Donnerstag, 4. November 1971
Bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrates zeigte
sich wieder wie "batzwach" Benya ist. In der Klubsitzung hatte
er mitgeteilt, dass er beabsichtigte, Waldbrunner der Sitzung
noch im Sitzungssaal teilnimmt. Waldbrunner selbst hat aber
abgelehnt, weil dies gegen die Geschäftsordnung verstösst.
Er hat dann mit Zustimmung – wie er sagte – der beiden anderen
Klubs die Erklärung abgegeben, dass Waldbrunner nun an der wei-
teren Sitzung des Hauses teilnehmen wird und kann. Hier hätte er
wieder gar keine Erklärung abgeben müssen, den selbstverständlich
kann – wenn jemand eine Eintrittskarte in das Haus hat – jeder
von der Galerie oder wie bei Waldbrunner von der Präsidentenloge
selbstverständlich jeder Nationalratssitzung beiwohnen. Selbst
im Fernsehen, sagte man mir, konnte man seine Rührung sehen.
Beim Empfang beim Bundespräsidenten hatte ich Gelegenheit mit
den ÖVP-Spitzen, Sallinger, Mussil, Graf, Fiedler, in späterer
Folge kam auch noch Withalm und Mitterer dazu, an einem Tisch
zu sitzen. Auch Androsch hat sich dazugesetzt, indem er
klugerweise sagte, er könnte mich keinesfalls mit diesen Herren
allein lassen, denn das würde bedeuten, dass er letzten Endes
die Zeche bezahlen müsse. Graf meinte bei dieser Besprechung,
er hätte lieber Probst als ersten Präsidenten, da Benya kein
Parlamentarier ist. Er meinte sogar, dass Benya parlamentsfeindlich ein-
gestellt sei. Dies wurde sofort von Sallinger heftigst bestritten,
der meinte, er hätte mit Waldbrunner kaum diesen Kontakt gehabt,
den er natürlich in Hinkunft mit Benya haben wird. Alle lobten
Waldbrunner und Withalm wies darauf hin, dass ihm Probst direkt
leid tut. In Wirklichkeit wollten sie nur unsere differenten
Auffassungen bezüglich des Wunsche von Probst erster Präsident zu
werden politisch warmhalten. Übereinstimmend wurde allerdings fest-
gehalten, dass Waldbrunner ein sehr guter erster Präsident gewesen
ist.
Bei der Angelobung waren viele Journalisten insbesondere Kameras
und Fotoleute. Dadurch kam es zu einer richtiggehenden Schlacht
um das bessere Bild. Häuser hat sich mit Recht glaube ich, aber man
hätte es nicht sagen sollen, sehr über das undisziplinierte Verhalten
der Journalisten aufgeregt. In Hinkunft müsste man dies besser
organisieren, denn es war wirklich unwürdig, wie sie selbst den
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Bundespräsidenten bedrängten, ohne dass Trescher sich durchsetzen
konnte. Verzweifelt hat sich der an den Kriminalinspektor gewendet,
der aber auch nur ganz schüchterne Versuche machen konnte, einiger-
massen die Ordnung herzustellen. Bei dem üblichen Regierungsbild im
BKA vor der Ministerratssitzung fehlte Lütgendorf, da der Bundesprä-
sident ihn zurückgehalten hatte, um scheinbar mit ihm etwas zu be-
sprechen. Dadurch mussten wir mindestens eine viertel Stunde warten
Zuerst war nur eine kurze Ministerratssitzung vorgesehen, doch musste
eine Vorbesprechung wegen der Regierungserklärung eingeschaltet werden.
In der Regierungserklärung selbst waren nun die einzelnen Wünsche der
Ministerien verschiedenst vertreten. Wir hatten eine knappe Zusammen-
fassung der wichtigsten Materien geliefert, während z.B. der Innenmini-
ster eine sehr detaillierte Wunschliste vorlegte. Über die EDV-Anlagen
wurde der Dreistufenplan für die Erfassung der Kriminalität geschildert.
Kreisky hat nun die einzelnen Vorschläge, wahrscheinlich hat er auch
gar nicht genug Zeit gehabt, um sie gegenseitig abzuwiegen. Beim Un-
terrichtsminister wünsche er nur noch Bestimmungen über die Kunst und
Sportförderung in die Regierungserklärung. Für die Kunst wurde von
ihm ein Passus dort schnell selbst geschrieben. Der Verteidigungsminis-
ter wieder wollte besondere genauere Ausführungen über seinen Re-
formplan. Firnberg hat für ihr Ministerium sogar die prozentuelle Stei-
gerung des Budgets, nämlich 18–22 % in die Regierungserklärung ver-
langt und Kreisky hat dies auch aufgenommen gehabt. Ebenso wollte die
Bestimmungen über die zukünftige Absetzbarkeit der Subventionen der
einzelnen Betriebe oder Privatpersonen an die Wissenschaft. Ich
habe auf diesen Passus Androsch aufmerksam gemacht, der aber bereits
mir erklärte, er hätte dies schon gelesen und dies käme überhaupt
nicht in Frage. Er meinte mit Recht, es könnte unter gar keinen Um-
ständen von den einzelnen Ministern in sein Ressort bezüglich der
Budget und noch viel weniger bezüglich der Steuern eingegriffen werden.
Bei einer Vorvorbesprechung mit Minister Firnberg hatte ich deshalb
auch erklärt, wenn Firnberg dies verlangt, dann könnte auch ich da
von nicht abstehen, den Forderungen der Handelskammer Rechnung zu
tragen, die an Stelle der 3 % 5 % des Gewerbesteuerertrages für die
Gewerbestrukturverbesserung verlangt. Androsch meinte mit Recht,
dass Firnberg scheinbar den Wünschen von Rohrbacher oder anderen
Professoren ganz einfach immer wieder nachgibt, ohne dass sie sieh
auch nur den Kopf zerbricht, wie diese Auswirkungen budgetär gedeckt
werden könnten. Kreisky hat in der Sitzung deshalb auch Androsch recht-
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gegeben und die ganzen konkreten Forderungen wurden herausgestrichen.
Grimburg, der vor etlichen Monaten mir erklärte, es würde von ihnen
ein Wissenschaftskonzept erstellt werden, ohne sich um die finanziel-
le Bedeckung zu kümmern, hat also meinen Rat nicht befolgt, sich
vorher mit dem Finanzministeriums ins Einvernehmen zu setzen. Firn-
berg weist nämlich darauf hin, dass in dem neuen Wissenschafts-
bericht alle diese Forderungen schon erhoben wurden. Der Verkehrs-
minister Frühbauer wollte in der Regierungserklärung etwas gegen
den ruinösen Wettbewerb am Verkehrssektor einbauen. Insbesondere als
ich dagegen protestierte, meinte er, dass das Transportgewerbe auf
der Strasse eine solche Bestimmung dringendst bedürfe. Wenn wir eine
solche Antikonkurrenzbestimmung für den Verkehr aufgenommen hätten,
wäre dies nicht nur gegen unser Programm und unsere Prinzipien ver-
stossen, sondern hätte selbstverständlich sofort die Frage aufge-
worfen, warum wir dann nicht gegen den ruinösen Wettbewerb bei den
Kleingewerbetriebenden ebenfalls etwas in die Regierungserklärung haben.
Blecha erzählte mir bei einem Empfang, dass Broda gestern, als ihn
Blecha aufmerksam machte, der nebenbei bemerkt von Kreisky
für die Abfassung resp. als Kontrolle für die Regierungserklärung
herangezogen wurde und diese auch vor uns bereits gelesen und ge-
kannt hat, aufmerksam machte, dass eigentlich vom Justizressort
viel zu wenig dringen sei. Broda kam dann und erklärte, er hätte
vollkommen recht, er sehe das jetzt aus einem ganz anderen
Gesichtspunkt und könne leider jetzt nichts mehr ändern. Ich glaube,
er wird sich jetzt wirklich ein bisschen ärgern, dass er nicht die
einzelnen Reformvorschläge ebenfalls aufgezählt hat. Ich selbst habe
überall erklärt, ich brauche in der Regierungserklärung nur ein
Und resp. ein Oder und damit kann ich mich dann die ganzen vier
Jahre ganz gut bewegen, d.h. ich interpretiere halt irgendwo die
Wünsche, die ich eventuell im Laufe der vier Jahre haben werde, in
die Regierungserklärung hinein. Da die Regierungserklärung jetzt
schon fast zwei Stunden dauern wird, kann ich mir vorstellen, wenn
noch weitere Detailwünsche gekommen wären, dass dies dann für die
Vorlesung aber noch viel schlimmer für das Zuhören im Parlament be-
deutet hätte. Ich bin neugierig, wie die Oppositionsparteien dies
aufnehmen werden.
Beim Empfang beim Bundespräsidenten nützte ich die Gelegenheit,
um Androsch aber auch die Handelskammer darauf aufmerksam zu
machen, dass Koren auf dem Standpunkt steht, es müsste für die
Kursabsicherungsabsichten des Finanzministers unbedingt ein Ge-
setz erlassen werden. Koren meint ja, dass die Bereitstellung von
Dollarverpflichtung des Bundes für die Exporteure eine Spekulations-
geschäft darstellen, deshalb der Finanzminister dafür eine ge-
setzliche Deckung braucht. Spekulationsgeschäfte nämlich sind dem
Finanzminister verboten. Androsch reagierte sofort auf diese Mit-
teilung, dass ihn dies gar nicht stört, denn wenn die ÖVP eine An-
fechtung dieser Massnahmen macht, dann kann es ihm nur recht sein,
wenn sie aufgehoben wird, denn er würde dadurch in den Genuss dieser
Kursabsicherungsgewinne kommen. Mussil reagierte äusserst heftig
auf diesen Vorschlag und meinte sofort zu Sallinger, das müsste
man aber Koren ganz entschieden abstellen, sich in eine Sache
hineinzumischen, die die Handelskammer bereits mit dem Finanzmini-
ster vereinbart hat. Da ich Koren später traf, informierte ich ihn,
dass die Handelskammer und der Finanzminister nicht ganz seiner
Meinung seien, das ich allerdings auch wieder nicht sehr er-
schütterte. Ich habe aus diesem Vorfall gesehen, dass innerhalb der
ÖVP wirklich ganz grosse Spannungen existieren und existieren
müssen. Die Handelskammer macht jetzt scheinbar doch eine eigene
Politik, ohne sich um die Partei resp. um die Klubführung sehr
zu kümmern. Obwohl Koren ein Wirtschaftsbundmann ist, darf er sich
sicherlich nicht allzu oft erlauben, gegen die Handelskammer und
deren oft vielleicht nicht im parlamentarischen Sinn und dem
Gesetz entsprechend gefassten Vereinbarung mit dem Finanzminister
zu wenden.
Dr. Karasek, der jetzt bei den Vereinten Nationen war und auch mit
den amerikanischen Wirtschaftsfachleuten der Verwaltung gesprochen
hat, teilte mir mit, dass sich die USA ganz entschieden gegen die
EWG zu wenden beginnt. Durch die Aufnahme von England, Dänemark und
Norwegen wird die EWG noch stärker und die Amerikaner sehen darin
einen grossen protektionistischen Schritt von gewissen Staaten resp.
von Staatengruppen. Sie wehren sich deshalb auch gegen die Regelung
mit den neutralen Staaten. Sie wollen Österreich nicht einmal mehr
als Spezialfall anerkennen, was allerdings unserer Linie entspricht.
Karasek hat dann noch den Bundeskanzler mit einem eingehenden
Gespräch – wie ich beobachten konnte – informiert. Fischer Heinz
bemerkte nicht zu unrecht, dass es interessant ist, wie jetzt ein-
zelne ÖVP-ler den Bundeskanzler hofieren, d.h. ihn durch Informationen
oder sonstiges zu erkennen geben, wie sie sich noch immer um die ge-
meinsame Sache bemühen. Kreisky erzählte mir deshalb anschliessend
brühwarm, dass jetzt die Amerikaner grössere Schwierigkeiten machen
und er beabsichtige und ich sollte mir dies mit Kirchschläger noch
überlegen, gegebenenfalls einen Blitzbesuch in den Europäischen
Landeshauptstädten zu machen.
Beim Empfang für 25-jährige Zugehörigkeit Schulmeisters zur Presse,
wo hunderte Personen eingeladen waren und zu meiner grössten Ver-
wunderung auch kamen, traf ich Ruperl Gmoser und Heinzi Kienzl.
Mit Kienzl besprach ich die Möglichkeiten, eventuell eine eigene
Preisbeobachtung durch die Nationalbank aufzubauen. Kienzl selbst
meinte, dies würde schwer gehen, aber es könnte der Apparat von
Gmoser über die Meinungsforschung für solche Arbeiten herangezogen werden.
Er wird mir noch unverzüglich diesbezügliche Vorschläge unter-
breiten. Gmoser selbst wurde zum Professor ernannt und war darauf
sehr stolz. Bei allen Empfänge habe ich – wo ich immer eines
ÖVP-lers habhaft werden konnte – darauf hingewiesen, dass ich ihrem
Wunsch entsprechend jetzt zur Tagung nach Genf fahren werde. Ich
weiss nicht, ob es sechster Sinn gewesen ist, auf alle Fälle
habe ich solche Propaganda gemacht, dass selbst Fiedler und meine
heftigsten Kritiker davon überzeugt waren, dass ich jetzt den ÖVP-
Wunsch erfüllen werde. Knapp bevor ich aufs Flugfeld fahren
wollte, rief mich Koll. Wiesinger an und teilte mir mit, dass
das Flugzeug aus Zürich nicht einmal noch angekommen ist, da dort
Nebel herrscht und es nicht starten kann. Jetzt benützte ich die
Gelegenheit, um allen ÖVP-lern, deren ich habhaft werden konnte,
u.a. sogar dem Wiener Lokalobmann Bauer und dem Dr. Karasek als dem
ÖVP-Sprecher in dieser Frage zu beweisen, dass ich zwar wollte,
aber beim besten Willen nicht fliegen konnte. Auch Mussil wurde
von mir verständigt. Mussil meinte sofort, hier handelt es sich
um eine glatte Sabotage und ich sollte mich gegebenenfalls zu Fuss
in Marsch setzen. Bauer meinte, dies sei überhaupt ein Wahnsinn, von
mir zu verlangen, dass ich wegen eines Tages nach Genf fahren soll
und Karasek erklärte auch, dass wohl jetzt keine Möglichkeit mehr
besteht und er dies mir hoch anrechnet, dass ich mich immerhin be-
müht habe. Glück muss der Mensch eben haben.
Ich verständigte von meinem Büro aus spät abends dann noch Genf,
die Botschaft und konnte feststellen, dass zwar der Botschafter
zum Abendessen der EFTA gefahren ist, aber immerhin eine Sekretärin
dort warten musste, um festzustellen, ob und wann ich komme, dass
ich nicht kommen würde und ersuchte, dass der Botschafter mich morgen
bei der Tagung entsprechend entschuldigen sollte. An Stelle einer
verpatzten Nacht, denn wir wären sicherlich durch die ganze Schweiz
mit dem Auto kutschiert, hatte ich einen interessanten Abend mit
Fritz Muliar. Die Frau von Kottulinsky, die ebenfalls anwesend war, be-
sitzt ein kleines Spielgeschäft im 10. Bezirk und wir unterhielten uns
wieso die Arbeiter bei einem so verhältnismässig geringen Verdienst
doch imstande sind, so grosse Ausgaben zu tätigen. Dabei gingen
alle Überlegungen von Durchschnittsverdiensten aus, die heute überhaupt
noch nicht existieren. 6–7.000 S verdienen nur ein geringer Anteil
der Arbeiter. Der wirkliche Durchschnittsverdienst liegt knapp über
4.000 S und von den 320.000 Ausgleichszulagenempfängern mit 1.528.– S
ganz zu schweigen. Richtig ist aber, dass wir das Phänomen, dass am
Weltspartag über 4 Mia. neuerdings gespart wurden oder dass jetzt
bereits anfangs November eine richtige Kaufwelle einsetzt aus den
makroökonomischen Überlegungen zwar erklärt werden könnten, aber
schichtenspezifisch, d.h. auf die wirklichen Einkommensgruppen be-
zogen keinerlei konkrete Untersuchungen existieren. Natürlich wissen
wir, dass wenn zwei oder drei in einer Familie verdienen, die Fami-
lieneinkommen wesentlich besser sind, als wenn nur ein Alleinver-
diener eine Familie womöglich mit 2 oder 3 Kindern erhalten muss.
Wie die tatsächlichen Ausgaben erfolgen, resp. die Einkommen ver-
wendet werden, dafür gibt es zwar die Haushaltsbücher der AK, aber
wieder auch keine Erklärung, wieso es dann trotzdem zu diesem Auf-
schwung innerhalb der Wirtschaft in den letzten Wochen gekommen ist.
Die Verkäufe sollen nämlich sehr zunehmen und die Spareinlagen anderer-
seits wurden durch den Weltspartag auch wesentlich erhöht. Wenn nicht
die breite Masse der Bevölkerung vor dem Weltspartag Geld abgehoben hat
und es dann am Weltspartag um ein Geschenk zu bekommen, wieder einzu-
legen und wenn sie jetzt nicht sofort wieder die Gelder abgehoben
haben, um die Einkäufe zu tätigen, dann kann man sich diese phänomenal
Entwicklung sowohl der Spareinlagen als auch der Verkaufserhöhungen
nicht erklären. Nach Meinung von Kottulinsky, mit dem ich über dieses
Problem diskutierte, dass die Einkommen der Bevölkerung halt doch
sehr gestiegen sind, können in der zeitlichen Folge, es war der Welt-
spartag am Ende eines Monates, dieses Phänomen nicht erklären.
Ausserdem haben ja nicht in den letzten Wochen so wesentliche Einkom-
mensverbesserungen stattgefunden. Eher würde ich annehmen, dass doch
in den einzelnen Haushalten sehr viel Bargeld noch herumliegt und dann
halt bei einem solchen Tag wie dem Weltspartag in die Sparkasse ge-
tragen wird.
Tagesprogramm, 4.11.1971