Donnerstag, der 18. Mai 1978

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Donnerstag, 18. Mai 1978

Mussil erklärte mir in einem 4-Augen-Gespräch, dass er unmöglich
den Initiativanträgen der SPÖ zu den Wirtschaftsgesetzen zu-
stimmen könnte. Vor 3 Jahren meinte er, hätte er noch im Parlament
so einen starken Einfluss gehabt, dass er die Gesetze ohne einge-
hende Beratung hätte durchziehen können. Die ÖVP-Abgeordneten
hätten zwar gemault, aber sie hätten letzten Endes akzeptiert.
Jetzt ist dies nicht mehr möglich. Andererseits sah er aber letzten
Endes aber doch ein, dass eine unveränderte Verlängerung, wie
die ÖVP vorschlägt, von der SPÖ-Seite auch nicht akzeptiert
werden kann. Unter Beiziehung von SChef Jagoda und Wanke einigten
wir uns dann, dass doch soweit als möglich Novellierungen vor-
genommen werden sollten. Beim Preisgesetz war er bereit, die
Bestimmungen, welche die Auszeichnungen betrafen, wie z.B. Inklusiv-
preise bei den Gast- und Schankgewerbe, Anschreibung aller Preise
in österreichischen Schilling, Auszeichnung in den Selbstbedienungs-
läden und selbst die Kosten bzw. Abgabe für die Ausstellung der
Bescheide von 1000 Schilling auf 5000 Schilling zu erhöhen.
Andererseits habe ich ihm zugestanden, dass wir die ortsüblichen
Preise dahingehend definieren, dass nur gleichartige Betriebe
bei Preisüberschreitungen verglichen werden dürfen. Das Versor-
gungssicherungsgesetz konnte er so nicht akzeptieren, weil er
meinte, 25 Seiten Gesetzestext könnte er seinen Leuten ohne ein-
gehende Beratung nicht zumuten. Dr. Rief von der Handelskammer,
sein selbstbewusster sehr guter Mann, der eben bei den Verhandlun-
gen sein Pouvoir überschritten hätte. Davon bin ich nicht überzeugt
eher, dass eben dann Mussil zuerst tatsächlich Rief entsprechende
Verhandlungsmöglichkeiten einräumte und sich jetzt innerhalb seiner
eigenen Partei nicht durchsetzen kann. Wir einigten uns daher, dass
das Rohstofflenkungsgesetz novelliert wird. Durch Aufnahme der
Generalklausel, dass der Handelsausschuss mit Mindestanwesenheit
der halben Mitglieder und dann mit 2/3-Mehrheit die entsprechenden
halbjährlich gültigen Verordnungen beschliesst, war er bereit,
die Liste, die ebenfalls zwischen der Handelskammer, Rief und
beim Handelsministerium akkordiert war, zu akzeptieren. Die Schrott-
lenkung, meinte er, könne er durchbringen. Der von der Arbeiter-
kammer gewünschte Passus, dass das Arbeits- und Koalitionsrecht
dadurch nicht berührt wird, meinte er, bräuchte man nicht, doch
könnte im Ausschussbericht eine diesbezügliche Bemerkung, diese


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Frage eindeutig klarstellt. Den Energiesparmassnahmen durch
eine neue Dampfkesselregelung im Energiesicherungsgesetz kann
Mussil deshalb jetzt keinesfalls zustimmen, weil darin insbe-
sondere die Landeshauptleute involviert sind und ohne Detail-
beratungen mit diesen, eine ÖVP-Zustimmung nicht zu erwarten ist.
Mein Hinweis, dass bei den Beratungen im Unterausschuss Kern-
energie Wiesinger erklärt hat, man müsste eben wichtige Fragen
zentralisieren, wie z.B. Alarmpläne, aber auch Sparmassnahmen,
kosteten Mussil nur einen Lacher. Mussil teilt mit mir die
Meinung, dass die Landeshauptleute nicht bereit sind, einen
Teil ihrer Kompetenzen an den Bund zu übertragen. Da Mussil
hier im Prinzip bereit ist, darüber zu reden, bin ich überzeugt
dass wir das Ganze auf den Herbst, wahrscheinlich sogar auf
das nächste Jahr vertagen, stört mich auch nicht. Im Gegenteil,
würde das Argument von Dr. König im Unterausschuss immer wieder
verlangt, man müsse sofort mit der Entschliessung die ent-
sprechenden Gesetzesnovellen vorlegen, damit an Wirksamkeit
verliert, wenn die ÖVP nicht imstande ist, eine so wichtige
und von allen anerkannte Regelung des Dampfkessels jetzt, wo ein
Gesetzentwurf vorliegt, diesen zu akzeptieren, dann besteht überhaupt
gar kein Grund, den Wünschen der ÖVP auf steuerliche Änderungen
sofort durch einen Gesetzesbeschluss resp. Entwurf entgegenzu-
kommen. Beides wird man also zu einem späteren Zeitpunkt verhandeln.
Energiesicherung und Erdölmelde- und Bevorratungsgesetz werden
daher unverändert verlängert.

Während des ganzen Tages wurde dann mit der Handelskammer, aber
auch mit den anderen Interessensvertretungen, Arbeiterkammer
und Landwirtschaftskammer, intensiv verhandelt, um den Gesetzes-
text fertig zu bringen. Im Preisgesetz ging dies eigentlich ohne
grössere Schwierigkeiten. Bei der Rohstofflenkungsgesetznovelle
dagegen wollte im letzten Moment dann Dr. Rief die Liste wesentlich
reduzieren. Mussil hatte die Kammeramtsdirektoren Österreichs
beisammen und diese hatten scheinbar versucht, ihm festzulegen,
dass nur die Roh- und Hilfsstoffe einer Lenkung unterworfen werden
können und keinesfalls die eigentlich in der Anlage festgelegte
Liste des fast gesamten Zolltarifes. Ausgenommen sind nur Gamaschen,
Kopfbedeckungen, Schirme, Peitschen usw. Wie man so schön auf
altdeutsch sagt, "lozelach". Einer Reduzierung auf Rohstoffe und


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Halbfabrikate konnte und wollte ich aber gar nicht zustimmen,
umso mehr als wir uns ja Vormittag in dieser Frage eindeutig
geeinigt hatten. Rief konnte spät abends dann auch nicht mehr
Mussil erreichen, sodass dies eigentlich offen blieb. Die Ar-
beiterkammer, Hruby, wieder hatte keine Möglichkeit die Er-
klärung abzugeben, dass er mit der Ausschussberichtaufnahme
bezüglich Koalitionsrecht einverstanden ist. Die Verhand-
lungen müssen also fortgesetzt werden.

Über die Ergebnisse berichtete ich am Parteitag sowohl Gen.Sekr.
Hofstetter, ÖGB, als auch Klubobmann Fischer. Beide waren mit
den Ergebnissen sehr zufrieden. Fischer hatte nur Bedenken, dass
im Hauptausschuss erstmalig ein Quorum, nämlich 2/3 verlangt wurde.
Fischer sieht darin ein gefährliches Präjudiz. Ich bin überzeugt,
dass sich hier noch einige Bedenken bei anderen, echten Parla-
mentariern auszuräumen habe. Hätte ich nicht mit Heinz Fischer
so gute persönliche und freundschaftliche Beziehungen, bin ich
nicht ganz sicher, ob er diese Lösung nicht ganz entschieden ab-
gelehnt hätte. Der präjudizielle Charakter kann von mir nicht
bestritten werden.

Am Parteitag habe ich mit Lacina, Arbeiterkammer, die Situation
der Papierindustrie auf seinen Wunsch besprochen. Er meinte, dass
Nettingsdorfer, Stepski, eigentlich pleite sei. Die Firma Ham-
burger, welche auf Altpapierbasis seine Investitionen getätigt
hat, die noch nicht vollendet sind, ebenfalls in einer furcht-
baren finanziellen Krise steckt. Die Konzeption wäre aufgegangen,
wenn der Zellstoffpreis so teuer geblieben wäre, wie vor etlichen
Monaten, und womöglich noch gestiegen wäre. Jetzt aber hat er
am Weltmarkt sehr nachgelassen, wodurch die Produktion aus Alt-
papier nicht mehr so rentabel ist, als ursprünglich kalkuliert.
Bezüglich der Firma Neusiedler sind wir beide einer Meinung,
dass der Besitzer Turnauer, der ja überhaupt am liebsten die
Papierfabrik und insbesondere die alte Zellstoffanlage verkaufen
möchte, auch grosse finanzielle Schwierigkeiten hat. Trotzdem
wusste Lacina keinen anderen Ausweg, als eventuelle Subvention
der Papierindustrie zu geben. Er glaubt nur – und dies teilweise
sogar mit Recht – dass eine Kredithilfe bei Investitionskrediten


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nicht zielführend ist. Andere Subventionen, musste er aber
auch mir gegenüber zugeben, kommen aus prinzipiellen Gründen
nicht infrage, abgesehen davon, dass dafür gar kein Geld vor-
handen ist. Auf meinen Vorschlag diskutierten wir dann im
Zusammenhang mit der Parteitagsprogramm-Diskussion, ob es
nicht zweckmässig ist, nachdem jetzt ein neues Parteiprogramm
beschlossen wird, welches auch die Wirtschaftsfragen bis zum
Jahr 2000 theoretisch lösen soll, anschliessend daran eine
Arbeitsgruppe einzusetzen, die – wie ich es ausdrückte –
konkretere Wirtschaftspolitik resp. Theorie versuchen sollte.
Ausgehend von meiner Idee, die sozialdemokratische Marktwirt-
schaft theoretisch zu untermauern, ersuchte ich ihn, dass er
persönlich und vielleicht ein paar Leute seiner Abteilung
oder überhaupt der Arbeiterkammer mit meinem Büro und der Grund-
satzabteilung Marsch, selbstverständlich offen auch für ÖGB-
Kollegen, eine mehr auf die Praxis bezogene theoretische Ver-
ankerung erarbeiten sollte. Lacina ist damit einverstanden und
wird sich mit unseren Kollegen ins Einvernehmen setzen. Die
wirtschaftswissenschaftliche Abteilung hat nämlich, als wir sie
in der Arbeiterkammer seinerzeit gründeten, alle Voraussetzungen,
um vielleicht doch mit einigen Genossen des Handelsministeriums
hier weiterzukommen, als die Bemühungen, die wir bis jetzt allein
angestrebt haben.

Der Parteitag zeichnet sich in meinen Augen optisch dadurch aus,
dass der Saal ständig sehr gut besetzt ist. Dafür aber hat
jetzt die Unsitte eingerissen, dass verhältnismässig viele Zwi-
schengespräche geführt werden. Dies bedeutet, dass der Redner
noch lauter ins Mikrofon spricht, um den Lärmpegel zu über-
tönen. Die Reaktion dabei ist, dass die Privatgespräche oder
Zwischenkonferenzen auch mit einer wesentlich höheren Laut-
stärke abgewickelt werden. Bei den Berichten von Marsch, Blecha
musste man sich sehr anstrengen, um überhaupt etwas zu hören.
Interessanter Weise war es bei dem Bericht von Heinz Fischer
um etliche Dezibel ruhiger. Ich bin überzeugt, nur beim Kreisky-
Referat wird es still sein. Daran, würde ich fast sagen, kann man
die Bedeutung der einzelnen für den Parteitag ermessen. Sensatio-
nen sind aber von diesem Parteitag meiner Meinung nach wirklich
nicht zu erwarten.

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Tagesprogramm, 18.5.1978


Tätigkeit: AK


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    Tätigkeit: -obmann


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      Tätigkeit: SChef HM
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        Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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          Tätigkeit: Industrieller


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            Tätigkeit: SPÖ-Zentralsekr.


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              Tätigkeit: Präs. Vereinigung d. öst. Papierindustrie


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                    Tätigkeit: Leiter Sekt. III HM


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