Samstag, 17., bis Montag, 19. Dezember 1977
Im Flugzeug nach Berlin wurde ich von Handelsrat Krüger
mit einer ostdeutschen Delegation bekanntgemacht, die mit
der VÖEST über eine Kooperation für Kohlevergasung und Anlagenbau
für diese verhandelt hat. Dr. Scholz vom Ministerium für Wissenschaft
und Technik, Gen.Dir. Fischer, Kohle- und Energieministerium, sowie
von ihrem grössten Kombinat Schwarze Pumpe, erzählten mir, wie sie
mit der VÖEST zusammenarbeiten. Die neuesten Überlegungen der DDR
sind, auf Steinkohlenflöze kleine Vergasungsanlagen für 5–10 Mio.
Tonnen zu bauen um örtlich für Zementfabriken, Glasfabriken, die
dann zusätzlich dort errichtet werden sollen, die entsprechenden
Gas-Energiemengen gleich an Ort und Stelle zu verarbeiten. Hier
verspricht sich die DDR ein grosses weltweites Geschäft. Natürlich
gab es die übliche Einladung noch einmal die Schwarze Pumpe zu be-
suchen. Die Delegation war sehr erstaunt als ich sagte, dies könnte
sofort morgen oder übermorgen in der Früh geschehen. Da begann die
Ausrede, dass müsste man in der Zentralstelle in Berlin erst ent-
scheiden. Selbstverständlich liesse sich das machen usw. Bei meiner
Ankunft in Berlin habe ich dann die Herren des Aussenhandelsministeriun
sofort in Verlegenheit gebracht, als ich ihnen diesen Wunsch mit-
teilte. Man wird sehen, man wird mich sofort verständigen, Staats-
sekr. Beil, der derzeit nicht in Berlin anwesend war, würde dies
organisieren, doch wurde letzten Endes dann nichts daraus, weil
angeblich die Fahrt dorthin zu lange dauert, ein Nebel vorliegt
usw. Ich bin überzeugt man wird mir die Schwarze Pumpe zeigen,
und ich kann dort sicherlich wenn ich will hinfahren, so schnell
aber schiessen die Preussen nicht, dazu bedarf es bei ihnen doch auch
irrsinnig langer und wahrscheinlich auch komplizierter Vorbereitungen.
Meine Anfrage an Beil, wieweit sie mit der Vergasung unter der Erde
sind, wurde dahingehend beantwortet, dass sie jetzt mit Dow Chemical,
der grossen amerikanischen Firma, zusammenarbeiten. Diese hat fest-
gestellt, dass bis zu 40% Gasverluste unter der Erde entstehen.
Deshalb nimmt man von einer Vergasung unter der Erde Abstand. Weniger
allerdings wegen des Energieverlustes, als wegen der grossen Gefahr
dass dieses Gas unbeobachtet und unkontrolliert entweicht. Die
ideale Tiefe für die Vergasung ist 150 bis 200 Meter- Aus Sicher-
heitsgründen müsste man aber auf 600 Meter gehen und daher wird
es zu teuer. Kohle kann daher nur unter Erde vergast werden, wenn
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es gleichzeitig in Verbund mit Kali oder Salz gefunden wird.
Diese Chemikalien binden scheinbar unkontrolliert entwichene
Gase. Die DDR wird deshalb noch lange bei den jetzt herkömmlichen
System bleiben – Förderung der Kohle und sofort in den entsprechenden
Anlagen vergasen. Alle Untertagebaue wurden stillgelegt, die grossen
Abbaumaschinen ermöglichen ohne weiteres, dass man ungeheure
Schichten über der Kohle wegräumen kann. Die VÖEST liegt bei der
DDR Verwaltung und den Betrieben äusserst gut. Bandstahlverarbeitung,
Granulieranlage für Kali, Oberflächenbearbeitung von Röhren, Heiz-
werke usw. sind unmittelbar in den nächsten Jahren zu erwartende
Investitionen, die die VÖEST nach der DDR liefern kann. 1978 auf alle
Fälle ein grosse Düngemittelwerk in Rostock, 900 Mio. Mark, eine
Stahlbandanlage 150 Mio. Darüber wird auf Drittmärkten unmittelbar
soll das Algeriengeschäft mit 300 bis 400 Mio. Mark für die VÖEST
insgesamt ist der Auftrag 1,2 Mia. und in Tunesien, wo die DDR
die VÖEST mitgenommen hat, zum Abschluss kommen.Auch Korea soll
zwischen VÖEST und DDR Kooperationen geben. Für die Semperit
könnte ein LKW Reifenwerk von Bedeutung werden. Mit Semperit aber
wird eine langfristige Vereinbarung über Lieferung von Förderbänder
auf Drittmärkten vorgesehen, wo Semperit auch das Service auf diesen
Märkten, d.h. die Reparaturlieferungen übernehmen könnte. Waagner-
Biro hat die Absicht gehabt auf Kreta mit der DDR gemeinsam eine
Kooperation für Drittmärkte-Projekte in Angriff zu nehmen. Waagner-
Biro hat sich dann aber auch mit der Konkurrenz zusammengeschlossen
und jetzt gibt es dort mehrere Firmen die sich gegenseitig runterlizi-
tieren. Die grösste Chance hat aber nur die DDR, denn die kauft für
ihre Weihnachtsstollen 60% des Zitronatexportes von Kreta. Nicht dass
sich Beil beschwerte, aber aus seiner Bemerkung war für mich klar
zu erkennen, dass hier Waagner-Biro nicht-sehr glücklich operiert hat.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte mit Apfalter, VÖEST, Kreutler, Semperit,
und Stanek, Waagner-Biro, verbinden.
Die DDR hat als Beispiel mit Japan nur ein Exportvolumen von 60 Mio.
Mark. Auf Drittmärkten haben sich aber mit Japan jetzt vereinbart,
bis zu 600 Mio. Mark gemeinsam zu verkaufen. Selbstverständlich habe
ich dann auch auf die Konsumartikel Schuhe und Textilien hingewiesen,
Hier meinte Beil die Belgier und die Franzosen machen ihnen jetzt
Hindernisse für ihre Exporte, sodass sie kaum mehr kaufen können.
Bei der Ordensverleihung an Dr. Mittag, ehemaliger stellvertretender
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Ministerpräsident, jetzt wirtschaftlicher Sekretär im Politbüro,
war wahrscheinlich der dritte oder vierte Mann in der DDR, nützte
ich die Gelegenheit im kleinsten Kreis, Mittag, Beil, unser Botschafter
Bauer und ich, wegen der Konsumartikelexporte. Ich erklärte ihm,
dass ich nicht nur immer für die Grossindustrie, die meistens
verstaatlicht ist, entsprechende Erfolge registrieren kann, sondern
auch für die Privatindustrie, die hauptsächlich von Sallinger und
Igler, die er kennt, vertreten werden und die politisch auch der
konservativen Gruppe angehören, irgend etwas erreichen muss. Mittag
fragte Beil, was er denn noch unterbringen könne. Dieser meinte
5 bis max. 6 Mio. Mark. Da ich über diese geringe Zahlen absichtlich
sehr unglücklich dreinschaute, meinte Mittag, indem er mir die
Hand hinstreckte, 10 Mio., einverstanden, was ich natürlich sofort
akzeptierte. Eine solche Zusage kann bei uns nicht einmal der
Bundeskanzler machen. Beil erzählte mir dann beim Abflug am Flug-
hafen, sie hätten sofort Honecker über das ganze Gespräch infor-
miert, alle sei o.k. und unser Handelsdelegierter Dr. Wratschko
hat sozusagen jetzt offiziell bestätigt bekommen, dass für 10 Mio.
Mark, das sind 70 Mio. Schilling, Textilien und Schuhe gekauft werden.
Bei der Ordensverleihung und den Ansprachen kam mir zugute, dass ich
von vier Ausgezeichneten, drei, eben Mittag, Beil und Gen.Dir.
Ulier, schon öfters getroffen habe und kenne. Beil, der seinerzeit
1956 in Wien DDR-Schweine verkaufte, hatte, wie er mir erzählte,
damals schon mit mir, oder besser gesagt der Arbeiterkammer, sehr
guten Kontakt, an den er sich noch immer mit Freude erinnert.
Als dann die DDR noch nicht offiziell anerkannt war, hat er die
Handelsstelle in Wien geleitet. Als ich Minister war, habe ich sofort
entsprechenden Kontakt mit der DDR durch Besuche ihrer Ausstellungen
auf der Wiener Messe usw. aufgenommen. Dies vergessen die DDR-Leute
mir scheinbar nie. Mittag hat daher auch ganz offiziell bei seiner
Erwiderung an meine – auch wieder bisschen mit Wiener Schmäh gewürzten –
Ansprache erklärt, dass sie über die wirtschaftliche und natürlich
auch politische Beziehung sehr befriedigt sind. In kleinerem Kreis
erwähnte Mittag dann, sie hätten die Äusserungen des Bundeskanzlers
in Westberlin sehr genau gehört und anerkennen die aktive Neutralitäts-
politik Österreichs.
Bezüglich des Vertrages, den Beil und ich paraphierten, unterschreiben
kann ihn nur der Finanzminister, der kompetenzmässig dafür zuständig
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ist, hat sich im Vertragstext eine kleine Änderung ergeben, die
aber von mir sofort ohne weiteres akzeptiert werden konnte. Beil
war darüber sehr glücklich, weil der Vertrag damit in Kraft tritt
und er in dieser Woche noch im DDR Ministerrat dann entsprechende
Beschlüsse bezüglich der Durchführung herbeiführen kann. Beil schwebt
vor, dass er diese 6-Mia.-Schilling-Kreditlinie womöglich nicht ver-
lautbart werden soll, jetzt auf keinen Fall, aber auch nicht beim
Staatsbesuch von Kreisky. Beil hat eine Absicht aber, bis zum 31.3.
einige Projekte mit der VÖEST so weit voranzutreiben, dass sie
während der Anwesenheit Kreisky's unterschrieben werden können.
Das Hauptproblem um grössenordnungsmässig festzustellen, wieviel
von uns tatsächlich in die DDR exportiert wird, ist die andere Be-
rechnung und Statistik der DDR. Wir werden heuer auf ca. 1.8 Mia.
Schilling kommen. Sie rechnen mit 2.4 Mia. In den DDR-Angaben
werden nämlich alle Drittländerwaren, die bei uns dann gar nicht im
Export in die DDR aufscheinen, sondern eben in den Drittländern und
vor allem auch die Kontraktleistungen wie Montage, know how usw.
aufgenommen. Sie kennen die Kontrakte in den einzelnen Ministerien
und das Aussenhandelsministerium addiert sozusagen, was tatsächlich
die Firmen abgeschlossen haben. Wir kennen nur unsere aussenhandels-
statistischen Anmeldungen und haben da zumindestens die Zeitver-
schiebung.
ANMERKUNG FÜR MEISL UND MARSCH: Wie weit können wir uns unsere
Statistik ergänzen.
Die Versorgung der DDR hat sich, wie mir Botschafter Bauer erklärte
wesentlich gebessert. Soweit ich dies, wie ich dies ja immer mache,
Kaufhäuser besuchte, musste ich auch feststellen, dass trotz des
ungeheuren Weihnachtsrummel – dort hat man vor Weihnachten auch
sonntags offen – wirklich ein umfassendes Warenangebot festzustellen
war. Was ich natürlich innerhalb so kurzer Zeit nicht prüfen konnte
war, wie das Preisniveau sich entwickelt hatte. Umrechnungen von
offiziellen Kurs von 7 Schilling die Mark oder von 1.70 Schilling
sind jedenfalls falsch. Hier kann man nur die Lohnentwicklung und
eben die Preisentwicklung genau feststellen. Hier gilt, was ich dann
abends dann auch bei Bundespräsident Kirchschläger mitbesprach.
Kirchschläger vertritt seit eh und je die Meinung, dass der Westen
jetzt noch immer gegenüber dem Osten, wenn man will, gegen allen
sozialistischen Ländern die Möglichkeit hat, auf den höheren Lebens-
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standard im Westen als auch bei uns hinzuweisen. Früher oder später
wird diese Differenz aber immer kleiner werden und wenn wir dann
nicht andere, bessere Argumente gegen diese wirtschafts- und politische
Systeme haben, dann sind wir hoffnungslos unterlegen. Wie ich beim
Besuch der Distel, dem satirischen Kabarett, das ich immer besuche
ob ich, ob ich in Westberlin oder in Ostberlin bin, feststellen
kann, gibt es jetzt auch eine freiere Kritikfeststellung. Natürlich
ist alles relativ und natürlich wünsche ich niemand in einem solchen
System leben zu müssen, aber der einzelne empfindet seine Situation
eben auch relativ. Ist er besser versorgt, hat er mehr Freiheit, dann ur-
teilt er wahrscheinlich anders, als Leute vom Westen denken, die niemals
in einer Diktatur gelebt haben. Wir haben ja in unserer Vergangenheit
leidige Erfahrung darüber.