Donnerstag, den 17. Oktober 1974
bis Sonntag, den 20. Oktober 1974
Die Reise nach Bulgarien war doch, wie sich später herausstellte,
unbedingt erforderlich. Eine Verschiebung wäre kaum möglich gewesen,
denn am Sonntag hat bereits Nedew eine iranische Delegation zu
betreuen gehabt. Das gemeinsame Protokoll über die 6. Tagung der
Gemischten Kommission war vollkommen uninteressant. Wichtig waren dagegen
die Besprechungen, die sehr konkret geführt worden sind, um die
Schutzklausel für die mit 1.1.1975 eintretende Liberalisierung durch-
zusetzen. Fälbl hat um einen Liter Milch gegen eine Flasche Whisky
gegen mich gewettet, dass wir dies niemals zustandebringen. Die Bulga-
ren hatten auch anfangs eine sehr sture Haltung, denn sie wollten eine
bessere Lösung, als wir den anderen sozialistischen Staatshandelslän-
dern gegeben hatten. Sie erklärten sich ausserstande, was ich übrigens
auch einsah, die Verpflichtung, ihre Importe nach Bulgarien von
österr. Exportgütern zu erhöhen. Nedew verwies mit Recht darauf, dass
sie ca. doppelt so viel importieren, als sie nach Österreich exportieren
können. Sie haben ein ständiges Zahlungsbilanzdefizit und sehen sich des-
halb ausserstande, eine einseitige Importerhöhungserklärung abzugeben.
Das andere Argument aber, dass sie sowieso auch liberalisieren, d.h.
dass die Liberalisierung beidseitig ist, hat natürlich infolge der
Wirtschaftsstruktur, Nedew kann den Aussenhandelsgesellschaften ja
jederzeit verbieten, Waren einzuführen, er gibt ihnen ganz einfach
keine Devisen, nur rein deklaratorischen Vergleichscharakter. Mussil
hat sich deshalb über diese Frage mit Nedew bei der zweiten Sitzung,
die gar nicht vorgesehen war, am Abend vor dem feierlichen Empfang
so verbissen, dass beide dann nach stundenlanger Diskussion nachgeben.
Mussil musste zugestehen, dass auch diese Erklärung so allgemein ge-
halten wurde, dass sie auch gegenüber dem DDR-Vertrag oder Polen-
Vertrag nichts aussagt. Nedew selbst meinte ganz brutal, er sei nicht
bereit, für die Liberalisierung etwas zu bezahlen. Wichtig für mich
aber war weniger eine solche deklaratorische Erklärung als vielmehr
die konkrete Möglichkeit, entliberalisieren zu können, wenn eine
Firma in der Existenz bedroht wird. Mussil selbst hat jetzt einmal
im Konkreten miterlebt, wie schwierig es war, die Oststaaten davon
zu überzeugen, dass wir ein solches Schutzsystem dringend brauchen
und letzten Endes ihre Zustimmung dazu zu erreichen. Natürlich hätten
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wir auch einseitig eine solche Massnahme setzen können, doch wären wir
dann sicherlich von dem betreffenden Staat hart attackiert worden,
dass wir die langfristigen Vereinbarungen, die wir getroffen haben,
nicht dem Sinne nach, ja nicht einmal dem Wort nach erfüllen. Diese
Schwierigkeiten, die ich seit Monaten schon gesehen habe, ist nun
gebannt. Nach Abschluss des Protokolls, welches wir dann sogar
Samstag abends erst unterzeichnen konnten, haben wir auch diesen vor-
letzten Staat auf eine vernünftige Lösung bringen können.
Jetzt verbleibt nur mehr die CSSR, wo es meiner Meinung nach des-
halb keine Schwierigkeiten geben wird, weil wir ja bekanntlicherweise
mit der CSSR wegen der Vermögensverhandlungen ein sehr schlechtes
Klima haben und solange dieses nicht gelöst ist, auch gar nicht
besondere zusätzliche Vereinbarungen mit der CSSR treffen möchten.
Mussil selbst hat miterlebt, wie es einer Delegation ergehen kann,
bis jetzt hatte er maximal von Gleissner entsprechende Berichte
bekommen und dort dann immer auf hart geschaltet. Gleissner
hat auch diesmal der Delegation, d.h. Dr. Mayer von der Handels-
kammer und den neuen Aussenhandelsstellenleiter Dr. Schmidt ebenfalls
in einem Schreiben mitgeteilt, was sie alles durchsetzen müssen.
Mussil selbst hat dann immer wieder auf Grund dieser Unterlagen
versucht, entsprechende Verbesserungen zu erreichen, was ihm natür-
lich nicht geglückt ist. In Hinkunft werde ich mehr denn je auf
die Schwierigkeiten bei Verhandlungen mit anderen Staaten verweisen
können, weil eben er jetzt einmal sehr konkret gesehen hat, wie
es bei solchen Verhandlungen zugeht. Als er nachher beim Empfang, der
eine Stunde später erst beginnen konnte, durch Nedew genötigt, einige
Gläser Wodka trinken musste, hat er freizügig mir gegenüber bemerkt,
es wäre besser gewesen, er wäre nicht gekommen. So hat die Sonder-
sitzung des Nationalrates, an der ich hätte teilnehmen müssen, wenn
Mussil nicht ebenfalls nach Bulgarien gefahren wäre, das Gute, dass
er jetzt einmal im Konkreten solche Verhandlungen mit Ausländern er-
lebt hat. Fälbl war auch sehr nervös. weil er am Anfang weiter-
drängen wollte, damit wir zeitgerecht mit allem, wenn überhaupt
fertig werden. Da sein Verhandlungspartner ein neuer Mann, angeblich
wie Fälbl sich in seiner Weise ausdrückt, nichts versteht und über-
haupt nicht mit ihm verhandeln kann, sich sicherlich sehr schwierig
tat, habe ich versucht, eben auf Ministerebene alles zu bereinigen.
Nedew selbst wollte immer wieder, dass wir ein andermal fortsetzen,
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genau das aber wäre taktisch das Schlechteste gewesen. Mussil und
Nedew an einem Tisch haben für mich bedeutet, die günstigste Ver-
handlungssituation, die man sich vorstellen kann, mit dem grossen
Vorteil, eine Einigung zu erreichen, die die Handelskammer dann auf
gar keinen Fall mehr angreifen kann.
Beim Fremdenverkehrsminister Racev wurde ich ersucht, dass wir
mehr für den bulg. Fremdenverkehr tun sollten. Insbesondere hat
die Balkan-Airline mit 50:50 Balkan-AUA-Lösung nicht die Möglich-
keit, die notwendigen Passagiere, die Interesse hätten, an einem
Charterflug nach Varna zu bringen. Aus diesem Grund sollten
diesbezüglich neue Verhandlungen begonnen werden. Ich habe selbst-
verständlich als nicht kompetent mich dafür gefühlt, sondern nur
über die Werbung der Donauländer, die von Österreich initiiert wurde,
gesprochen. Der Vorschlag von Nedew bei unserer Sitzung, es sollte
eine bulg.-österr. Gesellschaft gegründet werden, die die konkreten
Reisen durchführen sollte, wurde, wenn es sich nicht bei Nedew um
einen Übersetzungsfehler gehandelt hat, von Racev nicht mehr so
dezidiert erklärt. Angeblich ist jetzt beabsichtigt, eine Gemischte
Kommission auf Grund unseres Fremdenverkehrsabkommens nach Bulgarien
einzuberufen. Die Bulgaren erklärten, sie hätten bereits den Oktober
dafür vorgesehen und die österr. Botschaft wieder hat urgiert, wann
endlich einmal ein Termin von ihnen genannt wird.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Bitte kläre mit Würzl dieses Problem insbe-
sondere auch der gemischten Gesellschaft. Ich selbst habe nur ver-
sprochen, dass man österr. Reisebüros davon informieren wird.
Ministerpräsident Todorow hat mir wieder mit dem Botschafter und
Mussil allein eine Aussprache gewährt. Zu meiner Schande muss ich
gestehen, dass ich die letzte vollkommen vergessen hatte. Als ich
daher vom Protokoll dort gefragt wurde, ob ich das Haus schon kenne,
erklärte ich rundweg, ich bin das erste Mal hier. Um dies auzuwetzen
erwähnte ich sofort, dass ich mich selbstverständlich
an die Aussprache noch genau erinnern kann, Todorow nahm auch dann
darauf bezug, nur geglaubt habe, dass dies in einem anderen Rahmen
stattgefunden hat.
ANMERKUNG FÜR BUKOWSKI: Das nächste Mal bitte mir immer zusammen-
stellen, mit wem ich schon gesprochen habe.
Diese Aussprache benützte ich primär dazu, um den Wunsch der
Bulgaren, man solle so schnell als möglich zu Ergebnissen auf
Kooperationsbasis kommen und wenn es keine Möglichkeit gibt,
dies dann frühzeitig zu erklären, um diesen Wunsch nicht nur
zu unterstützen, sondern noch zu erweitern. Ich verlangte, dass
wenn die Bulgaren tatsächlich zur Überzeugung kommen, dass
sie gewisse Projekte nicht manchen können, oder dass sie sie
in Wirklichkeit schon anderen Staaten oder Firmen vergeben haben,
dies der österr. Firma mitgeteilt werden sollte. Ich halte es
für ganz unmöglich, dass österr. Firmen immer nur zur Kontroll-
offerten herangezogen werden. Dadurch entsteht den österr. Firmen
ungeheure finanzielle Aufwendungen, die dann kaum abgedeckt
werden können. Todorow und auch Nedew, der anwesend war, sowie
insbesondere Prof. Popow, der Vizeministerpräsident, stimmten
mir zu. Zum Glück hatte ich vorher eine Aussprache mit Buchner
und konnte daher über die Projekte der Chemie Linz sehr eingehend
Stellung nehmen und sie wieder forcieren. Popow erklärte, dass
sie sowohl an der Gips-Schwefel-Anlage als insbesondere an der
Melamin-Anlage sehr interessiert sind. Wenn diese beiden Projekte
wirklich zustandekommen, so handelt es sich um Milliardenbeträge,
um die Bulgarien in Österreich kaufen würde. Wie wir diese durch
entsprechende bulgarische Lieferungen auch nur im entferntesten
ausgleichen können, ist mir schleierhaft. Die bulgarischen Maschinen
und elektronischen Geräte, die die Deutschen kaufen, gehen nach
Mussils Auskunft primär über Handelshäuser wieder in unterent-
wickelte Länder. Solche Handelshäuser haben wir nicht, Mussil bedauert
dies zutiefst und möchte immer, dass wir mit ERP-Unterstützung solche
gründen oder zumindestens entsprechend unterstützen, sodass die
bulgarischen Maschinen und elektronischen Geräte wahrscheinlich in
Österreich bleiben würden. Hier aber finden sich keine Abnehmer.
Eine Lösung dieses Problems sehe ich derzeit überhaupt nicht.
Mit landwirtschaftlichen Produkten, die sie im laufenden und im
vergangenen Jahr gar nicht liefern konnten, können solche gigantischen
Summen aber nicht aufebracht werden. Der Landwirtschaftsvertreter
Min.Rat Dr. Öhmer hat mich informiert, dass sie im Vorjahr weder Eier
noch Geflügel überhaupt nicht und alle anderen Produkte wesentlich
weniger geliefert haben als wir sie lizenzierten. Die Kontin-
gente wurden nicht annähernd ausgenützt.
Nedew erklärte mir immer wieder, und dies auch unter vier
Augen, dass sie grössten Wert darauf legen, mit Österreich
besondere Verhältnisse herzustellen. Sie möchten, wenn es irgendwie
geht, sehr wohl von Österreich wesentlich mehr an Anlagen und
Maschinen beziehen, weil sie dadurch wahrscheinlich den starken
Einfluss von der BRD aber auch anderer Weststaaten kompensieren
möchten. Das Hauptproblem liegt eben wirklich daran, dass wir
kaum Waren aus Bulgarien kaufen können. Ich war besonders froh,
dass er nicht neuerdings mit der Idee gekommen ist, man sollten
den Bulgaren einen günstigen Kredit vielleicht ähnlich wie mit
Polen verschaffen. Wenn Kreisky, wie ich auch dort verkündete, näch-
stes Frühjahr nach Bulgarien einen offiziellen Staatsbesuch machen
wird, bin ich allerdings nicht ganz sicher, ob das Ergebnis nicht
ebenfalls eine stärkere Zusage von ihm den Bulgaren gegenüber sein
wird, die dann äusserst schwierig zu effektuieren sein wird.
Ein jährliches Zusammenkommen bedeutet nämlich immer wieder
neue Verpflichtungen übernehmen, wie Mussil mit Recht bemerkt.
Er ist deshalb – so wie ich – gegen diese jährliche Zusammenkunft.