-
verständlich sofort die Gelegenheit benützt, um schonungslos unsere
Situation darzulegen. Ich erklärte rundweg heraus, dass die wichtig-
ste Funktionäre ist, dass sie Kritik durch entsprechende Vorschläge
usw. unsere Organisation lebendig halten müssen. Ich habe selbstver-
ständlichnicht das Referat gehalten, das ich am Verbandstag halten
werde und habe besonders darauf hingewiesen, dass ich nur die poli-
tischen Aspekte berühren möchte. Ich ging auf das UNbehagen bei den
Funktionären ein und insbesondere auf die Sitaution, dass wir als
Partei aber auch als Gewerkschafter gewohnt sind anzugreifen und
nicht zu verteidigen. Ganz besonders unterstrich ich die GEfahr,
die vom ÖAAB kommt, der uns jetzt links üerholen möchte. Da ich
an konkretenBEispiel, wie z.B. die Brauereiverhandlung im vorletzten
Jahr, wo wir nicht eingheitlich aufgetreten sind, innerhalb unserer
GRuppe, oder die Salinenforderung auf Angleichung an die Beamten
provokant referierte, konnte ich annehmen und habe mich auch nicht
getäuscht, dass sich daran eine Diskussion anschliessen wird. Tat-
sächlich hat diese dann auch stattgefunden. Deutsch wies darauf
hin, dass der ÖAAB einen Partner im Betrieb hat und dass sich immer
wieder Unternehmer mit dem ÖAAB versuchen die Probleme so zu lösen,
dass es der ÖVP nützt. Gamsjäger, der Salinenvertreter meinte, jedes
Reden sei zwecklos. Sie sind über die VErhandlungen mit Androsch
schwer enttäuscht. Androsch hat sich – ich habe das seinerzeit mit
grösster VErwunderung bemerkt – bei den ersten Verhandlungen mit den
Salinenarbeitern alle ihre Forderungen, die damals aktuell waren,
wie z.B. Militärzeitanrechnung usw., in einem Aufwaschenbereinigt
und gehofft, damit für alle ewige Zeiten eine Ruhe zu haben. Jetzt
ist er schwer enttäuscht, dass die Salinenarbeiter weitere Forderunge
stellen. VErhandlungstaktisch hat er auch seinerzeit ihnen vorgeschla


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gen, sie sollen ihm eine BErechnung machen, wo die Differnez zwischen
den Beamten und den Arbeitern klar ersichtlich ist. Natürlich haben die
Salinenarbeiter jetzt vom Jahre 1967 beginnend, alle ihre Nachteile
aufgezählt. Das erklärte ihm jetzt die Salinenverwaltung ganz besonders
seine Beamten im Finanzministerium, könne man nicht erfüllen. Nun fühlen
sich die Salinenarbeiter gefoppt, dann hätte sie nicht vorher monate-
lang rechnen müssen. Suko, unser Salzburger Landesobmann und gleichzeitig
der beste Mann in unserem Brauer-Komitee , hat an Hand der Brauerei-
Vertragsverhandlungen jetzt gezeigt, dass er nicht bereit ist, der Unter-
nehmerschaft einen friedlichen Vergleich anzubieten. Entweder die Brauer
akzeptieren die mindestens 18 %-ige Lohnerhöhung oder es gibt, wie er
sich ausgedrückt hat, Streik. Jetzt haben sie eine Probe gemacht, indem
sie ihre Betriebsräte und Belegschaften informierten und dies hat hundert-
prozentig geklappt. Suko ist immer der Meinung gewesen und hat sie natür-
lich uach jetzt, dass wir Gewerkschafter schlafen, und dass wir insbesonde-
re in der VP-Regierung verschlafen haben, mit radikaleren Methoden unsere
Wünsche durchzusetzen, insbesondere kritisert er, dass jetzt in den Spitz-
enfunktionen der SPÖ immer mehr Akademiker aufrücken, die scheinbar keiner-
lei Kontakt mehr zur Arbeiterschaft haben. Netterweise – und er meint das
wirklich ehrlich – hat er mich davon ausgenommen. Wir entfernen uns – so
glaubt er – immer mehr von der soz. Idee. Cmager, BRO von der Gösser
Brauerei meinte, ich hätte eine politische GRabrede gehalten. Zweimal,
wie er registrierte, hätte ihc gefrag,t wie es weitergehensollte. WEnn
die Regierung nicht weiss, wie das weiter geht, dan-n ist das ein
trauriges Zeichen. Andereseits hat er neuerdings sich dagegen ausge-
sprochen, dass BEschlüsse auf höherer Ebene gefasst werden in ihrer
Lohnpolitik. Ich konnte ihn natrlcih dann bei der Antwort, obwohl
ich ihn niemals niedersetzte, er hätte zwar einige Möglicheiten mit ge-
boten, ihn insofern glaube ich aufzuklären und beruhigen, dass ich eben
gesagt habe, ich hätte natürlich alles so darstellen können als wäre
es in schönster Ordnung. Mir kam es aber darauf an, ihm zu zeigen, wo
Schwächen liegen, dass wir eben z.B. nicht imstande sind, trotz der
Leistungen,die wir erbringen, sei es als Gewerkschaft, als Partei
aber auch als Regierung, unsere Funktionäre zu aktiven Kämpfer zu gewinnen
sondern sie maximal alles das, was erreicht ist, einstecken und sich dem
Gegner nicht stellen, Dass wir in unserer Organisation eine andere Lohn-
politik machen und neimals Beschlüsse auf hchster Ebene gefasst werdn,
müsste er wissen und habe ich ihm an Hand der Lohnverhandlungen der Brauer
immer wieder gewiesen. Dudek wieder hat gemeint, die Wiener werden
von den Bundesländern ununterbrochen angegriffen, Die Gewerkschafts-
oder Parteiführung muss sich doch überlegen, welche BEschlüsse sie
fasst und dann hat er dazu Vertrauen und meint, mit seinem Wissen könnte


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er doch keinesfalls diskutieren. Gegen eine solche Auffassung habe
ich mich naütlrhch ganz entschieden gewendet und darauf hingewiesen, dass
es im Gegenteil notwendig ist und jeder Funktionär dazu verpflichtet ist,
seine Meinung so zu sagen wie er dies eben ausdrücken kann. Es kommt
gar nicht darauf an, durch Fachwissen oder durch scheinbare Überlegenheit
der "Oberen" wenn ich es so bezeichnen darf, zu glauben, ein kleiner
Funktionär hat einem nichts mehr zu sagen.

Zams, ein Betriebsrat von Gösser Brauerei, meinte, der Vorredner sie
falsch programmiert, weil er einen Gegenstz zwiwdchen Wien un-d den
Bundesländern insofern herausarbeiten wollte, als er meitne, die Bundes-
länder greifen Wien an. Betriebsratswahlen zeigen aber deutlich? dass
dort, wo Betriebsräte Kontakt haben, sie auch positiv abschliessen..
IN den politischen Versammlungen müsste man merh über die Preise, Wirt-
schaftsentwicklung, Betriebsverfassung erfahren, über die auch ich nicht
geredet habe, HIer entschuldigte ich mich noch einmal, dass es doch
keinen Sinn gehabt hätte, mein Referat zweimal zu haltne und was den
guten Abschluss der Betriebsratswahlen bei uns betrifft, wir haben
fast keine Stimmen verloren, so zeigt dies eben, dass wir doch noch gute
Betriebsräte und guten Kontakt zu den Mitgliedern haben.

Marsal, unser Vorarlberger Obmann, meinte, dass in der Partei und auch
ind er Gewerkschaft eine gewisse Lethargie herrscht. Er glaubt, eine
Juso-Bewegung wäre für uns nicht schlecht, allerdings innerhalb der
Partei. Mit den Preisen und Wirtschaftsproblemen werden die gesamte
gesellschaftliche Situation überdeckt und die Arbeiterschaft fast von
den wirklichen Zielen abgehalten. Die von mir vorgesehene Gastarbeiter-
Assimilierung, meint er, müsste man äusserst vorsichtig beginnen, In Vorarl-
berg würden nationale Gegensätze schon entstehen. Die Vorarlberg haben
bekanntlich den grösstenAnteil an Gastarbeitern und Jäger, der ÖAAB-Obmann
und Präsident der Arbeiterkammer, geht mit der nationalen Parole gegen
die Gastarbeiter, während Grassner, der soz. Obmann, der das letzte Mal
als Präsident abgewählt wurde, versucht, die internationale Auffassung
zu vertreten. Marsal fürchtet mit Recht, dass die Vorarlberger auch in
diesem FAll Jäger rechtgeben werden. Strimmer, ein Obmann der Zucker-
fabrik Enns, hatte als interesanten Vorschlag, wir sollten die Schulden
der ÖVP nicht zurückzahlen, sondern eben diese Milliarde z.B pro Jahr dazu
verwenden, um für die Gesundheitspolitik auszugeben. Er meonte, damit könnte
man sich irgendwelche ERhöhungen an Steuern und Abgaben ersparen.

Lansteiner, ein BRO, war am meisten enttäuscht über die Salinenverhand-
lungen, Er selbst hat mir auch nachher nocheinmal versichert und In


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der Versammlung erklrt, Androsch hätte sich wie ein Kaiser benommen,
es hätte ihm nur mehr die Krone gefehlt. Jetzt würden im Herbst in
Oberösterreich bei den Wahlen die Salinenarbeiter, wenn es zu keinem
Ergebnis käme und sich das Klima nicht bessert, wahrscheinlich zu kata-
strophalen ERgebnissen kommen. Ich empfahl ihnen, sich unbedingt auch mi
diesem Problem in Oberösterreich mit dem LH-Stv. Fridl zu besprechen.
Serinie, der BRO von der KGW, wollte wissen, ob das Stillhalteabkommen
verlängert wird. Er meinte, Benya könnte man morgen beim REferat nicht
fragen. GEgen diese Auffassung habe ich michsofort gewendet und erklärt
selbstverständlich sollte und kann man mit Benya auch diskutieren,
darüberhinaus aber sei ein Stillhalteabkommenverlängerung nicht geplant.
Im übrigen aber hätten wir immer wieder erklärt, dass trotzdes Still-
halteabkommens bei entsprechendem Ablauf der von uns festgelegten Lauf-
zeiten, wir haben das ja nie im VErtrag gebunden, die Lohnbewegungen durc
geführt wurden, wie ja dies am Jahresanfang z.B. mit den Fettarbeitern
praktiziert wurde. Hart kritisiert hat Serinie, indem er meinte, die
Regierungspolitik soll man verteidigen und er fragte: Was soll man
dort verteidigen ? Hier musste ich ihm schon replizieren, dass wir
glaube ich, wenn er objektiv urteilen wollte, einige Möglichkeiten
zum VErteidigen es sehr wohl gibt. Nowotny vom Konsum interessiert
sich, wann endlich die lex Proksch, d.h. die grosse Kodifikation des
Arbeitsrechtes , die Rehor, wie er sagt, in eine Schublade gegeben
hat, endlich aufgemacht wird, nachdem doch Rehor sicher den Schreibtisch
nicht mitgenommen hat und Häuser nur aufmachen müsste. 3 Jahre ist
jetzt soz. Regierung, wann ist endlich die lex Proksch Gesetz ?
Hier zeigte sihc für mich, dass es halt furchtbar leicht ist und
ein VErbrechen von Proksch war, einen Entwurf einzubringen, von dem
er selbst gewusst hat, dass er nicht möglich ist, in den nächsten Jahren
durchzusetzen. Er hat damals alleszusammengeschrieben was gut und
teuer gewesen ist und dachte sich sicherlich damit schafft er sich ein
Monument und die anderen sollen es erfüllen. Dies Meinung habe ich
natürlich dort nicht kundgemacht. Wohl aber sagte ich, dass Häuser
sich bemüht, schrittweise und dass dies der richtigere Weg ist, etwas
zu erreichen. DArüber hinaus haben gerade wir als Lebensmittelarbeiter
in unserem Rahmenkollektivvertrag versucht, Schrittmacher für die
Angleichung der Arbeiter an die Angestelltenrecht zu sein und in diesem
Sinne werden wir weiter fortschreiten.



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Kopal, der Kärntner Landesobmann, verwies darauf, dass wir zu viele
Gesetze machen und dass es deshalb unmöglich ist, sie unseren Mitglie-
dern und Funktionären klar zu machen. Er sprach sich ganz besonders
gegen die Doppelfunktionen, d.h. gegen die Ämterkumulierung aus und
meinte auf Kärnten bezogen, dass eben die Gemeinedeeingliederung
und der Ortstafelstreit dazu geführt hat, bei der nächstebesten Wahl
aus Verärgerung so zu stimmen. Provokant erschien ihm, dass die
Zahnärzte und andere GRuppen fordern können, was sie wollen.

Der letzte Diskussionredner Masol meinte, dass der KOntakt der Betriebs-
räte noch ganz gut sei, dass aber einzelne Regelungen, wie z.B. die
OeNB-Bezüge von Waldbrunnner ode aber auch die Politikergehälter, er
sprach von den Ministergehältern eben nicht zu verteidigen seien. Hier
erklärte ich rundweg, dass ich diese Situaiton voll verstehen kann,
dass Waldbrunner dann zwar verzichtet hat und zwar nicht auf die Er-
höhung sondern auf seinen ganzen Bezug und dass die ÖVP bei ihren
Funktionären ganz anders vorgeht und trotzdem die Öffentlichkeit anders
reagiert. Hier könnte ich aber zum Schluss der Debatte darauf hinweisen,
das sei eben in der soz. BEwegung andere Masstäbe gelten als bei der
bürgerlichen Partei. WEnn es Schiebungen dort gegeben hat, hätte das
den einzelnen kaum geschadet und das Image der Partei wurde dadurch
nicht verschlechtert, weil scheinbar die grosse Masse nichts anderes
erwartet. Anders ist es bie der Soz. Partei und in der Gewerkschafts-
bewegung. ICh sagte zum Schluss, so muss und soll es bleiben, sonsten
würde auch ich die Partei wechseln.

Die Eröffnung des Verbandstages verlief programmgemäss. Am eindrucks-
vollsten waren die BEgrüssungsworte des christlich internationalen
Gewerkschafters. Der hat – und das hat mich sehr verwundert – in ganz
harter WEise die Gesellschaft kritisert. Er meinte, das kapitalistische
System, das wir ablehnen müsse geändert werden. Es sei ungerecht und
unsozial. In Afrika zeigt sich, dass die Menschen entweder durch die
Regierung oder durch den Kapitalismus in ener Diktatur leben, er appellier-
te an die internationale Solidarität und hat in ganz scharfen Worten
die Unternehmer und deren System gegeiselt. Da wir vom Verbandstag
ein stenographische Protokoll haben, werden wir seine Äusserungen sicher-
lich noch öferts gut gebrauchen können. Von der Fraktion gibt es bekannt-
licherweise keinerlei Aufzeichnungen, weshalb ich die Fraktionssitzungen
in vollem Ablauf aufgezeichnet habe.

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Tagesprogramm, 24.5.1973

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)




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