Freitag, 5. November 1971
Bei der Klubsitzung versuchte Gratz die Abgeordneten insbesondere
die neuen, aber das gilt für die Alten genauso, auf eine neue Linie
zu bringen. Vor allem wies er darauf hin, dass bei der Regierungs-
erklärung es nicht sehr sinnvoll ist, dass wenn es zu Zwischenrufen
von der ÖVP kommt, dass dann unsere Leute wieder zurückbrüllen. Auch
Kreisky, der die Regierungserklärung kurz erläuterte, ersuchte, dass
man ihn womöglich nicht unsererseits stark durch Zwischenrufe behindert.
Die Erfahrung bei der letzten Regierungserklärung war hier massgebend.
Karl Blecha, der neben mir sitzt und die Regierungserklärung ja sehr
genau kennt, meinte, dass spätestens nach einigen Minuten die Hölle auf
der anderen Seite los sein müsste. Auch ich habe angenommen, dass
die ÖVP auf das Vorhalten von Kreisky, das zwar sachlich richtig war,
aber doch für sie sehr verletzend sein müsste, nämlich was sie als
wahlwerbende Partei angestrebt hat, jetzt ganz hart beantwortet zurück
bekommen wird, nämlich dass sie eben jetzt in der Opposition ist und
sich daher nicht aufregen soll, ein harter Schlag für die ÖVP sein
müsste. Hier galt aber wirklich das Sprichwort: Und erstens kommt es anders,
und zweitens als man denkt. Die ÖVP aber auch die FPÖ hat kein einziges
Mal aufn nur einen Muckerzer gemacht. Selbst über ironische Passagen,
die man zumindestens so auslegen konnte, war nicht einmal eine Unruhe
zu bemerken. Ich fürchtete schon, dass die SPÖ nicht einmal durch
Zwischenbeifall die Rede auflockern würde. Nach einiger Zeit setzte
endlich der erste ein und dann wieder kam es vor, dass einzelne Ab-
geordnete insbesondere die Kollegin Herta Winkler bei Stellen applau-
dierte, wo man gar nicht entsprechenden Applaus geben konnte und
sollte sodass dann nur 2 oder 3 Abgeordnete sich ihr anschlossen.
Bei der Passage, dass Österreich nach wie vor für Südtirol eintreten
wird, begann Scrinzi mit zu applaudieren und ein paar FPÖ-ler schlossen
sich ihm an. Beim Dank Kreiskys an die Beamtenschaft haben einige
Backbencher, und Mussil sitzt so wie ich noch immer auf seinem alten
Platz, ebenfalls applaudiert, nur die vorderen ÖVP-Reihen haben dies
nicht bemerkt und natürlich nicht darin eingestimmt. Obwohl Kreisky
verhältnismässig sehr schnell vortrug und dies sehr gut machte,
dauerte es doch fast genau zwei Stunden. Gratz kam anschliessend zu-
Kreisky, ich stand zufällig neben ihm, und sagte, er danke ihm vielmals,
dass er sich dieser Arbeit unterzogen hätte und diese umfangreiche
Regierungserklärung abgegeben hat, denn dies wäre für die Arbeit
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des Parlamentes, aber auch der Regierung ungeheuer wichtig gewesen.
Richtig ist, dass Kreisky – wie er mir dann erzählte – 20 Stunden
für die Regierungserklärung aufgewendet hat; in seinen Formulierungen
sehr gute Passagen gefunden hat. Andererseits ergibt sich für mich
immer noch die Frage, ob es zweckmässig war, eine solche lange Re-
gierungserklärung abzugeben. Häuser meinte, hier – unter vier Augen –
sei es doch unmöglich gewesen, dass z.B. Broda die ganzen Gesetze
nur aufgezählt hat, die er jetzt novelliert resp. neu einbringen wird.
Kreisky beschwerte sich auch bei mir, dass insbesondere die Passage
von Minister Firnberg, aber noch viel mehr von mir unbrauchbar gewesen
wären. Er hätte sie zwar übernommen, aber es seien überhaupt keine
Aussagen darinnen. Ich wehrte mich natürlich sofort ganz entschieden
dagegen und erklärte, dass dies ganz hervorragende Aussagen gewesen
sind. Da ich die Regierungserklärung immer so verstehe, dass man
halt irgendetwas sagen muss und sich nicht allzusehr binden soll,
so bin ich genau mit den Formulierungen wie sie bei uns Koppe ganz
richtig gemacht nicht nur einverstanden sondern sehe darin den
einzig richtigen Weg. Kreisky meinte natürlich müsste ich jetzt unsere
Leute und ganz besonders unseren Stil verteidigen, aber er hat
genau dasselbe Recht es zu kritisieren. Da sich dies alles in eine
sehr freundschaftlichen und fast würde ich sagen humorvollen Atmo-
sphäre abspielte, mussten die Aussenstehenden den Eindruck haben
und es war Minister Leodolter anwesend, dass wir hier ein sehr gutes
Einvernehmen allerdings auf einer sehr humorvollen Basis letzten
Endes haben. Freimütig wird gegenseitig kritisiert und doch dadurch
ein sachliches Problem diskutiert ohne dass der andere beleidigt
sein kann. Ich glaube wirklich, dass dies die richtige Methode
ist, denn ich habe gesehen, dass er sich doch unter der Regierungs-
erklärung ein anderes Bild macht als ich, er andererseits hat
unsere Motive vielleicht das erste Mal jetzt erfahren. Besonders
hob Kreisky hervor, dass Häuser ihm sehr gute aber knappe Formu-
lierungen gegeben hat. Wie mir Häuser allerdings nachher versicherte,
hat er ihm fast überhaupt nichts mehr geliefert, weil er auf dem
Standpunkt gestanden ist, er hätte ihm zum Parteitag bereits alle
Unterlagen – wie er den Rechenschaftsbericht und die zukünftige
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Arbeit damals in einem sehr interessanten Referat ausführte,
geliefert. Da Kreisky mit Häuser ein gutes Einvernehmen will,
hat er sogar dem Sozialminister den Teil seiner Rede, die sich
mit den Forderungen der Sozialpolitik beschäftigt und die insbesondere
auf den Wunsch des Rentnerverbandes zurückgingen, vorher genau
lesen lassen. Häuser hat dann sogar noch einige Passagen, die zu
konkret wurden, herausgestrichen. Häuser hat nämlich die genau
dieselbe Taktik, er hat mir nachher erklärt, er denke nicht daran,
sich in der Regierungserklärung zu binden, sondern wird dann im
Laufe der Jahre sehen, was er durchsetzen kann und wo sich sein
Hauptaugenmerk in der Sozialpolitik hinrichten wird.
Beim Empfang des Bürgermeisters Slavik für die soz. Abgeordneten,
kam ich neben der Frau Minister Leodolter zu sitzen. Nowotny
hat mir ihr wegen der Kompetenz Umweltfragen Handelsministerium
gesprochen. Sie wollte nun von mir detaillierter wissen, wie sie
dieses Problem am besten angeht. Ich setzte sie in Kenntnis, dass
bei uns eine Abteilung eine koordinierende Funktion für das Haus
aber letzten Endes auch für die internationalen Stellen durchführt.
Hier ist Min.Rat Hanisch als der von mir bestimmte Beamte, ein
zwar loyaler aber eigenwilliger und eigensinniger Vertreter, der
keinesfalls als Sozialist gelten kann. Wenn sie nun ihr Kompetenz-
gesetz ein bisschen verbessern will, damit nicht ausschliesslich
nur das Sozialministerium und das BKA einige Kompetenzen ihr ab
treten, sondern auch ein drittes Ministerien, z.B. das Handels-
ministerium aufscheinen sollte, dann könnte sie diese allgemeine
Kompetenz Handelsministerium Umweltschutz ebenfalls von mir
jederzeit bekommen. Ich versuchte ihr auch zu erklären, dass die
konkreten Umweltschutzmassnahmen bei uns durch die Betriebsgeneh-
migungen erfolgen und dass es sinnlos wäre, wenn sie jetzt vielleicht
versuchen würde, eine eigene Bürokratie über die Umweltskonkreten
Massnahmen aufzuziehen. Es wäre auch nicht im Interesse des
Staatsbürgers, wenn er womöglich zuerst bei ihr über eine Umwelt-
behörde oder -bürokratie feststellen lassen müsste, ob das konkrete
Projekt, die Fabrik oder das Erzeugnis genehmigt wird und dann erst
beim zuständigen Handelsminister die entsprechenden Betriebsgeneh-
migungen oder gar vielleicht erst Produktionsgenehmigungen sich
holen müsste. Sie stimmte mir sofort zu, dass die einzige Möglichkeit
darin besteht, dass sie eben allgemeine Richtlinien durch Gesetze
z.B. über die Phonstärken über die Rauchgasentwicklung und -zusammen-
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setzung usw. erlassen wird. Die konkrete Einhaltung dieser Ge-
setze wird eben dann den Behörden ganz allgemein aufgetragen.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte sich wegen der Abtretung der allgemeinen
Kompetenz über Umweltschutz und insbesondere der internationalen Bin-
dung mit dem Sekretär von Leodolter ins Einvernehmen setzen.
Min.Rat Meisl kam direkt vom Flugfeld zur Berichterstattung über
die EFTA-Tagung ins Büro. Auch nach seiner Auffassung wäre es ein
Wahnsinn gewesen, wenn ich für die zwei Stunden, die sich in Wirk-
lichkeit nur mit einer allgemeinen Erklärung über die dänische
Importabgabe und dann mit dem Schlusskommuniqué beschäftigt hat,
nach Genf geflogen wäre. Bei der dänischen Importabgabe hat ins-
besondere der schwedische Handelsminister Feldt die Einführung zur
Kenntnis genommen und sehr bagatellisiert. Innerhalb der Delegation
meinte Meisl konnte man dann feststellen, wie sie getuschelt haben
und Feldt dann zu neuen Erklärungen bringen wollten, doch war
dieser scheinbar nicht bereit, seine "batzwache" Aussage durch
eine zweite Erklärung zu ergänzen. Das Kommuniqué war – wie nicht
anders zu erwarten – eine nicht viel aussagende Zusammenfassung
von einer Organisation, die sich vollkommen im klaren ist, dass
sie doch früher oder später ihre Daseinsberechtigung sein einge-
schränkt bekommen wird.
Am Abend beim Empfang der Wirtschaftstreuhänder habe ich Gelegenheit,
in einem Hinterraum ca. 12 Leute vom Finanzministerium zusammen
an einigen Tischen zu sprechen. Min.Rat Waltersdorfer war auch
dabei. Der Wortführer war aber der Bekannte von unserem Sekt.Rat
Marhold, den ich per Namen nicht kenne, der aber Walter mit dem Vor-
namen heisst. Marhold behauptet, er ist ein sehr tüchtiger Beamter
und ich habe angenommen, er wird automatisch die Nachfolge von Walters-
dorfer bekommen. Dies ist nicht ganz sicher. Er erklärte mir aber
freimütig, dass wir einen sehr grossen Fehler mit unserer Patent-
verwertungsgesellschaft gemacht haben. Unser Vorschlag lautet,
dass wir eine Ges.m.b.H. errichten möchten. Wenn dies der Fall ist,
dann wird – wenn das Finanzministerium dem zustimmt, eine solche
von einer anderen Abteilung wie die, der Walter angehört, die Durchfüh-
rung dieses Projektes zu überwachen und vor allem dann zu betreuen
haben. Bei einer Ges.m.b.H. hat nämlich das Handelsministerium dann
nichts mehr mitzureden. Wenn wir dagegen einen Verein errichten,
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dann hat es den grossen Vorteil, dass wir – so wie z.B. bei
der ÖFVW – die alleinige Kompetenz behalten. Ich war sehr
erstaunt, dass wir eine Ges.m.b.H. verlangt haben und dass man mir
nicht vorzeitig die Variante mit dem Verein erläuterte, wo wir doch
in diesem Fall nur eine Zustimmung des Finanzministeriums brauchen,
die wir sofort bekommen könnten. In diesem Fall könnten wir viel
kurzfristiger und ohne dass der komplizierte bürokratische
Apparat des Finanzministeriums und des Handelsministerium sich
erst gegenseitig abstimmen müsste, eine Vereinsgründung vornehmen
und die 20 Mill. S resp. die ca. noch 19 verbliebenen, dem Verein
überweisen. Er selbst dürfte allerdings auch ein grosses Inter-
esse daran haben, dass ein Verein gegründet wird, denn dann bleibt
es auch in seiner Kompetenz.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte, sich sofort mit Marhold in Verbindung
zu setzen, damit mit Walter geklärt wird, wie man jetzt schnell
und zielstrebig vorgeht.
Die Wirtschaftstreuhänder wollen die elektronische Datenver-
arbeitung, die derzeit von der Handelskammer für ihre Mitglieder
zur Beratung und zur Buchführung verwendet wird, gerne an sich
reissen. Besonders in Salzburg hat es einen Streit gegeben,
weil dort die Handelskammer sehr konkrete Organisationsformen
dafür gefunden hat. Ich habe seinerzeit den Präsidenten Fritsch
und seine Mitglieder, d.h. den Vorstand aufgefordert, sie mögen
durch direkte Verhandlungen mit der Handelskammer irgendwelche
Lösungen mir vorschlagen. Jetzt hat Androsch, der als Wirtschafts-
treuhänder die Verhältnisse natürlich gut kennt, sich auf die Sei-
te der Wirtschaftstreuhänder geschlagen. Die Wirtschaftstreuhänder
sagt er, sind eine viel zu schwache Organisation, als dass sie
sich gegen die mächtige Handelskammer durchsetzen können. Trotzdem
beharrte ich auf dem Standpunkt, sie müsste einmal in Besprechungen
mit der Handelskammer versuchen, zu einer Lösung zu kommen. Richtig
ist, dass von den x-hunderten von Wirtschaftstreuhändern, ich glaube
insgesamt 400, nicht einmal die Hälfte etwas zu tun hat. Bei den
Buchprüfern, wo x-tausende sind, ist es noch ärger. Die Tüchtigen
allerdings, hat mir Androsch vor den anderen bestätigen müssen,
hätten zwar eine riesige Wut, wenn ein anderer etwas dazu bekommt,
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müssten aber gleichzeitig immer wieder zugeben, dass sie gar nicht
imstande wären, arbeitsmässig noch eine oder andere Firma dazuzunehmen.
Da der Präsident Fritsch der Wirtschaftstreuhänder auch noch Wirtschafts-
bundmitglied ist, müsste es doch gelingen, dass sie sich zumindestens
in einem sachlichen Gespräch den Rahmen abstecken, unter welchen Bedin-
gungen die einen, d.h. die Handelskammer, oder die anderen, d.h. die
Steuerprüfer und Buchprüfer in Hinkunft tätig werden.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte in der Abteilung Wohlgemuth, ich glaube, er
betreut die Wirtschaftstreuhänder, feststellen, was man über die Verhand-
lungen resp. über dieses Problem konkret weiss.
Prof. Seidel von Wirtschaftsforschungsinstitut teilte mir mit, dass
Nemschak jetzt die Idee hätte, dass er mit Ende des nächsten Jahres
doch noch nicht in Pension gehen möchte. Er hofft, dass Mautner-Mark-
hof vielleicht im nächsten Frühjahr nicht aus der Wirtschaftsforschung
ausscheidet und damit auch er mit Jahresende noch immer eine weitere
Verlängerung seines Vertrages erhalten könnte. Ich sprach darüber mit
Tommy Lachs und auch mit Finanzminister Androsch und beide bestätigten
mir, dass unter gar keinen Umständen eine Verlängerung in Frage kommen
dürfte. Die Absicht einiger anderer Mitglieder des Instituts, nämlich
dass Dr. Tichy die Nachfolge oder Dr. Butschek, ein Genosse von uns,
die Nachfolge von Nemschak antreten könnte, wurde allgemein als voll-
kommen unmöglich bezeichnet, weil sie nicht das Format mitbringen.
Der Einzige, der für diese Position wirklich in Frage käme, ist Prof.
Seidel und wir werden alles daran setzen, dass Nemschak unter gar keinen
Umständen eine Verlängerung bekommt.
ANMERKUNG FÜR WANKE: Bitte mich daran erinnern, dass ich dieses Problem
mit Hrdlitschka als Kuratoriums- und Vorstandsmitglied des Wirtschafts-
forschungsinstituts bespreche.