Montag, 3. Juli 1972
Mussil behauptete, dass Vertreter der Handelskammer in Brüssel ständig
anwesend waren und nur 3 Stunden Differenz bei der Ablöse von Seiten der
Delegation benutzt wurde, um den Vorschlag über die sensiblen Produkte
ohne Zustimmung der Handelskammer Brüssel zu erstatten. Mussil meinte,
er wäre nur auf dem Klosett gewesen, als dieser Vorschlag eben ohne
seine Zustimmung abgegeben wurde. Da dies nicht den Tatsachen entspricht
und ich mich ganz entschieden dagegen verwahrte, lenkte Sallinger ein
und meinte, es sei richtig, dass ein Handelskammervertreter längere
Zeit leider in Brüssel abwesend war. Ich verlangte neuerdings von den
beiden, dass die Verhandlungsdelegation und damit auch der Vertreter
der Handelskammer ein grosses Pouvoir braucht, weil nur so eine zweckmässige
Lösung aller österreichischen Probleme in Brüssel erreicht werden kann.
Wenn nämlich die Verhandlungsdelegation zur Überzeugung kommt, dass Wellen-
stein den einen oder anderen Punkt auch innerlich ablehnt, dann muss
sie sofort darauf verzichten können, um nicht ihn zu verärgern. Wenn näm-
lich Wellenstein nicht entsprechend Deniau berichtet und dieser im Mini-
sterrat beim nächsten Mal den österreichischen Kompromissvorschlag
positiv referiert, ist von vornherein anzunehmen, dass dieser garantiert
abgelehnt wird. Deshalb muss sich auch unser Vorschlag auf ein gewisses
Mindestmass von höchstens 2 bis 3 Punkte reduzieren, die als offene Problem
dem Ministerrat von Seiten der Kommission vorgelegt wird. Diese Vorgangs-
weise hat uns Wellenstein empfohlen und ich erklärte, dass wir dieser
unbedingt Rechnung tragen müssten. Sowohl Sallinger als auch Mussil waren
von der Besprechung mit Schumann worüber ich sie genau im Detail
informierte, so deprimiert, dass sie der Vorgangsweise Wellensteins
in Prinzip zustimmten.
Bei der Fleischpreisregelung vermutete Mussil, dass ich die Interessen
der Kleinhändler und des Handels ausser Acht gelassen habe, da ich
zustimmte, dass nur die Letztverbraucherpreise festgesetzt wurden. Ich
stellte sofort richtig, dass ich damit nichts zu tun hatte, sondern
ganz im Gegenteil es sogar empfohlen hatte, als ich das erste Mal von
diesem Problem von den Handelskammervertretern erfuhr, eine Regelung
dahingehend zu treffen, dass er in die Verordnung einen Satz aufnimmt,
wonach die bisherigen Handelsspannen und Rabatte weiterhin aufrechter-
halten werden müssten. Weihs hat diese Bestimmung, erklärte ich, wahr-
scheinlich aus preisrechtlichen Gründen nicht aufnehmen können. Im
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Institut erklärte mir dann Lachs, dass die Fleischindustrie bei Benya vor-
gesprochen hat und auseinandergesetzt, dass bei den Preiserhebungen des
Marktamtes die Kleinhändler und Delikatessengeschäfte überhaupt nicht
erhoben werden. Dadurch ergibt sich eine ganz neue Situation. Für
mich ist es ganz klar, dass die Handelskammer jetzt in die schwierige
Situation kommt, eine entsprechende Regelung zwischen den Erzeuger-
firmen und den Händlern in eigener Verantwortung und in eigener Regie
zu treffen. Wenn ich einmal die Preisregelung wirklich übertragen be-
komme, darf ich keinesfalls ohne Detailbesprechungen die bis in letzte
Glied der Kette geführt werden, meine Höchstpreisregelung fixieren.
Dies bedeutet nicht, dass man der Handelskammer vollkommen mit ihren
Anträgen Rechnung tragen muss, doch dass man zumindestens das Problem
wirklich überschaubar diskutiert hat. Propagandistisch sollten wir
derzeit, wenn die Handelskammer wegen der Lösung aufschreit, viel
mehr darauf hinweisen, dass die ÖVP immer wieder und auch Mussil die
Regierung gereizt hat, indem sie erklärten, man müsste halt die Fleisch-
preisregelung, die ja im Gesetz möglich ist, durchführen.
Ich erklärte Mussil neuerdings, dass wir für die Entlastung der Mehr-
wertsteuer einen entsprechenden Kompromissvorschlag ausarbeiten müssen.
Dies gilt ganz besonders für den Entlastungsanteil der Abschreibungsquote
Die jetzt vorgesehene gesetzliche Regelung im Preisbestimmungsgesetz
wird ein solches Kompromiss ermöglichen. Wenn es zu keinem Kompromiss
kommt, sehe ich mich sonst verpflichtet, den extremen Standpunkt der
Arbeiterkammer, 1. Jänner 1973 hat keine Umsatzsteuer, da erst im
März wieder eine zu leisten ist, zu akzeptieren.
Bezüglich der Verleihung und Überreichung von Kommerzialratstitel
wollte ich die Bundeskammer als cetero censo die offene Frage in Er-
innerung rufen. Heindl, der zufällig dazukam, erklärte sofort, dass
die Verleihung und insbesondere die Überreichung ausschliesslich eine
staatliche Angelegenheit und damit entweder mit oder dem Landeshaupt-
mann vorbehalten bleibt. Ottahal, der diesen Standpunkt auch
immer vertrat und den wir am Gang dann trafen, ersuchte ich ebenfalls
seine Meinung zu äussern und er meinte, da müsse man halt irgendeinen
Ausweg finden, als er bemerkte, dass die Handelskammer sich gegen eine
im Gesetz vorgesehene Regelung ganz entschieden aussprach. Wenn wir
daher diese Frage offenhalten wollen, müssen wir eine andere Taktik
in den weiteren Besprechungen mit der Handelskammer einschlagen, ohne dass
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wir uns zu weit vorwagen, weil wir dann letzten Endes vielleicht
wirklich wieder die ganze Frage zurücknehmen, wäre es zweckmässig,
hier ein rechtliche Geplänkel mit der Handelskammer zu beginnen.
Ottahal würde die aber sicherlich nur auf eine entsprechende Weisung
mit genauer Zielrichtung tun. Genau dies möchte ich aber keinesfalls
haben. Die Frage offen zu lassen, müsste man jetzt ein Konzept anlegen,
um es monatelang immer wieder zu besprechen, zu urgieren und doch nicht
entscheiden zu müssen und wenn doch eine Entscheidung notwendig ist,
nicht einen Standpunkt wieder zurücknehmen zu müssen.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Überlege, bitte, welches Weg wir hier ein-
schlagen können.
Da ich die interministerielle Sitzung wegen der Verhandlungen in Brüssel
mit einem Bericht über Luxemburg und die Schumann-Aussprache einleitete,
war von mir aus natürlich auf Pessimismus getrimmt. Bevor ich noch das
Wort ergriff, hatte allerdings Marquet mir zugeflüstert, bitte nicht zu
optimistisch darstellen, was ich gar nicht beabsichtigt hätte. Marquet
ist sich vollkommen klar, dass er in Brüssel kaum mehr viel erreichen
kann und möchte daher nicht allzu grosse Hoffnungen bei interministeriel-
len Sitzung erwecken. Falls er die eine oder andere Frage doch noch positiv
abschliessen kann, wird es dann wenigstens auch für ihn ein grosser Er-
folg sein. Marquet stellt sich auch in einer Art, die mir sehr gut gefallen-
den Wünschender Handelskammer, die natürlich am liebsten keine Entschei-
dungen in konkretem Fall treffen möchte, sondern alles wieder vorlegen
möchte, damit Brüssel dann ablehnt und sie sagen kann, sie hat bis zum
Letzten alles verteidigt. Ich verlangte deshalb ganz klar eine Entscheidung
von der interministeriellen Sitzung, dass entweder alles oder nichts von
der interministeriellen Kommission unter gar keinen Umständen gebilligt
wird. Gleissner für die Handelskammer musste selbst zugeben, dass man
eben ein entsprechende Verhandlungspouvoir der Kommission geben muss
und dass sie es entscheiden muss, ob und inwieweit offene Punkte dann
an den Ministerrat herabgetragen werden sollen. Bei den landwirtschaft-
lichen Verarbeitungsprodukten ergab sich natürlich wieder die Schwierig-
keiten, dass wieder die Handelskammer aber auch die Landwirtschafts-
kammer keine Zustimmung geben wollte, weil ein entsprechender inner-
österreichischer Ausgleich wie z.B. bei Stärke derzeit vom Finanzmini-
ster noch nicht akzeptiert ist. Ich wies darauf hin, dass in der letzten
Paritätischen Kommission eine solche Erklärung, dass wenn der Vertrag nicht
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alle Wünsche der Landwirtschaft erfüllt sie dann einen inneröster-
reichischen Ausgleich wünschen, zum ersten Mal klar und deutlich aus-
gesprochen wurde, dass auch die Landwirtschaft mit Abschluss dieses
Vertrages rechnet und sogar dem zustimmen wird, wenn sie einen
innerösterreichischen Ausgleich bekommt. Dieser wurde allerdings
rundweg in der Paritätischen Kommission vom Finanzminister abge-
lehnt.
Der Bericht über den Abschluss des Agrarpaketes von Pultar stiess
auf den Widerstand der Landwirtschaftskammer. Korbl hat mit Recht
erkannt, dass Pultar zuerst, um die entsprechenden Zugeständnisse
von den EG-Verhandlern zu bekommen, immer wieder erklärt hätte,
Österreich könnte auf diesem oder jenem Gebiet, wie z.B. Wein,
Obst und Gemüse und Zierpflanzen Zugeständnisse machen. Pultar hoffte,
dass er damit auch irgendwelche Zugeständnisse für Butterexporte
und Vollmilchpulver-Exporte bekommen würde. Nun hat sich heraus-
gestellt, dass im Agrarpaket alle die von uns angebotenen Forderungen
für die Rindermarktregelung von der EG beansprucht werden. Ich bin
neugierig, ob innerparteilich die ÖVP jetzt Pultar, d.h. die Landwirt-
schaftskammer hie der nächsten Präsidentenbesprechung eben das Landwirt-
schaftsministerium, in dem Fall aber Pultar attackieren wird oder
ob sie das Kompromiss, das im Grunde genommen nicht schlecht ist,
letzten Endes doch akzeptiert.
Bei den Parteienverhandlungen über das Preisbestimmungsgesetz und
vor allem die Begleitmassnahmen, war diesmal auch der Finanzminister,
der Freitag mit Häuser gemeinsam und Koren und Kohlmaier verhandelt hat-
te, anwesend. Die ÖVP wollte unbedingt, dass Häuser auf die Erhöhung
der Höchstbemessungsgrundlage von 4.800 auf 5.700 verzichtet, als
Häuser dies rundwegs ablehnte, sich auf die Enquete von 31.7.1971
berufen hat, wonach 1,2 Mia. Mehrerfordernisse notwendig sind und
er trotz der Anhebung nur 800 Mill. für Ärzte, Medikamente und
Spitäler bekommen kann, versuchte Schleinzer, statt 5.700 die Höchst-
bemessungsgrundlage mit 5.400 zu erreichen. Häuser hatte als Kompromiss
nur angeboten, dass nur die Krankenkassenbeiträge mit 5.700 erhöhen
wird, alles andere wird ab 1.1.1974, wie z.B. die Arbeitslosen-
versicherung, Wohnungsbeihilfe und AK-Umlage verschoben. Letzten
Endes erklärte sich die ÖVP damit einverstanden. Die offene Frage über
die Erhöhung der Kinderbeihilfe wurde dann nach Unterbrechung am Abend
dahingehend geregelt, dass ab 1.1.1973 20.– S und ab 1.7.1973
dann 30.– für jedes Kind gegeben wird. Bei diesem Punkt der Verhand-
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lungen, die Kreisky ausschliesslich allein führte, in der Vorbespre-
chung hat man sich überlegt, ob man 25 S für das dritte Kind wie im
ÖVP-Vorschlag vorschlagen sollte, den er aber dann gar nicht vor-
brachte sondern sofort 30.– S angeboten hat. Da Schleinzer dann vom
1. Juli 1972 auf 1. Oktober zurückwich, Kreisky aber vor 1.1.1973
überhaupt keine Kinderbeihilfeerhöhung machen wollte, kam dann das
oben skizzierte Kompromiss zustande. Damit hat die SPÖ-Regierung in
drei Jahren die Kinderbeihilfe 4-mal erhöht, gleichzeitig auch die
Freifahrt mit 600 Mill. und die Schulbücher mit 600 Mill. eingeführt.
Die vorgesehene Regelung wird dem Staat über 800 Mill. S im Jahr
kosten. Dadurch werden alle Mehreinnahmen des Familienlastenausgleichs-
fonds bis zum Jahre 1974 restlos ausgeschöpft. Obwohl die Verhandlungen
damit abgeschlossen gewesen wären, wurde dann abends nach Aufnahme der
Verhandlungen und der Erzielung dieses Kompromisses doch nicht endgültig
abgeschlossen, weil man noch in der Formulierung der Pressemitteilungen
– eine Parteienvereinbarung will Kreisky aus optischen Gründen nicht
schliessen – differente Auffassungen hatte. Koren erklärte, der Finanz-
minister hätte ihm zugesichert, dass die Tarife ebenfalls nicht erhöht wer-
den. Rösch erwiderte, dass dies im Preisbestimmungsgesetz für alle
preisgeregelten Waren, soweit es die Mehrwertsteuer betrifft, ebenfalls
vorgesehen ist. Auch ich wies darauf hin, dass in diesem Fall die ÖBB
eine Tarifsenkung vornehmen würde und aus Konkurrenzgründen natürlich
auch dann gewerbliche Güterverkehr dann auch keinerlei Mehrwertsteuer-
Aufschläge durchführen dürfte. Androsch modifizierte seinen Vorschlag
und erklärte, dass keine autonome Tariferhöhung geplant sei. Ausser
der Mehrwertsteuerberechnung würde keinerlei zusätzliche Tariferhöhung,
Gebühren- und Steuererhöhungen kommen. Dies gelte z.B. für die KFZ-
Steuer, für Einbeziehung Bier in die Getränkesteuer. Bei Tabak sei
keine Preiserhöhung geplant, ebenso nicht bei Salz. Mit dem jetzt erzielt
Kompromiss müsste es möglich sein, im Entlastungsausschuss auf dem Ver-
kehrssektor eine vernünftige Regelung zu erzielen. Frühbauer, dem ich
nämlich mitteilte, dass wir für ihn gekämpft haben, damit er doch wenig-
stens die Mehrwertsteuer auf dem Gütersektor überwälzen kann, für Personen-
tarife beabsichtigt er ja auf keinen Fall eine entsprechende Korrek-
tur, war nämlich gar nicht allzu begeistert. Scheinbar hat er sich wirklich
schon abgefunden, dass die Gütertarife unter gar keinen Umständen er-
höht werden. Aus diesem Grund müsste es möglich sein, im Entlastungs-
ausschuss einen entsprechenden Kompromiss tatsächlich mit der gewerb-
lichen Wirtschaft, den Spediteuren und der ÖBB zu erzielen sein.
Kohlmaier fragte auch an. ob der Wohnbauförderungsbeitrag eine Anhebung
der Grenze von 4.800 auf 5.700 mitmachen soll. Da niemand mit Moser
über dieses Problem gesprochen hatte, bleib es offen. Moser, den ich abends
dann fragte, erklärte, dass er selbstverständlich eine Erhöhung der
Höchstbemessungsgrundlage dringend benötigt.
Bei der Bestellung der Verfassungsgerichtshofmitglieder, einer ist offen,
und den verlangt die ÖVP, nachdem es im Parlament ihnen bei Verhandlungen
zwischen Gratz und Koren zugesichert wurde, ergab sich eine interessante
Episode. Schleinzer war nur bereit, eine grundsätzliche Bereitschaft
zu bekunden, dass in Hinkunft ein Besatzungsmodus gefunden wird, wo keine
der grossen Parteien majorisiert werden soll. Kreisky schwebt vor, dass
die Bundesversammlung mit Zweidrittelmehrheit die 16 Richter bestellen
sollte und die Bundesregierung nur den Präsidenten und den Vizepräsidenten
aus dieser Mitte vorschlagen kann. Ausserdem möchte er für diese höchsten
Richter eine Ausschreibung der Posten. Schleinzer sagte wörtlich, nachdem
er zu keinem weiteren Zugeständnis als seiner grundsätzlichen Bereitschaft
darüber zu reden zu haben wer, dass er dies, nachdem er doch sehr vorsichtig
immer in seiner Ausdrucksweise ist, eine sehr weitgehende Zusage ist.
Kreisky akzeptierte zuletzt diese Meinung und wird, wie er sich
ausdrückte, in den Gremien, im Vorstand und vor allem dann einmal im
Parteipräsidium vertreten. Dort haben scheinbar die Länder andere Meinungen
Kreisky verwies bei dieser Gelegenheit auf die Tatsache, dass er mit der
ÖVP in der grossen Opposition mehr verhandelt als Klaus jemals mit
ihm als Parteiobmann Gespräche geführt hat. Solche Gespräche hat es
nur bei der CSSR-Krise gegeben, dann hat Klaus immer wieder d.h. dreimal
Kreisky erklärt, es sollte eine gemeinsame Verteidigungspolitik gesucht
werden, ohne dass er wirklich konkrete Verschläge gemacht hat und bei
der Präsidentenstellung des Verwaltungsgerichtshofes. Als einziges konkre-
tes Abkommen gab es nur das Krampus-Abkommen über die verstaatlichte
Industrie. Sonst hat es keinerlei Besprechungen zwischen Opposition
und Regierung Klaus gegeben. Nicht erwähnt hat Kreisky, dass allerdings
solche Besprechungen auf Sozialpartnerebene oder vielleicht letzten
Endes doch auch mit der Partei wegen der Wirtschaftsgesetze, die ja nur jähr-
lich verlängert werden, geben musste und sicherlich auch gegeben hat.
Schleinzer braucht aber aus innerparteilichen Gründen scheinbar jetzt
dringendst solche Gespräche und war daher ohne dass er ein Wort dazu
sagte, bereit jede Gesprächsbasis zu akzeptieren. Er distanzierte
sich sofort von dem Verhalten Klaus' in der ÖVP-Regierungszeit.
Im Kraftfahrzeugbeirat, wo ich durch die Parteiverhandlungen späterhin.
kam, ergab sich die von mir erwartete Situation. Zu jedem einzelnen,
selbst noch so unwichtigen Punkt, wie das Nachschneiden von Autoreifen,
wurde eingehendst diskutiert. Nach eineinhalb Stunden ersuchte ich des-
halb, was sofort genehmigt wurde, die Gebührenfrage vorzuziehen. Die
Ärztekammer verlangte von 32 S auf 260.– S eine Erhöhung und inter-
essanterweise hat sich niemand in dem ganzen Beirat energisch dagegen
ausgesprochen. Nur der Gewerkschaftssekretär Stiedl, der gleichzeitig
auf die Arbeiterkammer vertrat, meinte schüchtern, man müsse doch
sich überlegen, ob man eine solche exorbitante Erhöhung machen könnte.
Weder der ÖAMTC-Vertreter noch der ARBÖ-Vertreter oder eine andere Stelle
hat sich gegen diese Irrsinnswünsche der Ärztekammern ausgesprochen.
Zum Glück hatte ich ein Schreiben des Bundeskanzleramtes, Sekt.Chef
Markovics, von Metzner vorgelegt bekommen, worin festgehalten wird,
dass für die Amtsärzte es sich nicht um eine Entschädigung handelt,
sondern ausschliesslich nur um einen zusätzlichen Verdienst, der durch
die Mehraufwendungen bedingt ist und der keinesfalls erhöht werden soll.
Darauf entspann sich eine Diskussion, ob die Amtsärzte als Amtsärzte
tätig werden oder als Freiberufler. Da auch die Höchstgrenze von
12.000 S für Amtsärzte angefochten wird, ein diesbezügliches Verfahren
beim Verwaltungsgerichtshof läuft, erklärte ich, dass wir dieses Problem
bis zur Klärung durch das Bundeskanzleramtes und den Entscheid des
Höchstgerichtes zurückstellen. Es tut mir persönlich wirklich leid,
dass ich nicht mehr Zeit hatte, um mich dem Kraftfahrbeirat bei dieser
Sitzung widmen zu können. Ich habe nämlich den Eindruck, dass man dort
mit entsprechendem Schmäh und Kompromissbereitschaft eine Forderung
gegen die andere abtauschen kann und damit einstimmig Beschlüsse erzielt.
Materiell kotzt mich aber diese ganze Regelung der Details in Verordnungen
usw. an. Steinhart macht dies auch noch so kompliziert, dass sich wirklich
kein Mensch auskennt. Nicht einmal Metzner oder auch die Fachleute, die
im Beirat gesessen sind. Ich kann mir vorstellen, in der Oppositionszeit
Broda als Sprecher für die Verrechtlichung dieser Materie sich durchge-
setzt hat und damit uns das Problem jetzt beschwert. Alles muss im Gesetz
in Verordnungen geregelt werden, um die Rechtsgültigkeit von Erlässen,
die Kinkerlitzchen technischer Detail betreffen, gedeckt zu haben.
Hier kann ich nur hoffen, dass sehr bald das grosse Kompetenzgesetz
kommt und ich diese ganze Materie Frühbauer abtreten kann.
Ob das grosse Kompetenzgesetz jetzt tatsächlich im Ministerrat kommen
wird, steht endgültig fest. Ich kam zur Ministerratsvorbesprechung zu
spät und erfuhr von Kirchschläger, dass Kreisky ganz entschieden mit
Sinowatz zusammengekracht ist, weil dieser in einem Gutachten ihm ge-
schrieben hat, im grossen Kompetenzgesetz gibt es eine conditio
sine qua non für ihn. Kreisky erklärte, dass das grosse Kompetenzge-
setz zwischen den Ministern abgesprochen war und deshalb ein solches
Gutachten er sich verbietet. Kreisky will auch das Ausschreibungsgesetz
jetzt ins Parlament hinüberbringen und hat noch das Problem wegen der
von der Personalvertretung geforderten Kommission. Im ORF wird
Kreisky jetzt die Generalversammlung einberufen, um auch über die Gebühren-
erhöhung sich Bericht erstatten zu lassen. Er möchte, dass die Paritäti-
sche Kommission sich mit diesem Problem beschäftigt. Die Rechnungen
wonach 27 S von der Rundfunkgebühr nur 23.15 dem ORF verbleibt
und von 95.– S Fernsehen nur 79.63 hält Kreisky für falsch. Der Finanz-
minister hat auch grosse Bedenken, obwohl Mussi mitteilt, dass er ihm
im Ministerium gesagt wurde, dass die Mehrwertsteuer richtig berechnet
wurde.
Das Holzhausbau-Projekt von Turnauer soll nun so gelöst werden, dass
Moser die technischen Erfordernisse eine Holzhauses feststellt. Ich
erklärte neuerdings, dass wir wenigstens eine Landesregierung dafür
gewinnen müssten, dass sie auf die Bauvorschriften, wie sie derzeit
in den Bauordnungen bestehen, verzichtet, d.h. sie den tatsächlichen
technischen Gegebenheiten modifiziert. Sinowatz meinte, dass unmittel-
bar nach den burgenländischen Wahlen im Burgenland zwischen dem Bauten-
direktor, der ein Sozialist ist und dem Landesamtsdirektor, ihm, Moser
und mir diesbezügliche Besprechungen beginnen könnten.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bitte vormerken. und versuchen, ob wir nicht
auch mit Wien ein solches zustandebringen können.
Frühbauer will die Postwerbegebühren erhöhen und erklärt, dass das
letzte Mal schon die Paritätische Kommission sich dafür nicht
zuständig erklärt hat.
Mintoff zugesagt, sollen zwei Experten über Fremdenver-
kehr entsendet werde, die gegebenenfalls von der Entwicklungshilfe
bezahlt werden können.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Mindestens einen Mann von uns und gegebenenfalls
einen auf Kosten der Handelskammer suchen.
Der allgemeine Bauernverband will in Rauris, dort ist Loitfellner
zu Hause, eine grössere Fremdenverkehrsattraktion aufziehen. Zu
diesem Zweck wird Kreisky am 10.7. eine Enquete veranlassen.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Bis dorthin muss das Projekt von Würzl be-
gutachtet und mir vorgelegt sein.
De Neunkirchner Gebiet, meint Veselsky, sei es nur notwendig,
dass das Handelsministerium erklärt, dass die Investorenwerbung
versuchen wird, dort Betriebe hinzubringen und das Sozialministerium
erklärt, dass es die produktive Arbeitslosenfürsorge auch
für dort bereitstellt. Dazu erklärten sich Häuser und ich sofort
bereit, da wir dies ja sowieso schon durchführen. Kreisky meinte
dann sarkastisch, ohne dass es alle hörten: Da wird halt ein Problem
abgeschoben, aber bitte, mir soll es recht sein. Interessanterweise
habe ich am Abend dann mit Moser und Veselsky ein Gespräch gehört,
wo dieser sich ganz entschieden mokiert, wann denn endlich die Ge-
sellschaft für Aichfeld-Murboden errichtet.wird. Veselsky meint,
das liegt im Finanzministerium und gehe dort nicht weiter. Moser
hat grosse Angst, dass damit die Durchführung von Aichfeld-Murboden
ungebührlich lange hinausgezögert wird. Ich kann mir vorstellen,
wie sich Kreisky bei der Durchführung von einzelnen Projekten genauso
schwer tut wie wir in unsrem Ministerium. Kreisky wollte auch zuletzt
nicht zuletzt weil der Allgemeine Bauernverband dies verlangt, die
Nettopreise für Landmaschinen einführen. Da ich aber keinerlei An-
träge von Seiten des Arbeiterkammertages oder des Gewerkschaftsbundes
trotz heftiger Urgenz erreichen kann, bleibt dieses Problem immer
in der Luft hängen.
Leodolter meinte, dass in der 29. ASVG-Novelle ihre drei Punkte immer
noch offen sind. Das ist die Kostenübernahme für Bazillenausscheider
für die Schutzimpfung und die Federführung bei Gesundenuntersuchungen.
Häuser replizierte, dass die Sozialversicherung diese Bazillen-
ausscheidungen und Schutzimpfungen nicht übernehmen könnte, dies
sei Aufgabe der Landessanitätsbehörden und damit der Länder. Bezüg-
lich der Gesundenuntersuchung wird das SM im engsten Einvernehmen
mit dem Gesundheitsministerium vorgehen. Das SM hätte die 29. Novelle
am 3. April zur Begutachtung ausgeschickt und bis 26. Mai Frist gegeben,
erst am 13. Juni sei eine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums
überhaupt erfolgt. Im Detail sei er genauso bereit, im Parlament
zu verhandeln wie mit der Ärztekammer, welcher er erklärt hätte die
Verhandlungen bis 1. Oktober weiterzuführen. Die medizinischen Richt-
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linien würde das Gesundheitsministerium für die Gesundenunter-
suchungen erlassen und nicht der Hauptverband. Mit diesem Ergebnis
erklärte sich Leodolter dann zufrieden. Beide sprachen sich als
Genossin Leodolter und Genosse Häuser an, was Kirchschläger neben
mir zu der Bemerkung veranlasst, wenn ihr aufeinander broiche seid,
dann sprecht ihr euch mit Genossen an. Ich musste dies bestätigen
und erklärte, wenn ich einmal zu Kreisky Herr Bundeskanzler sage,
dann stehe ich knapp vor dem Hinauswurf aus der Regierung oder
vor meiner Demission.
Tagesprogramm, 3.7.1972