Mittwoch, 24. November 1976
Ing. Gehmacher vom IFES nennt als Mindestbetrag müsse für die
Erhebung für Nahversorgung und Ladenschluss 600.000 S aufgewendet
werden. Er möchte dies auf alle Fälle nicht allein, sondern mit
Fessel gemeinsam machen. Die Arbeit soll aber genau zwischen beiden
Instituten abgegrenzt werden. Fessel soll Meinungsumfragen primär
durchführen, während IFES Analysen sowie Einkaufszeiterhebungen usw.
machen würde. IFES hat bereits Untersuchungen, die sich mit Teil-
problemen beschäftigen, durchgeführt. Gehmacher, der mit Stolz sich
als stiller "Linker" bezeichnet, ist einer unserer besten Soziologen,
der wirklich Probleme erkennt und analysiert. Typisch z.B. seine
Erklärung, warum wir in immer stärkerem Masse bei der Jugend als
Regierungspartei Wähler verlieren müssen: Diese Jugend hat eine
Jugendkultur entwickelt, die sich ganz stark kontrastiert gegen
die Erwachsenen, insbesondere das Establishment. Die neue Linke, die
jetzt 30 Jahre alt ist und älter, wird von der Jugend als "alte
Trotteln" bezeichnet, die kaum mehr einen Einfluss auf sie hat.
Die Jugend ist daher ideologisch heimatlos. Die Jugend der ÖVP
insbesondere aber hat zumindestens Opposition gegen Kreisky und
die Regierung und sagt etwas dagegen, deshalb ziehen sie diese
bis zu einem gewissen Grade diese 18- bis 20-Jährigen an, die sich
als Wechselwähler oder sogar als Wahlenthaltung dann bei jeder
Wahl niederschlagen würden. Derzeit eben bei den Meinungs-
erhebungen. Die Parteijugend hat überhaupt keine Chance, diese
Gruppen zu erfassen oder Parteijugendvertreter der Regierungspartei
die Chance sie anzusprechen. Die einzige Möglichkeit sieht
Gehmacher darin, dass man der Jugend Aktivitäten ermöglicht. Nicht
Heime und Sportplätze bauen, sondern selbst bauen lassen, mit geringer
materieller Unterstützung. Nicht der Jugend Organisationsformen
aufzwingen wollen, sondern nur die Chance ihnen geben, solche zu
gründen. Das typische Beispiel davon ist Blechas Mittelschulver-
treter. Typisch ist dann der Wandel, dass wenn dann diese Jugend-
lichen älter werden, sehr wohl dann die Leistungen der Regierung
anerkennen und eben ab 25 dann sozialistisch wählen, was sie vor-
her ganz entschieden abgelehnt haben.
ANMERKUNG FÜR TIEBER: Versuche, ob Gehmacher nicht in irgendeiner
Form als Linker mit uns zusammenarbeiten möchte.
Die Routine-Sitzung des Konsumentenbeirates war diesmal inter-
essanterweise nicht nur stärker besucht, sondern diskutierte
auch die Probleme und Berichte der einzelnen Arbeitsgruppen.
Jagoda meinte allerdings zu mir, dass Singer mit seiner Gruppe
sehr gut personell dotiert ist und kaum Aktivitäten entwickelt.
U.a. sitzen in der Paritätischen Kommission resp. beschäftigen
sich damit 3 Vertreter, obwohl mit Recht Salomon dies allein
ohne weiteres schaffen würde. Jagoda wird jetzt in Zukunft
versuchen, Personal- und Besetzungsänderungen durchzuführen.
Eine wirkliche zweckmässige Einsatzpolitik der einzelnen Beschäftig-
ten kann nämlich nur über den Sektionschef und Sektionsleiter er-
folgen. Generelle Appelle oder gar zentral von oben geleitet, sei
es Präsidium oder Ministerbüro, muss scheitern. Hier haben wir
die grosse Chance, dass jetzt vielleicht doch die Sektionschefs
intern selbst einmal im Sektionsbereich gewisse Änderungen durch-
führen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ein Sektionsleiter
dabei auf grosse Schwierigkeiten und Widerstände stösst. Hier
könnten wir ihn indirekt unterstützen, dass er sich nicht nur
durch den Minister gedeckt fühlt, sondern vielleicht sogar gelegent-
lich die Ausrede gebraucht, dass von oben dies angeordnet wurde.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Besprich bei konkreten Fällen eine solche
Politik mit den einzelnen Sektionsleitern und mir.
Im Konsumentenbeirat hat für das Konsumentenschutzgesetz Dr. Keller
vom Justizministerium dezidiert erklärt, dass er jetzt einen Ge-
setzentwurf im Dezember fertigstellen wird und dann in die Begut-
achtung schickt. Da seit Juni in diesem Arbeitsausschuss nichts
mehr geleistet wurde, ist er nicht mehr bereit, zuzuwarten. Als
Kompromiss, ohne dass er es sagte, hat er den Ausschuss zwar jetzt
vollkommen ausgeschaltet, wird aber den Gesetzentwurf auch
ihnen zuleiten, damit darüber diskutiert werden kann. Die Handels-
kammer wird also vor eine vollendete Tatsache gestellt. Natürlich
ist die Handelskammer und deren Vertreter dies nicht gewohnt.
Im Handelsministerium versuchen wir immer die Materie bis zuletzt
mit ihnen abzuklären und einvernehmliche Lösungen zu suchen. Die
unterschiedliche Behandlung zwischen Justizministerium und
Handelsministerium kommt beim Konsumentenschutzgesetz krass
zum Ausdruck. Dies ist mir sehr recht, sie sollen nur sehen, dass es
auch anders geht.
ANMERKUNG FÜR TIEBER: Überrascht war ich, dass es auch mit ÖGB
Differenzen geben soll.
Präs. Harmer und Sekretär Riegler vom Fachverband der Nahrungs-
und Genussmittelindustrie, Blümel und ich besprachen die weitere Vor-
gangsweise für den Rahmenkollektivvertrag der Lebensmittelarbeiter.
Zwei Jahre wird jetzt bereits verhandelt und das Verhandlungskomitee der
Unternehmer ist nicht bereit, entsprechende Zugeständnisse zu machen.
Nach Blümels Aufstellung sind noch 11 Punkte offen, Harmer erklärt,
er könne nicht noch weitere Zugeständnisse machen. Die Unternehmer
seien in der derzeitigen Wirtschaftslage, aber auch für die Zukunft
weiteren Belastungen nicht mehr zugänglich. Insbesondere über 4 Punkte:
die Schichtzulage-Regelung, Entgeltdefinition für den 13. und 14.
– die Gewerkschaft verlangt den tatsächlich bezahlten Lohn und nicht
den Grundwochenlohn resp. Monatslohn – den Teilungsfaktor des Monatslohnes
und vor allem die Abfertigung sind strittig. Harmer meint, hier könnten
keine wie immer gearteten Zusagen mehr gemacht werden, weder von ihm noch
von einer anderen Unternehmergruppe oder Verhandlungskomitee. Nach
längerer Diskussion gibt Harmer dann allerdings zu, dass man eventuell
über die Abfertigungserhöhung sprechen könnte, nachdem ich ihm vor
Augen führe, dass früher oder später die gesetzliche Regelung noch
in dieser Legislaturperiode kommen soll und wird. Weissenberg hat
dies ja bereits angekündigt. Die absolute Ablehnung der Forderung
erscheint mir deshalb doch nur als taktischer Versuch, die Ver-
handlungen noch weiter hinauszuzögern. Das Verhandlungskomitee wird
von uns ersucht, die endgültige Formulierung der gesamten zweiten Novelle
des Rahmenkollektivvertrages durchzuführen und über die offenen
Probleme, die von 11 auf vielleicht nicht einmal die Hälfte zusammen-
schrumpfen sollen, dann noch einmal Verhandlungskomitees in kleinerem
Kreis unter Beiziehung von Harmer und mir zu lösen zu versuchen.
Harmer selbst erklärt gleich freimütig, er könne heute nicht mehr ent-
scheiden, sondern hier müsse er sogar die Bundeshandelskammer zuziehen.
Harmer und Riegler beschweren sich besonders bei mir, dass die Molkerei-
arbeiter mit ihrer Forderung, 1000.– S Lohnerhöhung gleichmässig für
alle pro Monat und die Kollektivvertragsänderungen nach Berechnungen
der landwirtschaftlichen Genossenschaften 33 % Belastung bedeuten würde.
Riegler selbst hat die Forderungen, die jetzt bereits im Rahmenkollek-
tivvertrag verhandelt und vielleicht teilweise beschlossen werden, aus-
geschieden, weil er mit Recht meint, doppelt könne man sie nicht zählen.
Auch in diesem Fall ergibt sich noch eine 23 %-ige Belastung der Unter-
nehmer. Tatsache ist ohne dass ich es den beiden gegenüber zugebe,
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dass die Molkereiarbeiter, insbesondere der Sekretär Staudinger,
wieder einmal mehr alle ihre ursprünglichen Forderungen, die sie
schon jahrelang, um nicht zu sagen, jahrzehntelang durchsetzen wollen,
in das Forderungspaket aufgenommen haben. Warum er dies macht, ist
mir nicht ganz klar. Die Ausrede, die ich sofort überall gebrauchte
und die teilweise stimmt, ist dass wir in der Molkerei insbesondere
in genossenschaftlichen Betrieben mit weniger Beschäftigten eine
stärkere ÖAAB-Fraktion haben. Diese wird aus politischen Gründen
auf der einen Seite immer viel fordern und auf der anderen Seite
dann erklären, die sozialistische Führung der Gewerkschaft hat ihre
berechtigten Forderungen nicht einmal angemeldet. Jetzt liegt das
ganze Paket am Tisch und wenn die Genossenschaftsvertreter ablehnen,
so können sie sich nicht mehr dann in unserer Gewerkschaft politische
entsprechende die Schuld ausschliesslich auf uns schieben, wie dies
selbst die christlichen Molkerei-Arbeiter gerne tun würden. Da sie
vom ÖAAB natürlich stark beeinflusst sind.
Gen.Dir. Koning, Philips, hat zwei Probleme, die Verschärfung des GesmbH-
Gesetzes insbesondere die Publikationspflicht würde Philips hart
treffen, Koning ist sich vollkommen klar, dass er alle Informationen
in Hinkunft den Interessensvertretungen und auch den Ministerien
geben soll und wird. Er fürchtet nur, dass wenn eine allgemeine Ver-
lautbarung wie beim Aktiengesetz erfolgen soll, dann auch die Konkurrenz
auch ganz besonders aber die ausländischen Philips-Leitungen erfahren,
wieviel in Österreich von Philips-Zentrale investiert wurde usw.
Durch diese Mitteilung würde – so seine Behauptung – der starke Trend
jetzt so viel in Österreich zu investieren, gehemmt werden. Er hat
mit Broda dieses Problem auch besprochen und vorgeschlagen, dass alle
Informationen beim Handelsgericht zu deponieren sind und dort nur
die Zeitungen und Massenmedien kein Einsichtsrecht haben sollen, sehr
wohl aber die Interessensvertretungen und Behörden. Das zweite Problem
ist die Belastung von grossen Unternehmungen wie z.B. VÖEST und Philips
mit über 1 Mia. Vermögen durch die Vermögenssteuer. Da dies, wie er
selbst einsieht, nicht mehr zu ändern ist, möchte er für das Delkredere
der Exporte z.B. Absatzmöglichkeiten bei der Steuerberechnung. In beiden
Fällen habe ich ihm keine Z-sagen gemacht, ausser dass ich dieses Problem
beim nächsten Jour fixe mit AK und ÖGB besprechen werde, ob und inwieweit
es eine Lösung gibt. Die Geschäftslage bei Philips ist noch befriedigend,
obwohl natürlich auch nach Produkten verschieden. Gegenüber anderen
Ländern aber hat er in Österreich eine wesentlich bessere Entwicklung
zu verzeichnen. Die Audio-Fabrikate, wie er sie nennt, haben in
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Österreich 500 Neubeschäftigte, in Belgien dagegen im Philips-
werk 900 Entlassungen zu verzeichnen. Hier haben, ohne dass er
es besonders erwähnt, nicht nur der soziale Frieden sondern auch
die Betreuung und ganz besonders die Auszeichnung mit österr.
Orden von Philips-Spitzenleuten in Waidhofen dazu beigetragen.
Seit Jahren schlage ich schon immer vor, auch bei anderen Unter-
nehmungen durch entsprechende Ordensauszeichnungen von ausländischen
Konzernspitzen sie für Österreich einzunehmen und dadurch ent-
sprechende zusätzliche Arbeitsplätze durch Investitionen zu
schaffen.
ANMERKUNG FÜR WANKE UND PLESCH: Was ist mit einem Orden für die
Extraktionsanlage der UNILEVER?
Die Weinbautreibenden mit Präs. Maus, dem Geschäftsführer und einer
Delegation sprachen wegen der Weinsituation und insbesondere wegen
der EG-Verhandlungen über die Anerkennung österr. Qualitätsweine
bei mir vor. Die Situation am Weinsektor ist typisch österreichisch,
aber gar nicht erfreulich. Um eine Überproduktion zu verhindern,
wurde vor Jahren von den Ländern, die dafür zuständig sind, Aus-
pflanzungsverbote, d.h. Vermehrung der Anbauflächen beschlossen.
Diese Gesetze werden in den Ländern aber überhaupt nicht eingehalten,
das Ergebnis ist, dass von 47.000 ha die Anbaufläche auf
64.000 ha gestiegen ist. Dementsprechend natürlich der Ertrag.
Vom Vorjahr lagern noch 1,8 Mill. hl und 2,7 Mill. ist die offizielle
Ernte. Nach Dunkelziffern beträgt sie wesentlich mehr. Wie wir
heuer und nächstes Jahr die 4,5 Mill. hl absetzen, ist vollkommen
schleierhaft. Den Weinbauern tun jede 1.000 hl, die wir mehr
importieren, weh und sie wehren sich daher gegen das Accordino
wo im Vorjahr statt 51.000 54.000 hl vereinbart wurden. Dazu kommen
noch die 160.000 Liter allgemeines Kontingent, wovon allerdings die
Hälfte bei der EG gesichert ist. Tatsächlich aber wurden in den
letzten Jahren, weil die Weinbauern erklärte, billige Verschnitt-
weine könnten sie nicht zur Verfügung stellen, wesentliche Mengen
importiert. Die Importsumme geht bis über 700.000 hl. Jetzt
wünschen sie, dass womöglich die Importe wesentlich reduziert
werden, was uns natürlich mit der französischen, algerischen und
sonstigen Weinen aus dem Ostblock grosse Schwierigkeiten bereiten
wird. Wichtig erscheint, und das haben der Vertreter vom Handels-
ministerium in Brüssel, Komaz, und Michitsch bestätigt, die EG jetzt
grosse Schwierigkeiten gemacht wegen der Verordnungsregelung betref-
fend die österr. Weine, insbesondere wegen des Alkoholgehaltes.
Selbstverständlich konnte ich der Delegation versprechen,
dass wir alles daransetzen werden, um ihre Wünsche in
Brüssel durchzusetzen. Die Delegation incl. d. NR Hietl
von der ÖVP hat zugegeben, dass es jetzt unvergleichlich
schwieriger ist mit der EG zu verhandeln, als dies bei
Abschluss des Vertrages 1973 noch möglich war.
ANMERKUNG FÜR PLESCH: Wir sollten über diesen Punkt einmal
im Pressefrühstück berichten lassen.
Botschafter Pein teilt mir mit, dass Gredler von Bonn jetzt
abgezogen wird und interessanterweise nicht einen Heimatposten
antritt, sondern sofort wieder nach Peking geschickt wird.
Pein interessiert sich für den Bonner Posten und meint, dass
insbesondere die deutsch-österreichischen Wirtschaftsbeziehun-
gen dort stärker berücksichtigt gehören, weshalb er auch die
Unterstützung für diese Kandidatur durch das Handelsministerium
wünscht. Ich versprach ihm, mit Aussenminister Pahr darüber
zu reden.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Nächste Ministerratsvorbesprechung
seine Unterlage mitgeben.
Im Kautsky-Kreis wünschte man nach längerer Zeit, dass ich
wieder einmal eine tour d'horizon über die Wirtschafts-
probleme des Handelsministeriums gebe. Der Vortrag von mir
war wenig systematisch, hat aber einige heisse Eisen, wie
z.B. Atomenergieversorgung, berührt. Für Diskussion ist in
diesem Kreis immer gesorgt. Von all der kollegialen Kritik,
die mich dort überhaupt nicht stört sondern ganz im Gegenteil
freut, angefangen von der Problematik, was ist links und wo
stehe ich, und diese und jene Fehler, die ich gemacht habe,
war NR Wille's Beitrag für mich am interessantesten. Wille
meint mit Recht, warum machst Du so schlechte Propaganda
und schädigst Dich selbst, indem Du für die Atomenergie
so eintrittst. Die E-Unternehmungen, vor allem aber die
Industrie, die den Strom braucht, rührt sich nicht. Lass diese
darum kämpfen. Diese Überlegung ist sicherlich sehr inter-
essant, nur hilft sie mir insofern wenig, wenn der Strom
einmal nicht zur Verfügung steht, und wir Netzzusammenbrüche,
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aus welchen Gründen immer, bekommen würden, wird man nicht sagen,
da kann man nichts machen, wir haben eben den Atomstrom 740 MW
jetzt im Juli bereits seit Juli im Betrieb hätten sein sollen,
bekommen, sondern man wird ganz einfach sagen, der dafür zuständige
Minister hat nicht entsprechend vorgesorgt. Die Verantwortung kann
ich mir selbst durch noch so einen geschickten Propaganda-Feldzug
nicht vom Halse schaffen.
Tagesprogramm, 24.11.1976
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)