Mittwoch, 5. Nov. bis Samstag, 8.11.l975
Die Regierungserklärung von Kreisky im Nationalrat verlesen,
dauerte nicht wie erwartet 3 Stunden, sondern wirklich nur 2 Stunden.
Meiner Meinung nach war sie nicht so schlecht, im Gegenteil. Na-
türlich ist es furchtbar schwierig, aus den Vorschlägen den einzel-
nen Minister ein geschlossenes Ganzes zustande zu bringen. Des-
halb hat scheinbar auch Reiter oder vielleicht Rehak die Idee
gehabt, den Ministern ein Konzept vorzulegen, nach welchen
Gesichtspunkten sie ihre Darstellungen machen sollten. Da war
einleitend von der Philosophie die Rede, die den Ministerien
zugrundelegt, dann was schon geleistet wurde, was noch zu
leisten ist usw. Das Endergebnis war natürlich dann ein seiten-
langes Berichten, mit dem man letzten Endes auch wieder nicht
anfangen konnte. Das Wichtigste hat nämlich Kreisky vergessen den
Ministern zu sagen, dass jeder nur sagen wir 5 Seiten zur
Verfügung hat, wer mehr schreibt, muss damit rechnen gekürzt
zu werden. Nur unter diesen Umständen wäre es möglich gewesen,
eine nicht allzu lange und dann doch vielleicht homogenere
Regierungserklärung zustande zu bringen. In Wirklichkeit finde ich
aber ist die ganze Regierungserklärung gar nicht so wichtig.
Hätte Kreisky gesagt, wir arbeiten so weiter und aufgezählt
irgendwelche Punkte, wäre man genau so zufrieden oder unzufrieden
gewesen. So aber hat er doch auch in meinen Augen einige ganz
interessante Gesichtspunkte hineingebracht, die die andere Seite
irrsinnig ärgern und wahrscheinlich auch zur Kritik heraus-
fordert. Dies gilt vor allem über den Streit der Exprofitilisten ,
die natürlich das Rechtsempfinden des Volkes nicht gelten lassen
wollen. Meiner Meinung nach liegt das Problem ganz wo anders.
Was ich befürchte seit Jahren und jetzt immer mehr bestätigt be-
komme, ist, dass wir unser ganze Leben so verrechtlichen, dass
wir in Hinkunft überhaupt nicht mehr auch nur die einfachste
Lösung ohne Gesetze, Verordnung und weiss Gott was machen können
resp. werden. In der Oppositionszeit hatte ich schon geflucht,
dass Broda immer für alles ein Gesetz von den Ministern verlangte,
das typischste war das "Pick-Pick" der Autofahrer. Hier
hatte er als ARBÖ-Präsident sich dann auch tatsächlich durch-
gesetzt. Das Endergebnis waren die Gesetze, die für jede Kleinig-
keit, ob die Stosstange 30 cm oder 40 cm vom Boden entfernt
sein musste. Was wir müssten, ist, der Verrechtlichung unseres
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Lebens Einhalt zu gebieten. Ein Rechtsstaat ist etwas Schönes
und Notwendiges. Wer jemals in einem "Unrechts-Staat" gelebt
hat, weiss dies am meisten zu schätzen. So aber fürchte ich,
wird der Rechtsstaat ad absurdum geführt.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Hier könnte das Institut für Gesellschafts-
politik neue Erkenntnisse suchen und verbreiten.
In Genf hatte eine verhältnismäsisg kleine Delegation einen
Vorbesprechung. Vom Aussenministerium kam Seyffertitz anstelle
Klein, weil Bielka mir sagte, er rechnet, dass über den Dialog
eine Diskussion entstehen könne und da müsse er den Mann schicken
der am meisten davon wüsste und wahrscheinlich auch wesentlich
besser und durchschlagskräftiger ist. Das Finanzministerium hat
Palisek geschickt, Steiger und ich. Faustenhammer wurde neben
Martins selbstverständlich auch zugezogen. Ich informierte die
Delegation über unsere Vorbesprechung in der Montag-Sitzung
insbesondere über die 100 Mill. $ Obergrenze. Niemand wusste,
was die anderen Delegationen wirklich wollten, bei den Rats-
sitzungen, wo Martins und Faustenhammer immer dabei waren, hatte
sich niemand geäussert zu dem Vorschlag der Lissabonner Regierung
350 Mill. $ zu verlangen. Bezüglich des Dialogs war die Dele-
gation der Meinung, dass wir wenn möglich überhaupt nicht
dazu auffordern sollten über dieses Problem zu verhandeln.
Ich erklärte rundwegs, dass ich mich dafür überhaupt nicht zu-
ständig fühle, das Ganze ressortiert beim Bundeskanzler und
wird äusserstenfalls vom Aussenministerium in den diversen
internationalen Gremien immer mitvertreten. Innerhalb der EFTA
hätten wir damit auf alle Fälle nichts zu tun. Bezüglich der
anderen Tagesordnungspunkte gab es überhaupt keine Probleme.
Ich fragte noch unter vier Augen Steiger, warum er sich nicht um
einen Posten bei der EFTA bemüht hat, da jetzt feststeht, dass
Müller von der Schweiz und Langeland von Norwegen als Stell-
vertreter gewählt werden. Ich hätte Steiger deshalb früher nicht
einmal eine Andeutung gemacht, um ja nicht den Eindruck zu erwecken,
dass ich ihn weghaben wollte. Im Gegenteil sagte ich, ich bin sehr
froh, dass er jetzt diese Arbeit in Österreich macht. Steige er-
klärte mir, er hätte hauptsächlich wegen seiner Frau, die
sehr nervös ist, und wegen der Kinder niemals in Erwägung gezogen
ins Ausland zu gehen. Er hat auch niemals einen Auslandsposten
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angestrebt. Er sagte aber auch, er kriege das Heimweh, wenn
er wirklich wegfahren muss. Hier konnte ich ihn trösten, mir
geht es nicht anders, sagte ich, auch bei mir reicht mein Reise-
ziel nur bis Inzersdorf oder Hütteldorf. Allerdings ist es mir
nachher wurscht, ob ich bis Tokio fahre oder bis Wr. Neustadt oder
St. Pölten. Interessant war nur, dass er mir dann auch noch mit-
teilte, er hätte im Hause herumgehört und gefragt, ob jemand
anderer sich für die EFTA interessiert und da hätte ihm Min.Rat
Zembsch andeutungsweise wissen lassen, er interessiere sich viel
mehr für die Industriesektionsführung. Auf alle Fälle haben wir
in Österreich niemanden gefunden, was an und für sich sehr betrüblich
ist. Ich habe auf alle Fälle niemanden etwas in den Weg gelegt
aber auch niemanden dazu auch animiert, es soll wirklich jeder
Beamte in eigener Regie wissen, was er will.
Beim Abendessen, zu dem uns die Schweizer ins Intercontinental
eingeladen hatten, kam Brugger selbst verspätet, weil er mit
einer starken Delegation der Schweden über deren Schuhkontin-
genteinführung verhandelte. Die Schweizer waren sehr erschüttert
und hatten geglaubt mit Zureden, ja fast mit einem gewissen Druck
auf die Schweden zu erreichen, dass diese diese Massnahme wieder
zurücknehmen. Für mich war es klar, dass sie das aus verschiedenen
Gründen nicht können. Viele waren erbost, weil sie gerade einen
Tag vor der EFTA-Eröffnung diese Anordnung in Kraft setzten.
Für mich war es ganz klar, dass sie diesen Zeitpunkt deshalb
wählten, um nicht nach der EFTA-Tagung, wo man sie gefragt hätte,
ob sie so etwas machen wollen, dann erst recht diese Verordnung
in Kraft setzten. Was die Schweden allerdings falsch machten,
war, dass sie den Artikel XVIII der EFTA-Vereinbarung heranzogen.
Dieser sieht vor, dass bei Kriegsgefahr oder als neutrales Land
zur Erhaltung des Kriegspotentials Massnahmen getroffen werden
können. Wenn aber es sich um Einfuhrbeschränkungen handelt, dann
muss vorher der Rat gefragt werden und um Zustimmung gebeten werden.
Die Schweden stehen auf dem Standpunkt, es kommt ihnen nicht mehr
an auf die 2.000 Schuharbeiter, sie wo anders unterzubringen in
den 10–15 Betrieben, die noch existieren, sondern dass sie
heute bereits nicht mehr imstande wären, wenn es zu einem Krieg
kommt und sie mit einer Blockade rechnen müssen, ihre Bevölkerung
geschweige denn auch ihre Soldaten mit Stiefeln und Schuhen zu
versorgen. Feldt meint, ihnen fehlt das Know-how, wie man
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überhaupt Schuhe erzeugen kann, wenn jetzt die letzten Schuhfabriken
zu Grunde gehen. Die Schweizer haben ihnen vorgeschlagen, sie
sollen eben Schuhe auf Lager legen, so wie man andere kriegswirtschaft-
liche Rohstoffe und Halbfabrikate und Waffen und Gerät auf Lager
legt. Scheinbar haben die das in der Schweiz so gehandhabt. Was
wir befürchteten bei dem Essen, dass die Schweizer von uns verlangen,
über den Dialog und ganz besonders über den Sitz der Schweiz als
Vertreter auch für Österreich bei der 27-köpfigen Tagung in Paris
zu verhandeln, kam nicht zur Sprache. Brugger hatte scheinbar die
Absicht uns nur eine gewisse Gastfreundschaft zu beweisen. Wir
sprachen insbesondere über die Hilfe für Portugal und ich meinte
nur, es wäre höchste Zeit, dass man jetzt einen konkreten Beschluss
fasst. Die Idee der Schweizer, die Portugiesen sollten mit konkreten
Projekten kommen, um jeden einzelnen Fall dann zu prüfen und über
die finanzielle Bedeckung dann den Kopf sich zu zerbrechen, hielt
ich für nicht zielführend. Die Portugiesen müssen sich mit der Zeit
fast gepflanzt vorkommen. Wir haben bereits zum drittenmal an
EFTA-Tagungen ihnen erklärt, wir werden ihnen helfen und haben
im konkreten noch nichts getan. Dabei ging es hauptsächlich um
den Industrie-Entwicklungsfonds, denn die Zollermässigung und die
technische Hilfe und vor allem einmal die landwirtschaftlichen Pro-
dukte, die gegebenenfalls von Portugal übernommen werden, sind alle
nur ganz unbedeutenden, wenn auch vielleicht für den einzelnen
wirksame Massnahmen. Österreich wird z.B. Portwein in Flaschen
mit einem tieferen Zoll belegen als bei anderen Weinen. Brugger
stimmte mir zu und hat damit den Schweizer Vertreter Lontine
mehr oder minder im Stich gelassen, der diese Linie bis jetzt ver-
treten hat. Da ich eine Ermächtigung des Ministerrates, bis 100 Mill.
Dollar hatte, wir beschlossen nämlich damals in der Vorbesprechung
270 Mill. S für Österreich – 5 Jahre 54 Mill. S – erklärte ich
bereit wären, dass ich bis 100 Mill. $ zu gehen. Brugger erklärte
auch, das müsse ein politisches Symbol und eine propagandistisch
auch in Portugal wirksame Ziffer sein und war mit den 100 Mill.
einverstanden.
Am nächsten Morgen, vor der offiziellen Tagung wurde eine inoffi-
zielle Besprechung abgehalten und ich bin zu Feldt, dem schwedischen
Aussenhandelsminister, gegangen, um mit ihm über den Dialog zu
sprechen. Ich fragte ihn, ob Palme mit ihm reden konnte, denn
Kreisky hätte mit Palme gesprochen, damit wir gemeinsam in diesem
Punkt vorgehen.
Feldt erklärte, er hätte keine Mitteilung von Palme und sei daran
auch nicht besonders interessiert, weil dies seine letzte EFTA-
Tagung sei und er in Kürze das Finanzministerium übernimmt. Ich
fragte ihn dann noch, ob irgendwelche anderen Fragen zur Dis-
kussion stehen und er hat nur noch auf die Globalkontingente von
Schuhe verwiesen und mir den schwedischen Standpunkt genau erklärt.
In der offiziellen Sitzung hat dann Island als Vorsitzender sofort
die Frage Portugal zur Sprache gebracht. Der portugiesische Dele-
gierte, ein Französisch-Lehrer an irgendeiner Hochschule, schilderte
in bewegten Worten die Situation, der norwegische Handels- und
Schiffahrtsminister meinte, wir müssten jetzt unbedingt helfen und
Norwegen akzeptiert jeden Betrag. Ich befürchtete allen Ernstes,
dass jemand dann sagen würde, man sollte den Portugiesen die
350 Mill. $ Kredite geben. Da niemand anderer einen Vorschlag machte
hatte ich mir vorgenommen, die 100 Mill. $ Grenze jetzt in der
Vorbesprechung auf alle Fälle zur Diskussion zu stellen. Brugger
meldete sich ebenfalls und meinte, hier müsse man helfen, aller-
dings müsse noch vorgesorgt werden, dass dieser Fonds nicht einen
Riesen-Apparat aufbaut und dass die Entscheidung letzten Endes
beim Rat, d.h. bei allen Staaten bezüglich der Projekte liegt.
Niemand machte einen anderen Vorschlag und man diskutierte dann,
wie am zweckmässigsten dieser Fonds errichtet wird und wie er
arbeiten soll. Der zweite wichtige Punkt war dann die Frage der
Globalkontingente von Schweden. Alles andere blieb zurück, wurde
nicht einmal besprochen, insbesondere die Internationalen Be-
ziehungen und die Wünsche von Rumänien, mit der EFTA in Kontakt
zu kommen, von Israel eine Lösung zu finden und von Jugoslawien und
Spanien ganz zu schweigen. Auch bei der offiziellen Tagung wurde die-
ses Problem der Aussenbeziehungen nicht besprochen. Offizielle Ta-
gung war überhaupt dann sehr interessant, weil eine lebhafte Diskus-
sion zu allen Punkten erfolgte, aber sie brachte keine neuen
Gesichtspunkte mehr. Die Schweizer wollten nur noch eine entspre-
chende Erklärung, dass dieser Fonds auch für private Unterneh-
mungen zur Verfügung steht. Die Schweden wieder hatten irgend-
welche Bedenken bereits in der Vorbesprechung wegen der Art
der Durchführung, die letzten Endes aber dann alle bereinigt werden
konnten.
Ich war sehr überrascht als um 5 Uhr Dr. Wais vom Büro anrief
um mir zu sagen, dass Kreisky angefragt hatte, warum wir die
Schweden überboten haben. Schweden hat überhaupt nichts gesagt
und ich habe erst nach diesem Anruf erfahren, dass Feldt Vormittag
sofort mit Palme telefonierte, weil er angeblich nur eine Ermächti-
gung von 30 oder 40 Mill. $ hatte. Allerdings hat Schweden glaube
ich beabsichtigt, das als Geschenk zu geben. Am Nachmittag fragte
nämlich dann Feldt, ob Österreich Kredit oder Geschenk meint. Ich
erklärte sofort, der Wunsch der Portugiesen war ein 25-jähriger
zinsenfreier Kredit, 10 Jahre Laufzeit rückzahlungsfrei und genau
so soll auch der Fonds aufgebaut werden. Der Kredit soll auf immer
... ? Palme hat sofort Kreisky angerufen und Kreisky war scheinbar
besorgt, dass ich über die seinerzeitige Regierungsvereinbarung
hinausgegangen bin. Schweden wird natürlich von irgendwelchen
Beschlüssen am meisten betroffen, weil es 30 % Anteil hat, die Schweiz
25 %, Österreich 15 und Finnland sogar nur 11 %. Der finnische Ver-
treter war ein Beamtenminister, weil derzeit dort keine Regierung
herrscht. Er meinte, er sei auch überrascht gewesen, dass wir heuer
zu einem konkreten Beschluss gekommen sind, er hat aber sofort mit
seinen Ministern, diese sogar mit Kekkonen gesprochen und Finnland
stimmt trotz seiner schwierigen wirtschaftlichen Situation zu.
Sie meinen, man muss Portugal eben jetzt sehr konkret helfen, damit
dort nicht eine Rechts- oder Linksdiktatur herauskommt. Martins
erzählte mir dann am Abend, dass ihn der Presse- und p.r. Mann von
der EFTA gesagt hat, ein Mann fehlte in Genf, dessen Geist man
spürte – Kreisky! Ich ersuchte Martins, er solle dies einberichten,
er fragte mich dann selbst , warum eigentlich nicht ich so etwas
weitererzähle. Wahrscheinlich deshalb, weil ich mich doch ärgerte,
dass Kreisky mich nicht direkt angerufen hat sondern über mein Büro
fragen liess und weil ich verwundert war, dass er überhaupt rück-
fragte, nachdem wir am Montag entsprechende Beschlüsse ja gefasst
hatten. Hat er angenommen, dass ich mich nicht an die Beschlüsse
halte?
Während der Mittagspause besuchte ich den neuen Sitz der Internationa-
len Union der Lebensmittelarbeiter. Unser Generalsekretär Gallin
ist ein Linker und sein Büro eine verhältnismässig sehr grosse
Villa, die ganze Büroführung sieht auch danach aus. Überall Stösse
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von Papier, so wie sich eine linke Organisation verstellt, überall
revolutionäre Sprüche, Bilder von Rosa Luxemburg, eine rote Fahne
auf seinem Schreibtisch usw. Wenn hier amerikanische Gewerkschafter
kommen oder europäische, die nicht so weit links stehen, müssen
sie geschockt sein. Ich versuchte, ihm dies indirekt zu sagen,
in dem ich meinte, meine Söhne hätten mit dieser Büroführung und
Ausstattung ihre Freude. Irgendwie kommt er mit den anderen aus.
Er meinte allerdings, er hätte seine Beziehungen jetzt sogar zu den
deutschen Gewerkschaften sehr verbessert und auch in Amerika läuft
es gut. Ich fürchte nur, was er unter gut versteht, wird auch
der ILO nicht besonders helfen. Zum Glück muss ich mit ihm in
den nächsten Jahren nicht mehr um dieses Problem kümmern, weil
Koll. Deutsch von uns die Beziehungen und die ganzen Kongresse
und Vorstandssitzungen der IOL besucht. Auch hier zeigt sich
wieder einmal, wie sehr die Bestellung eines Menschen für eine
Organisation von Bedeutung ist. Unser vorhergehender interna-
tionaler Sekretär Poulson, der ein Übersetzer war, bevor er zum
Generalsekretär ernannt wurde, war ein biederer, einige Sprachen
sprechender alter Mann, der ohne grosse Politik die IUL zusammen-
hielt, aufbaute und sie so ganz anders führte als dann Gallin.
Gallin für den ich sehr eingetreten bin, weil er auch einige
Sprachen spricht und für mich zweifelsohne als Idealist gilt,
führt eben die IUL jetzt anders. Ideologisch habe ich gar nichts
dagegen, ob sie organisatorisch dadurch aber gewinnt, bezweifle
ich.
Auf der Heimreise unterbrach ich in Zürich, um zur 125-Jahr-Feier der
Handelskammer Feldkirch zu fahren. Dort hielt Treichl einen sehr
interessanten Festvortrag, der aus der Geschichte Vorarlbergs
die Unabhängigkeit der Unternehmer auch in Vorarlberg und damit
in ganz Österreich begründen wollte. Wenn ein Wiener kommt und
den Vorarlbergern bestätigt, dass sie freie Menschen waren und sind,
dass sie das freie Unternehmertum besonders verteidigen, dann muss
er natürlich entsprechenden Applaus kriegen. Ich muss aber zugeben
und das mache ich wirklich neidlos, dass er sehr interessante Ge-
sichtspunkte – wie er mir nachher sagte – als liberaler Vertreter
in seine Rede einbaute. Sallinger hatte ihn nur nachher sofort
auf Grund dessen, was er unter der Packelei mit den Unternehmern und
Gewerkschaftern meinte. Das Wort Packelei ist zwar nicht vorgekommen,
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aber die Sozialpartnerschaft wurde ein wenig kritische beleuchtet.
Ich selbst wies bei meiner kurzen Begrüssung auf die zweite
nach Wien gegründete Handelskammer in Vorarlberg hin, die auf
die Revolution 1948 zurückging. Dass dort auch nicht der Adel
und der Grundbesitz entscheidend waren sondern die Leistung damals
in Form der Steuerleistung für die Wahl ausschlaggebend war, zeigt
von einer demokratischen Gesinnung. Als Gag hatte ich einleitend
gleich festgestellt, dass das Handelsministerium eingeladen wurde
und dass der Handelsminister Orden verleihen wird, wie in der
Einladung zu lesen stand. Alle anderen wurden namentlich aufge-
führt, nur ich nicht. Ich erklärte sofort, die Vorarlberger sind
eben vorsichtige Leute als sie von Monaten diese Einladung druckten
und ausschickten. Natürlich hatte ich die Lacher alle auf meiner
Seite.
Gen.Dir. Treichl, aber auch Sallinger und Mussil besprachen mit mir
die Entwicklung mit der Industriellenvereinigung insbesondere aber
jetzt die Sanierung der Textilindustrie. Treichl meint, dort hätte
die Schoeller-Bank entsprechende Verpflichtungen und versucht sie
teilweise auf den Staat abzuwälzen. Auch die Handelskammer hat
grosse Bedenken, dass es hier um eine Privatangelegenheit geht,
die mehr oder minder öffentlich verbrämt wird. Ich erklärte sofort,
dass ich da nicht mitmachen würde, sondern dass wenn es zu einem
Arrangement kommt, letzten Endes alle Opfer bringen müssten, ganz
besonders natürlich auch die Schoeller-Bank-Leute. Die Handelskammer
ist jetzt überhaupt auf die Industriellenvereinigung sehr böse, nicht
zuletzt durch den Artikel im Trend, einer Zeitschrift, die der
Industriellenvereinigung indirekt gehört und die die Handelskammer
hart attackiert hat. Ich habe und werde in Hinkunft mich nicht in
diesen Streit einmischen sondern selbstverständlich jeden, der mit mir
reden will, Kontakt aufnehmen, aber im Prinzip daran festhalten,
was auch Benya Sallinger glaube ich eindeutig bestätigt hat, die
Sozialpartnerschaft besteht aus 4 Partnern. Die Industriellenver-
einigung versucht sich immer wieder hineinzuarbeiten und die Han-
delskammer befürchtet, dass Igler zu Kreisky so guten Kontakt
hat, dass er auch wesentlich stärker berücksichtigt und heran-
gezogen wird als es seiner politischen Stärke entspricht. Für mich
ist die Linie ganz klar: jederzeit gesprächsbereit für alle, an
einer Gruppenbildung, Frontenbildung oder wie immer man es be-
zeichnen will, mich nicht zu beteiligen.
Bei der Vertragsunterzeichnung am Samstag mit den Jugoslawen
hatte ich Gelegenheit dem Botschafter und den Staatssekretär
die letzten Ergebnisse der EFTA-Tagung mitzuteilen. Die Jug.
sind der Meinung, dass derzeit es nicht zweckmässig ist, irgend-
welche Gespräche über Erweiterung der EFTA zu führen. Sie meinen,
dass sowohl mit Jugoslawien aber auch mit Spanien, Israel und
Rumänien dieses Problem noch lange nicht spruchreif sei und
man deshalb am besten jetzt zuwartet. Genau dies ist auch meine
Politik, ich habe dann noch einmal den Staatssekretär ersucht, er
soll Ludviger, den jug. Handelsminister, herzlichst grüssen lassen
und es liegt ganz in der Entscheidung der Jugoslawen, wann er kommen
will. Wann immer er kommt, schlage ich vor, dass ein Samstag/Sonntag
dabei ist, damit ich mich mehr um ihn kümmern kann als dies unter
der Woche sonst möglich ist.
Tagesprogramm, 5.11.1975