Montag, 10. Juni 1974
Dir. Matthes von der Voest hat nicht zuletzt durch meine
Interpellation noch einmal alles zusammengekratzt und statt
der 120.000 die die Sowjetunion fordern für 1975 Bleche-
lieferungen doch statt der 40.000 wie ursprünglich geplant,
48.000 jährlich durch vier Jahre liefern zu können. Die
Sowjets wollten 2 Jahre nur je 120.000 Tonnen, Die Behauptung
Ossipows daß er in der Bundesrepublik Deutschland bei Mannesmann
sich den Rest kaufen wird, fürchtet Matthes nicht, da er weiß,
daß Mannesmann nur die versprochenen 600.000 Tonnen liefern kann,
nicht die von den Sowjets verlangten 700.000. In Schweden selbst
haben sie nur 40.000 bekommen und die Schweden haben mit ihnen
vereinbart, daß sie jährlich kontinuierlich liefern müssen und
keinesfalls auch über die 40.000 hinaus gehen können. Die Voest
ist dafür bereit ihnen Rohre zu liefern, 12.000 Schilling pro t
fob Nordseehafen wovon allerdings 2.500 bis 3.000 Schilling
Umwandlungskosten für Mannesmann beinhaltet sind. Für das Blech
bekommt die Voest 9.500 Schilling pro Tonne fob Linz. Die Sowjets
möchten von dem Kredit von 130 Mill. Dollar ca. 10 % für Kabel,
Schweißelektroden, Isolierbänder usw., ausgeben. Matthes glaubt
kaum, daß sie für Symalen-Rohre davon etwas abzweigen werden.
Der Kredit wird mit 10.25 – 11 % zur Verzinsung kommen, was die
Sowjets natürlich auch noch nicht akzeptiert haben.
Ich erkläre mich für Gen.Dir. Bauer und Matthes gegenüber bereit.
bei der Versprechung ganz kurzfristig zu erscheinen um Ossipow
darauf aufmerksam zu machen, daß wir ihm hier weitestgehend
entgegenkommen. Bauer schlägt allerdings vor noch zuzuwarten,
da der noch keinesfalls den Zeitpunkt für gegeben erachtet
wo ich mich einschalten sollte. Die Sowjets verlangen jetzt
für das Gas gigantische Preise während sie im alten Vertrag
14.-- $ bekamen möchten sie jetzt 76.-- $ bis 78.-- $.
Interessant ist, daß sie immerhin die 600 Millionen, die wir
heuer zu kaufen konnten, nämlich noch mit 24.-- $ uns verrechnen.
Ossipow meinte zwar, Österreich wird es bereuen, daß wir jetzt
nicht sofort abschliessen und vor allem die sowjetischen Wünsche
auf mehr Blech nicht erfüllen, da er sich woanders umsehen wird.
Als wichtiges Zugeständnis ist er aber bereit, österreichische
Preise nicht höher zu berrechnen als anderen Staaten. Das
Privileg, daß wir allerdings dadurch hatten, für den ersten Gas-
rohrvertrag mit ihnen gemacht und verhältnismässig sehr billig
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einkauften, ist endgültig vorbei.
Bei der Eröffnung des Kongresses der Int. Bekleidungsindustrie
habe ich gar nicht einen so guten Eindruck von meiner Eröffnungs-
ansprache gehabt und zu meiner größten Verwunderung hat mir
nachher Sallinger aber auch andere erklärt, dies sei meine beste
Rede gewesen. In Wirklichkeit glaube ich zwar, nichts anderes als
der Präsident dieser Institution, Hoffmann, ein Deutscher, sich
bei seiner Einleitung mit den Verhältnissen der Bundesrepublik
kurz beschäftigte und die dortigen harten Auseinandersetzungen
zwischen Industrie und Gewerkschaft und Konsumenten sowie Staat
usw. herausstrich. Mit einer gewissen Nostalgie erinnerte er
sich, daß Österreich nicht nur in dieser Beziehung sondern auch
kultureller, usw. besser war und ist. Hier konnte ich natürlich
dann unser bewährtes Modell der Sozial- und Wirtschaftspartner-
schaft anbringen, neben dem Konzept, daß mir Dinzl wirklich sehr
gut zusammengestellt hatte. Da Dinzl tatsächlich der Fachmann
par excellence ist, habe ich ihm der dortigen Versammlung und
dem Arbeitskreis wo er mitarbeitet bestens empfohlen und gemeint.
er ist vielleicht weniger repräsentativ als ein Minister aber
dafür kann er ihm viel mehr helfen.
Beim Heurigen spät abends nach 10 Uhr wo sie schon einigermassen
getrunken hatten kamen dann insbesondere die deutschen Gäste uns
über dieses Österreich zu beglückwünschen und gleichzeitig auch
z.B. in der Vermessung der Bevölkerung die deutschen Ziffern, die
mit preußischer Gründlichkeit erhoben wurden, anzubieten. Der
Staat hat dafür mit der Industrie Millionenbeträge aufgewendet.
Dr. Catharin, ein sehr geschickter Fachverbandssekretär, der gute
Beziehungen dorthin hat, versprach mir, er hätte sowieso im Sinn
auf Grund dieser deutschen Ziffern nurmehr bei uns Kontroll-
messungen durchzuführen. Die notwendigen Geldmittel seien ihm
aus der letzten Subvention noch übrige geblieben und fragte ob
er sie dazu verwenden kann.
Anmerkung für BUKOWSKI: Tu mit Grumbeck und Marhold die finanzielle
Umwandlung wenn notwendig sofort durch-
führen.
Was mich immer bei solchen Heurigenbesuchen wo die Zunge dann
locker sitzt, furchtbar erschüttert ist, wie die Unternehmer
manche unserer Genossen, in diesem Fall war Marsch dran, eben
weil er als der Parteimann gilt, fast haßten. Ich bin zwar
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draufgekommen, daß sie mit ihren anderen Gruppen innerhalb
ihrer Partei also ÖAAB oder Bauern auch oft nicht besser
von deren Funktionären reden. Doch glaube ich, daß das
wirkliche Problem ist, daß in beiden Lagern auch bei uns
die Spitzenpolitiker gegenseitig doch viel zu viel verteufelt
werden. Dies muß nicht einmal von den Obersten geschehen sondern
von mittleren Funktionären, die allerdings dann davon überzeugt
sind, damit den obersten eigenen Parteifreunden einen grossen
Gefallen zu tun. Dies finde ich, ist der traurigste Punkt der
Entwicklung die eben eine Lösung wie Regierung, Opposition
scheinbar auslösen muß. In anderen Staaten wie in Amerika, England,
usw. ist es sicherlich noch viel ärger, auch dies ist nicht zu-
letzt der Grund warum ich immer geglaubt und nach wie vor über-
zeugt bin, daß eben ein schweizerisches System besser und ziel-
führender ist. Selbst wenn es politisch nicht so effizient wie
die harte Konfrontation Regierung, Opposition, so ist es auf
alle Fälle menschlicher.
Beim Wiener Vorstand kam Fritz Hofmann, der gleichzeitig auch
in der Donaukraftwerk Aufsichtsratspräsidents-Vorsitzender ist
zu mir und meinte, wir sollten unter allen Umständen versuchen
auf gütigem Wege ohne Terminfallfrist das Problem der Reorga-
nisation durchführen. Er war erleichtert von mir zu hören,
dass ich von Seiten des Präs. Weiss über Sekt.Chef Frank die
Zusage habe, dass die ÖVP bereit ist, auch nach dem 1. Juli,
wenn sich die Abstimmungsverhältnisse durch Wegfall der zwei
Betriebsratsstimmen im Aufsichtsrat, bezüglich Bestellung von
Vorstandsmitgliedern trotzdem bereit sind, die soz. Mehrheit
dort sicherzustellen.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI UND GRÜNWALD: Frank hat mir versprochen,
er wird von Weiss die schriftliche Bestätigung dieses Arrange-
ments verlangen. Bitte auf Termin legen.
Im Wiener Vorstand wurde von Nittel über die letzten Vorbereitungen
für den Präsidentenwahlkampf berichtet. Bemerkenswert war nur eine
Bemerkung Gratz's, der jetzt mit Kirchschläger alle Veranstaltungen
fast besuchen will, dass für den 17. bevor die Fernsehdiskussion
zwischen Lugger und Kirchschläger stattfindet, er Ruhe haben möchte,
um sich zu konzentrieren. Gratz meinte, am liebsten hätte er noch
eine grosse Veranstaltung vorher mit ihm. Er selbst ist damals nicht
zuletzt auf unser Drängen bevor er mit Hahn im Fernsehen diskutierte
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auf einen Sprung in unsere Bezirksversammlung gekommen. Jetzt gibt
er zu, dort wurde er derartig mit Begeisterung aufgenommen, dass er
innerlich mit der Überzeugung hingeht, jetzt muss ich gewinnen.
Das aktuelle Argument erscheint wieder, eine Aktion, wo 25 JG-Leute
in 16 Routen ab 3 Uhr früh die Zustellung übernehmen und dadurch die
Betriebe mit wertvollem Material versorgen. Die AZ käme nämlich viel zu
spät für wirklich ein aktuelles Argument.
Im Wiener Vorstand und noch mehr dann im Wiener Ausschuss gab es
nur ein Problem nämlich die Änderung des Mietrechtes. Die Mieter-
vereinigung, Windisch und Lustig, protestieren auf das Schärfste,
dass ein Kompromiss mit der ÖVP angenommen wird, ja selbst nur ange-
strebt wird, die ÖVP ist nur bereit, die Ersatzwohnung bei Abbruch,
die freie Mietzinsbildung bei Substandardwohnungen und die Zinsen-
beihilfe zu akzeptieren. Dies erscheint der Mietervereinigung als so
wenig, dass sie einen Antrag eingebracht hat, wonach das Verhandlungs-
komitee und die soz. Abgeordneten Wiens im Parlament verpflichtet
werden sollen, mehr für die Regierungsvorlage einzutreten. Die Formu-
lierung war so ungeschickt, dass selbst Gratz erklärte, er ist bereit,
selbstverständlich für diese Formulierung zu stimmen. Wenn aber eben
nicht mehr zu erreichen ist, dann bitte muss man dem Verhandlungskomitee
die Möglichkeit geben, auf einer Kompromissbasis abzuschliessen.
Dies wurde dann gegen die zwei Genossen im Wiener Ausschuss angenommen.
Windisch beschwert sich, dass Broda zwei Termine genannt hat, wo
endlich die Mietrechtsänderung durchgeführt wird, nämlich zum 1.1.1974
und als dieser Termin verstrichen ist, jetzt zum 1. Juli 1974. In Wirk-
lichkeit liegt der Nachteil darin, dass Broda den Justizausschuss mit
seiner Strafrechtsreform zugedeckt hat und deshalb für die Mietrechts-
änderung kaum Platz bleibt. Um nun überhaupt etwas mit der ÖVP in
einem Unterausschuss vereinbaren zu können und damit die ÖVP nicht im
Justizausschuss dann alles was Mietrechtsänderung ist blockiert,
ist er zu einem grösseren Kompromiss bereit. Der Fehler, hat Gratz
im Vorstand ganz kurz angedeutet, ist deshalb geschehen, dass man
nicht wie die ÖVP dies 67 gemacht hat, einen eigenen Ausschuss eingesetzt
hat, sondern dieses im Justizausschuss zugewiesen hat. Gratz und
alle Proredner haben allerdings bemerkt, dass es ein alter gewerk-
schaftlicher Grundsatz ist, eben mit einem Teilerfolg lieber abzu-
schliessen als gar nichts zu erreichen, Windisch dagegen möchte die
Mehrheit der SPÖ jetzt schnell einsetzen, weil er befürchtet, dass
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nie mehr wieder eine Gelegenheit dazu sein wird. Er deutete
die blau-rote Koalition an und dort wird es keinerlei Mietrechts-
wünsche mehr für die Mietervereinigung geben, die erfüllt werden.
Ich habe mittags mit Holoubek aber auch mit Senatsrat Skopalik
der auf Wunsch Gratz's das erste Mal an unserem Institutsessen
teilnimmt, über dieses Problem gesprochen. Beide bestätigten mir,
dass von ihrem Standpunkt ein Kompromiss dringend notwendig ist,
weil gerade durch die Abbruchlösung immerhin die Hausherren 2.500
Mieter, die jetzt unmittelbar gefährdet sind, in Ersatzwohnungen
unterbringen müssen, die ansonsten der Gemeinde anfallen würden.
Allerdings ist man sich klar darüber, dass die Ersatzwohnung dann
wahrscheinlich wieder nur in einem ähnlich abbruchreifen Haus
wird beschafft werden, sodass es leicht dazu kommen kann, dass
Menschen aus abbruchgefährdeten Häusern ununterbrochen ausziehen
müssen. Niemand weiss allerdings eine bessere Lösung für die
Überalterung der Wiener Wohnungen.
Beim Journalistenfrühstück habe ich Langer-Hansel auch vor versammel-
ter Presse meinen Dank ausgesprochen und insbesondere seine Fähig-
keit, die neue junge Geschäftsführung heranzubilden und jetzt auch
gemeinsam mit mir zu installieren. Der Presse habe ich indirekt den
Vorwurf gemacht, dass sie sich als der Streit durch fast ein Jahr
sich hinzog, einige Male dafür interessierte, jetzt aber überhaupt
niemand über die neue Konstruktion, die doch alle begrüssen müssten,
sie unterstützten. Das Zwanzig-Punkte-Programm wurde von Zolles
erörtert. Ich glaube, dass es überhaupt zweckmässig ist, wenn wir
in Hinkunft die Aktivitäten der ÖFVW bei unserer Pressekonferenz
vorstellen.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Zolles die Möglichkeit besprechen.
Die Konferenz der Bezirksobmänner und Bezirkssekretäre von ganz
Österreich wurde allgemein als ein organisatorischer Wahnsinn
betrachtet. In einer Wahlzeit die Sekretäre und Obmänner von
Boden- bis zum Neusiedler See nach Wien zu rufen, wurde als nicht
sehr glücklich bezeichnet. Kreisky dürfte dies auch gewusst haben,
denn er hat dann nach seinem Referat und den Ergänzungen von Brantl
und Marsch, die nichtssagend waren, sich zu Blecha geschlichen
und ihn aufgefordert, er soll eine Analyse der Wahlen und insbeson-
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dere der letzten Erhebungsergebnisse geben. Kreisky hat nämlich aus-
geführt, dass in NÖ in den kleinen Gemeinden man gut abgeschnitten
hat, genauso in Wr. Neustadt und St. Pölten, dass nur die mittleren
Industriegemeinden ausliessen. Der Verlust mit -0,9 % sei nicht
so hoch, doch müsse man insbesondere bedenken, dass Jungwähler uns
nicht mehr gewählt haben. Diese Jungwähler sind jetzt stolz darauf,
Wechselwähler zu sein. bilden sich ein, selbst zu entscheiden und
werden in Wirklichkeit durch die Massenmedien manipuliert. Wie
Blecha dann richtiggehend ergänzte, hat die ÖVP ihre 30 Mill.
gut angelegt, denn sie hat bei diesen Anfälligen entsprechende Er-
folge erzielt. In Zuwanderergebieten wie z.B. Mödling, insgesamt
machen nach seinen Erhebungen diese 13,9 % aus, hat die ÖVP 2 %
dazugewonnen, während die Sozialisten 1,3 % dort verloren haben.
weit über dem Durchschnitt also bei beiden. Im Jungwählersprengel
war die Ergebnisse noch verheerender, dort hat die ÖVP doppelt so viel
gewonnen und die SPÖ dreimal so viel verloren. 1971 wurde der SPÖ-
Erfolg mit diesen Gruppen und in diesen Gebieten erzielt. In Agrar-
gemeinden konnten die Sozialisten bis zu 0,2 % Zuwachs erreichen,
wenn dagegen die Jungwähler dort stärker waren, hat sofort die
Sozialisten minus 1 % erreicht.
Kreisky hat in seinem Referat dann neuerdings auf die Bedeutung der
Bundespräsidentenwahl hingewiesen, da die Regierung am 24. demissio-
nieren muss und dann selbst wenn Lugger erklärt, er wird Kreisky
wieder bestellen, er dann doch der Bundesregierung gewisse Auflagen
geben kann. Kommt es zu keiner Einigung, dann könnte er immer den
Nationalrat auflösen, um das Vorverlegen der Nationalratswahlen 1975
zu erreichen. Körner hat in der Vergangenheit z.B. abgelehnt, den
Korruptionisten Krauland in die Regierung aufzunehmen. Ebenso hat er
abgelehnt, als Figl eine Dreier-Koalition bilden wollte, die Raab
von Figl verlangte, obwohl er dann, als Figl von ihm abgelöst wurde,
mit einer Zweier-Koalition auf Drängen Körners sich dann einverstan-
den erklärte. Schärf hat Raab wieder abgelehnt, der Waldbrunner
unbedingt aus der Regierung heraushaben wollte. Jonas wieder hat
Kreisky das Minderheitenkabinett ermöglicht und bestätigt. Kirch-
schläger sei keine Erfindung von Kreisky sondern er hätte keine
andere Möglichkeit gehabt, um die Übermacht der Massenmedien, die
dann sofort wenn ein Sozialist kandidiert hätte, sofort mit der Gleich-
gewichtsparole gekommen wären. Kirchschläger war also nach Auffassung
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Kreiskys eine Notwendigkeit. Er meinte, da die Presse nicht an-
wesend ist, könnte er jetzt freier sprechen. Diese Bemerkung
macht Kreisky immer wieder in kleinerem Kreis, um scheinbar den
Eindruck zu erwecken, dass er hier Exklusiv-Informationen gibt.
Jedermann, der ihn genauer kennt, weiss allerdings, dass er genau
weiss, von einer grossen Versammlung geht alles hinaus und vor allem
informiert er doch die Presse sowieso nach seinem Gesichtspunkt.
Er sprach dann noch einmal über die Vergangenheit Kirchschlägers.
Die Vaterländische Front, das ist die DAF, selbst in der ille-
galen Organisation hatten wir damals gesagt, steckt euch das Existenz-
fahnderl auf und 1938 wurde sogar beschlossen, in die Soziale
Arbeitsgemeinschaft eine Teilorganisation der Vaterländischen
Front einzutreten. Damals hätten einige Genossen gemeint, es
müsste ein prominenter Mann wie z.B. Seitz, der Repräsentant
der Sozialisten in dieser Sozialen Arbeitsgemeinschaft sein.
In der Diskussion wurde aber dann Karl Hans Sailer der Führer
der Revolutionären Sozialisten dafür bestimmt, weil nur er im-
stande gewesen wäre, die Arbeiterschaft davon zu überzeugen, dass
man jetzt wirklich in grösserer Masse in der Vaterländischen Front
mitarbeiten soll. Die Heimwehr dagegen, das ist die SS. Lugger
hat sich niemals davon distanziert. Im Gegenteil, in der Kleinen
Zeitung schrieb er noch 1930 ist Österreich und der Parlamentarismus
unter zu viel Demokratisierung zugrundegegangen. Entgegen der aus-
drücklichen Verfassungsbestimmung erklärt Lugger, er wird einen
Druck auf die Regierung ausüben und wird als Gesetzesinitiator
wirken. Für die Vertrauenspersonen aber auch für Kreisky ergibt
sich nun die Frage, warum Kirchschläger von der ÖVP-Zeit nichts
gesagt hat. Er meint, dies sei nicht Charakterschwäche gewesen,
sondern Kirchschläger wollte wirklich nicht daraus politisches
Kapital schlagen. Dies aber jetzt der Masse zu erklären, sei zu
spät. Hätte Kreisky davon gewusst, wäre er zum Parteivorstand und zum
Parteirat gegangen und hätten den Brief verlesen und gesagt, ein
Mann, der 1947 bereits die ÖVP aus diesen Gründen verlassen hat,
ist für uns nicht nur akzeptabel, sondern zeigt ein ungeheures
soziales Denken. Als er in Moskau von dieser Mitteilung überrascht
wurde, hat er keine Sekunde geschwankt sofort die Wahrheit zu sagen.
Der Parteivorsitz ist eben ein höheres Gut als eine opportunistische
Erklärung und er hätte deshalb irgendeine Ausrede, er hätte davon
gewusst usw. nicht gebraucht, weil sonst die Parteifreunde von ihm
natürlich enttäuscht gewesen wären.
Kreisky analysierte dann die derzeitige Situation und meinte,
dass eine mittlere Gruppe für Kirchschläger sei, dich die links
von der SPÖ stehen, müsse man überzeugen, dass sie doch zweck-
mässiger Kirchschläger wählen an den reaktionären Lugger. Die Frei-
heitlichen werden nicht 2/3 SPÖ und 1/3 ÖVP wählen, wie man
immer annimmt, sondern er schätzt dass maximal 40 % uns zufallen
und 60 % dem ÖVP-Kandidaten. Der ÖVP-Wählerstock wird zur Gänze
Lugger wählen. Die derzeitigen Meinungsbefragungen sprechen noch für
Kirchschläger aber der Prozess der Meinungsbildung ist noch
nicht abgeschlossen. Blecha ergänzte dann richtig, dass seine Prognose
bis jetzt immer gestimmt hätten. Die Jungwähler aber würden derzeit
Kirchschläger zu grösserer Mehrheit verhelfen, aber dies ist drei
Wochen vor der Wahl für 95 %, die befragt worden, sicher, aber 5 %
meinen, dies könnte sich noch ändern. Die Frage lautet in einem
solchen Fall ja immer: Wen würden sie morgen wählen. Auch bei
den Angestellten ist der Meinungsbildungsprozess noch nicht end-
gültig abgeschlossen. Lugger wirkt ausserdem auf jüngere Frauen schein-
bar durch das weisse Haar, d.h. durch den Opapa-Typ. Kreisky leitete
mit Recht ein, die Bundespräsidentenwahlen dürften nicht so geführt
werden, wer ist der bessere Grosspapa. Interessant spielt dies aber
für die jüngeren Frauen scheinbar ein Rolle. Blecha hat in der Kon-
ferenz nicht der Resultat der Erhebung gesagt, doch ich weiss,
dass wir noch immer 5 – 6 % besser liegen. 48 : 43. Doch sind von
der letzten Erhebung bis zum Wahltag noch fast ein Monat. Hier kann
wirklich der Meinungsbildungsprozess eine grosse Rolle spielen, oder
auch Ereignisse, die diesen beeinflussen können. Für mich ist sicher
dass ein so grosseres differentes Ergebnis nicht herauskommen wird.
Das Wahlergebnis fürchte ich, wird sehr knapp sein.
Kreisky wendete sich dann zum Schluss ganz besonders gegen die These,
die absolute Mehrheit sei verloren, wie einzelne Parteimitglieder
aber auch Funktionäre immer wieder sagen. Wir hätten nur die Jung-
wähler derzeit besonders enttäuscht durch unsere Wohnpolitik. Daran
sei aber nicht Moser schuld, sondern die Schwierigkeit des Bodenbe-
schaffungsgesetzes durchzusetzen und der Kreditmangel bei der Wohn-
bauförderung. Ich frage mich dann allerdings, warum man dies nicht
schon früher erkannt hat. Als Ausgleich soll jetzt eben den Ver-
heirateten die 16.000 S gegeben werden. Weil insbesondere dann, wenn
ein Kind kommt, der Einkommensverlust eintritt, wenn die Frau zu Hause
bleibt. Über die kleinen Agrargemeinden müssen wir uns mehr kümmern,
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Die letzten Ausführungen Kreisky haben mich in meiner Meinung be-
stärkt, dass er nach wie vor auf dem Standpunkt steht, die Politik
die er 1970 eingeschlagen hat, fortsetzen zu müssen, um bei den
Nationalratswahlen besser abzuschneiden als wir derzeit wahrschein-
lich liegen. Meiner Meinung nach ist es jetzt tatsächlich schon
zu spät, die Richtung zu wechseln, ich weiss nicht, ob wir unsere
Stammwähler, die uns ja teilweise als Wechselwähler jetzt ver-
lassen, mit einer Politik für diese Stammwähler wieder zurückgewinnen
können, wenn wir gleichzeitig dadurch die Wechselwähler, die uns aus
dem gegnerischen Lager 1971 gewählt haben, dann womöglich auch
wieder verlassen. Da ich keinerlei Rezept für diese schwierige Situa-
tion weiss, bleibt mir nur ein Einziges, Kreisky um diese Entschei-
dungen nicht zu beneiden.
Beim Konzert im Musikvereinssaal von der DDR hat mir der DDR-Bot-
schafter mitgeteilt, er hätte versucht, mich den ganzen Tag zu er-
reichen. Er wollte mir mitteilen, dass er meinen Brief wegen der
Briketts nach Berlin geschickt habe, von dort die Antwort bekommen
habe, es sei nicht beabsichtigt, resp. derzeit werden keine Preis-
erhöhungsgespräche geführt.
ANMERKUNG FÜR WAIS: Gaskoks verständigen.
Reiter hat mir mitgeteilt, dass am Mittwoch ich keinesfalls bei
den Parteiberechnungen anwesend sein muss, wahrscheinlich gar nicht
sollte. Es handelt sich um einen Informationsfehler. Bei der letzten
Aussprache der politischen Gremien hätte Androsch auf Vorwurf der
ÖVP, dass noch immer nicht über die Preis- und Marktordnungsgesetze
verhandelt wird, er selbst wurde ja von Kreisky dazu beauftragt,
die Verhandlungen zu führen, vorgeschlagen, er wird dies in Ordnung
bringen. Da er dann nach Amerika gefahren ist, hat er mein Büro
verständigen lassen, ich sollte mit der ÖVP entsprechende Verhand-
lungen führen. Ich habe deshalb Koren angerufen und vom ihm erfahren,
dass ein ÖVP-Komitee bestehend aus Koren, Mussil, Drennig und einem Bau-
ern, für die Verhandlungen des Preisregelungsgesetzes seit längerer
Zeit bereit sind. Ich schlug ihm sofort vor, er solle nur einen Termin
sagen, dann werde ich diese Verhandlungen einleiten. Ich selbst erklärte
Koren, wir kennen uns lange genug und auch sein Verhandlungskomitee
kenne ich, sodass wir nicht wochenlang oder auch nur stundenlang
über ein Problem diskutieren müssen, ich schlug ihm vor, wir
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sollten zielstrebig schauen, ob wir eine Einigung erreichen und
wenn dies nicht der Fall ist, sofort unseren Gremien berichten.
Koren war damit einverstanden.
Kreisky machte meiner Meinung nach 1970 schon den Fehler, dass er
alles bei sich konzentrieren will und wollte und deshalb also viele
Arbeit unterblieb. Androsch steigt in genau dieselben Fusstapfen.
Tagesprogramm, 10.6.1974
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)